Uwe Hermann ist in den letzten Jahren vor allem durch seine Kurzgeschichten bekannt und . einige dieser Texte sind in der Anthologie „Das Amt für versäumte Aufgaben“ gesammelt publiziert worden. In dieser empfehlenswerten Ausgabe findet sich auch eine Art Vorgeschichte zu seinem ersten umfangreichen Science Fiction Thriller. Es ist nicht unbedingt notwendig, diese erste Geschichte zu kennen, aber sie bereichert den Hintergrund des manchmal frustrierenden, dann wieder überzeugenden Romans.
Der Autor hat eine Reihe von ausgesprochen guten Ideen aneinander gereiht, wirkt aber bis zum eine wieder neue Geschichte erzählenden Epilog überambitioniert und unentschlossen zugleich.
Die Ausgangsidee ist zweigeteilt. Die von einer privaten Firma – hier lernt der Leser vor allem den rücksichtslosen, mit allen Wasser gewaschenen Boss in der Tradition der charismatischen wie psychopathischen James Bond Schurken kennen – entwickeln Nanoroboter sollen in erster Linie in der Theorie den Menschen im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen helfen. Hinsichtlich der Polizei sollen speziell programmierte Nanobots Tote wieder zum Leben erwecken, so dass sie ihren Mörder benennen können. Diese Wiedererweckung soll nur für eine spezielle kurze Zeit helfen und der zweite Tod ist nicht selten schmerzhafter als das erste Dahinscheiden. Es ist eine ungewöhnliche Idee, die Uwe Hermann im Laufe der Handlung einmal effektiv umsetzt und dann als eine Art Suche nach den passenden weiteren Nanobots relativiert.
Da der Handlungsbogen mit einem Paukenschlag vergleichbar John Wyndhams „Die Triffids“ – der Protagonist „verschläft den Beginn der Katastrophe und ist deswegen noch am Leben, während in John Wyndhams Roman ja der an den Augen operierte Erzähler deswegen den Vorbeiflug des Kometen förmlich verpasst – beginnt, ist nicht viel Zeit, um diese Idee unter „normalen“ Umständen auszuprobieren.
Auf der zweiten Spannungsebene dienen die Nanobots als Mittel zu einer relativen Unsterblichkeit, in dem sie in die Körper der Kranken eindringen und Krankheiten auflösen können. Der Innensenator bittet den Unternehmer, diese neue Generation von Nanobots an seiner krebskranken Frau auszuprobieren. Im Verlaufe der Handlung wird von einer Art Erpressung gesprochen, aber es scheint sich eher um den typischen Deal einer Hand zu handeln, welche jeweils die Andere wäscht.
Gegen Ende des von einem hohen Tempo geprägten Romans zeigt sich, dass die Nanobots in einer raschen Abfolge von guten Ideen, bizarre Landschaften hinterlassend sehr viel mehr können als nur Tote zum Leben zu erwecken und Krankheiten zu heilen. Es stellt sich die Frage, warum die politisch handelnden Organe nicht diese Möglichkeiten zumindest erahnt und etwas aufmerksamer agiert haben. Hintergrundtechnisch wirkt Uwe Hermanns Roman in dieser Hinsicht wie unter einer Glaskuppel geschrieben, in welcher die Idee der Nanobots ausschließlich von dieser Firma entwickelt und eingesetzt worden ist. In der globalisierten und technisch fortschrittlich orientierten Welt der Leser ein Widerspruch, denn zahlreiche warnende Forschungen oder auch nur Wissenschaftsthriller in der Tradition Michael Crichtons– in seinem Nachlass ist ein unvollendeter Roman zu diesem Thema gefunden und inzwischen vervollständigt publiziert worden – hätten schon auf die faktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Nanobots hingewiesen und die verantwortlichen Stellen wären weniger naiv an die Sache herangegangen.
Positiv ist, dass Uwe Hermanns Szenario sich über nur wenige Tage entwickelt und so vielleicht die Reaktionszeiten eingeschränkt worden sind.
Zu den Schwächen gehört die Idee, aus den von Nanobots Befallenen Zombies zu machen. Hier gibt es keine weiterführende Erklärung. Zwar wird später im Verlaufe des Plots die Idee einer Art Schwarmintelligenz gesteuert von den interaktiv kommunizierenden Nanobots eingeführt, aber angesichts der überzeugend und grundsätzlich originellen Prämisse kommt diese Variation viel zu spät. „Versuchsreihe 13“ wäre ein sehr viel besseres Buch gewesen, wenn Uwe Hermann auf die Zombieproblematik eben zu Gunsten dieser „neuen“ Menschheit verzichtet hätte. Gefahren für die Nichtbefallenen hätten auch von ihnen ausgehen können, aber die Spannungskurve hätte viel effektiver, viel überraschender gestaltet werden können als mit Zombie aus der in diesem Fall Nanobotproduktion. Am Ende fragt sich der Leser weniger, wie die Seuche ausgebrochen ist, sondern ob deren Folgen überraschend und spannend abgehandelt werden. Und Romero hat die Themen ausreichend abgehandelt und tatsächlich neue Ideen eingebracht, die Uwe Hermann alleine diesen Spannungsbogen ansprechend nicht ausreichend entwickelt und dann in die laufende Handlung eingebracht hat.
