Forever Magazine 42

Forever Magazine, Titelbild, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Ein Vorwort findet in dieser „Forever“ Ausgabe aus familiären Gründen nicht statt. 

 Der Juli bringt eine herausragende, wenn auch ein wenig kitschige Science Fiction Hard Rock Novelle und zwei kürzere Texte.  Karl Schroeder "Eminence" ist dabei der mehr zufriedenstellende Text.  Nathan ist im Grunde ein guter Junge, der die Interessen seiner Mitmenschen über die eigenen Ziele stellt. Im Grunde agiert er mit seinem eigenen Vermögen selbstmörderisch und setzt alles auf eine Karte. Warum er diese Spekulation in einer der neuen Crypto Währungen unternommen hat, kann er selbst nicht einmal mehr sagen. Die Grundlaghe dieser Währung ist interessant und wird von Karl Schroeder im Rahmen der  Möglichkeiten auch entsprechenden extrapoliert. 

Kritisch gesprochen kann das System aber nicht funktionieren, auch wenn der Protagonist  innerhalb weniger Stunden eine Systemänderung  programmieren kann, an welcher ganze Teams über mehrere Tage gearbeitet haben.  Aber zumindest ist es ein interessanter Ansatz mit einem nicht weinerlich sein Schicksal bejammernden Protagonisten, sondern einem Visionär der kleinen Menschen.

 Yoon Ha Lees "The Cold Inequalities" leidet deutlich mehr als Karl Schroeders Story unter den wissenschaftlichen Prämissen, die stark konstruiert erscheinen. Datenspeicher  sollten entweder von Beginn an ausreichend vorhanden sein oder es sollte die Möglichkeit bestehen, dass erweitert werden kann. Die Drohung einer möglichen Löschung erscheint unter dieser technologischen Prämisse wenig plausibel und vor allem die Idee, dass das digital vorhandene Erbe der Menschen gelöscht oder durch die Originale wieder ausgelagert wird, ist unglaubwürdig.

 Immerhin spielt die Geschichte an Bord eines interstellaren Raumschiffes mit digitalisierten Menschen/ zukünftigen Kolonisten. Mit Anzhmir in einer Schlüsselposition verfügt  die Story über einen zugänglichen Charakter, aber als Ganzes wirkt die Hommage auf die bekanntere Story "The Cold Equation" viel zu bemüht, als das der Funke zum Leser überspringt.  

 Steven Popkes hat mit seiner Novelle "Sudden, Broken and Unexpected" - der Titel bezieht sich nicht nur auf die Wendungen im Plot, sondern vor allem auch auf eines der präsentierten Lieder - eine vielschichtige Story abgeliefert, an deren Ende auf den ersten Blick das typische Klischees des introvertierten Musikers steht, der wieder ins Rampenlicht zurückfindet, vielleicht sogar eine zweite Chance mit seiner Freundin erhält, steht, auf der anderen Seite sich der Leser aber unwillkürlich die Frage stellt, ob das alles nicht geplant worden ist.

 Zuerst setzt sich nicht nur der Autor, sondern auch Leser und Protagonist mit der Frage auseinander,  ob Musik wirklich in die für  Computerprogramme notwendigen Nullen und Einser zerschlagen werden kann. Daran schließt sich die Idee an, ob Musik von einer künstlichen Intelligenz nicht nur geschrieben, sondern vor allem auch präsentiert werden kann.   Und lässt sich  die von einem Menschen präsentierte, aber von einem Computer komponierte Musik von "normalen" Werken unterscheiden. 

