David Goodis dürfte weiterhin zu den am meisten unterschätzten Krimiautoren der in erster Linie in den fünfziger Jahren veröffentlichten Detektiv – und Kriminalromane gehören. Dabei hat sich sein erster Roman mehr als eine Millionen Mal verkauft und damit die bekanntere Pulpkonkurrenz von Hammett und Chandler in den Schatten gestellt. Viele seiner Romane wie „Schießen sie auf den Pianisten“ oder „Dark Passage“ sind verfilmt worden. In den achtziger Jahre adaptierte Sam Fuller mit „Straße ohne Wiederkehr“ mit David Carradine noch einmal einen seiner Texte.
Wie Hammett ist Goodis ein Leben lang – er stark kurz nach einem Überfall auf der Straße mit noch nicht einmal fünfzig Jahre, wobei sich diese beklemmende Szene im vorliegenden Roman nihilistisch vorausschauend wieder findet – Alkoholiker gewesen. Hat nachts in den Kneipen getrunken, über die er tagsüber geschrieben hat. Seine Bücher sind voller gebrochener Charaktere, wobei die zugrunde liegenden Kriminalhandlungen unwichtig sind.
Insbesondere in seinem letzten, nach über fünfzig Jahren zum ersten Mal ungekürzt veröffentlichten Buch „The Wounded and the Slain“ dient das eine „Verbrechen“ – James Bevan tötet in den Gossen Jamaikas einen Mann, der ihn ausrauben will – als eine Spirale von Schuld und Sühne, wobei interessanterweise der männliche Hauptdarsteller in seiner Tat eine Art Befreiung sieht.
Den einfachsten Weg, sich aus seinem feigen Leben zu stehlen. James und Cora Bevan versuchen mit einem Urlaub auf Jamaika wieder zu sich zu finden. James ist ein hoffnungsloser Alkoholiker, der aggressiv werden kann und Cora ist frigide und hat Angst davor, mit ihrem Mann zu schlafen. Aus dieser offensichtlich Lieblosigkeit – auch ein Aspekt, mit dem Goodis erstaunlich gut spielt – heraus haben sich die beiden entfremdet. Während David Goodis James in den Mittelpunkt der Handlung stellt, ist Cora die interessantere Figur. Sie lernt im Hotel einen Mann mit großen Händen kennen, der sich anfänglich etwas um sie kümmert, weil er Mitleid mit ihr und ihrem betrunkenen Mann hat.
Erst am Ende wird Goodis den Zusammenhang zwischen einem Mann mit großen Händen und Coras Heranwachsen aufdecken. Wer zwischen den Zeilen liest, ahnt im Vergleich zu ihrem Mann, das es in dem behüteten, wohlhabenden Elternhaus ein dunkles Geheimnis gegeben hat. Unglaublich pointiert beschreibt Goodis die Mischung aus Abneigung und faszinierender Anziehungskraft, welche der Handelsvertreter auf die attraktive, aber schüchterne Frau ausübt. James Bevan dagegen ist weniger bemitleidenswert. Er hat jahrelang eine Affäre mit einer Prostituierten, welche er quasi für sich alleine gemietet hat. Als die Beziehung durch einen Zufall auffällt, bricht er sie plötzlich ab. Monate später erfährt er während eines Rückfalls, das die Frau kurze Zeit später aus gebrochenem Herzen dem Alkohol verfallen und sich wahrscheinlich vor einen Lastwagen geworfen hat.
Beschämt kann er das Leben nur noch betrunken ertragen. Dabei wird er gegenüber seiner Frau aggressiv. Als er erkennt, das sich ein anderer Mann für sie interessiert, flieht er in die das Hotel umgebenden Slums, wo es zur schicksalhaften Begegnung kommt. Wie schon angesprochen ist James Bevan im Grunde seines Herzens ein Feigling. Er hält an der Frau fest, die er irgendwie liebt, verehrt und geheiratet hat. Auf der anderen Seite sucht er die Selbstzerstörung. Diese Spirale dreht Goodis mit fast sadistischem Vergnügen bis zum Anschlag.
Anfänglich ist sich James Bevan nicht bewusst, das er sich selbst zerstören will. Er findet keine Brücke mehr zu seiner Frau, die sich zumindest bemüht, ihr eigenes vor der Welt verheimlichtes Trauma zu überwinden. Ob es der Ehe geholfen hätte, wenn James Bevan von ihrer Vergangenheit gewusst hätte, steht auf einem anderen Blatt. Nach dem Überfall und seiner Tat fühlt sich Bevan erst einmal wie befreit. Interessanterweise sucht er Kontakt zu der Kneipenbesitzerin, vor deren Tür quasi der Überfall stattgefunden hat. Goodis etabliert sie als Lebens erfahrene Frau, die verzweifelt um ihre Existenz kämpft. Bevan fühlt sich eher als Verbrecher, als Mörder denn als jemand, der aus Selbstschutz gehandelt hat.
