Rosetta 8.0

Rosetta 8.0, Titelbild, Rezension
Thomas Le Blanc & Jörg Weigand

Insgesamt 33 Geschichten von neunzehn Autoren drehen sich um das verzwickte Thema der allgemeinen Kommunikation. Die beiden Herausgeber Thomas Le Blanc und Jörg Weigand haben sich bemüht, ein thematisch breites Spektrum an originellen Miniautoren zu präsentieren. Wie immer reicht die Bandbreite von Mythen/ Märchen bis zu klassischer Hard Science Fiction.

 Mitten in der Sammlung findet sich die ultimative Hommage an den ultimativen Übersetzer. Friedhelm Schneidewind setzt in „Babelfusch“ natürlich Douglas Adams Babelfisch ein würdiges Denkmal. Thomas Le Blanc hat in seiner politischen Spielerei „Die Sprache der Ökonomie“ eine interessante Facette auch zu gegenwärtigen Konflikten beizutragen. Es sind derartige Miniaturen, welche aus der Masse der Beiträge positiv herausragen und lange im Gedächtnis bleiben. 

 Viele der Geschichten beschreiben Missverständnisse. Wie weit dieses Spektrum reicht, zeigen gleich die ersten beiden Miniaturen. In einer von mehreren Arbeiten Karl Ulrich Burgdorfs „Traduttore traditore“ wird in diesem Fall das geplante Missverständnis untermauert von einer ungewöhnlichen Weitsicht Ausgangspunkt für einen intergalaktischen Krieg, während Hans- Dieter Furrers „Grünzeug“ eine unterschiedlichen Perspektive in Kombination mit den falschen Gesten im übertragen richtigen Moment beschreibt. Vor allem Burgdorfs ausgesprochen kompakte Story kann im direkten Vergleich mehr überzeugen als Furrers mit einer vorhersehbaren Pointe ausgestattete Miniatur. Tamara Schinner folgt in „Zerhacken“ der Idee Hans- Dieter Furrers und präsentiert eine leichte Variation.

 Während Missverständnisse jeglicher Art einen wichtigen Aspekt der Anthologie darstellen, kümmern sich andere Autoren viel intensiver nicht um eine korrekte Übersetzung der fremden Sprache, sondern versuchen aufzuzeigen, dass man auch teilweise im selbstironischen Sinne dem „Geiste“ folgen kann.

 Aber die Idee der Bedeutung von teilweise interpretierenden Übersetzen zieht sie positiv wie ein roter Faden durch die Sammlung. Holger Marks etabliert mit „101 = gerade“ den Mensch wieder als sprachlichen Mittler, wobei die Maschinen sich in diesem Fall ein wenig zu naiv verhalten und die Auswirkungen vielleicht zu schnell sichtbar werden. Jacqueline Montemurri demonstriert auf einer vergleichbaren Basis wie Holger Marks und Karl Ulrich Burgdorf, dass ein kleiner Unterschied sehr große Folgen haben kann. Der Titel ihrer Miniatur verdeutlich diesen Unterschied aber nicht so plakativ. Es kommt nicht nur auf die richtigen Worte beim Übersetzen an. Monika Niehaus „Die Metaebene“ demonstriert, dass ein Übersetzer mit vollem Körpereinsatz arbeiten sollte.   Rainer Schorm präsentiert in „White Punks on Dope“, das Musik eine wichtige Rolle spielen kann. Musik unterschiedlichster Colour selbstverständlich.  Wobei Jörg Weigand mit „Die Sprache der Musik“ den Gegenentwurf präsentiert. Fremde Rassen reagieren auf irdische Musik sehr unterschiedlich. Monika Niehaus „Auf klingonisch“ ist positiv gesprochen sehr kurz, als das die nicht unbedingt originelle Variante einer Rückübersetzung aus dem Klingonischen langweilt. 

