Martin Greenberg und Isaac Asimov haben in ihrer langen gemeinsamen Zusammenarbeit mehr als einhundert Anthologien herausgegeben. Neben Jahresbänden bester Science Fiction Geschichten zwischen 1939 und 1963 ragen dabei die Themenanthologien aus der Masse der Publikationen heraus. Dabei haben sich die Beiden meistens auf Nachdrucke konzentriert. „Mit Sherlock Holmes durch Zeit und Raum“ musste es folgerichtig auch zu einer Art Crossover zwischen Science Fiction und Fantasy sowie dem berühmten britischen Detektiv kommen, dem Isaac Asimov mit einer Reihe von Kurzgeschichten um die schwarzen Witwer schon selbst Respekt gezollt hat.
Die Anthologie erschien 1984 in den USA. 1987 veröffentlichte der Ullsteinverlag die Sammlung in zwei aufeinander folgenden Taschenbüchern, um angesichts des schwächelnden Interesses an Science Fiction die zurückgehenden Auflagen auszugleichen.
Der Apex Verlag hat die Anthologie sorgfältig durchgesehen sowohl als Taschenbuch wie auch als Ebook 2018 fürs 21. Jahrhundert neu aufgelegt.
Isaac Asimov geht auf den Einfluss Sherlock Holmes auf Arthur Conan Doyle in seinem Vorwort ein und spekuliert, das der erdrückende Ruhm der einen literarischen Schöpfung Doyle schließlich in das andere Extrem mit seinen plump gefälschten Feenfotos getrieben hat. Isaac Asimov hat insgesamt vierzehn Geschichten zusammengestellt, möchte aber die Sammlung mit einer Original Sherlock Holmes Story eröffnen, die den Herausgeber gleich auf dem falschen Fuß erwischt.
Auch wenn Doyle ab und zu phantastische Themen aufgegriffen hat, ist „Der Teufelsfuss“ auf gar keinen Fall eine Science Fiction Geschichte. Ausgelaugt machen Sherlock Holmes und Doktor Watson Urlaub an der Küste. Dort werden sie zu einem grotesken Verbrechen gerufen. Mehrere Menschen sind anscheinend unter schrecklichen Qualen in einem abgeschlossenen Raum gestorben. Der Plot ist ausgesprochen stringent. Nach dem zweiten Mord gibt es nur noch einen Verdächtigen. Die Vorgehensweise wird von Sherlock Holmes schnell eruiert und es gibt keine übernatürliche Erklärung. Es ist eine der typischen mechanisiert erscheinenden Sherlock Holmes Geschichten, die vordergründig ein unmögliches Problem impliziert, hintergründig aber eine nachvollziehbare Lösung präsentiert.
Da lassen die anderen Autoren ihrer Phantasie mehr Freiheiten.
Philip Jose Farmer ist in der Sammlung unter zwei verschiedenen „Pseudonymen“ vertreten. Farmer ist neben seinen zahllosen Science Fiction und Fantasy Romanen ein Meister der erweiterten Pulpliteratur. Er hat über Lord Greystokes Jugend im Dschungel geschrieben, Doc Savage eine würdige Biographie neben einigen neuen Werken geschenkt und schließlich in seinem komplexen Stammbaum der Pulphelden Verwandtschaften erfunden, die von ihren Schöpfern niemals so geplant worden sind. Als Harry Manders verfasste Farmer „Das Problem der verdrossenen Brücke – unter anderem.“ Sherlock Holmes Fans werden anfänglich enttäuscht sein, denn Harry Bunny Manders und A.J. Raffles lösen die drei Fälle, an denen Sherlock Holmes laut Doktor Watson verzweifelt ist. Folgerichtig folgt Sherlock Holmes im Grunde nur Manders und Raffles durch das viktorianische London. Um die Hintergründe dieses bedingten Crossovers zu verstehen, ist es wichtig, Manders und Raffles literarische Rolle zu verstehen. Das Duo entstammt der Feder E. W. Hornungs, der auf den Sherlock Holmes Popularitätszug mit „The Ides of March“ (1898) aufgesprungen ist. Raffles ist ein viktorianischer Robin Hood, der vor allem Reiche bestiehlt und dabei meistens unfreiwillig auch einige Kriminalfälle löst. Manders ist sein Doktor Watson, der treue Gefährte und Chronist.