 Auf keine dieser Fragen kann und will Steven Popkes eine Antwort geben. Im ersten Teil der Geschichte mit dem wehleidigen Musiker Jake Mulcahey lässt sich schnell eine Lösung finden. Computer können nur seelenlose Musik machen. Mulcahey hatte vor vielen Jahren einen gigantischen Hit, den er aus Wut an einem Nachmittag geschrieben hat.  Er hat auf der Tournee sein Publikum beleidigt und seine Band entlassen. Das verdiente Geld ging für Drogen drauf. Jetzt ist er in seinem allerdings wunderschönen Haus pleite. Rettung kommt von seiner damaligen Freundin und Programmiererin. Er soll den generischen computerisierten Popliedern einer künstlichen Intelligenz Leben einhauchen. Da er das Geld braucht, nimmt er den Auftrag an und findet widerwillig nicht nur zu seiner Freundin zurück, sondern auch Spaß´ an der Arbeit. Ob diese Beziehung ernsthaft gemeint oder nur ein Teil der verführerischen Strategie ist, seine Erfahrung zu missbrauchen und die populären Lieder lebendiger zu machen, wird nicht beantwortet.  

 Mit der Aufgabe wachsen Mensch und Maschine ohne Kitsch zusammen. Beide lernen voneinander. Interessant ist, dass eines seiner ehemaligen Bandmitglieder die anfänglich gestellte Frage in eine gänzlich andere Richtung beantwortet.  Künstliche Intelligenzen reagieren  viel schneller als Menschen auf die Aktionen/ Reaktionen  des  Publikums und können innerhalb von Nanosekunden sich darauf einstellen. Daher übt der Musiker alle möglichen Variationen ein, um musikalisch improvisierend mitzuhalten. Nur theoretisch eine Möglichkeit, da die in der Story angesprochenen Variationen einfach nicht abdeckbar sind. 

 Die künstliche Intelligenz soll dagegen in erster Linie ihr Publikum glücklich machen. Gehört dazu auch, dass  sie den verbitterten Ex Star aus seinem selbstgewählten Exil holt, ihn mit seiner alten Band vereint und schließlich allerdings mit ihr als Front  K.I. eine neue Tournee startet? Es bleibt die nicht unwichtige Frage offen, ob diese Entwicklung nicht Teil eines auf Wahrscheinlichkeiten basierenden Plans gewesen ist.

Aber angesichts der dreidimensionalen Charaktere und der Hingabe zur Musik spielt das  auch keine große Rolle. Ohne zu belehren fasst der Autor zusammen, was gute und ungewöhnliche Musik ausmacht. Es ist  erstaunlich, wie gut die Zusammenarbeit zwischen der Band und der K.I. schließlich beginnend mit der Planung der großen Liveshow funktioniert. 

Es könnte noch an einer Stelle einen Bruch geben, aber die Konfrontation mit den inneren Dämonen, den Urängsten überspielt der Autor sehr gut. Es stellt sich die Frage, warum er dieses Element in einem entscheidenden wie überraschenden Moment überhaupt platziert hat. Natürlich erhöht es die Spannung, aber die Auflösung wirkt dann wie eine Art Negierung der bisherigen Ansichten in Kombination mit einem künstlerisch lebensbejahenden Neuanfang.

Vor allem gelingt es Popkes, nicht nur seine Figuren menschlich dreidimensional zu beschreiben, sondern auch dem unmusikalischen Leser zu vermitteln, wie Musik inklusiv Gesang entsteht. Das nicht immer der Text eines  Liedes wichtig ist, sondern die  Präsentation im Vordergrund steht.  Untermalt werden diese Erklärungen immer durch interessante wie pragmatische Beispiele. Auch wenn nicht jeder der anscheinend zahllosen Insiderjokers nachhaltig verständlich ist, wirkt die Novelle wie aus einem Guss geschrieben.

Die Fragen nach der Fähigkeit, Musik überzeugend zu präsentieren wird mit einem interessanten "gemeinsam" beantwortet. Jegliche anfängliche Konflikte  sind dadurch mit einer Art Federstrich eliminiert worden, aber diese in zweierlei Hinsicht "Coming-of-Age" Story liest sich frisch, frech und vor allem ausgesprochen kurzweilig,  so dass der Nachdruck im "Forever" Magazin nicht nur  überfällig ist,  sondern die Notwendigkeit dieser Publikation nachhaltig unterstreicht.   

 

 

E Book, 112 Seiten

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