The Ark- die letzte Reise der Menschheit

The Ark, Titelbild, Rezension
Patrick S. Tomlinson

„The Ark- die letzte Reise der Menschheit“ ist der erste Roman Patrick S. Tomlinsons, welcher vor allem auf eine sehr interessante Art und Weise der Idee der Generationenraumschiffe durch eine fast klassisch zu nennende Kriminalhandlung neues, teilweise sehr überraschendes Leben einhaucht. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es der erste Band einer Trilogie oder Serie ist, wobei der Autor den roten Faden im ersten Band zu einem zufriedenstellenden, den Kriminalfall isoliert betrachtet sogar überzeugenden Abschluss bringt.

Der Hintergrund ist klassische Science Fiction. Ein wanderndes schwarzes Loch hat die Menschheit vor mehr als zweihundert Jahren – auf dem Klappentext wird von mehr als einhundert Jahren geschrieben – mit der Erde buchstäblich ausgelöscht. Als letztes gemeinsames Werk haben alle Staaten der Erde dieses gigantische Generationenraumschiff gebaut und es als Erbe der Menschheit zu den Sternen geschickt. Inzwischen befinden sich an Bord knapp 50.000 Menschen, die alle Implantate für eine vollständige Überwachung in sich tragen.  Alles ist geregelt. Vordergründig finden Geburten nur im Reagenzglas statt. Partnerschaften müssen genehmigt werden. Alle Resourcen sind streng rationiert.  Das Raumschiff befindet sich nur wenige Wochen vor dem Erreichen seines Ziels Tau Ceti. Wichtig ist, dass das Schiff rechtzeitig gedreht wird. 

Im Verlaufe der Handlung wird der Leser fast alle wichtigen Stationen an Bord kennenlernen. Von den Laboren, in denen die Pflanzen auf ihre Aussaat auf diesem mehr und mehr analysierbaren Planeten durch gezielte Kreuzung noch mehr vorbereitet werden über die ein wenig dekadenten Quartiere einiger elitärer, direkt in enger Verbindung mit der Schiffsführung stehender Familien bis zur „Unterwelt“, in welcher die Außenseiter der Gesellschaft zahlreicher als vermutet leben.  In einer dramaturgisch gut geschriebenen Szene muss der Protagonist sogar das gigantische Raumschiff verlassen, um einen wichtigen „Beweis“ zu bergen.  Das Raumschiff ist so groß, dass einzelne Gruppen in abgeschlossenen „Vierteln“ in Form von Wohntürmen leben. Es gibt eine Art Zero Footballmeisterschaft. Der Detective Bryan Benson ist ein ehemaliger Star dieser Zero Footballmeisterschaft und deswegen auf dem Schiff noch bekannt. Der Autor macht aber nicht den Fehler, die Handlung durch die zahllosen Beschreibungen zu erdrücken, sondern gewährt nicht selten nur passend auf Augenhöhe Bensons dem Leser einen Einblick in diese futuristische, beklemmende, dann wieder fast surrealistisch grotesk verzerrte Welt.

Durch die Größe des Raumschiffs kommt nur bedingt das Gefühl der Isolation auf oder  ein potentiell abgeschlossener Täterkreises in Frage.  Das liegt auch am Charakter des Protagonisten. Bryan Benson ist letztendlich aufgrund seiner Erfahrung als Polizist – er musste aber nur einen „harten“ Verbrecher im Laufe seiner Karriere fangen – auch leicht manipulierbar. Durch die Implantate und seinen Betäubungsstab als ultimative Waffe fühlt er sich sicher bei seinen Ermittlungen. Lange vor Benson ahnt der Leser aber, dass erstens die Umgebung nicht mehr gänzlich kontrollierbar ist und zweitens die Sicherheitsmaßnahmen in dieser hierarchischen Diktatur nicht funktionieren können. Je mehr der Autor dann durch die Suche nach dem Täter auch den Handlungsbogen erweitert, desto unsicherer fühlt sich Benson, auch wenn Tomlinson an einigen Stellen auf eine Reihe von Klischees zurückgreifen muss.

