Die rote Wüste

Die rote Wüste, Rezension, Titelbild
Matthias Falke

“Die rote Wüste” ist weniger eine surrealistische Novelle, sondern die interessante Kooperation zwischen dem bekannten Science Fiction Autoren Matthias Falke und dem Allroundkünstler Andrä Martyna, dessen farbige Arbeiten den visuellen Hintergrund der Geschichte bilden. Andrä Martyna starb im Jahre 2011, sein Werk ist eher eine Art Geheimtipp. 

Auch wenn die Geschichte unter dem Science Fiction Label erschienen ist, handelt es sich eher um eine der surrealistischen Traumvisionen, welche vor  allem das  Kino eines Michelangelo Antonioni auszeichneten. Auch der Italiener hat eine Arbeit mit dem Titel „Red Dessert“ veröffentlicht. In seinem Film geht es wie bei Matthias Falkes Geschichte um eine Sinnkrise.  Nur kann Antonionis Protagonisten sich nicht der kalten und sterilen Umgebung des industriellen Ravennas anpassen  und gerät so in eine existentielle Sinnkrise. In Matthias Falkes Geschichte findet die emotionale Krise seines Protagonisten Karl schon viel früher, scheinbar im Off statt.  Karl hat seine weltlichen Güter verkauft oder verschenkt, seine Habe beschränken sich auf das wenige Geld und die wenige Kleidung, welche er bei sich trägt. Ihn zieht es in die Einsamkeit der Wüste.  Symbolisiert wird dieser erste Schritt der Abschottung von der Gesellschaft durch das Haus, das wie der Klappentext sagt, im Nirgendwo zwischen dem Libyschen   Gebirge und der  roten Wüste steht. 

Karl trifft in dem Haus, in das er sich einmietet, eine Reihe von Einzelgängern.  Wie es sich für derartige Geschichten allerdings gehört, scheinen diese vom Leben gezeichneten Menschen eher Chiffren, Symbole für zukünftige oder vergangene Ereignisse darzustellen als das Matthias Falke aus ihnen dreidimensionale und vor allem abschließend auch überzeugende Figuren generiert. 

Sollten die ganzen Ereignisse ohne vorzugreifen als reine Traumvision angesehen werden, ist eine grobe, aber immer effektive Zeichnung der Protagonisten sinnvoll, um nicht vom grundlegenden Gehalt der Geschichte abzulenken.

Wenn Matthias Falke in diesem ohne Frage viel Interpretationen zulassenden Text die Intention gehabt haben, eine etwas andere Story zu erzählen und die surrealistischen Visionen zu einem komplexeren Ende zusammenzuführen, dann lenkt die fehlende Tiefe der Figuren doch von der Handlung ab.

So hat er Antonius in Alexandria kennengelernt.  In dem Haus trifft er ihn wieder.  Sie sprechen ein wenig miteinander, aber im Grunde ist diese zufällige Begegnung inklusiv der abschließenden Pointe eher ein Nebenkriegsschauplatz, auf dem  Matthias Falke schließlich die einzigartige,  ohne Frage auch interessante Atmosphäre seiner Geschichte manifestieren möchte.

In dieser  Hinsicht wirkt Eliza als „Herrin“ des Hauses noch überzeugender.   Eliza hat ihre eigene Grenze gefunden. Sie versorgt die Menschen, die weiter nach draußen in die Wüste gehen wollen. Zu ihnen gehört auch Karl, der mit Kräftezerrenden bis zu einem Tag umfassenden Expeditionen beginnt. In einer der tiefer gehenden von Dialogen geprägten Sequenzen grenzen die beiden irgendwie am Leben gescheiterten und jetzt einen Boden suchenden Figuren sich voneinander ab.  Karl zollt Eliza hinsichtlich ihrer Entscheidung Respekt, Eliza scheint ihn irgendwie zu bewundern.

Bis auf das Schattenmädchen inklusiv der fast obligatorischen Liebesszene gibt es nur noch Figuren, welche den surrealistischen, aus Fata Morganen bzw. Visionen bestehenden Handlungsfaden am Leben erhalten sollen. Die große Reise in die Wüste besteht dann aus einzelnen Visionen. Auch hier wirkt die Allegorie manchmal unabhängig von den gelungenen Zeichnungen vertraut.  David Carradines „Das Geheimnis des blinden Meisters“    sei hier stellvertretend genannt. Der Protagonist wird immer wieder mit Vergangenheit und möglicher Zukunft nicht selten durch die Abfolge der Begegnungen, den sich daraus ergebenden Gesprächen und schließlich der nicht seltenen fatalistischen Selbsterkenntnis konfrontiert und wächst nicht nur an der körperlichen Tortur der Wüste, sondern der inneren intellektuellen Auseinandersetzung mit sich selbst.

Am Ende verlässt egal in welche Richtung der Charakter gereinigt und gefestigt die endlosen Sanddünen.  Matthias Falke baut aber eine weitere Idee, fast eine Art Möbiusschleife in den Plot ein, um wahrscheinlich das möglicherweise phantastische Element zu betonen. Mit dem offenen Ende kann er aber die traumhafte Irrealität der zumindest theoretisch wichtigen Reise in die Wüste nicht überbieten, so dass „Die rote Wüste“ als Geschichte unrund und am Ende ein wenig zu stark konstruiert erscheint.

Es sind aber vor allem die in verschiedenen Stilrichtungen gemalten Bilder  Andrä Martynas, welche beginnend mit dem eindrucksvollen Titelbild einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie hätten – so unrealistisch es auch klingen mag – ein größeres Format verdient. In der vorliegenden Synthese von Wort und Bild ist zumindest eine kurzweilige Unterhaltung mit großen Ambitionen, aber auch einigen angesprochenen Schwächen entstanden, die mindestens eines ist: ungewöhnlich.   

 

Matthias Falke
DIE ROTE WÜSTE
AndroSF 17
p.machinery, Murnau, Februar 2012, 100 Seiten (davon 12 in Farbe), Taschenbuch
ISBN 978 3 942533 27 0