Erst im Epilog, der als Sprungbrett für einen eigenständigen und originellen weiteren Roman dienen könnte, entwickelt der Autor eine soziale neue Idee hinsichtlich der Befallenen, wobei sich plötzlich die Frage stellt, warum diese neuen Menschen die Alten nicht wie im Plot angreifen und „fressen“ sollten. Es ist schade, dass überambitioniert der Autor plötzlich zu viel Handlung auf die letzten Seiten pressen will, anstatt den Actionplot auslaufen zu lassen und dann wieder basierend auf historischen Fakten der arg zerstörten Stadt Hamburg eine neue Geschichte zu erzählen.
Auch in einem anderen Punkt nutzt Uwe Hermann im Grunde Klischees, um seine Geschichte zu erzählen. So erwacht der Protagonist und Polizist in einem Geheimlabor, das von den Infizierten überrannt worden ist. Er ist desorientiert und kann die einzelnen Ereignisse noch nicht einordnen. Nur zwei Aspekte sind wichtig. Florian Richter ist wie die Zombies einmal gestorben, wurde absichtlich mit einem neuen Stamm, dem Ursprungsstamm der Versuchsreihe 13 infiziert und wieder belebt. Richter versucht aber nicht nur zu überleben, sondern auch seine Freundin zu suchen. Da Richter in seinem Blut ja die besondere Versuchsreihe 13 hat, muss er eine Art Mehrfrontenkrieg führen. Zusammen mit dem Sohn des Firmengründers – eine Art MacGuffin, die Richter in einigen im Grunde aussichtslosen Passagen die notwendige nächste Informations- bzw. Fluchttür öffnet – sowie einem später ebenfalls wieder belebten Kollegen macht sich Richter auf der einen Seite auf, nach dem Verursacher der Katastrophe und damit auch dem Aufenthaltsort seiner Freundin zu suchen, er wird auf der anderen Seite aber auch von den obligatorischen finsteren Mächten verfolgt.
Auf einer zweiten Handlungsebene beschreibt der Autor den Überlebenskampf und die Flucht einer Gruppe von Jugendlichen. Am Ende werden diese Plots zusammenlaufen und während des dramaturgisch sehr cineastisch geschriebenen Finales sich vor dem obligatorischen Showdown vereinigen.
Durch diese Aufspaltung der Handlung kann der Autor die Verwüstung Hamburg ausführlicher, sadistischer, aber auch plastischer beschreiben. Wer Hamburg kennt, wird die minutiöse Recherche nachvollziehen können, die in eine Reihe von Actionszenen geflossen ist. Immer am Rande des Overkills – selbst ein Hubschrauberabsturz nach einem Abschuss wird überlebt – und mit einem Hang zum fast verklärenden Waffenfetischismus entwickelt der Roman nach einem schwerfällig, nicht gänzlich harmonisch wirkenden Auftakt ein zufrieden stellendes Tempo, in dessen Verlauf die Zombieproblematik mehr und mehr positiv in den Hintergrund gedrängt wird, während die Jagd/ Flucht auf den Schurken und vor den immer mehr außer Kontrolle geratenen Nanobots in den Vordergrund tritt. Hier gelingen Uwe Hermann auch die literarisch am meisten zufrieden stellenden Passagen, während vor allem die eher eindimensionale und vor allem höchstens pragmatische Zeichnung im Grunde aller Protagonisten enttäuscht.
Selbst Florian Richter wirkt als erste Identifikationslager der Leser eher oberflächlich gezeichnet. Auch wenn sein Schicksal anrührt, springt der Funke nicht über. Die Dialoge mit dem aufsässigen, von seinem Vater als Versager angesehenen Sohn sind solide geschrieben. Vor allem nutzt Uwe Hermann die Idee zu wenig, das alle „Helden“ auf eine oder die andere Art und Weise auf neue Nanobots angewiesen sind, um am Leben zu bleiben. Deswegen haben sie unter dem zeitlichen Druck ein ureigenes Interesse, den skrupellosen, viel zu sehr nach den bekannten James Bond Schurken Stereotypen gezeichneten Firmengründer und skrupellosen Wissenschaftler zu finden. Diese Drucksituation wird immer wieder angesprochen, aber niemals richtig vollendet. Das während einer der Konfrontationen dann noch die obligatorischen Fehler – es wird zu viel gequatscht, als die Gefahr effektiv und schnell auszuschalten – gemacht werden, zeigt die Schwächen auf der Charakterentwickelnden Ebene überdeutlich. In dieser Hinsicht verschenkt Uwe Hermann das Potential, das aus einem nach bekannten Schemata ablaufenden Katastrophenthrillern einen wirklich ergreifen und überzeugen Roman machen.
„Versuchsreihe 13- Die Epidemie“ ist vor allem auf der Actionseite mit einem technischen Hintergrund eine kurzweilige und solide Unterhaltung mit einer Reihe von angesprochenen für einen längeren Erstling fast typischen Schwächen, welche durch die teilweise Neuausrichtung der Handlung von der reinen Zombiebedrohung zu einem Actionabenteuer nach amerikanischen Muster unabhängig von kleineren Plotlöchern und einigen Zufälligkeiten konstruktiver Natur ausgeglichen werden können.
- Taschenbuch: 370 Seiten
- Verlag: Atlantis Verlag (20. Juni 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3864025028
- ISBN-13: 978-3864025020