Quantum

David Walton

Mit „Quantum“ -  es gibt zumindest eine Fortsetzung – debütiert David Walton nicht nur beim Heyne Verlag, sondern auch in Deutschland. Der 1975 geborene David Walton ist für seinen Roman „Terminal Mond“ im Jahre 2008 mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet worden.  In den folgenden Jahren verfasste er den Doppelroman „Quintessence“ und „Quintessence Sky“ . 2015 folgte der jetzt auf deutsch vorliegende „Quantum“ und im gleichen Jahr auch die Fortsetzung „Supersymmetry“. Die Fernsehrechte verkaufte David Walton ebenfalls 2015.  Es ist aber nicht der erste Roman, der einen potentiell perfekten Mord mit der Quantenphysik in Verbindung bringt. „Spin State“   - ebenfalls im Heyne Verlag als „Lichtspur“ veröffentlicht -  aus der Feder Chris Moriarty stammend ist in dieser Hinsicht ein über weite Strecken - allerdings in weiterer Zukunft spielend  - zufriedenstellender Versuch, diese subjektiven Widersprüche miteinander zu verbinden.

„Quantum“ wäre eine perfekte Mischung aus einem erstklassigen, sogar mit einem Überraschungseffekt ausgestatteten Gerichtsthriller sowie einer Einführung in die Quantum Physik, wenn David Waltons sich bis zum Ende seines Plots sicher gewesen ist. An einer Stelle spricht die Richterin davon, dass diese praktische Auslegung der Quantum Physik im Grunde das bestehende Rechtssystem und jegliche Auffassung von Täter zusammenbrechen lassen könnte. Hätte der Autor diese These bis zum bitteren Ende durchgezogen, dann wäre „Quantum“ einer der besten Romane der letzten Jahre gewesen. Originell, verstörend, spannend, dynamisch und vor allem auf der wissenschaftlichen Ebene durch die aktive Nutzung von exemplarischen Beispielen irritierend plausibel. Aber Walton hat es nicht gereicht. So führt er mit den ominösen „Außerirdischen“, die durch die „Spaltung“ der Quanten quasi erweckt worden sind, eine genauso unbestimmte und am Ende des vorliegenden Romans auch eher  unaufgeklärte Bedrohung ein. Hinzu kommt, dass das anscheinend perfekte und doch unmögliche Verbrechen von einer dritten, lange Zeit nicht erkennbaren Richtung verübt worden ist. Dabei spielen nicht unbedingt niedere Motive eine wichtige Rolle, aber das Aufbrechen des Plots mit der Entziehung der Strafgesetzbarkeit wirkt zu stark konstruiert als das es wirklich nachhaltig überzeugend ist. Der grundlegende Plot bietet so viel Potential, dass ein vielleicht ambitionierter agierender Autor einen provokanten Thriller mit sehr guten wissenschaftlichen Grundlagen aus der Prämisse gemacht hätte.  

Der ich- Erzähler Jacob Kelly ist Quantum Physiker.  Er hat mehrere Kinder und ein glückliches Familienleben. Das Chaos bricht aus, als eines Abends ein Kollege buchstäblich hineinschneit, von seiner seltsamen Erfindung berichtet; Außerirdische in einer Art Paralleluniversum getrennt von den Menschen durch eine hauchdünne Membran beschreibt und schließlich mit einer Pistole auf Kelly und seine Frau zielt. Er behauptet, dessen Frau nicht erschießen zu können. Als Kelly die Polizei holt, flieht er.  Kurze Zeit später findet man den Kollegen tief unter der Erde in dem Bunker erschossen auf, der extra für deren Experimente gebaut worden ist. Der Zeitpunkt des Todes stimmt mit dessen Besuch bei den Kellys überein. Alle Beweise deuten auf Kelly als Mörder.  Seine Hände haben Schmauchspuren, an seinen Füßen klebt das Blut des Opfers. Die Polizei verhaftet Kelly, der standhaft behauptet, sowohl den toten Kollegen im Bunker aufgefunden, aber nicht ermordet zu haben. Zusätzlich haben sein Schwager und er den Ermordeten am nächsten Morgen lebendig in seinem Auto gesehen. Kelly wird trotzdem verhaftet und unter Mordanklage gestellt.

Zusammen mit seinem allerdings sehr engagierten Verteidiger muss Kelly beweisen, dass er nicht der Täter gewesen sein kann.  Einen großen Teil des Romans immer in direkter Kombination mit entsprechenden Rückblenden nimmt der Prozessverlauf ein.  

