Insgesamt sechs Kurzgeschichten und eine längere Novelle, wenn nicht sogar einen Kurzroman enthält die Sammlung "Seitwärts in die Zeit" von Axel Kruse.
Im Mittelpunkt steht die Titelgeschichte. Mit einem Rahmen in Form einer nur vordergründig fiktiven Geschichte versehen fällt es Axel Kruse sichtlich schwer, dem Text Dynamik und Spannung zu geben. Der Rahmen distanziert die Leser von den Charakteren und da der Epilog keine sonderliche Überraschung darstellt, ahnt man das Ende der Handlung spätestens nach den ersten dreißig Seiten.
Unabhängig von diesen Schwächen hat der Autor sich aber einer originelle Prämisse angenehmen. Der Keller eines Turms ist eine Art Tor zu anderen, parallelen Welten. Dabei ist der Keller die einzige Kontinuität. Wie bei der Fernsehserie "Sliders" können die Reisenden ihre nächste Welt nicht bestimmen. Wie bei der Serie um die lange Erde von Stephen Baxter und Terry Pratchett gibt es unzählige Welten, die nicht bewohnbar sind.
Die beiden wichtigsten Protagonisten landen in diesem Keller nach einem Stelldichein. Eine kleine Gruppe von Menschen lebt dort. Sie stehen unter der Herrschaft Wolfs, der sich als Despot aufspielt und gerne die anwesenden Frauen zum Sex zwingt. In seinem Windschatten ist der körperlich degenerierte Hank, der viel mehr über diese seltsame Technik weiss.
Die Reise scheint kein Ziel zu kennen. Der nächste Phasenwechsel wird durch ein Gewitter angekündigt, wobei sich die Reisenden vor allem auf Hanks Spürnase verlassen. Weitergehende Erklärungen gibt es nicht. Die Aufenthalte auf den Welten sind sehr unterschiedlich. Es ist für die kleine Gruppe wichtig, möglichst viele Nahrungsmittel in den Keller zu schaffen, wenn sie eine Welt erreicht haben, die lebensfähig ist.
Axel Kruse folgt der eher klassischen Struktur dieses Subgenres. Auf der ersten neuen Welt erkennt der Protagonist Ben, dass es nur wenige Unterschiede gibt. So ist er von seiner eigentlichen Frau geschieden und lebt mit seiner Jugendliebe zusammen. Nach und nach beschreibt Axel Kruse eine auf den ersten Blick moderne Welt, die aber von einem tiefen anscheinend katholischen Glauben bis in die kleinsten Zellen durchdrungen ist. Später werden die Reisenden auf einer Welt landen, in welcher sich die Neanderthaler im Gegensatz zum Homo Sapiens entwickelt haben. Am Ende treffen sie noch auf eine weitere Welt, die auf den ersten Blick ihrer Ausgangserde entspricht. Es sind nicht nur drei Welten, auf denen sich die Reisenden aufhalten. Aber diese drei Variationen sind am überzeugensten ausgearbeitet und bleiben dem Leser wahrscheinlich am Längsten in Erinnerung. Hinzu kommen aber auch Aufenthalte zum Teil in primitiven, aber für die Reisenden wegen dem Möglichkeit eines Tausch von Lebensmittel gegen "Spielzeug" wichtigen Welten. Natürlich werden auch einige schreckliche, zerstörte Parallelerden besucht.
Der Autor gibt sich Mühe, möglichst originell hinsichtlich seiner Schöpfungen vorzugehen. Die Beschreibungen sind minutiös und vor allem kann der Leser nachvollziehen, welche Schwierigkeiten die Reisenden wider Willen und ohne echtes Ziel haben, jeweils sich auf die Situation für eine sehr unbestimmte Zeit einzustellen und quasi wie die Heuschrecken möglichst schnell mögliochst viel Brauchbares zusammenzuraffen. Ohne Frage bezieht der Text auf dieser Grundidee sehr viel Spannung. Nur bleibt Axel Kruses Stil viel zu gleichförmig. Bedenkt der Leser dann zusätzlich, dass es ja das Romanmanuskript der Bestsellerautorin aus der Rahmenhandlung ist, dann wirkt das Buch weniger von der Grundidee als dem Stil in dieser Form schwerlich publizierbar.
Die Protagonisten und teilweise Antagonisten sind interessant beschrieben worden. Mitten in der Handlung verliert die kleine Gruppe ihre Köpfe und scheint sich von deren dominanten, aber auch negativen Einfluss befreien zu können. In einer nicht gänzlich zufriedenstellend erklärten Szene kehrt dann Hank plötzlich aus dem Nichts heraus zurück und will wieder weniger dominant und sehr viel pragmatischer die Gruppe führen. Warum der Keller des Turms wieder in eine bekannte Welt zurückgekehrt ist, wird nicht weiter erläutert.
Auch hinsichtlich der Art der Reise bleibt Axel Kruse ausgesprochen vage. Für eine Fantasy Geschichte vielleicht nicht einmal uninteressant, aber in einer längeren Novelle mit Science Fiction Untertönen wirkt diese Ambivalenz nicht immer überzeugend genug.
Zusammengefasst ist "Seitwärts in die Zeit" eine solide Unterhaltung, die unter Axel Kruses statischem Stil mehr leidet als unter dem nicht immer rasanten, aber mindestens abwechselungsreichen Handlungsbogen.