Am Ende fasst Farmer die drei ungelösten Sherlock Holmes Fälle noch einmal zusammen. Erst dann wird dem Leser deutlich, dass sie sich alle drei in dieser Geschichte wieder finden.
Interessant und möglich ist, dass Mack Reynolds zehn Jahre vorher in seiner hier ebenfalls abgedruckten Geschichte auf eine hinsichtlich der ungelösten Fälle gleiche Idee zurückgreift, diese aber in einer gänzlich anderen Hinsicht extrapoliert.
Farmers Story beginnt mit einem Gentlemen, der vor seiner Haustür umgedreht ist, um seinen Regenschirm zu holen. Anschließend verliert sich im eigenen Haus seine Spur. Ein Wahnsinniger wird gefunden, der einen der Wissenschaft unbekannten Wurm in einer Streichholzschachtel gefunden hat und schließlich der plötzlich verschwundene Kutter Alicia, der an einem strahlenden Frühlingsmorgen ausfuhr und niemals zurückkehrte. Ohne sich in Details zu verlieren, hat Farmer eine Wendung seines populären und empfehlenswerten Romans „Das andere Log des Philias Fogg“ in die von einem hohen Tempo, bizarren Ideen und vor allem einem dynamischen Ende gekennzeichnete Geschichte eingebaut. Sie würde auch ohne die Sherlock Holmes Hinweise glänzend funktionieren. Vielleicht das einzige Manko dieses so typischen Farmer Textes, immer mit einem Augenzwinkern erzählt.
„Eine Scharlachstudie“ – dieses Mal hat Farmer das Pseudonym Jonathan Swift Sommers III verwendet – ist deduzierend die reifere Arbeit, aber inhaltlich fast zu surreal, um ernst genommen zu werden. Sie spielt in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Sherlock Holmes ist ein intelligenter sprechender Polizeihund. Der Name von Wau Wau wirkt allerdings lächerlich. Wie in Doyles Vorlage trifft er auf seinen zukünftigen Freund und Nebenmieter auf Vermittlung einer bekannten. Schnell müssen die beiden den Fall eines entführten Malers lösen, der in seinem während der Gefangenschaft gemalten und zufällig entdeckten Bild sein Versteckt offenbart hat. Nur ist es nicht leicht, die verschiedenen in das Gemälde integrierten Rätsel zu lösen, zumal die Polizei nicht unbedingt hilfreich ist. Farmer vermenschlicht diesen Holmes nicht zu sehr. Er ist ein intelligenter Hund und fühlt sich deswegen auch ein wenig diskriminiert. Was in der Zusammenfassung auf den ersten Blick lächerlich erscheint, entwickelt sich zu einer stringenten Geschichte, die vor allem deutsche Leser durch die Reise von Hamburg über Lüneburg bis in die Provinz begeistern wird. Es ist unglaublich, wie viele Rätsel Farmer auf den wenigen Seiten versteckt hat.
Gene Wolfs „Silbersklaven“ beschreibt auch die erste Begegnung zwischen einem futuristischen deklassierten „Sherlock Holmes“ und Doktor Watson. Der eigentliche Fall um gestohlene abgeschaltete Roboter aus einer abgeschlossenen Halle ist dabei weniger interessant. Ein Farbenspiel bringt den introvertierten Detektiv auf die Lösung. Viel packender ist die Welt, die Gene Wolfe vor allem auf den ersten Seiten entwirft. In die Unendlichkeit führende Räume; Menschen die deklassiert werden, weil sie nicht zur rechten Zeit Selbstmord und die Gesellschaft entlastet haben oder schließlich die Idee, dass die Roboter die herrschende Klasse sind. Allerdings will Gene Wolfe abschließend zu viel des Guten und überspannt den Bogen auch, so dass „Silbersklaven“ das vorhandene Potential nicht nachhaltig genug heben kann. Und das ist angesichts der Ausgangsprämisse und eines schriftstellerischen Talents wie Gene Wolfe eine doppelte Tragödie.
