Am Ende von Rainer Eisfeld umfangreich recherchierten, aber wie der Autor selbst sagt viele Themen positiv nur anreißenden reichhaltig bebilderten Text wird der Leser verstehen, warum im Grunde der Western und die Science Fiction enge Verwandte sind. Das hat weniger mit den Begriffen der Pferdeopern im Vergleich zu den Space Operas zu tun. Die Science Fiction basierte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungen, die mystisch märchenhaft extrapoliert worden sind. Erst der New Wave konzentrierte sich wieder auf die Menschen. Folgt von Rainer Eisfeld zahlreichen Beispielen in dieser Arbeit, dann basieren bis auf Reiseschriftsteller in der Tradition Friedrich Gerstäckers fast alle Western auch eher auf extrapolierten, übertriebenen, verklärten oder einfach erfundenen Mythen, deren Basis im Grunde nur die Eroberung des amerikanischen Westen, die Kämpfe mit den Indianern und schließlich die Versorgung der Bevölkerung möglichst mit frischen Fleisch in Form von Viehzucht vor Ort und Viehtrecks gewesen ist. Um diese Eckpfeiler herum haben sich beginnend mit den Indianerkriegen und den wirklich nur als Viehtreiber zu verstehenden Cowboys im Grunde phantastische Geschichte gebildet, wie sie aus deutscher Sich eben nicht als erster ein Karl May in der fast psychopathischen Ich- Verklärung gesponnen hat.
Das Buch teilt sich im Grunde in zwei abschließend doch wieder eng miteinander verbundene Themen. Unterschwellig und verstärkt vor allem durch den Siegeszug des Westernfilms in Europa oder einige Jahrzehnte vorher auch Buffalo Bills Wild Westshow zeichnet Rainer Eisfeld vor allem in der zweiten Hälfte das im Grunde auch fiktive verzerrte Portrait des amerikanischen Frontiermannes aus Sicht seiner eigenen Landsleute nach. Immer wieder stellt er die Realität auch gegen die bekannten Werke eines Louis L`Amour oder eines Zane Greys. Rainer Eisfeld ist aber sich der Tatsache bewusst, das wahrscheinlich die blanke wie unspektakuläre Realität keine Leser hinter dem Ofen hervorlockt. In dieser Hinsicht sind auch die populären wie sehr gut recherchierenden Autoren des moderner Westerns in der Basis gefangen, welche die Groschenhefte oder Dimenovels auch in den USA gegossen haben.
Im Mittelpunkt steht aber vor allem der deutsche Blick auf den amerikanischen Westen und damit auch den entsprechenden Western. Betrachtet der Leser den Reiseschriftsteller Friedrich Gerstäcker mit seinen wahrscheinlich überwiegend tatsächlich auf eigenen Erlebnissen basierenden umfangreichen Büchern als Grenzstein, dann ist alles danach mindestens phantasievoll beschönigt, wenn nicht von Beginn an erlogen worden.
Karl May mit seinen bis in 20. Jahrhundert auch vom eigenen Verlag propagierten frühen Reisen während seiner offiziellen Kerkerhaft in die USA ist nicht der erste, aber wahrscheinlich frechste Lügner.
Anscheinend hat Karl May nicht nur eifrig bei Friedrich Armand Strubberg höflich gesprochen zitiert, auch dessen überwiegend fiktive Lebensbiographie schein zumindest indirekt abgefärbt zu haben. Rainer Eisfeld fasst verschiedene Studien lesenswert zusammen, in denen das zum ersten Mal Bild des in die westliche Einsamkeit emigrierenden standhaften Deutschen sich als Mythos erweist. Im Gegensatz zu Karl May, der niemals den amerikanischen Westen erreicht hat, lebt Strubberg zeitweise in den USA, aber er zeichnete ein überzogenes Bild seines Wirkens. Von den phantastischen literarischen Abenteuern seines Alter Egos einmal abgesehen.
Strubberg und May stehen für die phantastischen Erzähler im doppelten Sinne des 20. Jahrhunderts. Sie haben vor allem für die in der Heimat zurückgebliebenen Menschen die Auswanderbewegung zahllosen deutscher unter der geistigen Führung Hoffmann von Fallersleben geprägt. Dabei entwickelten sie beiden für ihre literarischen Alter Egos Züge von nicht nur Überhelden, sondern vor allem auch Übermenschen. Interessant sind die Vergleiche zwischen Karl May und Friedrich Armand Strubbergs deutlich geringerem, heute fast in Vergessenheit geratenen Werkes.
