In seinem Vorwort spricht Herausgeber Thomas le Blanc davon, dass sich die „Phantastische Miniaturen“ inzwischen zu etablieren beginnen. Eine bestimmte Figur, ein Satz oder wie im vorliegenden dritten Band ein Thema verbinden kürzeste Geschichte miteinander. Dieses Mal sind es von zwanzig Autoren insgesamt achtundzwanzig Storys, die sich um die böse und nicht unbedingt die dunkle Seite des Mondes drehen.
Das Thema ist schwierig zu greifen. So präsentiert Paul Felber zum Auftakt mit „Der Fluch des Mondgottes“ einen Text, der inhaltlich vorhersehbar ist und keine echten Überraschungen bietet. Andere Autorinnen wie Mira Keiner in „Mondlichtschatten“ oder vor allem auch Katja Göddemeyer mit „Der Duft der Lilie“ bleiben so ambivalent und oberflächlich, das die Idee des Mondes und seiner bösen Seite eher pragmatisch eingebaut erscheint als elementarer Teil der leider nicht konsequent genug zu Ende entwickelnden Plots. Selbst Thomas le Blanc kann mit „Vor dem Abendgebet“ nur einen Text hinzufügen, dessen Ende höflich gesprochen folgerichtig ist und in den die Idee der bösen Seite des Mondes eher konstruiert als überzeugend natürlich eingebaut worden ist. Auch Rainer Schorm fügt sich mit „Bitte umblättern“ in diesen Reigen der viel zu stark auf die Pointe zusteuernden Texte ein.
Der zweite Beitrag von Thomas le Blanc „Imitation“ ist ebenfalls eine dieser vielen Geschichten, deren fatalistisches Ende vorhersehbar erscheint. Zumindest verzichten seine Astronauten auf dem Mond auf Experimente und gehen die Sache logisch pragmatisch an.
Es ist nicht immer wichtig, nachhaltig Eindruck zu schinden. Nicht selten sind es die Impressionen, welche die Miniaturen aus der Masse herausheben. Hans- Dieter Furrers „Der Mann im Mond“ funktioniert durch die Möglichkeit, dass erstens der Fremde in der Nacht von der anderen Seite des Mondes stammen könnte und zweitens die Außerirdischen/ Mondbewohner unter uns Menschen leben. Mit einem erkennbaren ironischen Unterton lässt der Autor nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch den Leser mit einigen Fragen zurück. Während „Der Mann im Mond“ ja eine bekannte Phrase nutzt, geht in einer der unterhaltsamsten Geschichten dieser ganzen Ausgabe die Autorin Katharina Käding noch einen Schritt weiter. „Lalelu“ nimmt das bekannt Kinderlied als Ausgangspunkt und zeigt auf, wie schwer die Aufgabe des Mannes im Mond wirklich ist. Neben dem Werfen von Sternschnuppen muss er sich mit einer Reihe von Vorurteilen auseinandersetzen. Auch in „Mondkind“ spielt ein bekanntes Kinderlied eine den roten Faden bildende Rolle, wobei Tim Piepenburg zu wenig das Gerüst des Liedes zu originellen Exkursen nutzt.
Tiere in jeglicher Form stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Mond. Peter Müller zeichnet in „Von drogensüchtigen Hasen und anderen Katastrophen“ ein surrealistisches Bild des Mondes, das sich nicht nur in Kinderliedern positiv verfremdet widerspiegelt, sondern dank der interessanten anfänglichen Beschreibungen zu den am meisten bizarren Arbeiten dieser Sammlung gehört. Was wäre ein Mond ohne Werwölfe? Jürgen Otto versorgt in „Report Sigma 12/83“ den Leser mit einem ungewöhnlichen Blick auf ein gewöhnliches Pärchen, das sich natürlich in Vollmondnächten in bekannter Manier verwandelt. Hinzu kommt „Kowalski ewiger Mai“ aus der Feder Jürgen Pfuhls. In dieser in Wanne Eickel spielenden Geschichte ist der Mond eine besondere Art von Kneipe/ Disco, wobei die Atmosphäre stimmiger ist als der eigentliche Plot der ganzen Geschichte. Oder eine der wenigen in einer eher unbestimmten Zeit spielenden Storys von Martin Wambsganß. „Wolfsmond“ kann aber wie Karla Weigands „Kein Wunder in Saint- Lambard“ inhaltlich keine neuen Akzente setzen. Die Idee der bösen Seite des Mondes scheint einige der Autoren auch einzuschränken und so reihen sich einige inhaltlich vergleichbare, wenn auch unterschiedliche geschriebene Miniaturen aneinander, während zu wenige der zwanzig Schriftsteller wirklich experimentell und provokativ die Grenzen zu durchbrechen suchen. Ihre zweite Geschichte in dieser Sammlung „Madame Luna“ ist besser strukturiert und holt auch weiter aus, um schließlich zu einem fatalistischen Ende zu führen. Die historischen Bezüge, das weite Spektrum und schließlich das Ende passen harmonischer als bei anderen Texten zusammen.
