Basierend auf einer von Terry Pratchett schon in den achtziger Jahren veröffentlichten Kurzgeschichte haben Stephen Baxter und der Schöpfer der Scheibenwelt auch im dritten von wahrscheinlich fünf Romane um den langen Kosmos und nicht mehr nur die lange Erde immer noch nicht die richtige Balance gefunden. Vielleicht ist ihre Schöpfung auch zu groß(artig), um sich in die Seiten normaler Romane packen zu lassen.
Schon die ersten beiden Teile litten unter Hektik am Ende, nachdem sprichwörtlich lange Reisen über die bislang nur langen Erden ausführlich beschrieben worden sind. Im ersten Buch konzentrierte sich die beiden Autoren auf die grundlegende Entwicklung ihrer Welt und in typischer Magiemanier die Idee des Steepers, mit dem man in unzählige Parallelwelten reisen kann. Während Baxter in seinen Büchern wissenschaftlich vorgeht, scheint Pratchett seine Idee aus dem Ärmel zu schütteln. Bei den Beschreibungen des Geräts können sich die Autoren einen ironischen Unterton nicht verkneifen. Zusätzlich führten die Autoren mehr als eine Handvoll von Figuren ein, welche sich als Charaktere wahrscheinlich durch die ganze Serie ziehen.
Wie in "Der lange Mars" allerdings mit zwei sehr unterschiedlichen Reisen konzentriert sich das zweite Buch "Der lange Krieg" auf eine Expedition zweier chinesischer Schiffe westwärts entlang der langen Erde. Alleine die Zahl der überflogenen Welten - immerhin zwei Millionen - ist für den Leser unvorstellbar. Der im Titel angesprochene Krieg bricht abschließend aus, wird aber wie aus dem Nichts durch einen gigantischen Vulkanausbruch unterhalb der USA der Originalerde abgebrochen. Auch "Der lange Mars" weist gegen Ende sowohl durch den Abbruch der beiden erfolgreichen Expeditionen wie auch eine nukleare Bedrohung in Kombination mit einer moralischen Glaubensfrage viel ungehobenes Potential auf. Da ist auch der Ausblick auf den vierten Roman der Serie wenig hilfreich.
Obwohl der Titel es suggeriert, nimmt die Reise entlang des langen Marses nur einen kleinen Spielraum ein. Vielleicht hätte in einer Verneigung sowohl vor Burroughs als auch Heinleins "Zahl des Tieres" das Erreichen des legendären Barsooms dem Handlungsbogen geholfen. Sally Linsay wird zu ihrem Vater gerufen, dem Erfinder der Boxen, welche seine Idee ins Netz gestellt und damit den gigantischen Exodus entlang der langen Erden erst möglich gemacht hat. Zusammen mit ihrem Vater und dem nicht mehr ins All gestarteten, aber ausgebildeten Astronauten Frank Wood reisen sie die zahlreichen langen Marsplaneten entlang. Ab und zu steigen sie aus und nehmen Gleiter, um das Terrain zu erkunden. Ihr Raumschiff wirkt wie eine Steampunk Variation. Die Begegnungen mit exotischem Leben bis auf das abrupte Finale halten sich im Gegensatz zur Expedition die langen Erden ostwärts entlang in engen Grenzen. Interessant ist, dass sich anscheinend das Leben zwischen der langen Erde und dem langen Mars nicht sonderlich unterscheidet, denn zwei Begegnungen variieren nur minimal hinsichtlich der Grundstruktur des aufgefundenen Lebens.
In dem Augenblick, in dem diese enttäuschende Monotonie durchbrochen wird, kommt es zur Katastrophe und Linsays Vater mit eine folgenschwere Entscheidung treffen, bevor es fast im Off wieder zurück zum Datum Mars geht. Anfänglich sollte der Roman vielleicht auch als Hommage an Arthur C. Clarke - es gibt einen entsprechenden Hinweise im Roman - "The Long Childhood" heißen und auf den interessantesten, aber ebenfalls nicht erfüllten Aspekt des Buches hinweisen. Der Titel wäre passender gewesen, denn die Handlungsebene auf dem roten Planeten gehört zu den bislang schwächsten Kapiteln der ganzen Serie.
