„Tiamats Zorn“ ist der achte Roman der Expanse Serie. Es ist gleichzeitig der mittlere Band der letzten Trilogie. Die Handlung setzt unmittelbar an „Persepolis Rising“ aus dem Jahre 2017 an. Auch wenn das Autorenteam James Corey sich bemüht, die einzelnen Handlungsfäden zusammenzufügen und für Neueinsteiger kurz darzustellen, empfiehlt es sich, die Serie mit dem ersten Buch und nicht der Fernsehadaption zu beginnen. Ein Einstieg in die letzte Trilogie ist trotz eines vordergründigen Nebenkriegsschauplatzes nicht zu empfehlen.
Das Verführerische an dieser Serie ist die fast plump zu nennende Vertrautheit. Im Vordergrund. Immer wieder nehmen James Corey Idee, fast schon Klischees des Genres und platzieren sie direkt im Blickwinkel der Leser. Kaum haben sich diese mit einer weiteren wenig originellen Space Opera um eine Handlung Außenseiterhelden in mehr als einem Konflikt abgefunden, erweitern die Autoren nicht nur das Spektrum, sondern stellen einiges ganz anders da als es der Leser und auf Augenhöhe die Charaktere erwarten. Das macht den Reiz dieser umfangreichen, manchmal auch ein wenig zu theatralisch getragenen und damit viel zu im Detail behäbigen Serie aus.
„Tiamats Zorn“ ist die Geschichte des laconischen Imperiums, das von einem rebellierenden Admiral gegründet und mit eiserner Faust regiert wird. Natürlich ist sein großmannssüchtiger Traum, alle von Menschen bewohnten Welten unter seiner Kontrolle zu bringen. Und nebenbei unsterblich zu werden. Größere Ambitionen gibt es in keinem der bisherigen Bücher.
Das Szenario wird Lesern der Serie aus der ersten Trilogie vertraut vorkommen. Da haben die Arbeiter im Asteroidengürtel gegen die eigene Ausbeutung rebelliert und damit sowohl den Mars als auch die Erde brüskiert. Am Ende dieser blutigen Auseinandersetzung konnten sich beide Parteien auf einen eher brüchigen Frieden einigen. Der Admiral sollte also gewarnt sein. Die Rebellen des Asteroidengürtel bilden das Herz der Kampfeinheiten gegen die laconische Herrschaft.
Der Reiz vor allem dieser letzten Trilogie liegt aber auf einer weitren Zwiebelschale, die um dieses menschliche Drama gestülpt worden ist. Die Technik stammt eben nicht von der Erde. Die Tore in mehr als eintausenddreihundert Sonnensysteme sind von mysteriösen Wesen vor langer Zeit gebaut worden. Während die Rebellen vor allem auf menschliche Technik zurückgreifen, setzen die Diktatoren auf die außerirdische Technologie. Leider hat die Nutzung alte Feinde auf den Plan gerufen, welche die damaligen Besitzer der Waffen und Tore schon einmal „vernichtet“ – ein eher ambivalenter Begriff in diesem Universum – haben und nicht davor zurückschrecken, auch die Menschen zu vernichten.
Schon im letzten Band haben James Corey die einzelnen bekannten Protagonisten auf gespalten, voneinander isoliert und getrennt. Dadurch kann der Plot auf mehreren Handlungsebenen rasant erzählt werden. Nicht selten hat nur der Leser ein umfassendes Bild des Geschehens und ist damit vor allem den Protagonisten nicht selten mehr als einen Schritt voraus. James Corey machen sich nicht die Mühe, die einzelnen Lücken zu schließen oder gar alle Figuren auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen. Viel mehr geht es ihnen darum, eine abenteuerliche Science Fiction Action Story effektiv und doch epochal pragmatisch zu erzählen.
Es sind die einzelnen Schicksale, welche den Leser mehr oder minder ansprechen und dem beschriebenen Geschehen die persönliche Note zurückgeben. Während James Holden vordergründig als eine Tanzbär auf der Herrschaftswelt die Öffentlichkeit ablenkt, organisiert seine Geliebte Naomi Nagata den Widerstand aus einem großen Container heraus, der wie ein Stück Vieh buchstäblich herumgereicht wird, damit die Feinde nicht seine Position orten können. Marine Bobbie Draper und Alex Kamal sind für die direkten Aktionen in einem gekaperten feindlichen Zerstörer zuständig.