Monika Niehaus ist einer der wenigen Autoren, die den Mond im Grunde ignorierten. Andere haben ihn mit Mühsal in ihre Miniaturen eingebaut. Bei ihr finden sich die bösen Monde in Form von Würfeln in der Geschichte wieder. Es ist wieder eine Anekdote, die in einer bekannten Kneipe am Rande des Universums spielt mit Willi dieses Mal als „Willi ist ein Ehrenmann“, der Spielschulden respektiert. Diesem Text fehlt die Originalität einiger anderer Arbeiten und der Plot wirkt auch ausgesprochen bemüht. Trotzdem kehrt man gerne in dieses seltsame Gasthaus mit seinen fremden, aber warmherzigen Gästen auf ein Freibier ein.
Die ökologische Katastrophe muss in „Die grüne Seite des Mondes“ von Friedhelm Schneidewind begradigt werden. Der Mond ist inzwischen von den Energiekonzernen besiedelt und dient der billigen Energieproduktion außerhalb jeglicher Energiewendegesetze. Auch „Das Coutard- Syndrom“ von Ansgar Schwarzkopf zeigt die grenzenlosen Gefahren irrsinnigen Fortschritts im Rahmen von knappen Budgets und schlecht geplanten Zeitplänen.
Rainer Schorms „Down under“ reiht sich ebenfalls in diese Reihe von futuristischen Geschichten ein, in denen der Mond neue, natürlich dunkle Aufgaben erhalten hat. Allerdings verbirgt er seine bekannte Pointe zu wenig unter dem Handlungsverlauf, so dass der Abschlusssatz im Grunde überflüssig ist. Mit „Angriff der Moonriver Algen“ von Ansgar Schwarzkopf wird ebenfalls eine alte Idee allerdings durch den Ablauf des Plots zu neuem Leben erweckt und unterhält bis zum konsequenterweise nicht nur bei diesem Text bitterbösen Ende.
Maria Schwab setzt in ihrer Politiksatire „der rote Knopf“ sogar über weite Strecken einen drauf. Das Portrait der naiven Kanzlerin ist interessant zu lesen. Während Friedhelm Schneidewind sein Ende offen lässt, verbiegt sich Maria Schwab und präsentiert eine Pointe, die den anfänglich so doppeldeutig zynischen Unterton ihrer gut geschriebenen Dialoge leider negiert. Ein Autor namens „Der Stadtnarr“ überspannt in „Herzlichen Glückwunsch!“ ebenfalls den Bogen. Ein solider, surrealistisch überdrehter Auftakt endet schließlich in einer Pointe, die in dieser Form weder zu erwarten gewesen ist noch entspricht sie der zugrunde liegenden Erzählform.
In Monika Niehaus zweiter Geschichte „Der Fall Häwelmann“ arbeitet das noch deutlich kürzerer Format - sie ist nur eine Seite lang – schließlich gegen die Pointe.
„Mondfischer“ von Tim Piepenburg ist eine der poetisch romantischen Geschichte, in denen es in erster Linie um Stimmungen und weniger um den Plot geht. Vielleicht funktioniert sie deswegen so gut und hebt sich aus der Masse der zu stark auf eine möglichst an einen Paukenschlag erinnernde Pointe getriebenen Texten heraus.
Natürlich kann eine derartige Sammlung nur mit einer Hommage an den großen französischen Filmemacher Georges Melies enden. Peter Müller nennt in seinem langen Titel „Hommage an Georges Miies oder Was für eine Reise!“ gleich, worum es im Kern geht. Nur das der Mond das letzte Wort oder zumindest die letzte Kehrseite hat.
Der dritte Band der phantastischen Miniaturen ist eher eine durchschnittliche Ausgabe. Nur wenige wirklich überzeugende Texte, bei denen Inhalt und Pointe provokativ in überraschende Richtungen gehen. Viele der bekannten Themen werden von den insgesamt zwanzig Autoren immerhin kurzweilig zu lesen ausgelotet, wobei einige offensichtlich sich bemüht haben, irgendwo und irgendwie die Idee der „Bösen Seite des Mondes“ zu platzieren.
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Broschür, 64 Seiten