 Ernst- Eberhard Manskis „Übern Sund“ ist einer der Texte, bei denen diese seltsame, sich drehende Insel mit den unterschiedlichen kleinen Nationen auf ihr interessanter ist als die simple Prämisse. Vielleicht sollte der Autor seinen originellen Hintergrund für längere Texte nutzen und dem Leser das im Grunde fast surrealistisch erscheinende Leben auf dieser Drehkörperinsel ausführlicher vorstellen. 

 Auf Mythen basieren andere Texte wie „Grüne Grüße“. Robert P. Jaegers Götter haben anscheinend ein zweites Mal eine Nachricht hinterlassen, dieses Mal hoffentlich verständlicher als die erste Botschaft vor vielen Jahren. Auch Scheherezade spielt eine Rolle. Karla Weigand schreibt von einer besonderen Liebesnachricht, welche das Herz der Tochter des Kalifen erweicht. Es sind die kleinen liebevoll arrangierten Details, welche den Text aus der Masse der Miniaturen herausheben. Friedhelm Schneidewind „Reinigung mit Folgen“ schließlich kombiniert utopische Welten mit Drachenmythen, wobei der Übertragungs- und nicht Übersetzungsfehler leider auch ein wenig bemüht erscheint.

 Zum Selbstverständnis der Kommunikation gehört auch das Reisen, wobei Katja Göddemeyers „Jenseits der Zeit“ der Grundidee keine neuen Impulse verleihen kann. Zu oft ist dieser Ansatz in unterschiedlichen Facetten angewandt worden, als das man dem Subthema noch wirklich neue Ideen selbst in der vorliegenden kompakten Form entlocken kann.   Oder Tim Piepenburgs „Traumpirat“, in dem die dunkle Pointe eher intuitiv vorbereitet als konsequent erarbeitet wird. Auch Kai Riedemanns „Die Weisheit des Quastenflossers“ vertraut eher einer überzeugenden Atmosphäre als einer stringenten Handlung.

 Nicht selten bleiben aber Sprache und Zeichen ein Rätsel. Herausgeber Thome le Blanc macht es in „Die Platin- Tafel“ deutlich. Der Mensch steht staunend vor den Hinterlassenschaften einer fremden Zivilisation auf einer bewohnbaren weit von der Erde entfernten Welt und hat keinen Ansatz, um die Zeichen zu interpretieren. Stimmungsvoll mit einem pragmatischen Ende.     

 Mit „Der Zauber Belehrte“ präsentiert Alexander Roeder eine wunderbare Prämisse. Bücher der dunklen Mächte sollen genderbereinigt übersetzt werden. So humorvoll pointiert der Text auch sein mag, zeigt der Autor eine ungewohnte Schwäche hinsichtlich einer schlagkräftigen Pointe. 

 Viele andere Geschichten wie „Mit unerwartetem Erfolg“ von Jörg Weigand oder Karla Weigand „Cecelia“ steuern trotz unterschiedlicher Prämissen sehr geradlinig auf ihr jeweiliges Ende zu und bieten keine inhaltlichen Überraschungen. Auch „Der Übersetzer“ von Jacqueline Montemurri fällt in diese Kategorie. Die Ausgangsprämissen erscheinen schon bekannt und anstatt dem Plot wie bei einigen anderen der hier gesammelten Miniaturen eine überraschende, subversive oder ironische Wendung zu geben, steuern die Texte viel zu direkt auf das jeweilige leider schematische Ende zu. Rainer Schorms „Finger Weg!“ reiht sich auch in die Galerie dieser stringenten Miniaturen ein, in denen es auf die nicht immer überrasche Pointe mehr ankommt als auf den Weg zum jeweiligen Ende. 

 Das Spiel mit der Sprache und den verschiedenen Dialekten wird von Karl Ulrich Burgdorf in „Das Schäms Scheuß Virus“ sowie mit den Hinweisen auf das Plattdeutsche in „Das Alienotranslatonium“ auf die jeweilige intellektuelle Spitze getrieben. Es lohnt sich, beide Miniaturen laut vorzutragen. Dabei kommt es nicht auf die abschließend korrekte Betonung an, alleine die Idee, James Joyce als verfremdendes Element zu integrieren sowie die fast ausgestorbene Sprache plattdeutsch einzubauen, überzeugen bei den geradlinigen Plots zufrieden stellend.

