Ein Besuch auf dem Mars im Jahre 3000

Ein Besuch, Titelbild, Rezension
Constantin Redzich

Mit „Ein Besuch auf dem Mars im Jahre 3000“ legt der Kleinverlag Dieter von Reeken zum  ersten Mal seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1922 den einzigen utopischen Roman des 1869 geborenen Egon Falkenhayn alias Constantin Redzich als handlichen Paperback neu auf.

 Falkenhayn hat neben seiner Tätigkeit als Ingenieur auch als Redakteur der Zeitschrift „Welt  und Technik“ vier Jahre nach der Veröffentlichung dieses Buches gearbeitet. Neben Sachbüchern verfasste er vor allem eine Reihe von Original Kriegsromanen während des Ersten Weltkriegs. Auch wenn – wie der Klappentext zitiert – Franz Rottensteiner den Roman „literarisch als völlig bedeutungslos“ eingestuft hat, beinhaltet er mehr als nur ein „Sammelsurium skurriler Einfälle“.

 Inhaltlich orientiert sich der Autor eher an der utopischen Literatur vor dem Ersten Weltkrieg. Zahlreiche dieser einflussreichen Marsabenteuer sind ebenfalls im Verlag Dieter von Reeken erschienen. Dieser These kann man bis auf den Einstieg und vor allem das Ende auch sehr gut folgen. Diese beiden Eckpunkte des stilistisch sehr sachlich, sehr distanziert und teilweise belehrend geschriebenen Buches lassen erkennen, wie stark das deutsche Volk im Allgemeinen, aber vor allem auch der Autor unter der Kapitulation am Ende des Ersten Weltkriegs und vor allem dem Versailler Frieden gelitten hat. Fast giftig spricht er von einem Ausverkauf der deutschen Ideen an den Kapitalismus im Allgemeinen und den Amerikanern im besonderen. Wie Sklaven müssen sich die geistig überlegenen deutschen Forscher auf allen naturwissenschaftlichen Gebieten anbiedern und verkaufen, damit sie Brot für die Familie auf den Tisch bekommen. Hans Dominik schlug von Beginn seiner Geschichten gänzlich andere Töne an und stellte den deutschen Pioniergeist wieder in den Mittelpunkt seiner Storys und Romane.

Am Ende versagen die Marsianer bis auf die eingeladenen Forscher den Menschen einen direkten Kontakt mit dem roten Planeten. Ohne auf die Idee einer Traumnovelle zurückzugreifen, machen die weisen Bewohner des Planeten Mars das aus ihrer Sicht einzig richtige, sie vernichten zumindest mit dem Raumschiff sowie den vom Mars mitgebrachten Pflanzen, Dokumenten und schließlich sogar einer entflohenen Frau alle greifbaren Spuren ihrer Existenz. Das Ende ist drakonisch, auch wenn die Grundidee der Heirat zwischen einem Erdmenschen und einer Marsianern sowie deren Rückreise zur Erde aus dem angesprochenen dänischen Science Fiction Film „Das Himmelschiff“ stammen könnte.

 Zynisch und verbittert zeigt Redzich auf, dass vor allem der globale Machtanspruch der Amerikaner mit ihrer Kriegslüsternheit die Marsianer anscheinend verbittert hat, obwohl die eingeladenen Forscher sich im Gegensatz zu manch anderer eingeladener oder eingedrungener Gruppe irdischer Wissenschaftler vorbildlich benommen haben.    

 Der Flug dahin ist wie Franz Rottensteiner passend herausstellt technisch selbst für die zwanziger Jahre veraltet und die Idee eines Luftballons/ Luftschiffes erinnert eher an die utopischen Stoffe vor dem Ersten Weltkrieg. Bei physikalischen Phänomen holt der Ingenieur und Fernlehrer deutlich weiter aus und bemüht sich, einzelne Phänomene ausführlich, aber auch eher für die reifere Jugend zu beschreiben. Interessant ist, dass er die unterschiedliche Dichte von Luft und Wasser im schwerelosen Raum zum Anlass eines heroischen Opfergangs nimmt, in dessen Verlauf wieder eine Reihe von deutschpatriotischen Tönen anklingen. Aber wie einige andere Spannungsszenen löst sich diese Sequenz am Ende wieder auf.

 Auf dem Mars selbst werden die Menschen von den marsianischen Riesen – sie sind alle größer und werden mindestens dreihundert bis vierhundert Jahre alt – empfangen, es gibt aber eine Reihe von Unterschieden zu den Vorkriegsutopien. Auch wenn Männer der Zukunft – aus dem Jahr 2999 – zum Mars reisen, ähnelt ihr Verhalten wie mehrfach angesprochen den Helden, die Verne, Grunert oder Daiber entworfen und immer wieder propagiert haben. Neben der erfahrenen geistigen Elite in Form der Wissenschaftler sind es wackere Handwerker und im Grunde „Raumseefahrer“, welche das Gefährt moralisch einwandfrei durch den Äther zum Mars gesteuert haben. Die Unterschiede zwischen der Gegenwart und den Zukunftsmenschen sind nicht vorhanden.

