
Wie viele seiner anderen längeren Arbeiten basiert "Man of Earth" auf einer einige Jahre vorher veröffentlichten Kurzgeschichte "The Man from Earth", die im Satellite Science Fiction Magazin 1956 veröffentlicht worden ist. Algis Budrys hat die Pointe der Kurzgeschichte genommen und sie radikal für die anschließende Romanveröffentlichung umgeschrieben.
Obwohl der Roman in der englischen Originalfassung nur knapp einhundertvierzig Seiten umfasst, hat man das unbestimmte Gefühl, als habe Algis Budrys in der zweiten Hälfte des Buches eine etwas andere Geschichte erzählen wollen. Viele Fakten stürzen plötzlich auf den Leser ein und auch wenn das brutal Menschen unwürdige Ausbildungsprogramm der Männer auf dem Pluto als Vorbereitung zum Kampf gegen einen eher imaginären Feind rückblickend einen Sinn erhält, ignoriert der Autor viele andere Fakten und Voraussetzungen.
Weite Teile des Buches könnten aber auch auf der Erde und in der Gegenwart spielen. Im Jahre 2197 ist Allen Sibley einer der erfolgreichsten Broker. Angeblich folgt er seinen Instinkten, welche Aktien man kaufen kann oder welche man verkaufen sollte. Seine Firma ist natürlich einer der erfolgreichsten. Wie es sich sowohl vor als auch nach Oliver Stones "Wall Street" gehört, geht nicht alles mit rechten Dingen zu und Sibley scheint zumindest einige Beamte bestochen und mit Insiderinformationen gehandelt zu haben. Im Gegensatz zu Europa drohen in den gegenwärtigen bis auch zukünftigen USA harte Strafen bis zu lebenslanger Haft. Algis Budrys malt dieses Bild eines gehetzten Mannes mit einem ausgesprochen breiten Pinsel. Dazwischen wird Sibley aber auch als schüchtern, seiner unbeschwerten Jugend nachtrauernd und schließlich nervös beschrieben.
Zwei Ereignisse schlagen gleichzeitig auf. Ein Mitarbeiter einer seltsamen Firma namens Doncaster Industrial Linens gibt ihm seine Visitenkarte und warnt ihn davor, dass die ganze Gesellschaft zusammenbrechen wird, weil die Menschen zu viele Resourcen verbrauchen und die Überbevölkerung steigt. Mahnende Worte vor allem aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als die USA wie auch Europa durch eine Art Wirtschaftswunder liefen.
Als ein Beamter auf Sibleys heimlicher Gehaltsliste einen Herzinfarkt erleidet und seine schwarzen Konten ans Tageslicht kommen, ahnt der Broker, das seine Zeit auf der Erde abgelaufen ist. Er flieht zu Doncaster, die ihn aber wegen seiner notorischen Verbrechen nicht unbedingt als Klienten haben wollen, aufgrund der Visitenkarte aber auch nicht abweisen können.
Es sind derartige Szenen, in denen Budrys Roman stark konstruiert erscheint und der Spannungsaufbau unter der mechanischen Struktur leidet.
Der Plan sieht, dass Sibley einen großen Teil seines Vermögens antritt und dann operativ verändert und mit einer neuen Identität versehen zum Pluto geschickt zu werden. Auf dem entfernten Planeten haben die Menschen eine neue Kolonie gegründet.
Ab jetzt entwickelt sich auf den ersten Blick ein neuer Handlungsarm, der weniger Algis Budrys denn Robert A. Heinlein entspricht. Mit dem wenigen Geld kann Sullivan alias Sibley nicht überlegen. Als Broker ist er für die meisten Arbeit ungeeignet, ohne Arbeit keine Unterkunft und kein Überleben. Also muss er in der nur zwanzigtausend Menschen umfassenden Kolonie zum Militär, das mit brutalsten Methoden und durchaus zahlreiche Verluste in Kauf nehmend die besten aussiebt.
Aus technischer Hinsicht geht Budrys dann aber einen sehr konträren, im Kern nicht nachvollziehbaren Weg. Man kann auf dem Pluto unerklärlich und technisch nicht geklärt Luft atmen, anscheinend gibt es auch mehr als nur künstliches Sonnenlicht und selbst Flora und Fauna kann in erdähnlichen Bedingungen florieren. Es fehlt nur noch eine romantische Szene an den Flüssen, wobei diese ebenfalls irdischen Ursprüngen folgend vorhanden sind. Die ganze Kolonie könnte in der Theorie eine Art Paradies sein, weit entfernt von der Sonne. Die schon in den fünfziger Jahren willkürlichen Vorstellungen des Pluto in diesem Roman entwerten Budrys Grundidee genau wie die finale Pointe keinen ausreichenden Hintergrund hat.