Die Gerichtspassagen sind eindringlich beschrieben. Walton folgt zwar den cineastischen Mustern inklusiv des entsprechenden Überraschungseffekts, der allerdings an der resoluten Richterin abprallt.  Staatsanwalt geht den für ihn aufgeklärten Fall mit der klassischen Präzision eines Uhrwerks an. Eine Aneinanderreihung von Beweisen. Widerspruch ist zwecklos. Die Verteidigung geht einen anderen Weg, in dem sie zuerst den Geschworenen stellvertretend natürlich für den Leser die Grundzüge der Quantenphysik erklärt.  Walton hält sich dabei wie beim Experiment mit Schrödinger´s Katze so weit  wie möglich an die Fakten. Erst die Extrapolation der Konsequenzen eröffnet das Tor zu der leider in zwei Richtungen -  das Entstehen von Doppelungen und die Idee der Außerirdischen – verlaufenden Handlung. Die unheimlichen Wesen aus einer anderen Quantentechnischen Dimension sind ohne Frage auch furchteinflößend und bedrohlich.  Ihre Handlungsweise ist allerdings nicht gänzlich zufriedenstellend fremdartig und mit dem Verschwinden der ganzen Familie wird einer möglichen Verschwörung auch zu leicht das Tor geöffnet. Viel faszinierend sind die Idee der Doppelungen und die Ausbildung neuer Persönlichkeiten, die irgendwann wieder zusammengefasst werden könnte. Das liegt vor allem daran, weil Walton dem Leser ein anfänglich fast williges Opfer präsentiert. Damit der Plot so gut funktionieren kann, muss der Leser sich nicht nur mit Kelly identifizieren, er muss zumindest instinktiv ihm einen Schritt voraus sein. Es gibt mehrere Szenen, in denen der Leser förmlich den Protagonisten bremsen möchte und ihm trotzdem fasziniert wie verstört folgt.  Dabei bleibt Kelly immer nur die Möglichkeit, auf das Geschehen zu reagieren. Ganz bewusst bleibt er trotz zweier atmosphärisch bizarrer Actionszenen vor allem ein Wissenschaftler, der verzweifelt mit seinem Verstand nach einer pragmatischen Lösung ohne Action oder Aufhebens sucht. Um Kelly herum hat der Autor zwar mit dem interessanten Anwalt, der einzigen überlebenden Tochter oder dem durchgeknallten Ex Kollegen eine Reihe von interessanten, aber auch teilweise sehr oberflächlichen Charakteren platziert, deren Handlungen nicht immer konsequent genug erscheinen. Aus der Masse der Figuren ragt wie eingangs erwähnt der Ex Kollege mit seinem exzentrischen Vorgehen, seinen zahllosen Liebschaften und der buchstäblichen Sucht nach Anerkennung heraus. 

Die Kriminalhandlung funktioniert positiv gesprochen nur unter der Ergänzung durch die Quantenphysik. Ansonsten wäre der „Mord“ wie er sich im Gerichtssaal darstellt, nicht möglich gewesen. Walton muss aber gegen Ende des Plots Angst vor der eigenen Courage gehabt haben, denn er hat am Ende einige Regeln des Thrillers verletzt. So kommt die „Aufklärung“ unabhängig vom Täter aus einer Ecke, welcher der Leser nicht literarisch gesprochen einsehen konnte. Dadurch fühlt er sich unbewusst auf der Schulbank nach hinten versetzt. Das grundlegende Motiv wird deutlich klarer, viele der Folgen basieren eher auf Zufällen und die abschließende Erklärung wirkt allerdings sehr stark konstruiert. Es gibt ausreichend Verdächtige und der Leser hätte sich vielleicht sogar abschließend gewünscht, wenn die Quantenphysik nicht nur als Mittel zum Zweck missbraucht worden wäre, sondern vor allem effektiver in einen mystischen Plot eingebaut worden wäre. So erscheinen nur die Folgen.

In erster Linie hat der Autor aber einen kurzweilig zu lesenden, von einem hohen Tempo und gut geschriebenen Dialogen geprägten Science Thriller verfasst, dessen Science Fiction Elemente eher aufgesetzt erscheinen, während vor allem die wissenschaftlichen Ideen effektiv und bis zum Ende zielgerichtet eingesetzt für einen überdurchschnittlichen Roman mehr als ausgereicht hätten.  Die unbegrenzten, aber bislang eher theoretischen Möglichkeiten der Quantenphysik bereichern den Plot und rücken das Buch in die Nähe von Rudy Ruckers mathematischen Rätselromanen, in denen auf eine unterhaltsame Art und Weise eine ansonsten schwer verständlich zu machende Wissenschaft sehr bildlich erläutert wird.        

 

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317637
  • ISBN-13: 978-3453317635
  • Originaltitel: Superposition