 Nicht jede Übersetzung ist ein erfolg. Bei Thomas Le Blancs „Meine tekel upharsin“ sind es die alten Tricks einer bekannten Organisation, welche schließlich die Forschungen zum Erliegen bringen. Im Gegenzug leidet Ansgar Schwarzkopfs „Bi-Ba-Babelmann“ unter der Unfähigkeit, dem hinterhältigen Schalkgesang der Straßenkinder Paroli zu bieten.  

 Hinzu kommen Texte, in denen soziale Probleme angesprochen werden. In diesem Punkt ragt Tim Piepenburgs Jung- Alt/ Alt- Jung“ positiv dank der bestechend simplen, aber effektiv umgesetzten Grundidee aus der Masse heraus und reiht sich in die besten „Rosetta 8.0“ Miniaturen ein. Rainer Schorms „GRABOWSKI- oder der Sinn des Lebens“ versucht dieser Struktur zu folgen, steuert aber auf eine zu profane Pointe zu. Ansgar Schwarzkopfs „Kassiber aus der Unterwelt“ besticht durch eine interessante Eröffnung und genau wie Rainer Schorms Text durch ein zu simples Ende. Vor allem hinsichtlich des vorhandenen Potentials ist es um den tragischen Altmetallhändler in Ansgar Scharzkopfs Story fast zu schade.

 Monika Niehaus vervollständigt die Miniaturen um eine weitere Episode in der bekanntesten Kaschemme der Galaxis. „Die Sprache der Mathematik“ funktioniert dabei weniger plottechnisch, als durch die inzwischen so vertraute Atmosphäre der kleinen Kneipe direkt irgendwo in der Galaxis. Die Figuren sind den regelmäßigen Lesern der Miniaturen inzwischen so vertraut, dass man dem Würfelspiel mit seinen einzigartigen Gesetzmäßigkeiten abseits der Regularien trotzdem sehr aufmerksam folgt. Neben der bekanntesten Kaschemme im Universum findet der Leser auch regelmäßig Episoden aus einem bestimmten Bremer Eliteclub in den Miniaturen. Alexander Roeder erweckt den Erfindungsgeist eines bestimmten Professor mit seiner sehr lebendigen Art der Übersetzung als Hommage an die virtuelle Steam Punk Realität in „Lache, Translazzo!“ zum Leben. Wie Monika Niehaus Texte überzeugen Alexander Roeders in diesem Umfeld spielende Arbeiten vor allem durch die grandiose Grundidee, die fast surrealistisch an Hand der exzentrischen wie liebenswerten Charakter präsentiert und schelmisch bis zum nicht selten bitteren Ende durchgespielt wird.

 „Rosetta 8.0“ ist ein weiterer Beweise für die ungeschriebene These, dass Geschichten in Miniaturform funktionieren können. Mit einem – das Vorwort erläutert es noch einmal – sehr breiten Ausgangsthema zeigen die Autoren unterschiedlichste Interpretationen mit nur wenigen zu stark auf die jeweils bekannten Pointen zusteuernden Texten, aber sehr vielen Miniaturen, die durch ihre originellen im Detail liegenden Ideen überzeugen können.  

 

Phantastische Kürzestgeschichten (Band 8)
Herausgegeben von Thomas Le Blanc & Jörg Weigand

mit 33 Texten von: Karl-Ulrich Burgdorf, Hannes Demming, Hans-Dieter Furrer, Katja Göddemeyer, Robert P. Jaeger, Thomas Le Blanc, Ernst-Eberhard Manski, Holger Marks, Jacqueline Montemurri, Monika Niehaus, Tim Piepenburg, Kai Riedemann, Alexander Röder, Tamara Schinner, Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Ansgar Schwarzkopf, Jörg Weigand, Karla Weigand

Phantastische Bibliothek Wetzlar – Juli 2014 – 76 Seiten- Geheftet, Din A 5