Gnomus oder Der König, der nicht lachte

F.A. Peters

p.machinery hat den langen Text von F. A. Peters nicht in die Anthologie »Bilder einer Ausstellung« eingebaut, sondern als begleitende, separat zu
lesende Ausgabe publiziert. Die Storysammlung wird quasi durch die Einführung eröffnet.
Es ist nur fair, die Einführung aus »Bilder einer Ausstellung« als eine isolierte, aber nicht abgeschlossene Arbeit zu sehen. Auf der anderen Seite
ist die Handlung als Ganzes nicht zu beurteilen, sondern nur das Hintergrundkonstrukt. Die Atmosphäre des Wanderzirkus oder vielleicht des
Kuriositätenkabinetts ist dunkel, bedrohlich, aber auch faszinierend bizarr.
Es ist eine stimmungsvolle und interessante Einführung, wobei der Klappentext der abschließenden Geschichte »GNOMUS oder Der König, der nicht lachte« auf das Märchen für Erwachsene hinweist. Auch wenn die beiden Arbeiten von F. A. Peters aufeinander aufbauen und beide mehr oder minder direkt in einem Zusammenhang mit dem Werk Modest Mussorgskys wie »Bilder einer Ausstellung« stehen, schafft es der Autor in
dem Roman nicht, seinem Buch eine grundlegend wirklich originelle und nachhaltige Erzählstruktur zu geben. Dabei soll nicht von Beginn an impliziert werden, dass die Geschichte insgesamt langweilig ist, aber der märchenhafte Charakter der zugrundeliegenden Story scheint den Autor auch einzuschränken.

Sein Erzählfluss zwingt ihn sogar an einer Stelle, das bisherige Geschehen im Rahmen verbal im Rahmen eines Dialogs zusammenzufassen.  

Den Hintergrund von Honobulbus Lemoncello alias Gnomus erfährt der Leser ja in „Inspiration“.  Immer wieder wird ihn die Sehnsucht wieder an diesen skurrilen Ort zurückführen.  Inzwischen dient der rothaarige Zwerg am Hofe des Königs Barbarussas. Dessen Königreich ist von einem Fluch belegt. Zusätzlich sind seine drei Töchter spurlos verschwunden.  Kein Wunder, dass der beliebte König schwermütig geworden ist.  Die Hexe Baba Jaga ist die äußere Gegenspielerin.  Die Figur der Baba Jaga stammt aus der slawischen Mythologie und weist zusammen mit dem Namensspiel Rusputin statt Rasputin auf einen osteuropäischen Hintergrund hin.  

Dem König Barbarussa dagegen könnte als Vorbild König Barbarossa dienen, wobei der Lethargie, die Unlust in einem engen Zusammenhang mit den verschwundenen, vielleicht entführten Töchtern steht. Daher wirkt diese Figur nur aus einer gänzlich anderen Sagenwelt in diese Sammelsurium phantastischer Ideen und teilweise konträrer Erzählstrukturen übertragen, aber wie einige andere Aspekte nicht gänzlich aus sich selbst heraus entwickelt.   

Die Drei-Einheit- Hexe auf dem Nebelberg – erotische Verführerin, die bei Gnomus offene Türen einrennt; die exzentrische masturbierende Menschenfresserin und schließlich notwendigerweise die Hexe mit nicht nur einem goldenen Herz, sondern auch einer Vergangenheit, die sie mit dem König verbindet – könnte eine Hommage an Macbeth aus Shakespeares Feder als durchgehen.    

Hinter den Kulissen schmiedet der finstere Rusputin – und nicht wie der Klappentext sagt, Rasputin – ein Komplott, das nicht nur Gnomus vertreiben, sondern im Grunde auch den König los werden möchte.  Gnomus will und soll die unmögliche Aufgabe übernehmen, den König zum Lachen zu bringen.  Interessant ist, das Gnomus ursprünglich als Musiker am Hof angestellt worden ist.

Das Ausgangsszenario ist genauso klassisch, aber auch ein wenig klischeehaft wie der weitere Handlungsverlauf.  Gnomus scheitert an der Aufgabe. Gleichzeitig findet er aber auch ein Buch mit erotischen sadomasochistischen Darstellungen in der königlichen Bibliothek und probiert diese direkt mal an einer nicht unbedingt willigen jungen Frau aus. Spätestens das scheint ein Grund zu sein, um ihn von diesem dekadenten Hof zu weisen.  

Da Gnomus aber beim König sein Ziel nicht erreicht,  wird er schließlich sogar zum Opfer einer perfiden Hetzjagd, die Rusputin auf ihn veranstaltet.  Er flieht schließlich in den Wald und findet auf dem Nebelberg das Hexenhaus der angesprochenen Baba Jaga. Das steht – um nur ein Beispiel der originellen wie expressiven Beschreibungen zu geben auf Hühnerbeinen.  Damit der Plot voranschreitet,  kann Gnomus bei der Hexe anbändeln und ihre Zaubergeige stehlen, die angeblich jeden Wunsch erfüllt. Ein weiterer versteckter Hinweis auf die enge Beziehung zu musikalischen Inspiration. Mit dem perfekten Werkzeug ausgestatte will Gnomus wieder an den Königshof zurückkehren, um nicht nur seine Mission zu erfüllen, sondern wie es sich für derartige Märchen gehört, auch der eigenen Vergangenheit auf die Spur kommen.