Genauso bizarr erscheint die Idee, dass der Pluto sich von der Erde verlassen fühlen könnte und deswegen die Invasion des Heimatplaneten plant. Natürlich wäre es sinnvoller gewesen, die Paranoia Perspektive umzudrehen. Das Leben auf der Erde wird nicht mehr als besonders lebenswert beschrieben und der Pluto ist das Äquivalent eines Paradieses. Also wäre logisch, wenn die Erde den Pluto übernehmen und annektieren würde und man sich mit der Ausbildung einer eigenen Infanterie dagegen wehren würde.
Schnell gewöhnt sich Sullivan an das militärische Leben und aufgrund seiner schon vorher vorhandenen überdurchschnittlichen Intelligenz sowie den nach den körperlichen Veränderungen vorhandenen herausragenden körperlichen Kräften macht er Karriere. Er lernt sogar ein nettes Mädchen kennen, das als Kellnerin in einer der wenigen Kneipen auf dem Planeten arbeitet und schnell das ungewöhnliche Potential erkennt.
Auf den letzten Seiten wird dann die Pointe gelüftet. Ohne zu viel zu verraten handelt es sich bei dem ganzen Plan um ein Langfristprojekt von Doncaster, welche plötzlich doch Potential in Sullivan erkennen, nachdem sie sich erst darüber geärgert haben, dass ihm die Geschäftskarte für Notfälle übergeben worden ist. Als Teil eines sehr großen Plans, der allerdings rückblickend so viele gefährliche Situationen für Sibley/ Sullivan enthalten hat, das sich der Leser unwillkürlich fragt, ob alles wirklich das Risiko Wert gewesen ist.
Vor allem weil Doncaster bei der Planung dieser ganzen Organisation nur auf ein Element Wert legt und im Gegensatz zu Heinlein, dessen Protagonisten intellektuell wie körperlich zur Spitze gehören müssen, plötzlich nur das Körperliche betont, das im Rahmen der Planung aber nur einen bedingten Platz braucht. Als Satire wäre die Grundidee vielleicht besser geeignet gewesen, so wirken Budrys ernste Absichten über das grundlegende Ziel hinausschießend und hinsichtlich der manchmal ein wenig zu eindimensionalen Zeichnung vieler Nebelfiguren kontraproduktiv.
Das Thema Identität zieht sich wie ein roter Faden durch Budrys kleines Romanwerk. Nicht nur Sibley/ Sullivan, sondern die Außerirdischen aus „Hard Landing“ mussten sich verstecken und neue perfekte Identitäten annehmen, in „Einige werden überleben“ musste der ehemalige politische Führer der nach dem Abflauen der Seuche gegründeten kleinen Siedlung sich verstecken, während die Öffentlichkeit davon ausgehen musste, dass er verurteilt und hingerichtet worden ist. Und in „Who“, seinem bekannten Raum, ging es um die wahre Identität des amerikanischen Wissenschaftlers, der hinter dem Eisernen Vorhang operiert worden ist.
„Man of Earth“ hat auch mit „Rogue Moon“ eine Idee gemeinsam. Eine gigantische Herausforderung, welche die Protagonisten wie die Leser nicht wirklich einordnen können. Eine Art Überlebenstest nur mit anderen Intentionen. Am Ende geht es auch um die Frage, was einen echten Mann auszeichnet und das Über-sich-herauswachsen. Bei „Rogue Moon“ ist es das außerirdische Artefakt, in „Einige werden überleben“ der Wiederaufbau der Zivilisation, selbst in „Michaelimas“ die Jagd nach der letzten Information und hier ein für die ganze Menschheit entscheidendes Projekt, das die einzelnen Mitglieder zusammenschweißt.
Zwischen den Zeilen könnte das Buch auch ein wenig rassistisch erscheinen, da es im Gegensatz zur verwohnten Erde auf dem Pluto anscheinend nur Weiße mit zusätzlich überwiegend amerikanischer Herkunft gibt, welche schließlich als neue Menschen den Langzeitplan der Corporation umsetzen soll. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Zumindest halten sich die Anfeindungen auf der Erde in Grenzen und Budrys konzentriert sich darauf, ein ambivalentes Bild des Lebens auf der Erde zu zeichnen, das erstaunlicherweise des frühen 21. Jahrhundert mehr entspricht als man es in den fünfziger Jahren für möglich gehalten hat.
Am Ende hat der Leser eine kurzweilige Achterbahn hinter sich, in welcher vor allem neben den gut geschriebenen Actionszenen einige hintergründige Ideen von Budrys angerissen, aber nicht wirklich zufriedenstellend extrapoliert worden sind.
- Gebundene Ausgabe: 146 Seiten
- Verlag: Literary Licensing, LLC (25. März 2012)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 1258253755
- ISBN-13: 978-1258253752