Ein weiterer Eckpfeiler dieser Studie sind die Westernshows eine Buffalo Bills in Europa und deren Auswirkungen nicht nur auf die zahlreichen Besucher und manche Autoren, sondern auch auf den jungen „Billy Jenkins“, der sich mit zahlreichen von den Westernshows inspirierten Manegeakten einen Namen als draufgängerischer Künstler machte. Schwerste Brandverletzungen während einer Aufführung in Polen haben seine Karriere im Grunde ruiniert, wobei er nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest im zerstörten Deutschland kleinere „Kunststücke“ aufführte. Billy Jenkins ist ein Mann, der im Gegensatz zu Karl May nicht nur an seiner fiktiven Karriere basteln ließ, sondern einen kleinen Teil des amerikanischen Traums in Form seiner Bühnenshows lebte. Vielleicht ist er deswegen auch so populär gewesen, dass immer wieder Autoren unter zahllosen Pseudonymen seine Abenteuer dann allerdings überwiegend im echten Western weiter gesponnen haben. Manche wie G.F. Unger haben ihre Mitarbeit an derartigen Serien vergessen, aber im Grunde haben sie ganze Generationen wie Lesern genauso geprägt wie die Perry Rhodan Serie. Rainer Eisfeld geht minutiös, aber zusammenfassend auf die verschiedenen Heftromaninkarnationen und schließlich in leicht veränderten Form auch Reinkarnationen ein. Erst später wurden diese Helden auch zu G- Men und nahmen ironisch verklärt zwischen den vierundsechzig Seiten blanker Abenteuer die Gründung der entsprechenden Behörde vorweg.
Das Interessante an dieser Studie sind weniger die zahllosen Beispiele, sondern die Konsequenz bis zum zusammenfassenden Fazit, mit der Rainer Eisfeld im Grunde aufzeigt, wie viel und gleichzeitig auch wie wenig sich das klassisch klischeehafte Bild der deutschen Autoren auf den amerikanischen Western verändert hat. Neben einzelnen stetig wiederkehrenden Szenarien geht es vor allem um die Mythenbildung, welche die deutsche Autoren in Eigeninitiative vorangetrieben haben, während die Amerikaner zwar die Tatsachen mancher „Heldentat“ extrapolierten und bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten, sich aber erzähltechnisch immer distanzierten. Es gibt nur wenige auf tatsächlichen Gesprächen basierende kurze Westernpulphefte, während Strubberg, Karl May und schließlich indirekt auch Billy Jenkins ihre ganzen „realen“ Leben auf den von ihnen verfassten und durch sie wie bei Jenkins beeinflussten Geschichten aufbauten.
Kritisch betrachtet Rainer Eisfeld aber auch die Erstarrung des Genres unabhängig von der heute noch vorhandenen Popularität. Ein Blick in die Regale des Bahnhofskiosk sollte aussagekräftig genug sein. Wie bei de technisch utopischen Roman konnten die deutschen Westmännergeschichten lange Zeit ein isoliertes literarisches Dasein führen. Rainer Eisfeld zeigt auf, welche Veränderungen plötzlich der Markt durchlief, als wieder der Heyne Verlag mit einer mehr als zwei Jahrzehnte laufenden Westerntaschenbuchreihe im Grunde die Phalanx der schnell herunter geschriebenen oder wiederverwertenden Leihbücher sowie den Heftromanen durchbrach und moderne amerikanische Western genauso präsentierte wie die Klassiker des Genres. Und diese wie die Krimis oder gerade die Science Fiction Klassiker in einer für das Taschenbuch optisch edlen Ausstattung.
Auch wenn der amerikanische Western sowohl auf der Leinwand als auch im eigenen Wohnzimmer – ein Thema, das Rainer Eisfeld nicht mehr streifen konnte – sowie zumindest in den Buchhandlungen die Abenteuerklamotten zu verdrängen drohte, gibt es in den kurzen abschließenden Kapiteln noch zahlreiche Beispiele sowohl für Serien als auch Autoren aus der Nachkriegszeit, die kurz und informativ gestreift werden.
Rainer Eisfeld spricht davon, dass „Hundert Jahre deutsche Westernmythen“ ein sorgfältig recherchiertes Buch ist, das aber nicht unbedingt wissenschaftlich genannt werden sollte. Auszüge aus verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten werden umfangreich zitiert, eingeordnet und für weitere Extrapolationen genutzt. Im Grunde will der Leser auch kein Wissenschaftsbuch in den Händen halten. Wie bei vielen anderen sorgfältig recherchierten, aber auch lesbar zugänglich geschriebenen sekundärliterarischen Arbeiten handelt es sich um ein auch sorgfältig und vor allem reichhaltig illustriertes Sprungbrett, das dem Leser entweder die Möglichkeit gibt, den Mythos Karl May noch weiter an Hand der Vergleiche mit Strubbergs Arbeiten zu demontieren oder das abenteuerliche Leben abseits der Heftromane eines Billy Jenkins zu verfolgen. Es gibt auch die Möglichkeit, einzelne Teile dieser Arbeit als Ergänzung zu Heinz J. Galles „Volksbücher und Heftromane“ mit einem besonderen Schwerpunkt anzusehen.
Welchen Weg der Leser wählt, ist im Grunde egal. Zum wiederholten Mal beginnend mit der Demontage Werner von Brauns Behauptungen hinsichtlich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit über das Leben des auch hier oft zitierten Wild Bill Hickocks bis zur Zukunft in der eigenen Tasche hat sich Rainer Eisfeld als verlässlicher, mit leichter Hand informierender aber nicht belehrender Ratgeber in einem dieses Mal im Grunde inzwischen fast vergessenen literarischen Sumpfgebiet erwiesen.
Hundert Jahre deutsche Westernmythen
Von Armand bis Astor: "Alles authentisch"
Klappenbroschur, 197 S., 35 Abb., Quellenangaben, Index
17,50 € — 978-3-945807-51-4
Verlagf Dieter von Reeken