F.A. Peters möchte aber nicht nur sich entlang der zumindest aus Protagonistensicht slawisch osteuropäischen Legendenwelt bewegen. Während der Auszug in „Inspiration“ sehr stimmig und konsequent gewesen ist, wechselt er in der Romanfassung gerne die Akzente. Vom Berlinerisch über moderne expressive Sprachvariationen zum höfischen Slang und wieder zurück. Damit soll die Vielfalt dieser Kultur besser ausgedrückt werden. Allerding s  reißen die teilweise zu modernen Variationen den Leser immer wieder aus der vordergründig märchenhaften Geschichte, die unabhängig von den sexuellen Szenen oder morbiden Gewaltdarstellungen ja fast sklavisch in die enge Hülle dieses Subgenres gepresst worden ist. Hätte der Autor die Grenzen der eigenen Regeln mehr gesprengt und vielleicht wie einige der phantastischen Surrealisten in der Tradition Zelaznys unkonventionell und experimentell eine interessantere Geschichte erzählt, wäre es akzeptabler. So wirken einige der Dialogpassagen absichtlich aufgesetzt und eher mit einem Dickkopf gewollt als wirklich nachhaltig entwickelt.   

Auch die Figuren werden manchmal zu sehr konstruiert als nachhaltig konzipiert. Die lange zurückgehaltene „Überraschung“ funktioniert nicht und ist ein Klischee des Märchens.  In der Theorie hat der Autor wahrscheinlich gehofft, eine Art Paukenschlag zu landen und das Happy End vorzubereiten. Aber da dieses Sujet zu oft und zu wenig variiert verwandt ist, schlägt die grundsätzliche Überraschung fehl.

Rusputin ist der Erzschurke, die teilweise erstaunlich offen seine Intrigen spannt. Er glaubt, dass er den schwachen König unter Kontrolle hat. Es wirkt fast arrogant, dass er Gnomus vom Musiker zum Hofnarren degradiert, um ihn allerdings aus einem eher imaginären Weg zu schaffen. Ohne Rusputins exzentrischen Hang zum Sadismus wäre die Geschichte schneller zu Ende, da er eine Reihe von guten Chancen auslässt, um den „Widersacher“ problemlos aus dem Weg zu räumen.

Gnomus ist Täter und Opfer zu gleich. Täter beim Ausleben seiner sexuellen Neigungen.  Opfer im Zirkus – siehe „Inspiration“ -, aber auch am Hofe.    Auch wenn Gnomus zu Beginn ein Getriebener ist,  wächst er mit den ohne Frage exzentrischen Aufgaben, bis er schließlich unfreiwillig, aber konsequent viele Schlüssel zu den unterschiedlichen Geheimnissen am Hofe in den Händen hält. Trotzdem wird man nicht unbedingt mit der Figur unbedingt warm.  Für einen zumindest hinsichtlich seiner Werke bislang unerfahrenen Autoren macht es F.A. Peters relativ gut, aber er kann vielen seiner Protagonisten noch nicht die nötige Tiefe geben. Ansätze sind vorhanden, aber die Figuren wirken nicht abgerundet, sondern aus vielen unkontrollierten Ideen eher pragmatisch zusammengesetzt.  

Hier geht Peter den gleichen Weg wie bei seiner Sprache.  Er kümmert sich wenig um Grammatik, will mit seiner Art „Kunstsprache“ provozieren und gleichzeitig beeindrucken. Elemente des Märchens dienen ihm manchmal Sprungbrett in einzelne philosophische, aber auch belehrende Exkursionen, die als Quadratur des Kreises dann wieder auf sich selbst zurückführen. Das ist auf der einen Seite eine Art Overkill der Stilisierung zu Lasten der Lesbarkeit des Textes vor allem in Kombination mit einer entschlosseren Textführung. Auf der anderen Seite der Versuch, sich aus der Masse herauszuheben und mittels bewusster Künstlichkeit Kunst zu erschaffen.

Kritisch gesprochen ist „Gnomus“  ein sexuell aufgepumptes Märchen für Erwachsene. Das hört sich negativ an und ist auch so gemeint.  Alleine den Text auf den Inhalt reduzierend und in einen Vergleich mit den teilweise überdurchschnittlichen Kurzgeschichten in „Inspiration“ gesetzt wirkt der Autor manchmal verzweifelt bemüht, etwas Originelles zu erbauen, aber leider nicht zu erschaffen.    Positiv gesprochen ist „Gnomus“ der mutige Versuch, möglichst viele Stilarten, Ideen und manchmal mit einem subversivem Humor gepfeffert morbide Szenen in eine Langform zu pressen, die aufgrund ihrer erzwungenen Experimentierfreude nicht überall zustimmen finden wird. Den Versuch war es Wert. Wer sich zwischen „Inspiration“ und „Gnomus“  entscheiden muss, sollte zu der vielschichtigeren Sammlung greifen. Wer beides erwerben kann, sollte die Vorgeschichte aus „Inspiration“  unmittelbar vor „Gnomus“ goutieren.  Wer nur ein Märchen lesen will, das provozierend anders ist, wird auch bei „Gnomus“ zumindest kurzzeitig auf seine Kosten kommen, auch wenn er wahrscheinlich ein größeres Vergnügen darin findet, eher die Inspirationen und Anspielungen zu suchen als dem Plot zu folgen.   

 

  • Taschenbuch: 176 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel; Auflage: 1 (21. September 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 395765145X
  • ISBN-13: 978-3957651457

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