Anne Lear scheitert mit einer Farmers Alternativuniversen vergleichbaren Konzeption in „Die Abenteuer des Weltreisenden“. Es ist eine Moriarty Geschichte, in welcher Aspekte von H.G. Wells „Die Zeitmaschine“ mit Shakespeares MacBeth kombiniert werden. Professor Moriartys Aufzeichnungen werden vom Erzähler in einem anderen Buch gefunden. Die Autorin schafft es nicht nachhaltig genug, einen wirklichen Spannungsbogen aufzubauen und die Identität des dritten Mörders in Shakespeares Stück als Aufhänger zu nehmen, erscheint sehr schwach.
Sterling E. Laniers „Die Geschichte eines Vaters“ hat auf den ersten Blick nur vage Beziehungen zum Sherlock Holmes Kanon. Der verfremdete Mädchenname von Sherlock Holmes Mutter und die Idee, das es mehr als eine Riesenratte von Sumatra gibt. Aber Lanier erschafft mit dem charismatischen Verner eine Figur, die in London als Detektiv gearbeitet und Aufträge angenommen hat, die ihn in erster Linie intellektuell befriedigen.
Außerhalb dieser Eckpfeiler entwickelt sich durch die distanzierte Erzählebene – der Sohn erzählt die Geschichte in einem New Yorker Club, wie er sie von seinem Vater gehört hat –m eine packende, fast surrealistische Reise zu einem Alptraum, der mehr Ähnlichkeit zu Wells Dr. Moreau als den klassischen Sherlock Holmes Storys hat. Der Vater rettet zwar Verner aus Seenot, dieser übernimmt aber bald das Kommando und zwingt seinen Retter, mit ihm zusammen nicht unbedingt die Welt, aber die menschliche Zivilisation zu retten.
Das Ende ist brutal und gleichzeitig anrührend. Lanier gelingt es, die Antipathie der Leser in einer einzigen ergreifenden Sequenz umzudrehen. Da hilft auch nicht die fortlaufende Argumentation, dass die menschliche Rasse den anderen Wesen unterlegen ist und deswegen gleich zu Beginn geschützt werden muss. Die Atmosphäre ist erdrückend stimmig, der Leser spürt die Hitze des Dschungels und die Qualen vor allem des älteren, in seinem Standesdenken gefangenen Erzählers.
Eine der besten Geschichten ist Mack Reynolds „Das Abenteuer mit dem Außerirdischen“. Reynolds ist einer der am meisten unterschätzten, aber immer Qualität abliefernden Science Fiction Autoren insbesondere der sechziger Jahre. Sherlock Holmes ist alt und wahrscheinlich auch ein wenig senil. Watson soll sich um den nach London zurückgekehrten Detektiv kümmern. Eines Abends klopft der Sohn eines alten Mandanten an die Tür und bittet Holmes, einen Fall seines Vaters zu übernehmen. Dieser glaubt, das Außerirdische auf der Erde sind und will sein ganzes Geld an die Organisation spenden, welche die Erde bei einer Invasion verteidigen könnte.
Mack Reynolds baut die Geschichte geschickt und routiniert zugleich auf. Watson glaubt, dass der Fall Sherlock Holmes körperlich überfordern könnte. Weiterhin zweifelt er dessen geistige Fähigkeiten an. Holmes dagegen sieht hinter die Kulissen und muss quasi den Fall im Sinne des Vaters erfolgreich lösen, aber gleichzeitig auch kein greifbares Ergebnis präsentieren.