Schon im zweiten Buch gab es Hinweise auf die „Next“, die Inkarnation der Übermenschen mit ihrer Mischung aus “Star Treks“ Khan sowie den Bildern, die vor allem die Goldenen Pulps bezeichnet haben. Mit dem Auffinden der verschwundenen Crew des Expeditionsschiffs AMSTRONG 1 – siehe ebenfalls einen früheren Roman der Serie - werden im Grunde alle Klischees dieser intellektuell überlegenen, emotional unterentwickelten Menschen bestätigt. Erst während des Finales fügen die beiden Autoren vor allem aus menschlicher Sicht eine gänzlich andere Komponente hinzu. Aus Vernunftgründen gegen übereilte blinde von einem eher imaginären Hass getriebene Präventivmaßnahmen entscheiden sich die Besatzungsmitglieder für eine pazifistische Haltung und werden wieder von den Autoren belobt. Zumindest für diesen Band löst sich die Bedrohung durch die Übermenschen im Nichts auf.
Wie schon erwähnt explodierte am Ende von „Der lange Krieg“ der Supervulkan unter den USA und hinterließ eine unbewohnbare USA mit schweren ökologischen Folgen auch für die restliche Welt. „Der lange Krieg“ implizierte, dass die meisten Amerikaner in andere Länder evakuiert worden sind, „Der lange Mars“ dagegen spricht davon, dass die Amerikaner einfach in andere Welten entlang der lange Erde getreten und sich so ohne größere Probleme in Sicherheit gebracht haben. Alleine die Phobies mit ihrer Angst vor diesem Schritt sind zurück geblieben und müssen gerettet werden. Nach einem dynamischen Auftakt konzentriert sich der Plot auf eine weitere Expedition erst einmal auf die mögliche Rettung der verschwundenen Amstrong I, sowie einen neuen Rekord an besuchten Orden. Zu einem derartigen Handlungsarm gehören natürlich die zwischenmenschlichen Konflikte an Bord wie auch die verschiedenen besuchten Welten.
Dabei wirken diese potentiellen Konflikte eher wie Füllmaterial. So findet sich mit Douglas Black ein Selfmade Milliadär an Bord, dessen Motivation lange Zeit von den Autoren absichtlich vage gehalten worden ist, um dann während des Finals inkonsequent zu Ende gedacht worden zu sein. Sie finden unterschiedliche Kulturen, wobei beginnend mit der amüsanten Beagle Evolution über die Säurenwelten oder die gigantische Krabbenkultur inklusiv Anspielungen auf Gullivers Reisen die beiden Autoren Science Fiction zur Seite schieben und frei von der spaßigen Leben weg Darwins Theorien in verschiedene Richtungen extrapolieren. Es sind diese Begegnungen zwischen den unzähligen überflogenen Welten mit ihren erdrückenden Zahlen, welche einfach Spaß machen. Schade ist, dass die Crewmitglieder wie die Leser bei den meisten interessanten Begegnungen nur Beobachter aus der Ferne sind, während die eigentlichen Expeditionen hinsichtlich des Gesamtkomplexes der Handlung keine wirklich relevante Rolle spielen.
In dem Augenblick, in dem die erste Begegnung mit den Next, den neuen Menschen, während der Expedition stattfinden, lebt „Der lange Mars“ förmlich auf und die Autoren entwickeln inhaltlich sehr viel Potential. Leider verliert sich später diese Dynamik und die aus den ersten beiden Büchern bekannte Reiseroutine stellt sich ein.
Abschließend hat der Leser das vage und nicht zufriedenstellende Gefühl, als wenn die Autoren auf der einen Seite eine lange Exposition gesucht haben, um den ganzen Handlungsbogen mit den beiden folgenden Romanen abzuschließen, sie auf der anderen Seite sich während des Schreibens wieder einmal in ihrer ohne Frage eindrucksvollen Schöpfung verloren haben.
So nimmt „Der lange Mars“ unabhängig von der nicht zufriedengestellten Erwartungshaltung der ganzen Serie eine eher rudimentäre vorhandene Dynamik und versucht mit neuen Reisen inzwischen bekannte, aber an keiner Stelle wirklich zufriedenstellend entwickelte Ideen zu recyclen, als endlich in die vielen vorhandenen und durchaus interessanten Details einzusteigen und den langen Kosmos mit wahren Leben zu erfüllen.
- Taschenbuch: 448 pages
- Publisher: Manhattan (5 Oct 2015)
- Language: Deutsch
- ISBN-10: 344254761X
- ISBN-13: 978-3442547616
- Original Title: The Long Mars