Obwohl der größte Teil von dem Titel gebenden Roman „So Nude, So Dead“ bestimmt wird, ist dieses kleine Hard Case Crime Doppel in mehrfacher Hinsicht eine Art Debüt. Wie die anschließend publizierte erste Kurzgeschichte um Matt Cordell stellt „So Nude, So Deadf“ zwar Ed McBains zweite Romanveröffentlichung, aber seinen ersten Thriller da.
Beide Geschichten drehen sich teilweise schockierend brutal und offen um die Abhängigkeit von Heroin. Während Matt Cordell fast missionarisch ohne Auftraggeber nach einem Süchtigen sucht, ist der Protagonist Ray Stone seit vielen Jahren von der Droge abhängig. Eines Morgens wacht er neben einer toten hübschen Blondine in einem Hotelzimmer auf. Die beiden haben Heroin genommen und Ray Stone kann sich an fast nichts mehr erinnern. Nur dass sie einen großen Vorrat an dem reinen Stoff gehabt hat. Der Vorrat ist weg und schnell glaubt die Polizei, in dem ehemaligen Musiker Stone den perfekten Täter gefunden zu haben. Er muss alles unternehmen, um seine Unschuld zu beweisen. Dabei braucht er mittellos schnell selbst den nächsten Schuss.
Schon als Roman ist das Buch lesenswert. Ray Stone ist verzweifelt. Seine Freunde und Verwandte haben sich schon lange von ihm abgewandt. Sein Vater geht so weit, ihm mit Hilfe der Polizei eine Falle zu stellen, damit er im Gefängnis einen Entzug durchmachen kann. Seine Freundin interessiert nur, dass er mit den wenigen Dollars aus ihrer Geldbörse relativ schnell verschwindet, während sein Drogendealer ihn nur kennt, wenn er Bares in der Tasche hat.
Nur eine Kollegin, vielleicht auch Freundin der Ermordeten interessiert sich für Ray Stone und sucht ihn an sich zu binden.
Das Tal der Tränen, das Ray Stone durchschreiten muss, beschreibt Ed McBain ausgesprochen offen und brutal. In einer der emotionalsten Szenen berichtet Stone einer Außenseiterhin, wie tief er schon gefallen ist. Neben kleineren Diebstählen und Betrügereien hat er schon als Amateurzuhälter für andere Drogensüchtige gearbeitet. Er weiß, dass ihn die Droge bald töten wird. Interessant ist am Ende des Buches, dass er sich abschließend ein wenig wehren kann und der Versuchung nicht immer unterliegt. Vielleicht ist das auch mit der Tatsache zu begründen, dass zweimal im Verlaufe der Handlung ihn bedrohen und verführen wollen, die mittelbar und abschließend unmittelbar nicht nur mit dem Mord an der jungen Frau zu tun haben, sondern auch ein weiteres Bandmitglied umbringen.
Ed McBain verzichtet auf ein klassisches Happy End, auch wenn der Mord selbst durch Ray Stone aufgeklärt wird. Der Leser mag glauben, dass er am Wege des dunklen Weges einen Horizont sehen könnte, aber bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg. Damit wirkt der Roman nicht so nihilistisch und existentiell wie David Goodis oder Cornell Woolrich, aber im Gegenzug auch einen Hauch realistischer. Wie David Goodis in „Schießen sie auf den Pianisten“ beschreibt McBain den Niedergang eines talentierten, ehrgeizigen jungen Mannes, der durch die lieblose Ehe seiner Eltern und von einem brennenden Fanatismus getrieben aus sich etwas machen will, um durch die Versuchung der Drogen es wieder zu verspielen. Im Gegensatz zu Goodis überwiegend getriebenen Charakteren agiert Ray Stone zwar widerwillig, aber von seinem „Überlebensinstinkt“ angetrieben aktiv und ist der passiven, fast gar nicht vorhandenen Polizei immer mindestens einen Schritt vorweg.
Die Milieubeschreibungen – Ray Stone bewegt sich im wahrsten Sinne des Wortes zwischen der Gosse und der elitären High Society auf der Suche nach dem Mörder hin und her - sind stimmig und verleihen dem Buch zusätzlich zum erstaunlich hohen Tempo eine überzeugende Atmosphäre. Vor allem für einen frühen McBain sind die Dialoge lakonisch effektiv, ohne selbstgefällig oder unrealistisch zu erscheinen.
Ray Stone als Täter hinsichtlich seiner Drogensucht und Opfer in Bezug auf die beiden Morde ist überzeugend beschrieben worden. Ed McBain hat die richtige Balance aus Brutalität und Effektivität nieder geschrieben.