Der bluffende Sherlock Holmes wird von Mack Reynolds minutiös und überzeugend dargestellt. Auch das Ende mit einer doppelten Pointe ist grandios, wobei wie eingangs angesprochen die Grundidee später von Philip Jose Farmer in seiner Geschichte „Das Problem der verdrossenen Brücke – unter anderem“ aus einer entsprechenden anderen Perspektive übernommen worden ist.
Poul Anderson und Gordon R. Dickson haben mit ihren „Hoka“ Geschichten das kurzweilige Subgenre der irdischen Entwicklungshilfe fremder Planetenvölker quasi parodistisch auf den Kopf gestellt. Einige Geschichten sind Anfang der achtziger Jahre in der Sammlung „Des Erdenmanns schwere Bürde“ im Moewig Verlag veröffentlicht worden. Die Hokas sind niedliche Bären, die auf einem paradiesischen Planeten leben. Sie haben nur eine Schwäche. Sie sind furchtbar neugierig und nehmen alles für bare Münze. Auch die Literatur der Erde, die sie minutiös nicht nur nachstellen, sondern nachleben. Sehr zum Leidwesen des örtlichen Botschafters der Erde.
Ein Drogendealer flüchtet ausgerechnet auf den Planeten der Hokas und versteckt sich in der Nähe des nachgestellten Londons. In den Sümpfen von Baskerville. Zwei Menschen müssen auf die Hilfe nicht nur von Lestrade, sondern auch Sherlock Holmes zurückgreifen, um den gefährlichen Verbrecher zu stellen.
Mit der Vorlage nehmen sich Poul Anderson und Gordon R. Dickson einige wenige Freiheiten, wobei die zugrunde liegenden Erklärungen natürlich Doyles Version entsprechenden. Der Sherlock Holmes spielende Hoka wirkt wie eine überzeugende Parodie des Meisterdetektivs, mit dem Botschafter als Chronist Doktor Watson wider Willen. Die Dialoge sind selbst in der guten deutschen Übersetzung von Uwe Anton köstlich und versuchen den ländlichen Akzent gut zu imitieren. Die Handlung ist ein wenig absurd und das Finale in der Dunkelheit ist ein bunter Reigen von Zufälligkeiten. Aber der Weg dahin mit den verzweifelten Menschen und dem von sich selbst überzeugten Sherlock Holmes gehört zu den besten, respektvoll lustigen Passagen dieser Anthologie.
In „Die Stimme aus dem Nichts“ von Edward Wellen ist Sherlock Holmes kein Hund. Es spielt aber eine schnüffelnde Spürnase mit. Wie eine Zwiebel schält der Autor erst auf den letzten Seiten eine Reihe von Schalen seiner Protagonisten ab und stellt das Geschehen mehrfach auf den Kopf. Die Geschichte spielt in einer Zukunft, in welcher die Erde fast unbewohnbar geworden ist. Die Menschen müssen draußen Schutzanzüge anziehen und ihre Wohnungen/ Häuser sind mit Schleusen isoliert. Die Erderwärmung findet kontinuierlich statt. Einer der größten Umfeldsünder der letzten Jahre sucht Sherlock Holmes und Doktor Watson auf, welcher Stimmen im Kopf hört.
Ohne zu viel zu verraten gelingt es Edward Wellen, einen im Grunde absurden Plot auf die Beine zu stellen, an deren Ende niemand mehr weiß, wer oder besser was der jeweilige Protagonist ist. Die Grundidee hinter der Geschichte ist in anfänglich vergleichbarer, aber unterschiedlich entwickelter Form auch von anderen dieser Anthologie verwandt worden. Aber die Warnung vor einer rücksichtslosen kapitalistisch getriebenen Vernichtung der fragilen Ökologie der Erde ist vor allem für einen aus den achtziger Jahren eindrucksvoll und zeitlos. Es handelt sich einzige Erstveröffentlichung in „Mit Sherlock Holmes durch Zeit und Raum“.
