Axel Kruses sehr rasanter und kurzweilig zu lesender Roman "Luna Incognita" ist vor allem eine futuristische Nacherzählung der berühmten Schatzinsel. Im Gegensatz zu der Neuinterpretation von "Der Mann, der König sein wollte" im Rahmen der "Rettungskreuzer Ikarus" Reihe machen es sowohl die einleitenden Worte als auch im Grunde die erste Szene überdeutlich.
Der junge Erzähler Jim Hawkins betreibt zusammen mit seiner Mutter die Kneipe und heruntergekommene Gastwirtschaft "Admiral Benbow". Die Kneipe befindet sich auf dem Erdmond. Die Terraner haben vor einigen Jahren den Krieg gegen verschiedene außerirdische Rasse verloren und darben eher als Aussätzige vor sich hin. So werden auch den Piraten der Vorlage Freischärler, die mit ihren Kaperfahrten nicht nur in die eigene Tasche gewirtschaft, sondern zumindest teilweise gegen die erdrückende Übermacht der Fremden gekämpft haben. Die irdische Wirtschaft liegt am Boden und auch Hawkins sowie seiner Mutter geht es nicht wirklich gut.
Zu Beginn der Erzählung erscheint Kapitän Billy Bones in der Kneipe, der über ein wenig Gold verfügt und vor allem auch spendabel ist. Er nimmt sich ein Zimmer in der Kneipe. Axel Kruse entfernt absichtlich seine Figuren nicht zu sehr von dem Original. So agiert Jim Hawkins im Kneipenraum wie an Bord eines alten Schoners mit Deck schruppen.
Billy Bones verhält sich auch ein ein typischer Seemann. Er trinkt viel, ist körperlich angeschlagen, berichtet von den Kaperfahrten an Bord von Kapitän Flints Raumschiff sowie der legendären Walross und scheint eine Menge Seemannsgarn zu spinnen. Jim Hawkins ist auch ein sehr guter Zuhörer. Der Konflikt, die Niederlage der Erde sind einige der neuen Ideen, die Axel Kruse in die sehr eng am Original verlaufende Handlung einbaut. So regt sich Jim Hawkins auf, als einige der Freischärler - unter anderem die angesprochene "Wallross" Besatzung - sich gegen die Erde stellen und opportunistisch die Nichtmneschen unterstützen.
Hinzu kommt, dass der ein wenig naive Jim Hawkins die Menschen als Krone der Schöpfung sieht, welche den Krieg gegen die eher ambivalent beschriebenen Nichtmenschen nur verloren haben, weil diese auf Verräter zurückgreifen konnten.
Billy Bones dient Jim Hawkins auch in den ersten, sehr kurzweilig geschriebenen Szenen als eine Artt Resonanzboden. Er liefert dem jungen stellvertretend für den Leser ein ohne Frage auch subjektives, ambivalentes Bild dieser Zukunft. Als Charakter ist Billy Bones sympathisch, auch wenn nicht alle Aspekte seiner Geschichte zgu stimmen scheinen. Während die verschiedenen Verfilmungen bis auf den ZDF Adventsmehrteiler dieser Figur keine besondere Bedeutung zugemessen haben, ist es das Original, das fast sklavisch den Boden vorbereitet, auf dem schließlich das Abenteuer stattfinden soll.
Nachdem der politische Hintergrund als Grundlage der weiteren Abenteuer ausgearbeitet worden ist, geht es um die eigentliche Idee, dass Kapitän Flint dort draußen einen Schatz "vergraben" hat. So einfach mit einer Kiste voll Rum oder einer einfachen Karte sollte es nicht gehen. Aber genau diese Idee baut Axel Kruse ein. Das Ende des Weges ist tatsächlich durch eine Schatzkarte gekennzeichnet. Inklusive einigen Hinweisen, die eher zu Raumgleitern als zu Segelschiffen passen. Auf dem Weg dorthin müssen aber noch drei Punkte geklärt werden. Den ersten hat Billy Bones ohne größere Schwierigkeiten eruieren können. Über die beiden anderen Flanken wischt Axel Kruse um den Plot zu beschleunigen eher oberflächlich hinweg, in dem Bones nicht wie in der Vorlage überfallen und töten lässt.
Im Original ist die Lösung eleganter. Billy Bones erledigt einem Schlaganfall, nachdem ihm sein Tod angekündigt worden ist. Jim Hawkins kann mit seiner Mutter in letzter Sekunde entkommen und übergibt wie allerdings in diesem Buch die Karte und Hinweise an Freunde, wobei Axel Kruse aus dem Gutsherrn und Friedensrichter John Trelawney einen Reeder, aber auch dem väterlichen Freund Doktor Livesey eine attraktive junge Ärztin macht. Es ist ohne zu viel zu verraten nicht die einzige Geschlechterwandlung in diesem Buch und während Jim Hawkins durch die Reise zur Schatzinsel reicher und als Mann zurückkehrt, erreicht er diesen Status kurz nach dem Verlust seiner Mutter schon vor dem Abflug.
Natürlich wird Jim Hawkins im vorliegenden Buch schneller isoliert. Auf der anderen Seite reist der Jugendliche in der Vorlage an der Seite seiner väterlichen Freunde, die ihm wie es sich für Jugendbücher auch gehört im belehrenden Ton Lebenserfahrung beibringen. Axel Kruse nutzt die zugrundeliegende Idee zu wenig aus. Schnell findet Jim Hawkins eine anscheinend deutlich ältere Freundin.
