Androiden Band 3: "Invasion"

Sylvain Cordurié
Lange Zeit fragt sich der Leser beim dritten in sich abgeschlossenen Comicband der "Androiden" Reihe, warum die Invasionsgeschichte überhaupt unter diesem Synonym veröffentlicht worden ist. Anscheinend ist das am Ende auch dem in Deutschland durch seine Sherlock Holmes Abenteuer bekannt gewordenen Sylvain Cordurie eingefallen. So fügt er seiner über weite Strecken sehr interessanten, viel zu kompakten Geschichte die Idee der Androiden als Nachfolger der Menschen bei. Unglücklich ist diese Wendung in doppelter Hinsicht. Der Autor verzichtet auf einige notwendige Erläuterungen, aus denen hervorgeht, warum diese Androiden über diese Fähigkeiten verfügen. Und zweitens ist ein vergleichbarer Ansatz ein wichtiger Bestandteil der ersten Geschichte dieser Minianthologiereihe. 
 
Bis dahin handelt es sich um eine skurille Version der Invasionsgeschichten. Der Protagonist Jerrod wird von einem kleinen Team von Spezialisten mit Mutantenfähigkeiten - es gibt Telekineten, Empathen und wahrscheinlich auch Telepathen - nach Jahrhundert aus dem Tiefschlaf geweckt. Die Erde ist ein Trümmerfeld, die meisten Menschen ums Leben gekommen. Eine fremde Macht hat die Erde angegriffen. Das Ziel ist die Vernichtung der Menschheit.
 
Der Leser ist der festen Überzeugung, diese heroische Geschichte einer Handvoll Helden in einem verzweifelten Kampf schon mehr als hundertmal in den Pulpgeschichten des Science Fiction Genres gelesen zu haben. Sylvain Cordurie hat auch ein sichtliches Vergnügen, den Leser in diesem Glauben zu lassen. Am Ende durch die Gefangennahme eines der Fremden dreht sich das Szenario ein wenig. Die Fremden bleiben nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten ambivalent. Zeichner Emmanuel Nhieu weigert sich, einen kompletten Blick auf die Fremden freizugeben. In einem Comic eine ungewöhnliche Vorgehensweise, aber sie ist angesichts der komplizierten Geschichte nachvollziehbar. Am Ende muss der Leser erkennen, dass die Menschen nur ein Kollateralschaden sind. Das ist zynisch. Aber Sylvain Cordurie geht noch einen schritt weiter, in dem er klar macht, dass es für die Außerirdischen aus ihrer Sicht keine Alternative gegeben hat.
 
Bis dahin ist auch der Kampf der in kleinen Gruppe mit wenigen Mutanten in den eigenen Reihen agierenden letzten Menschen eher verzweifelt. Sie haben keine echte Möglichkeit,sich den Fremden zu stellen. Die wenigen Erfolge erscheinen eher wie Pyrrhussiege und gleich zu Beginn machen Cordurie und >Nhieu klar, dass jeder noch so kleine Fehler tödlich ist.
 
Der aufgeweckte Jerrod mit seiner sehr an die selbstverliebten Machos der Gegenwart erinnernden Art ist in dieser Welt ein Fremdkörper. Er provoziert die hübsche Blondine, die als Empathin zumindest erahnen muss, welche erotischen Phantasien Jerrod gerne mit ihr ausprobieren möchte. Im Kampfteam wirkt er eher wie ein Fremdkörper, der seine ureigenen Fähigkeiten eher zögerlich einsetzt. Für einen Reifeprozess ist das Tempo der ganzen Geschichte zu hoch, aber im Verlaufe der verschiedenen Ereignisse wandelt sich Jerrod zu einem doch verantwortungsvollen Mitanführer der kleinen Gruppe, der aber auch erkennen muss, dass der im Grunde aussichtslose Kampf selbst bei einem Sieg keinen Triumph mehr auslösen wird.
 