Eine weitere überzeugende Stärke ist der zugrundeliegende Kriminalfall, der sich stark an den Film Noir Streifen orientiert. Ray Stone jagt den oder die Mörder, er wird selbst wegen des verschwundenen Rauschgifts vom Syndikat und wegen des Mordes von der Polizei sogar auf den Titelseiten der Zeitungen gesucht. Ein wenig unrealistisch erscheint, dass ihn viele Leute erkennen und trotzdem erst nach den jeweiligen, für Stone informativen Gesprächen die Polizei suchen. Von den langweilig normalen Bürgern fühlt sich niemand von Stone wirklich bedroht, auch wenn er bei seinen „Verhören“ an einigen Stellen handgreiflich werden muss. Auch die Informationsflut aus dem Mund des vorher die Tote behandelnden Arztes wirkt ein wenig bemüht. Aber ohne diese Katalysatoren wäre Ray Stones Suche viel früher zu Ende gewesen.
An einigen Stellen hilft ihm noch für einen Erstling ein wenig holprig überbrückt der Zufall oder besser die Naivität seiner Kontrahenten, die ihn alle als Süchtigen abgestempelt unterschätzen. Vor allem hat Ed McBain seinen gejagten und jagenden Protagonisten mit einer Reihe von überzeugenden Nebenfiguren umgeben. An einer Stelle sagt sogar eine der durchgehend attraktiven wie gefährlichen Frauen, dass sie sich im Grunde wie in einem schlechten B Film unterhalten. Aber neben dem reichen Playboy mit seinem Nebenverdienst, dem armseligen Musiker und schließlich den drei so unterschiedlichen Frauen sind es vor allem die Menschen auf der Straße, in den Geschäften und Praxen, welche realistisch beschrieben worden sind und vor allem auch so agieren.
Unabhängig von der Tatsache dass aus heutiger Sicht einige Situationen ein wenig gestellt erscheinen handelt es sich bei „SO Nude, So Dead“ um ein nicht nur wegen der gnadenlosen Beschreibungen der Sucht und ihrer Folgen, sondern vor allem auch wegen des geradlinigen Plots und dem hohen Tempo, den unterhaltsamen Dialogen und abschließend auch der Identität des Täters wieder entdeckenswertes Buch. Kriminaltechnisch hat es Ed McBain geschafft, lange Zeit Ray Stone und bis zur Aufdeckung die ganze Zeit den Leser zu täuschen. Alle roten Fäden laufen nicht nur auf den ersten Blick ins Leere, abschließend macht das Motiv des Täters sogar in doppelter Hinsicht Sinn. Für einen Erstling ein überzeugend konstruiertes, aber vor allem rasend geschriebenes Buch.
"Die Hard" ist eine Kurzgeschichte mit dem inzwischen lizenzlosen Privatdetektiv Matt Cordell, der tragischen Figur aus dem ebenfalls bei "Hard Case Crime" nachgedruckten Roman "The Gutter and the Grave". Ein Vater bittet den verbitterten Alkoholiker Cordell um Hilfe. Sein Sohn ist Drogen abhängig und er möchte, dass Cordell ihn findet und irgendwo hin bringt, wo ihm geholfen werden kann. Beim Verlassen der Kneipe wird der Mann vor Cordells Augen erschossen. Ohne Auftrag macht sich der Detektiv auf die Suche nach dem Sohn.
"Die Hard" ist eine kurzweilig zu lesende, zynische Geschichte. Der Fatalismus, der Zynismus Cordells wirkt nach kurzer Zeit nicht mehr nur erdrückend, sondern in dieser kompakten Form auch weinerlich. Natürlich hat Cordell im Grunde alles wie von McBain im Roman beschrieben verloren. Er ertrinkt seinen Kummer im Alkohol. In dieser Hinsicht ist er genauso abhängig wie der Junge und sein Umgang, den er von der Droge befreien soll. Aber das Selbstmitleid distanziert relativ schnell den Leser von dem Charakter. Handlungstechnisch beschreibt McBain sehr drastisch die Folgen der Drogensucht und will damit seine Leser eher schockieren als Reaktionen zu provozieren.
Das nihilistische Ende passt zur dunklen, erdrückenden Atmosphäre der nicht unbedingt unterhaltsamen, aber nachdenklich stimmenden Geschichte.
- Taschenbuch: 220 Seiten
- Verlag: Hard Case Crime; Auflage: Reprint (14. Juli 2015)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 1781166064
- ISBN-13: 978-1781166062