Tentakelblut

Dirk van den Boom

„Tentakelblut“ ist der Mittelteil der zweiten „Tentakel“ Trilogie. Einen Mittelband zu schreiben, ist ohne Frage nicht einfach, da die Handlung vorangetrieben und das Ende vorbereitet werden muss, ohne das zu viel verraten wird. Dirk van den Boom hat aber den Handlungsbogen im Grunde über vier Romane vorangetrieben, so dass mit „Tentakelblut“ auf insgesamt drei Handlungsebenen die finale Konfrontation vorbereitet werden kann. Im Gegensatz zur ersten Trilogie, die positiv gesprochen nicht nur eine klassische, manchmal hoffentlich absichtlich auch nahe an manches Klischee gebaute Military Science Fiction Trilogie gewesen ist, versucht sich der Autor an einem deutlich ambitionierteren Unterbau, der nicht immer ganz zur Serie passt.

Am Ende von „Tentakelwacht“ hat die Menschheit im Grunde den Kopf gegen die Tentakel verloren. Der Leser hat stellvertretend über einzelne Charaktere noch einige Hintergrundinformationen erhalten, aber der Sieg der „Tentakel“ erschien endgültig. Hinzu kommt, dass der Autor mit dem Tod Slaps ein Ausrufezeichen gesetzt hat. Zu Beginn der Fortsetzung wird der tot geglaubte Slap – es entwickelt sich zu einer Art perfiden Running Gag – wieder belebt. Er soll aus dem spärlichen vor den Invasoren sicheren Raum hinaus in den virtuellen Tentakeltraum eindringen. Dieser bildet die Kommunikationsebene der Invasoren. Mit Slap als Spion sollen Schwachstellen ausgekundschaftet werden, um den verbliebenen spärlichen Truppen noch eine Chance zum Gegenschlag zu geben. Die Idee dieser virtuellen Realität ist schon im ersten Roman angerissen worden. Aber die Konstruktionen, einen passenden Menschen zu finden, der diese nicht nur vordergründig fremde Existenzebene durchdringen und den Menschen Informationen bringen kann, wirkt nicht gänzlich überzeugend. Es ist nicht der einzige Ansatz im vorliegenden Roman, die Tentakel menschlich, ironischerweise wie das hervorragende Titelbild von Allan J. Stark suggeriert sogar zu aus der Pulpperspektive zu menschlich zu machen. Das bei einer geradlinigen Konfrontation mit den Tentakeln die Menschen der Kürzeren ziehen, ist von Dirk van den Boom überdeutlich herausgearbeitet worden. Mit diesem Spannungsbogen hat man unwillkürlich das Gefühl, als versuche sich der Autor an einer „Deus Ex Machina“ Lösung nach „Matrix“ Vorlagen. Hinzu kommt, dass Slab im vorliegenden Roman ausgesprochen eindimensional bis funktionell charakterisiert worden ist. Auf dieser Handlungsebene kann der Autor so gut wie keine Spannung aufbauen, so dass die gute Intention insbesondere im zu hektischen Mittelteil des Buches förmlich verpufft. Das offene Ende als Rekapitulation von „Tentakelwacht“ darf ausschließlich ironisch betrachtet werden.   

Die griffigste Handlung konzentriert sich auf das Bemühen von Ruby, seine Bella zu schützen. Im Dienst der Kirche der heiligen Rahel führt Ruby eine Reihe von Evakuierungsbemühungen durch, um gleichzeitig einen Platz an Bord des privat finanzierten Generationenschiffes zu sichern, mit welchem die Kirche der Fortbestand der Menschheit irgendwo in den Tiefen des Alls sicher stellen möchte.  Neben der gut beschriebenen menschlichen Emotionalität überzeugt der eigentliche, sehr bodenständige Plot. Die Motivation der Charaktere – Leben retten und bei der Liebe zu bleiben – ist klar ausformuliert. Die Actionszenen sind die Höhepunkte nicht nur dieses Romans, sondern der ganzen Serie. Da die beiden anderen Spannungsbögen entweder zu pervers – nicht immer ein schlechtes Zeichen – oder zu esoterisch erscheinen, überzeugt die Balance hinsichtlich Rubys Bemühungen, zu überleben, überdurchschnittlich tapfer zu sein und seine Bella zu retten sowie der im Hintergrund ablaufenden Aktionen am ehesten. Am Ende führt Dirk van den Boom Ruby und „Slap“ im metaphorischen Sinne wieder zusammen. Wie schon zu Beginn deutlich gemacht ist der Tod spätestens ab Band vier in dieser Serie leider nicht mehr endgültig, was ihm viel von seiner Effektivität nimmt und vor allem den internen Spannungsaufbau zum Leidwesen der Glaubwürdigkeit des Autoren negiert.