Sylvain Cordurie orientiert sich bei seinen Beschreibungen ein wenig zu sehr an den "X-Men" Comics. Die Menschen tragen schwarze, sehr enganliegende Uniformen oder Kampfanzüge. Bei den Frauen darf  nicht nur Jerrod träumen. Dadurch wird den handelnden Protagonisten aber auch ein Teil ihrer Persönlichkeiten genommen und nicht selten wirken die Opfergänge dadurch weniger emotional ansprechend und erstaunlich distanziert. Echte Beziehungen kommen nicht zustande.
 
Auch die Kampfszenen mit den Mutanten, die einen der Fremden lange Zeit bis zu dessen explosiver "Befreiung" dank ihrer an keiner Stelle erklärten Fähigkeiten scheinbar zeitlich unbefristet unter Kontrolle halten wirken eher wie aus einem der dunklen Marvelsuperheldencomics als eine reine Science Fiction Geschichte. Sylvain Cordurie mischt wie in seinen Sherlock Holmes Geschichte genretechnisch Vertrautes mit neuen teilweise bizarren Ideen und schleift zu wenig die Ecken/ Kanten ab. Diese Vorgehensweise ist allerdings bei den Sherlock Holmes Geschichte deutlich störender als in dieser brutalen Science Fiction Parabel, die absichtlich zu viele schematische Vorlagen auf den Kopf stellt und positiv sich bemüht, aus dem bekannten Garn etwas wirklich Neues und vor allem vielschichtig Interessantes zu gestalten.
 
Interessant ist auch, dass diese sehr modernen Kampfanzüge in einem starken Kontrast zur zerstörten Erde stehen. Vieles erinnert eher an die Gegenwart als an eine ferne Zukunft. Selbst U Bahnschächte gibt es noch.  Dort findet auch ein vorläufiger Teil des Endkampfes statt. Jerrod teilt direkt als Ich- Erzähler dem eser am Ende mit, dass jedes Ende auch einen neuen implizierten Anfang in sich trägt. Es ist eine fatalistische, aus dem Mund eines solchen Zynikers aber auch optimistische Einschätzung der zukünftigen Entwicklung.
 
"Invasion" macht sehr viel aus dem bekannten Stoff. Emmanuel Nhieu ist ein talentierter Zeichner, der phantastische Elemente mit sehr realistischen Hintergründen nicht nur mischt, in einigen Großbildern verschmelzen sie untrennbar miteinander. Sylvain Cordurie ist ein Mann der Perspektive. Schon in den Sherlock Holmes Geschichten hat er immer wieder mit nicht nur verzerrten Perspektiven, sondern vor allem auch Weitwinkelbildern realistischer Hintergründe gearbeitet, um die wenigen Actionszenen eher surrealistisch verzerrt darzustellen. Diese Vorgehensweise bleibt er sich auch mit einem anderen Zeichner treu, wobei die Kompaktheit der ganzen Geschichte durch die "Kürze" des Comics zu oberflächlich abgehandelt wird. 
 
Am Ende bleiben zu viele Fragen offen, die Cordurie nicht mehr beantworten kann. Ob er sich überhaupt die Mühe gemacht hätte, sie bei einem längeren Text zu beantworten, steht auf einem anderen Blatt.  Es ist schade, dass einige großartige Ideen auf diese Art und Weise verlorengehen, aber insgesamt spielt "Invasion" positiv mit den Erwartungen der Leser und fügt sich qualitativ nahtlos in diese empfehlenswerte Anthologiereihe ein, wobei auf den Aspekt der Androiden angesichts der menschlichen Zeichnungen der Protagonisten auch hätte verzichtet werden können.

Androiden Bd. 3: Invasion

ISBN: 978-3-95839-570-1
Erschienen am: 22.05.2018
Autor Sylvain Cordurié
Zeichner  Emmanuel Nhieu
ÜbersetzerSwantje Baumgart
Einband Hardcover  Splitter Verlag
Seitenzahl 56
Band 3 von 4
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