Lord Greystoke und das Pulpgenre könnten der Schlüssel zur nächsten Geschichte „God of the Naked Unicorn“ sein. Wer genau zwischen den Zeilen liest, erkennt aber, dass Richard Lupoff im Grunde weniger eine Hommage oder eine Parodie auf die beliebten Helden der zwanziger Jahre mit einem kleinen Exkurs in die vierziger Jahre – Captain Future ist einer der Helden in der Festung der Einsamkeit - erzählen wollte, sondern mit einem seiner Mitautoren abrechnen musste. Es ist kein Zufall, dass Doc Savage, Sherlock Holmes und eben Lord Greystoke Geißeln des gefährlichsten und verrücktesten Verbrecher der Welt sind. Philip Jose Farmer hat über jeden dieser Charaktere mindestens einen Roman oder eine Geschichte geschrieben. Viele fanden diese Texte unterhaltsam, Puristen waren von der Vereinfachung der komplexen Protagonisten eher entsetzt. Richard Lupoff wandelt aber auch auf einem schmalen Grat. Doktor Watson wird eines Abends in seiner neuen Wohnung von Der Frau besucht, die ihn um Hilfe bietet. Sherlock Holmes lebt schon lange nicht mehr in London, er hat sich zum Studium der Bienen aufs Land zurückgezogen. Irene Adler reist mit Doktor Watson in die legendäre Festung der Einsamkeit, wo ihn unter anderem Doc Savage um Hilfe bietet, bevor die Weltordnung durch die Ausstellung der Statue des nackten Einhorns auf dem falschen Platz zusammenzubrechen droht.
Der Auftakt inklusiv der interessanten, aber chronologisch verkehrten anderen Identität Irene Adlers, das Vorstellen von heute vergessenen Pulphelden und die Mischung aus moderner Technik und viktorianischer Art sind sehr gelungen und führen den Leser an der Seite des hoffnungslos überforderten Watson in die Welt der Pulps ein. Die Jagd um die Erde ist für die ganze Geschichte viel zu kurz und das buchstäblich bizarre Finale mit Anspielungen auf Filme wie „Dr. Cyclops“ und einer Wunderwaffe, die heute Leser eher ratlos zurücklässt, älteren Fans Freudentränen in die Augen treibt ist viel zu hektisch, zu abrupt, obwohl es die visuell atmosphärisch stärksten Szenen der ganzen Sammlung beinhaltet. Wer sich nur mit Sherlock Holmes Geschichten beschäftigt hat, wird spätestens in dieser Story von den zahllosen Insiderwitzen, Hinweisen und schließlich Anspielungen überfordert sein. Alle anderen Texte haben auch ohne sie funktioniert, in „God of the Naked Unicorn“ geht das nicht mehr.
Daher bleibt die Frage, ob Richard Lupoff wirklich eine Pulp Sherlock Holmes/ Doktor Watson Story schreiben wollte oder ob die Abrechnung mit seinem Kollegen, vielleicht sogar Intimfeind Philip Jose Farmer ihm wichtiger gewesen ist.
James Powells „Tod in der Weihnachtsstunde“ ist eine wunderbare Geschichte, welcher nur die zweite Weihnachtsnacht fehlt. In der Weihnachtsstunde am Heiligen Abend zwischen Mitternacht und ein Uhr erwachen die Spielzeugfiguren und Puppen zum Leben. Sie feiern ihre eigene Weihnacht. Natürlich passiert ein Mord und die längst vergessene Sherlock Holmes Puppe muss den Fall lösen. Das Ende ist ambivalent und auch die Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen funktioniert nicht wirklich. Viel interessanter sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Puppen, beginnend mit dem Teddybär und endend bei Sherlock Holmes sowie Irene Adler. Auch wenn sie aus unterschiedlichen Fabriken stammen. Eine stimmige Atmosphäre und ein respektvoller Erzählstil runden die ungewöhnliche Story wohltuend ab.