 Auf dem roten Planeten können sich die Menschen anfänglich nur in Raumanzügen wegen des geringen Sauerstoffgehalts der Atmosphäre aufhalten. Die Marsianer haben im bekannten Maße eine inzwischen in Ehren ergraute, aber noch nicht dekadente oder sich zurück entwickelnde Zivilisation erschaffen. Kultur und Wissenschaft, anscheinend auch Vegetarismus und Pazifismus stehen im Mittelpunkt ihres Schaffens, die Erde mit ihren Streitereien erweckt die Neugierde, welche Großväter ihren Enkelkindern entgegenbringen. Immer ein wenig Abstand halten, aber liebevoll am Gängelband durch die Gegend ziehen.

 So wirken die intellektuellen Gespräche zwischen den Marsianern und den Menschen eher einseitig, vor allem gefördert durch die im Grunde abschließend sinnlose Wissbegierde der Menschen. Die Expeditionen sind interessante exotische Exkurse einer ansonsten eher sterilen Marslandschaft, wobei Constantin Redzich die marsianische Technik ausschließlich pragmatisch einsetzt und auf weitere Exkurse verzichtet. Andere utopische Autoren haben sich darauf konzentriert, die Geisteswissenschaften zu fördern und etablierten sozial wie ökonomisch nut in der Theorie überlebende Gesellschaften. In dieser Hinsicht bleibt Redzich an der Oberfläche und kann auch keine internen Spannungen aufbauen, wirkt aber entschlossener, zumindest etwas Lebensfähiges zu produzieren.

 Die Liebesgeschichte zwischen einem einfachen Mann der Erde und seiner großen Braut erinnert fast als Parodie überzogen nicht nur an „Das Himmelschiff“. Auch in den anderen Geschichten kamen diese Art der Verbindungen zustande, wobei allerdings nur in dem dänischen Film die Marsianerin ihrem Gatten zur Erde folgt.

 Das Ende des Romans wirkt eher hektisch. Während an einer Stelle impliziert wird, dass für den Rückflug zur Erde ein neues Raumschiff den marsianischen Herausforderungen folgend gebaut werden muss, können sie plötzlich und wahrscheinlich auch beabsichtigt in ihrem Raumschiff den Planeten verlassen. Interessant ist, dass die Pläne der Marsianer für die Menschen unwissentlich riskant sind, sie aber noch einmal den friedliebenden Geist der Bewohner des roten Planeten herausstellen.

 Sowohl beim Hin- als auch Rückflug werden kleinere Herausforderungen in den Weg gestellt, wobei anscheinend Meteoriten immer ein beliebtes Thema der utopischen Literatur dieser Zeit sind. Gefolgt von zu Ende gehenden Nahrungsmitteln oder entsprechendem Wasser an Bord.

Der Hinflug nimmt in diesen Romanen immer einen deutlich breiteren und detaillierten Rahmen ein als der Rückflug. Das ist auch bei der vorliegenden Ausgabe der Fall, wobei der grundlegende Spannungsaufbau generell zu Wünschen übrig lässt. Weite Passagen sind ausgesprochen weitschweifig und dabei auch noch belehrend konzipiert, während der Funke zu den eindimensionalen, ausschließlich pragmatisch agierenden Protagonisten nicht überspringen möchte.

 Unabhängig von diesen Schwächen ist es wahrscheinlich einer der letzten utopischen Romane, welche den intellektuellen Geist vor dem Ersten Weltkrieg über die Verbitterung des verlorenen Weltkriegs – auch hier gibt es Hinweise, dass der Verrat von den Arbeiterschichten ausgehend die adlige und intellektuelle Elite ins Mark getroffen hat -  mit den technischen Romanen zu verbinden suchte, welche nur kurze Zeit später die Jugend unglaublich faszinierend und kurzzeitig positiv optimistisch stimmen sollte. Alleine aus diesem Grund ist die Wiederentdeckung des Romans in dieser liebevoll zusammengestellten und mit einem kurzen Nachwort versehenen Ausgabe wichtig und das Buch trotz einer Herausforderung an die Geduld zur Lektüre empfohlen.

Neuausgabe des nur einmal 1922 erschienenen Romans
Broschüre, 157 Seiten, 3 Abbildungen, Kommentar von Franz Rottensteiner
15,00 € — ISBN 978-3-945807-25-5