Kara Ben Nemsi- Neue Abenteuer: Der Fluch des Schut

Georgy Hymer

Im dritten Band der neuen Abenteuer "Kara Ben Nemsis"  von Hymer Georgy zieht der Autor nach dem Expose G.G. Grandts das Tempo nicht nur deutlich an, er zeigt die ambivalenten politischen Interesse des Schut genauso auf wie die brenzlige Lage in Nordafrika mit den unterschiedlichen Interessen der einzelnen Kolonialmächte, sowie einem expansiver agierenden deutschen Reich. Diese politische Komponente ist ein sehr interessanter, modern erscheinender Aspekt der neuen Geschichten um Kara Ben Nemsi.  Karl May hat sich in dieser Hinsicht deutlich bedeckter gehalten. Natürlich ist Kara Ben Nemsi immer wieder mit den korrupten langen Schatten der einzelnen regionalen Herrscher konfrontiert worden. Ein Freibrief hat ihn nicht selten aus mißlichen und teuren Lagen gerettet. Aber Grandt und Georgy zeigen auf, wie weit der Schatten sowohl Frankreichs als auch Großbritanniens reicht. Mit der Tötung einer Delegation deutscher Diplomaten und der Entführung eines preußischen Offiziers - er trägt den Geburtsnamen Lex Barkers. Alexander von Kirschlow - wie er in den Büchern heisst- ist dabei eine interessante Figur. Georgy schenkt ihm einige Szenen des Ruhm. Die Diskussion zwischen Sir David Lindsey und von Kirschlow mit Kara Ben Nemsi als Zeugen und dem Krüger Bei als regionalem Vertreter schenkt vor allem der Comicfigur des reichen Engländers ein wenig mehr intellektuelle Tiefe. Georgy hat weder den Raum noch die Zeit, um in die Tiefe zu gehen, aber die fragilen Beziehungen zeichnen vor allem den politisch realistischen Hintergrund des Romans sehr zufriedenstellend aus.

 Darüber hinaus bietet Georgy eine Reihe von sehr unterschiedlichen Actionszenen an. Wie in seinem ersten "Kara Ben Nemsi" Romane - dem zweiten dieses Sechsteilers - wechselt der Autor zwischen der Ich- Erzählerperspektive Kara Ben Nemsis und anderen, ausschließlich in der dritten Person erzählten Passagen hin und her. Dadurch wird das Spektrum breiter, zumal der Leser nicht nur die verzweifelte Flucht von Kirschlows bis zu ihrem bitteren Ende verfolgen kann, sondern auch die Pläne des Schut auf Augenhöhe erkennt, der sich - wie einige Schurken in Karl Mays ureigenem Werk - mehr und mehr von der persönlichen Rache an Kara Ben Nemsi treiben lässt. Dadurch geraten seine hinterhältigen Pläne ins Hintertreffen. Es ist schwierig, einen derartig charismatischen Schurken mit weitreichenden Verbindungen bis zu einem geheimnisvollen Orden, einer der zahllosen Brüderschaften, die gerne mal als Antagonisten herhalten müssen, für alle Seiten zufriedenstellend zu beschreiben. Bei Karl May hat der Schut wie ein klassischer Strippenzieher lange Zeit im Hintergrund agiert und seine Untergebenen arbeiten/ sterben lassen. In den neuen Abenteuern schwingt er sich nicht selten selbst aufs Pferd und verfolgt wie zu Beginn des Buches Kara Ben Nemsi. Diese aus dem zweiten Roman übernommene Verfolgungsszene endet schließlich in einer perfiden wie perfekten Falle, aus der sich die Helden aber ein wenig zu stark konstruiert und nicht wirklich überzeugend befreien können. 

 Nach diesem spannenden und rasanten Auftakt agiert Hymer Georgy deutlich differenzierter.  Er splittert die Handlung wieder auf. Auf der einen Seite den Schut und seine attraktive Geliebte/ Helferin, die einen politisch britsanten Plan vorantreiben. Dabei setzt der Schut sogar einen Teil seines umfangreichen, erbeuteten Reichtums ein. Der Autor impliziert, dass mit dem Attentat auf die deutschen Botschaftsangehörigen inklusiv der sie schützenden Soldaten und der Entführung von Kirschlows diese Gegend destabilisiert werden soll. Leider weicht der Schut dann aus egoistischen Gründen von diesem Plan ab. In einem Punkt gleichen Grandt und Georgy eine große Schwäche des originalen Sechsteilers aus. Der Schut hat vorerst kein Interesse, Kara Ben Nemsi schnell zu töten. Entweder genießt er seine Rache kalt oder wie der verzweifelten Suche nach dem befreiten Sohn Hadschi Halef Omars gibt es noch bislang ungenannte Gründe, den verhassten Deutschen am Leben zu lassen.Aber die hinsichtlich der politischen Pläne aufgezeigten und zufriedenstellend extrapolierten Ansätze von Fußnoten begleitet inklusive der fragilen Strukturen in dieser Region sind sehr gut zu lesen und verleihen dem Plot ein Gewicht, das über eine normale Hommage an Karl May hinausgeht.  