Das Titelbild weißt auf die natürlich herausragende Szene des ganzen Romans hin.  Die mit Tentakeln geschaffene „Superfrau“ und Avatar Miranda begleitet nicht nur den Botschafter der Allianz zur Erde, sie fällt in die Hände eines sadistischen Tentakelwissenschaftlers, der in „Barbarella“ Manier (die Ähnlichkeit mit einer deutlich detaillierter beschriebenen Lustmaschine ist überdeutlich) die sexuellen Grenzen Mirandas austesten möchte. Und das alles aus Liebe. So sehr sich Dirk van den Boom an den perversen Szenen verlustiert, so sehr greift er am Ende auf das typische Klischee zurück, das eine sexuell mit Instrumenten gefolterte Frau im Grunde nur einen richtigen Mann braucht. Und so es nur als Lustbefriedigung. Diese Verkehrung des Stockholmsyndroms lässt sich allerhöchstens als Parodie auf entsprechende Klischees ertragen, während – nicht zum letzten Mal in diesem Roman – die Tentakel schlussendlich als zu menschlich beschrieben werden. Der wissenschaftliche Trieb ist Lust gesteuert und Miranda das passende Opfer viel schlimmer gleich in der passenden Maschine. Nicht nur, dass der über die Serie sich ziehende Spannungsbogen unterbrochen wird, die Handlung kommt in diesem Augenblick gänzlich zum Stillstand und der ganze Roman erholt sich kaum von dieser absichtlichen Provokation. Es spielt auch keine Rolle, das die Science Fiction Gemeinde als verklemmt oder prüde gilt. Sex ist ein gewichtiges Element insbesondere der modernen Literatur im Allgemeinen und vieler Science Fiction im Besonderen. Aber die Liebe/ Sexualität muss auch solide in die Handlung integriert sein und das ist bei „Tentakelblut“ nicht der Fall. Eine Provokation um der Provokation willen führt nicht immer zum Ziel. Zumal Dirk van den Boom den perversen Forscher Actinotroch derart überzeichnet beschreibt, das der Leser unwillkürlich an eine Parodie denn einen ernst gemeinten Roman erinnert. Und das sollte insbesondere die erste Trilogie laut Autor nicht sein.   

 

Je weniger fremdartig die Tentakel mit jedem erscheinenden Band erscheinen, desto mehr verliert die Serie ihre Grundbedrohung. Es ist erstaunlich, dass Dirk van den Boom mit dem vorliegenden Band endgültig angesichts zahlreicher Dialoge zwischen Slap in der virtuellen Irrealität und Miranda insbesondere mit dem überdrehten Forscher die exotische Fremdheit seiner Tentakel vergisst und sie zu menschlich mit einem Querverweis auf ihr Lemingverhalten beschreibt. Hinzu kommt die aus dem letzten Band bekannte Information, das die Tentakel in Wirklichkeit für den Krieg und einen im Grunde unbesiegbaren Feind gezüchtet worden und außer Kontrolle geraten sind. Hoffentlich wird diese Grundidee im letzten Band nicht wieder hervorgeholt und die Tentakel kriegstechnisch auf den „richtigen“ Weg zurückbeordert.  Auch Miranda erscheint eher zu fraulich menschlich. Dirk van den Boom nimmt sich erstaunlicherweise nicht die Zeit oder gar den vorhandenen Raum, diese Figur wirklich exotisch und zugänglich zu gleich zu entwickeln. Da reicht der Hinweis auch nicht am Ende des Romans, das sie wichtige Informationen erhalten hat. Es ist schade, dass sich Dirk van den Boom in verschiedenen sexuellen Szenen – sie gehören in diesem Fall nicht zum Salz des Buches, sondern wirken absichtlich überzogen aufgesetzt und ziehen den Leser immer wieder leider negativ aus dem Handlungsbogen – förmlich verschreibt, anstatt einzelne Figuren – dazu gehört auch Slap – weiter zu entwickeln und das Buch abgerunderter erscheinen zu lassen.

Ein abschließendes Urteil kann erst mit dem letzten zu veröffentlichenden Roman gesprochen werden. Ohne Frage ist das Tempo der Handlung über die drei Handlungsebenen ausgesprochen hoch und die einzelnen kleinen Cliffhangar sind gut gesetzt. Es werden ausreichend Hinweise auf die finale Konfrontation hinterlassen und nur wenige Fragen beantwortet. Aber als Roman gehört leider „Tentakelblut“ zu Dirk van den Booms schwächsten Romanen der letzten Zeit. Stilistisch eher solide als inspiriert geschrieben mit zu gewöhnlichen, zu gegenwärtigen Dialogen oder gar Insiderjokes gespickt wirkt das Buch um einige wenige Szenen – als Beispiel dient die mehrfach angesprochene maschinelle Vergewaltigung Mirandas, in der Dirk van den Boom leider zu emotionslos versucht, perverse Gelüste in seiner in dieser Hinsicht ausschließlich männlichen Anhängerschaft zu wecken sucht – konzipiert und verfügt über zu viel Füllmaterial, um den  deutlich bodenständigeren, sehr viel spannenderen Romanen der ersten Trilogie mithalten zu können. Oberflächlich unterhaltsam ist der Roman, aber im Vergleich zu „Tentakelwacht“ eine Enttäuschung.

 

 

 

Titelbild: Allan J. Stark
A5 Paperback mit Klappenbroschur, ca. 240 Seiten, ISBN 978-3-86402-123-7.
Hinweis: Parallel erschienen eine Hardcover- und eine eBook-Ausgabe.