Der Ausgangspunkt ist klar umrissen. Einer der Gentechniker ist verschwunden. Bislang ist er unauffällig, in den Überwachungsakten buchstäblich unsichtbar gewesen. Sein Implantat zeigt nichts mehr an. Benson macht sich auf die Suche beginnend an seinem Arbeitsplatz und auch in seinem Quartier. Dort findet er an der Wand einen echten Monet, was sein Misstrauen weckt. An Bord sollte kein Monet sein. Die Menschen haben zwar einen wichtigen Teil des kulturellen Erbes an Bord gebracht und sogar in einer der Wohnsäulen ein Museum errichtet, es gibt aber keinen echten Monet im Bestandsverzeichnis. Vor dreißig Jahren gab es einen spektakulären Kunstdiebstahl an Bord des Raumschiffes und einige der gestohlenen Bilder sind immer noch nicht aufgetaucht, aber keinen Monat. Mit Hilfe des damals verhafteten und verurteilten Diebes kommt Benson einigen vagen Hinweisen auf die Spur, bis durch einen Zufall die Leiche des Verschwundenen im Orbit um das Generationenraumschiff gefunden wird.  Da die Obduktion des gefrorenen Körpers Zeit braucht, ermittelt Benson weiter und wird selbst beinahe zum Opfer eines Attentats.

Dieser Anschlag auf den Polizisten ist das erste Zugeständnis gegenüber dem klassischen, aber auch klischeehaften Krimigenre. Ohne diesen Anschlag hätte Benson vielleicht den roten Faden verloren und wichtige Hinweise – der Attentäter ist nicht implantiert und die Fernüberwschung kommt zu spät – nicht erkannt. So ahnt er, dass viel mehr an dem Fall hängt als nur ein verschwundenes Kunstwerk.

Ein weiteres spannungstechnisches Zugeständnis ist der Faktor Zeit. Das Raumschiff ist immerhin mehr als zweihundert Jahre lang unterwegs und in dieser Frist konnte niemand das Schiff verlassen. Wohin auch? Ein Überleben außerhalb des Raumschiffs ist ja nicht möglich gewesen. Mit der Annäherung an den Planeten und der Aussiedelung der Kolonisten könnte der Täter quasi „verschwinden“ und die Spuren zu den Hintermännern kalt werden. Auch wenn Tomlinson diese zeitliche Komponente ausschließlich opportunistisch spielt und der Leser niemals das Gefühl hat, als wenn Benson mit seiner besonnenen Art hektisch wird, dient es der Spannungserhöhung.

Die ist aber gar nicht nötig, weil der Autor für einen Erstling erstaunlich überzeugend und positiv sehr routiniert einen interessanten Kriminalfall entwickelt, wobei Benson trotz einer eher oberflächlichen zwei Wochen ausbildet den vielen Vorbildern folgt, die vor ihm nicht im All, sondern in erster Linie auf der Erde ermittelt haben. Offensichtliche Querverweise werden weder direkt noch indirekt angesprochen.  Natürlich wird dem Ermittler irgendwann der Boden entzogen und der Fall ist viel größer als angedacht. Das große Problem ist, dass beginnend mit einem perfiden Mord – die Details kommen nach und nach ans Licht – sich die Suche zu einer gigantischen Verschwörung inklusiv terroristischer Ansätze einer Gruppe von nicht kontrollierten Fanatikern auswirkt.  Da Benson von der Schiffsführung kritisch gesehen wird und seine erste Spur in die Spitze der Kommandostruktur „falsch“ ist, wirkt die abschließende Drehung inklusiv des grausamen blutigen Finales, in dem sich die verblieben Menschheit aus Idiotie und Fanatismus kurz vor Erreichen nicht des gelobten Landes, aber des letzten potentiellen Rettungsankers selbst zu töten beginnt.   