 So verstecken sie Hadschi Halefs Sohn bei einem jüdischen Arzt. Nicht nur, weil die Schergen des Schut dort nicht suchen, sondern weil Kara Ben Nemsi hofft, dass sich über die Kinder die unterschiedlichen Kulturen wieder aufeinander zu bewegen. An einer anderen Stelle können die Helden als Juden verkleidet aus der vom Schut beobachteten Stadt fliehen. Einen Augenblick hofft Kara Ben Nemsi, dass seinen Helfern nichts passiert. Zwischen den Zeilen zeigt der Autor auf, dass die unterschiedlichen Religionen im 19. Jahrhundert durchaus friedlich nebeneinander natürlich mit entsprechenden Vorurteilen dort leben konnten.  Wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, dann weniger wegen des Glaubens, sondern alle um schnell reich zu werden oder Macht zu erlangen. Die geheimnisvolle Bruderschaft wird eher ambivalent beschrieben. Der Schut hat ein schwieriges Verhältnis zu ihnen. Der Autor macht nicht den Fehler, sie als rein willige Helfer des Verbrechers zu beschreiben. Sie lassen sich gut für ihre Dienste bezahlen, sind sich aber auch immer ihrer Präsenz in einem labilen Gefüge bewusst. Sie wollen nicht zu sehr auffallen. In dieser Hinsicht wirken sie weniger als Begleiter, denn als potentielle Gegner des sehr fleißigen Schut.

 Zu den Actionszenen. Sie bilden das Gerüst dieser ganzen Reihe. Wie schon in den ersten Büchern sind sie deutlich ausgeprägter als bei Karl May, der das Sterben zwar als notwendig gesehen hat, aber bei den Beschreibungen sich distanziert und auch verklausuliert verhalten hat. Grandt und Georgy gehen deutlich mehr ins Detail, ohne sadistisch zu übertreiben. Neben den verschiedenen sadistischen Exzessen sind die Kämpfe deutlich realistischer, wobei Kara Ben Nemsi und seinen Leuten ja stellenweise das Glück zur Seite steht. Aber im direkten Vergleich zu den Vorlagen gelingt ihnen auch nicht alles, wie die zweite tollkühne Befreiung zeigt. Deckungsgleich wie bei einer anderen nur im Nahen Osten möglichen Gefangenenbefreiung folgt der Autor den selbstgesetzten Korsettstangen, bevor er den Plot auf den Kopf stellt und nicht alles als perfekt darstellt.

 Das Ende wirkt ein wenig zu theatralisch und zu überambitioniert. Natürlich will der Autor Stimmung machen und das fatalistische Ende soll das Interesse am Weiterlesen wecken. Kara Ben Nemsis Situation ist deutlich schwieriger geworden als am Ende des zweiten Bandes, im direkten Vergleich mit dem Showdown des Auftaktbuchs ist es vielleicht noch ein wenig leichter.

 Zusammengefasst liest sich „Der Fluch des Schut“ –  wie bei allen bisherigen Ausgaben fügen sich Inhalt und Titel des Buches nicht „natürlich“ zusammen – deutlich flüssiger, weniger bemüht, sondern aus dem Herzen eher geschrieben und nicht mehr so ambitioniert. Bei den Figuren muss der Autor wieder ein wenig übertrieben, selbstironisch den Bogen zwischen Alter Ego Kara Ben Nemsi und Karl May schlagen. Dieses Mal in Form einer Autogrammkarte für die Gattin des später entführten Offiziers. Es ist schade, dass die Autoren der Neuinterpretationen diese Idee immer wieder betonen. Sowohl in der Parallelreihe mit den neuen Abenteuern „Old Shatterhands“ als auch den Abenteuern Kapitän Nemos – hier mutiert Jules Verne zu einem seiner Protagonisten aus „20.000 Meilen unter den Meeren – wird diese Verbindung angesprochen, wobei sie insbesondere bei Jules Verne ihr Ziel deutlich verfehlt.

Über die ersten drei Bände schauend gewinnen die neuen Abenteuer Kara Ben Nemsis aber spätestens mit dem vorliegenden dritten Band deutlich an Format, sie weichen effektiv von der Karl May Grundlinie ab und entwickeln sich insbesondere mit den wechslenden Fronten und dem implizierten politischen Hintergrund zufriedenstellend weiter.

www.blitz-verlag.de

Paperback, 160 Seiten

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