Alle vier Charaktere erzählen den Plot aus ihrer persönlichen Perspektive. Es gibt Handlungsfäden, die entweder aus der distanzierten dritten Person erzählt werden oder mit Duartes fünfzehnjähriger Tochter Teresa wird eine neue ambivalent gezeichnete Figur eingeführt. Die Ich- Perspektive ist schwierig zu handhaben. Einige wichtige Nebenfiguren wie zum Beispiel Amos Burton oder Chrisjen Avasrala sind entweder definitiv tot oder vermutlich gefallen. Ihnen sind diese subjektiven Blickwinkel auf das Geschehen nicht während ihrer fünfzehn Minuten des Ruhm nicht eingeräumt worden. Daher kann der Leser davon ausgehen, das die Kerncrew der Rosinante das ganze Geschehen auch überleben wird.
Auch wenn Teresa die nächste Herrscherin dieses Systems werden soll, verbindet sie sehr viel mehr mit der Rosinante Crew als ihrem Vater. Im Grunde handelt es sich auf beiden Seiten um Idealisten. Teresa sucht durch ihre Flucht aus dem Palast eine eigene Identität, ist aber durch ihre Familie gefangen. Naomi Nagata muss aus einem geschlossenen Container, ihrem persönlichen Gefängnis heraus kämpfen, während James Holden ja zur Schau gestellt und doch irgendwie auch gefangen ist. James Corey nehmen sich viel Zeit, die individuellen Gefängnisse – dabei handelt es sich um keine übertriebenen Seelenzustände – zu beschreiben und die Dynamik des Buches liegt in den Versuchen, auf unterschiedliche Art und Weise nicht nur sich persönlich zu befreien, sondern auch die Menschheit zu retten. Dabei gibt es konträre Interessen, wobei insbesondere Teresa im direkten Vergleich zu ihrem Vater wahrscheinlich ein guter Kompromiss zwischen dessen Interessen und dem Freiheitsdrang der Menschen sein könnte.
Erstaunlich ist, dass James Corey bei diesem vorletzten Roman nicht unbedingt auf Einzelaktionen Wert legt. Schon in den letzten Büchern haben sich verschiedene Gruppen gebildet. Holden und Namoi, Bobby und Alex, jetzt kommt mit Teresa/ Duarte/Timothy sogar ein unheilvolles Trio hinzu.
Um diesen Ideenkomplex herum greifen James Corey aber fast zu viele weitere Fäden auf. Der Hintergrund der Serie muss weiter extrapoliert werden. Mit der unbekannten fremden Technologie scheint vieles möglich zu sein. Neben der relativen Unsterblichkeit sogar die Wiedererweckung der Toten, was generell zu viel erscheint. Die Autoren wollen immer weiter und immer größer werden. Grundsätzlich kein schlechter Gedanke, wobei sie mit der Vernichtung der Erde durch einen Asteroiden fast schon die Grenzen überschritten haben. Aber im letzten Band sollten diese Viel- vielleicht sogar Unzahl von angerissenen Ideen abgeschlossen und zusammengeführt werden. Jede andere Lösung würde die Leser enttäuschen. Danach sieht es in diesem stringenten und dynamischen, aber auch hektischen Roman noch nicht aus.
Es ist schwer, ein abschließendes Urteil über diesen Roman und damit auch die ganze Trilogie zu fällen, wenn das Ende noch nicht bekannt ist. Der Plot strebt seinem obligatorischen Höhepunkt entgegen, aber es werden keine weitergehenden Erklärungen angeboten. Zu viele Fragen bleiben offen. Für eine Serie kein schlechtes Zeichen, aber angesichts des bisherig positiv aufgebauten Ballasts droht die Balance zu kippen.
Positiv ist, das die Autoren das Spektrum der rebellierenden Space Opera Science Fiction mit der letzten Trilogie endgültig verlassen wollen, um der Expanse Serie noch eine zweite intellektuelle Seite zu schenken. Es bleibt abzuwarten, ob es ihnen nachhaltig genug gelingt. „Tiamats Zorn“ ist ein guter, die Fans der Serie auch ohne Frage begeisternder vorletzter Roman, der auf vielen Ebenen grundsätzlich funktioniert und wie eingangs erwähnt fast selbstironisch auch mit den Klischees des Genres spielt. Aber es ist die letzte Stufe einer langen Leiter; der letzte Schritt vor dem Ziel einer sehr langen Reise und der abschließende neunte Band muss jetzt beweisen, ob es Wert gewesen ist, mit der Crew der Rosinante so viele Jahre zu verbringen. Die Voraussetzungen sind gut und die gewonnene Erfahrung der beiden Autoren sprechen dafür.
- Broschiert: 608 Seiten
- Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (13. Januar 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3453319435
- ISBN-13: 978-3453319431
- Originaltitel: Tiamat's Wrath - The Expanse Series Book 8