Forever Magazine 34

Forever Magazine 34, Cover, Rezension
Neil Clarke (Hrsg.)

Das "Forever" Magazin ist ja im Gegensatz zur ebenfalls von Neil Clarke seit vielen Jahren herausgegebenen "Clarkesworld" quasi das Nachdruckmagazin. Mehrere längere Geschichten bis Novellen teilweise auch mit Interviews der Autoren werden in jeder monatlich erscheinenden Ausgabe vorgestellt. 

 "Incarnation Day" von Walter Jon Williams ist 2006 ursprünglich in der Anthologie "Escape from Earth" publiziert und ein Jahr später ist sie in die Anthologien mit den besten Geschichten des Jahres aufgenommen worden. 

 Es ist eine faszinierende Prämisse und vor allem eine der originellsten Ideen hinsichtlich der Erkundung des Sonnensystems und der Besiedelung der äußeren Planeten. Der alltägliche Kampf ums Überleben lässt keine Möglichkeit, in der Unendlichkeit des Sonnensystems Kinder aufzuziehen. Auf der anderen Seite soll das seelische Gleichgewicht durch die erzwungene Kinderlosigkeit nicht belastet werden. Die Idee ist, digitale "Kinder" zu erschaffen und sie quasi in Kaderschulen heranwachsen zu lassen. Sie sollen lernen, in einer menschlichen Zweckgemeinschaft zu leben und sich quasi soldarisch auch mit den eigenen "Klassenkameraden" zeigen. Die Grundidee ist faszinierend, auch wenn Walter John Williams vor allem aus der Perspektive dieser intelligenten wie lernwilligen Kinder auch einige kleinere Denkfehler macht. Der Nutzen für die Eltern erschließt sich nicht gänzlich, denn die Interaktion zwischen den Siedlern und den digitalen Kindern findet eher im Hintergrund statt. Natürlich stellen sie eine gewisse Ablenkung da, dazu müssten sie aber aus den Kaderschulen herausgehoben und schließlich auch mit ihren angepassten künstlichen Körpern in den Siedlungen leben/ arbeiten. 

 Diese Klippe umschifft Walter Jon Williams nicht immer ausschließlich elegant. Viel interessanter ist der beginnende Übergang zwischen den digitalen Kindern und dem angesprochenen Erwachsenwerden in den künstlichen, den örtlichen Verhältnissen angepassten Körpern. Als Kinder steht ihnen eine Löschung durch die Eltern immer bevor, wenn diese entweder das Interesse verlieren oder weiter wandern. Als "Erwachsene" müssen sie aufgrund ihrer ausschließlich künstlichen Erfahrung handeln und agieren, manchmal auch reagieren.

 Der größte Teil des Plots wird aus der Perspektive der Kinder erzählt. Dadurch erscheinen einige Verbindungen zur Besiedelung des Alls eher subjektiv und nicht immer technisch ausgereift, sondern absichtlich kindlich, aber nicht kindisch verzerrt. Der Handlungsbogen ist ausgesprochen kompakt erzählt und teilweise versucht Walter Jon Williams zu viele Informationen in zu wenig Raum zu packen. Atmosphärisch ist die knochenharte Besiedelung der Planeten und Asteroiden aber eine überzeugende Story, die mit ihrer Mischung aus Frontiermentalität, aber auch technologischer Weitsicht gut unterhält. 

 Sean Williams „Inevitable“ stammt aus der Sammlung „The New Space Opera“ Band 2.  Ein zukünftiger, natürlich brutaler Konflikt, der aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven beschrieben wird.  Master Bannermann aus der Gilde der großen Meister – der Unterschied wird aber nicht weiter erläutert -  wird ein wichtiger Kriegsgefangener zugespielt. Braith Kindred hat angeblich das wichtige, aber genauso ambivalente Tor zu einer seltsamen Struktur zerstört.

Bannermann und Kindred brechen gemeinsam als Wächter und Gefangener an Bord eines Raumschiffs auf,  um durch ein anderes Tor in diese Struktur einzudringen.  Gemeinsam können sie einen Teil des Weges zurücklegen, wobei  Kindred absichtlich eine Falle eingebaut hat, um arrogant und unvorsichtig seine Wächterin auszuschalten.

Die Spannung der Geschichte ergibt sich weniger aus dem persönlichen Konflikt, sondern der geheimnisvollen, wie erwähnt ambivalenten Struktur. Sean Williams gibt so wenig wie möglich Informationen Preis und versucht durch das Mysterium die Defizite auf der persönlichen Ebene auszugleichen. Die Figuren sind eher pragmatisch gezeichnet worden. Zu keinem der beiden Charaktere springt der Funke wirklich über. Insbesondere zu Beginn bewegt sich der Autor auch sehr am Rande der erwartete Klischees einer Gefängnisgeschichte, bevor im nächsten Schritt mit der gemeinsamen Reise auch eine Art Zweckgemeinschaft gegründet werden muss, wobei die einzelnen Ziele der beiden Protagonisten differenzierter hätten ausgearbeitet werden können. Am Ende schließt Sean Williams auf der fast klassischen Note eines Mannes, der versucht hat, Anderen eine Grube zu graben und selbst hereinfallen muss, wobei dazu keine aktive Handlung notwendig ist. Zusammengefasst solide Unterhaltung, die aber immer unter dem Eigengewicht zusammen zu brechen droht.  

Die kürzeste Story dieser Ausgabe stammt ursprünglich aus „Asimov´s Science Fiction“ Magazin. Im Jahre 2012 veröffentlichte Mercurio D. Rivera mit „Missionaries“ eine Forst Contact Geschichte, die natürlich unwillkürlich auch an den herausragenden Roman „Sparrow“  erinnert.  Die junge Protagonistin hat in sehr kurzer Zeit im Grunde alles verloren. Sie sieht ihren Pilgergang im Grunde als eine Art Selbstkasteiung inklusiv ihres Todes durch Verhungern am Ende der Reise als einzige Möglichkeit, sich wieder mit Gott zu versöhnen, dessen Liebe sie aus ihrer Sicht verloren hat.  Rückblicke geben einen Einblick in ihr bisheriges Leben. Die Begegnung mit dem Fremden aus dem Nichts heraus ist nicht nur ein Wendepunkt des Plots, sondern die Möglichkeit, noch einmal von vorne zu beginnen, wenn es ihr gelingt, ihre Auffassung von Glaube und vor allem Gott überhaupt dem Außerirdischen zu vermitteln.  

Es ist eine erstaunlich ansprechende Geschichte eines Autoren, der in den letzten Jahren nicht viele, aber fast philosophische Kurzgeschichten veröffentlicht hat. „Missionaries“ ist auch in seiner einzigen bisher veröffentlichten Anthologie erschienen. Es sind diese auch von der charakterlichen Seite her  ausgesprochen minutiös geplanten, nachdenklich stimmenden längeren Kurzgeschichten oder Novellen, welche angesichts der Massen von Publikation ein Magazin wie  „Forever“ kaufenswert machen. „Missionaries“ ist vor  allem in einem direkten Vergleich zu den beiden anderen hier vertretenen Autoren die mit Abstand beste eindrucksvollste und vor allem inhaltlich intelligent aufgebaute Story dieser Ausgabe.

 

www.clarkesworldmag.com

E Book, 100 Seiten