Das Finale  wirkt hektisch und hier scheint Tomlinson sich zu sehr an den engen Mechanismen des Genres inklusiv der Denunziation des bis dahin tadellosen Sporthelden Benson zu kleben.  Der Autor fügt eine Schicht über die andere und ignoriert dabei, dass eine eher klassische Verschwörung vom Kopf kommend sinnvoller gewesen wäre als dieses stringente Finale, in dem es Benson inzwischen aufgrund seiner zu späten Erkenntnis persönlich nimmt. Die politische Implikationen sind aber originell und zeigen eine gänzlich neue, fatalistische Richtung an.

Ein starker Kontrast besteht auch zwischen dem vielschichtigen Hintergrund mit dem Generationenraumschiff und seiner Bevölkerung. Es sind fünfzigtausend Menschen, von denen sich zu viele zu detailliert an nicht unbedingt wichtige Ereignisse auf der Erde erinnern als das die Vorbereitung auf den neuen Planeten ihr Handeln und Denken bestimmt. Immer wieder muss Tomlinson an die potentielle Enge dieses gigantischen Raumschiffs inklusiv eines Sportstadions für mehr als zehntausend Menschen erinnern, damit dem Leser vertraut bleibt, das es sich um ein Generationenraumschiff handelt. Viele andere Science Fiction Autoren haben nicht einen so gigantischen Hintergrund entwickelt, dafür aber mehr Gespür für die Besonderheiten dieser majestätischen Raumschiffe entwickelt. Die Charaktere verhalten sich zu gegenwärtig und vor allem Bensons Freundin Theresa wirkt eher wie eine eindimensionale Staffage, deren beruflich immer wieder erwähnter, aber niemals wirklich genutzter Hintergrund zeigt, dass die mit dem Fernsehen sprechend nur eine attraktive Nebenrolle hat.

Auch die Kuratorin des Museums ist wie der Erste Offizier Feng oder der Küchenchef eine dieser Charaktere, die funktional an wichtigen Stellen entweder die Handlung in eine gänzlich neue Richtung Bewegung oder im Notfall entsprechende Stichwörter liefern. Aber an keiner Stelle hat der Leser wirklich das Gefühl, als beleben sie die laufenden Ermittlungen. Für einen Erstling sind sie immer noch gut gezeichnet und Tomlinson bemüht sich, das Vielvölkergemisch dieser letzten Reste der Menschheit fair und gleichberechtigt zu behandeln. Bensons nicht selten unfreiwilliger Helfer ist zum Beispiel eine russische Chekov Kopie, steif, langweilig und treu doof.   Der anfänglich ein wenig langweilige Benson wird in seiner Weltsicht erschüttert und lernt während des Falls die andere Seite der Arche kennen. Manche Erkenntnis wirkt ungewöhnlich bis unglaubwürdig. Es handelt sich bei allen anscheinend in sich auch isolierten Habitaten  um Kleinstädte, da müsste einer der wenigen Polizisten besser über die dunklen Seiten informiert sein.

Zu den Stärken gehört, dass der Autor mit der kompletten Überwachung durch die Implantate eine dunkle Atmosphäre erschaffen hat.  Anschließend kommen einige Szenen auch mit den seltsamen Wolkenformationen auf Tau Cetis drittem Planeten, die eher klassischen Space Opera Stoffen in Form der neuen Filme wie „Passagers“ oder „Pandorum“ entsprechen.   

Positiv sind zusätzlich die pointierten Dialoge, welche die Handlung manchmal mehr und ironisch unterlegt vorantreiben als Tomlinsons Wandel in der Erzählstruktur. Gegen Ende des Buches wird der Autor immer indirekter und zeigt eher die Reaktionen auf das Geschehen als die eigentlichen Ereignisse.  Das Tempo bleibt aber kontinuierlich hoch und selbst die Exkurse in die Welt der an Bord der Arche verbliebenen Kunst hemmen nicht den Lesefluss. Insbesondere für einen Erstling ein sehr gutes Debüt, das wie eingangs erwähnt mit dem Kriminalfall dem Genre der Generationenraumschiffe neue Impulse verleiht.

  • Taschenbuch: 416 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (3. April 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3426520486
  • ISBN-13: 978-3426520482
  • Originaltitel: The Ark
  • Übersetzung: Markus Mäurer