Miniaturen wie S.N. Farbers „Das Geheimnis des Studentenwohnheims“ funktionieren auch nicht. Die Prämisse ist absolut absurd und da die Story mehr in der Gegenwart angesiedelt ist, wirkt auch Sherlock Holmes Vorgehensweise allerhöchstens pragmatisch, aber nicht deduzierend. Ebenfalls zu den schwächeren Texten gehört Barbara Williamsons „Was draußen wartet“. Der Hinweis auf Sherlock Holmes ist vage. Zwei Kindern werden die Bücher vom Vater weggenommen. Sie beginnen sich auf eine unnatürliche Art und Weise zu rächen. Die Autorin impliziert einen übernatürlichen Zusammenhang, aber das Ende der Story ist derartig vage, das man sich hinsichtlich der Pointe kein abschließendes Urteil erlauben kann.
Der Einbau einer Sherlock Holmes Geschichte in ein bestehendes eigenes Universum ist immer eine Herausforderung. In Fred Saberhagens „Berserker“ Serie kämpfen die Menschen gegen ihnen überlegende Maschinenintelligenzen. Einer dieser Beserker dringt durch ein schwarzes Loch ins 19. Jahrhundert ein. Ein Freiwilliger wird hinterhergeschickt, der sich mehr schlecht als recht als deduzierender Detektiv oder sein medizinisch geschulter Gehilfe sein Geld verdingt. Dieser Punkt wird in der höchstens als Entwurf, aber nicht als abgeschlossene Kurzgeschichte zu betrachtenden Arbeit höchstens ambivalent herausgearbeitet. Ursprünglich erschien die Story im OMNI Magazin, das neben dem Playboy die höchsten Honorare für Science Fiction Kurzgeschichten bezahlte, wobei die Erwartungen nicht immer getroffen worden sind. Fred Saberhagens „Die Abenteuer des metallenen Mörders“ ist ein fast tragisch klassisches Beispiel dafür.
Isaac Asimov beendet die Anthologie mit „Das ultimative Verbrechen“. Auch wenn die Geschichte in seinem Black Widower Universum angesiedelt und Sherlock Holmes keine Rolle spielt, handelt es sich nicht um einen Krimi. Isaac Asimov geht auf die Aufnahmerituale der Baker Street Irregulars ein. Jedes neue Mitglied mit zu einem besonderen Thema einen Aufsatz schreiben. Die angesehenen Mitglieder der Black Widower spekulieren über mögliche Themen und kommen zu der Erkenntnis, das Moriarty mit seinem Aufsatz „Die Dynamik eines Asteroiden“ nur nicht eine mathematische Meisterleistung verfasst hat, sondern seine Absichten deutlich dunkler gewesen ist.
Pointierte Dialoge und eine fintenreiche Spekulation, die immer absurder, deswegen aber auch faszinierender wird bestimmten den handlungstechnischen rudimentären Plot. Es ist eine belanglose Plauderei, die immer weitere Kreise zieht. Auch wenn weder Sherlock Holmes noch Moriarty als real angesehen werden, behandeln die honorigen Herren sie so, als würden sie mit am Tisch sitzen. Auch wenn Isaac Asimov sich gerne in den von ihm herausgegebenen Anthologien in den Vordergrund drängt, obwohl er angeblich so bescheiden ist, hat er mit dieser Note ein perfektes Schlusswort gefunden.
Nicht alle Geschichten der Anthologie überzeugen abschließend. Insbesondere die kürzeren Texte können ihre Plots nicht adäquat extrapolieren. Puristen unter den Sherlock Holmes Fans werden bei einigen Prämissen den Kopf schütteln und an literarischen Vatermord denken, aber wer sich auf die teilweise skurrilen Phantastereien der Science Fiction Autoren einlässt, wird insbesondere bei den Storys, deren Vorlagen genau zu erkennen sind, feststellen, mit viel Respekt und Innovation ihnen in dieser auch nach fast fünfzig Jahren immer noch empfehlenswerten Anthologie geschenkt worden sind. Auch wenn sie sich alle die entsprechenden Freiheiten genommen haben.
- Taschenbuch: 540 Seiten
- Verlag: Apex (9. Mai 2018)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 9783746722917
- ISBN-13: 978-3746722917
- ASIN: 3746722918