In einer weiteren Extrapolation der Vorlage wird Jim Hawkins später durch eine Freundschaft mit einem Nichtmenschen von seinen Vorurteilen bekehrt. Auch wenn Axel Kruse diese Wendung abschließend sehr gut in die laufende Handlung einbaut und den ein wenig stereotypen Mittelteil des Buches dadurch auffrischt, ist es eine weitere Idee, die durch das Verschwinden eines Charakters mindestens vorläufig ins Nichts läuft. Axel Kruse hat natürlich die Schwierigkeit, dass er nur bis zu einem bestimmten Grad von der Vorlage abweichen kann oder darf. Dadurch muss er jede Abweichung wieder durch eine manchmal konstruierte Rückkehr zum Original ausgleichen. Das erscheint nicht immer rund, zumal es auch nicht immer notwendig ist. Natürlich möchte man die Nähe zu "Der Schatzinsel" immer wieder dem Leser vor Augen führen und auch beweisen, dass man in der Lage ist, diesen zeitlosen Abenteuerklassikerstoff in die Zukunft zu transportieren. Es ist aber nicht der erste Versuch des Genres.
Sowohl "Der Schatz im All" als auch der Zeichentrickfilm "Der Schatzplanet" haben ohne den politischen Hintergrund Ideen entlehnt und modernisiert. In einem direkten Vergleich kommt in dieser Hinsicht Axel Kruse besser weg. Vor allem weil es als Literatur keine so enge Bindung im Science Fiction Genre zum Klassiker gibt. Interessant ist, dass auch "Der Schatz im All" die Namen aus Stevensons Buch entlehnt hat.
Ohne Frage ist es schwieriger, bei der Adaption/ Modernisierung einen aus sich heraus spannenden Stoff zu erzählen. Vor allem wenn die Vorlage derartig bekannt ist, dass viele Menschen nicht nur den Plot zusammenfassen, sondern sogar Billy Bones berühmtes Lied von der Kiste mit Rum nachsingen können. Axel Kruse kann vom zugrundeliegenden Handlungsaufbau im Groben nur bedingt, in den Details meistens überzeugen.
Die Stärke seiner Geschichte muss also über die Charaktere kommen. Jim Hawkins ist der klassische jugendliche Charakter, der zu Beginn hart arbeiten muss, damit er zusammen mit seiner Mutter überleben kann. Er träumt nicht nur von der attraktiven Ärztin, sondern vor allem von den fast an Pulps erinnernden Geschichten mit Freischärlern, Piraten und dem angesprochenen verborgenen Schatz. Wie bei Stevenson ist Hawkins mittelbar und unmittelbar an allen wichtigen Ereignissen beteiligt. Dabei greift er nur in wenigen Szenen aktiv ein. Aber er belauscht die Meuterer, er findet den Einsiedler auf der Insel und schließlich ist er auch während des zu hektischen Finales ordentlich beteiligt.
Die Freunde an der Seite sind eher rudimentär charakterisiert. Vor allem die Liebesgeschichte inklusiv zweier Honeymoon Tage wirkt nicht überzeugend. Axel Kruse definiert zwar nicht das eigentliche Alter der Protagonisten, aber er baut auch nicht die notwendige Chemie auf, um diese Beziehung auf tragende Füße zu stellen.
Noch schwieriger ist es bei den Protagonisten. Während Billy Bones zumindest solide, aber auch zu sehr am Klischee des raubeinigen Seemanns vor allem in einer fernen Zukunft mit möglichst vielen Hinweisen auf die christliche Seefahrt beschrieben worden ist, leidet der Roman unter Long John Silver. Auch während der zweiten und dritten Lektüre des Buches ist diese Figur so faszinierend wie tragisch zugleich. Brutal, verschlagen, ein Krüppel mit einem wachen Geist, ein Opportunist. Axel Kruse schafft es nicht, in einer der weiteren Variationen vom Original einen entsprechenden "Gegenentwurf" zu entwickeln und deswegen leidet vor allem der Mittelteil des Buches. Nomen est Omen. Da der Überraschungseffekt wegen der Namensähnlichkeit verpufft, wäre es sinnvoller gewesen, auf andere Fundamente zu setzen. Im Laufe der Handlung schleift sich dieses Potential aber zu stark ab, während Silver eben während des Showdowns auf der Schatzinsel nicht mehr die dominierende und wichtige Rolle in relevanten Abschnitten des Buches spielen kann.
Im letzten Drittel der Handlung überschlagen sich die Ereignisse. Die Detailfreude, die Verspieltheit des ersten Abschnitts gehen verloren. Auch wenn Axel Kruse am grundlegenden Plot nur wenig ändern kann/ will und sich wie zusammengefasst meistens positiv, aber manchmal auch nicht zufriedenstellend an der Vorlage orientiert, wirkt „Luna Incognita“ plötzlich ohne Not hektisch. Es wird zwar immer noch erstaunlich viel diskutiert und erläutert, aber das stetig anziehende, natürlich auch durch die Bekanntheit des Plots einzuschätzende Tempo geht verloren und ein Gefühl der inneren Leere macht sich breit.
Trotz dieser Schwächen liest sich „Luna Incognita“ erstaunlich flott und bringt basierend auf einem Klassiker der Weltliteratur neue Impulse in den Bereich der deutschsprachigen Space Opera. Vor allem ist es ohne Frage mutig, ein derartiges Buch vor einem futuristischen und doch auch irgendwie nautisch historischen Hintergrund zu modernisieren, ohne das Flair des Originals zu sehr zu verletzen.