In den sieben kürzeren Texten bewegen sich Axel Kruses Protagonisten auch von Beginn der Experimente an gesteuert und später mit spürbaren sowie unbewussten Folgen auch eher auf Parallelwelten zu, als das er klassische Zeitreisen entwickelt. „Der kleine Unterschied“ zeigt dabei die Richtung auf. Der Forscher unterstützt von seiner vermögenden Frau und Chefin des Unternehmens, will mittels seiner transportablen Zeitmaschine die Reise beginnen. Scheinbar bis hin zur Pointe hat sich nicht viel verändert. In der deutlich ambitionierter gestalteten „Iteration“ dagegen verwendet der Autor absichtlich ein bestimmtes Handlungsmuster, das an die Experimente Frankensteins erinnert. Eine einsame Burg, ein Helfer, eine Zeitmaschine und die Erklärung, dass im Grunde die Zeit fest geschrieben ist und diese Reise an den großen Strömen nichts ändern kann. Im Gegensatz zum Protagonisten, dessen Handlungsmuster sich vor unterschiedlichen Hintergründen bis zu einem fest nihilistischen Ende wiederholen, weiß der Leser, dass seine Theorie falsch ist.
An Poul Andersons Geschichten der „Zeitpatrouille“ erinnert „Time and Again“. Es ist einer der Texte, in dem Mitglieder der Patrouille aktiv in die Vergangenheit reisen wollen, um ganze Entwicklungen von Beginn positiv zu manipulieren, deren Ergebnisse sind natürlich in der Theorie schon berechnet haben. Neben der vorhandenen Organisation ein gewaltiger Unterschied zu den anderen Texten. Herauskommt eine verschachtelte Story. Der Protagonist begegnet sich im Grunde selbst und greift Ereignissen vor, die sich erst später entwickeln. Selbst die Korrektur dieser Zeitmanipulationen an einem ganz bestimmten, im Grunde auf den ersten Blick unwichtigen historischen Punkt bedingt wieder die Bildung von neuen parallelen Universen, wobei im Gegensatz zur Theorie die Praxis beweist, dass nichts kontrolliert werden kann oder planbar ist. Die Story zeichnet ein hohes Tempo aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Zeitreisegeschichten fallen die Versatzstücke nachvollziehbar ineinander und runden den zufrieden stellenden Plot überzeugend ab.
In „Zeitreise unmöglich?“ spricht der Autor die nicht unbedingt neue Idee einer Kombination aus Raum und Zeit an. Der Plot steuert sehr stringent auf die Pointe zu. Anstatt sich eine weitere Variation einfallen zu lassen und dem Text ein wenig mehr Originalität zu schenken, endet die Story mit einem zu optimistischen wie im Grunde auch unrealistischen „Feel Good“ Ausblick. „Zeitreise unmöglich?“ ist eine der schwächsten Geschichten der Sammlung.
Auch der Krimi „Rachezeit“ leidet unter einer Reihe von Schwächen. Ein reicher Mann wird nach vierzehn Jahren für einen Mord aus dem Gefängnis entlassen, an den er sich nicht erinnern kann. Alle Indizien sprechen gegen ihn. Es gibt keine Entlastungsbeweise. Um sich endgültig rein zu waschen, beschließt er mittels der teuren, ihm bislang verwehrten Zeitbeobachtung das Versprechen nachzustellen. Dabei erfährt er nicht nur die Wahrheit, sondern wird mit einer „unangehmen“ Verschwörung konfrontiert. Die Pointe des Textes ist aufgrund der Struktur relativ schnell zu erkennen. Es gibt zu wenige andere in Frage kommende Täter. Hinzu kommen aber zwei andere Schwächen. Die totale Amnesie selbst gegenüber perfektionierten Lügendetektoren erscheint ebenfalls unwahrscheinlich wie die Tatsache, dass dieser rudimentär entwickelte Staat auf „echte“ Beweismittel nicht zurückgreifen will. Selbst wenn der Täter sie eigenhändig bezahlen möchte. Selbst wenn diese Idee akzeptiert wird, erscheinen die Versatzstücke stark konstruiert und vor allem das sich bildende umfassende Bild wie bei einem unterdurchschnittlichen Krimi für den Leser nicht gänzlich nachvollziehbar, sowie opportunistisch angelegt.
Die letzte und zweitlängste Story der Sammlung „Die Schriftstellerin“ wirkt wie eine Mischung aus dem Besuch von Außerirdischen und ihrem Interesse vor allem an der literarischen menschlichen Kultur sowie dem Film „The Man from Earth“, nur mit einer Frau in der Hauptrolle. Aus der Perspektive eines Kritikers öffnet sich in einem behutsamen, aber auch nachvollziehbaren Tempo ein ganzes volles Leben. Die phantastischen Elemente über den Besuch der Fremden hinaus – eine Idee, die Axel Kruse geschickt der Problematik des Films folgend extrapoliert – sind vorsichtig und emotional ansprechend in die laufende Handlung eingebaut worden. Die Protagonisten sind solide gezeichnet. Diese Reise durch die Zeit ist auch im Kontext der Sammlung ungewöhnlich, aber sie bildet auch einen zufrieden stellenden Abschluss.
Die sieben Texte gehören in der Masse überzeugen. In den kürzeren, mehr auf die Pointe zugetriebenen Texten wirkt Axel Kruse deutlich souveräner und verbindet nicht immer originelle, aber zumindest überzeugend ausgearbeitete Ideen mit einer soliden Zeichnung der Protagonisten. "Seitwärts in die Zeit" fehlt ein anarchistisches Element, eine treibende Kraft und vor allem eine stilistisch viel packendere Struktur, um unabhängig von der originellen Idee wirklich überzeugen zu können.
Reihe: AndroSF 37
Kurzgeschichten
Autor: Axel Kruse
Vorwort: Wilfried A. Hary
Titelbild: Crossvalley Smith
Taschenbuch, 199 Seiten
p.machinery, 10. Oktober 2013
ISBN-10: 3942533758