Als er allerdings erfährt, wen die Polizei verhaften möchte, rafft er sich auf und stellt sich selbst. Goodis traut aber selbst in dieser elementaren Situation seinem gebrochenen Charakter nicht viel zu. Während James Bevan auf die Erpressung durch einen potentiellen Zeugen phlegmatisch reagiert und ohne mit der Wimper zu zucken, die meisten ihrer gemeinsamen Ersparnisse übergibt, versucht er sich bei der Polizei als brutalen Mörder darzustellen, der aus Lust am Blutvergießen agiert hat.
Das er dabei seine Aussage negiert und sich in eine Ecke manövriert, aus der ihn selbst die Polizei nicht befreien will, rundet die Figur des Opportunisten und Egoisten sehr gut ab. Während der Befragung durch die Polizei erreicht die Negativspirale im Grunde ihren Höhepunkt. James Bevan ist in seiner persönlichen Hölle angekommen. Seine langjährige Freundin hat sich seinetwegen vor einen Lastwagen geworfen, seinen Beruf als Investmentberater kann er ihm Grunde aufgrund seines Alkoholkonsums nicht mehr ausüben, seine Frau hat einen neuen Freund und das Verbrechen, das er begangen hat, will ihm die Polizei nicht glauben.
Insbesondere für die fünfziger Jahre ist „The Wounded and the Slain“ bis zu diesem Augenblick ein nihilistischer, ein dunkler und brutaler Roman, der neben dem Wohlstandsverfall auch die sozialen Gefälle in den Urlaubsparadiesen mit einfachen, aber drastischen sprachlichen Bildern beschreibt. Bilder, welche dem Leser vielleicht länger im Gedächtnis bleiben, als er es selbst vermutet. Insbesondere die Exzesse des Sextourismus werden von dem Autoren nüchtern, detailliert, aber nicht zu exzessiv für die Zeit beschrieben.
Aber Goodis will seinen Roman im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten nicht auf einer ausschließlich nihilistischen Note beenden. James Bevan sucht den Erpresser auf, der über die Beweise verfügt, mit denen er einen Unschuldigen vor dem Galgen und sich gleichzeitig ab diesem Moment in einem realistischen Maße belasten kann. Gleichzeitig will Cora trotz ihrer Ängste ihrem Mann helfen und gerät in eine Situation, die sie schon einmal durchlebt hat. Das Ende ist abrupt, zu hektisch, zu fragmentarisch. Goodis hat während des aus einigen sehr lebhaften beschriebenen, aus der Perspektive der Schuld erzählten Rückblenden sich stets als nüchterner Beobachter, aber nicht als schriftstellerischer Manipulator erwiesen.
Hier versucht er seine im Grunde verlorenen Figuren zu retten und scheitert an zahlreichen Kompromissen. Es ist schade, das er die Selbstzerstörung James Bevans nicht bis zum Ende durch zelebriert hat, um seine Leser vor den Folgen von Selbstüberschätzung und Alkohol zu warnen. Es ist schade, das anscheinend auch Cora aus der gefährlichen Situation noch einmal gerettet werden kann und das es vielleicht Hoffnung für diese beiden inzwischen geläuterten Menschen geben könnte. Hoffnung ist immer eine starke Triebfeder, aber Goodis hat ihnen in der ersten dynamischen und packenden Hälfte alle Hoffnung genommen, als das er sie ihnen jetzt mittels einer Kehrtwendung wieder geben kann.
Trotz des schwächeren Ende steht „The Wounded and the Slain“ für die Geschichten, die Goodis auszeichnen. Es sind dunkle, am Rand der Gesellschaft - auch wenn die Protagonisten stellvertretend für die Leser nicht selten auf Augenhöhe erst eindringen – spielende Geschichten, die insbesondere in den fünfziger Jahre schockiert und provoziert haben müssen. Wie es sich für Film Noir Krimis gehört, sind es oft „normale“ Menschen, die plötzlich mit den Auswirkungen von Verbrechen inklusiv der perfiden Faszination, eine Grenze überschritten zu haben, konfrontiert werden. Das Abgestoßen und Angezogen zu gleich sein hat Goodis in zahlreichen, seiner empfehlenswerten Arbeiten einzigartig zynisch herausgearbeitet.
Der vorliegende Roman unterstreicht aber auch seine Weiterentwicklung als Autor. Er kümmert sich nicht um literarische Gerüste. Er durchbricht absichtlich Strukturen. Wechselt teilweise innerhalb der Rückblenden die Perspektiven. Das kann auf der einen Seite als die Schlampigkeit eines Alkoholikers abgestempelt werden. Es ergibt sich aber aus diesen unterschiedlichen Facetten ein derartig komplexes Bild, das es zumindest im vorliegenden Roman kein Zufall gewesen sein kann. Dazu sind die Charakter relevanten Passagen zu sorgfältig herausgearbeitet und fließen als Ganzes betrachtet zu harmonisch in diese Geschichten von gebrochenen Figuren zwischen Katharsis und Verdammnis ein.
THE WOUNDED AND THE SLAIN
David Goodis
May 2007
ISBN: 978-0857683755
Cover art by Glen Orbik