Mars

Ben Bova

Mit “Mars” legt der Heyne Verlag nach Kim Stanley Robinsons “Mars” Trilogie einen weiteren Science Fiction Titel aus den neunziger Jahren wieder auf, in dessen Mittelpunkt eine ausgehend von den technologischen Grundlagen realistisch extrapolierte Expedition zum roten Planeten beschrieben wird.  Alleine die Kooperation von Brian W. Aldiss und Roger Penrose mit dem schönen Titel „Weisser Mars“  fehlt noch bei den Nachdrucken.

Der Roman ist ursprünglich 1993 veröffentlicht worden. Inzwischen hat Ben Bova das Buch in seine mehr als zwanzig Romane umfassende „Grand Tour“ Serie eingebaut, in der es ihm in erster Linie um die Erforschung und im zweiten Schritt um die Besiedelung des Sonnensystems geht. Bei den meisten Romanen steht ein Planet oder ein Mond im Mittelpunkt des Interesses. Auch wenn die einzelnen Bücher nicht über ihre Protagonisten – die Ausnahme stellen zwei der inzwischen drei „Mars“ Romane dar – miteinander verbunden worden sind, ergeben sich aufgrund des historischen Hintergrunds ein durchgängiges Panorama, dessen Effektivität allerdings durch die stark unterschiedliche Qualität der einzelnen Arbeiten unterminiert wird.  Ausgangspunkt der ganzen Serie ist der erst 2005 veröffentlichte Roman „Powersat“, in dem die meisten technologischen Grundlagen für die Erforschung des Sonnensystems festgelegt worden sind. „Mars“ ist je nach Perspektive aus der Sicht der Fans/ Leser oder des Autoren entweder der zweite oder dritte Band der Reihe.

Während die wissenschaftlichen Hintergründe immer noch aktuell sind, zeigt sich vor allem aus einem Abstand von mehr als zwanzig Jahren seit der Erstveröffentlichung überdeutlich eine Schwäche, die sich wie ein roter Faden durch das Werk des Amerikaners zieht. Ben Bova kann keine Protagonisten dreidimensional und vor allem überzeugend erschaffen. Im Mittelpunkt des Romans steht mit  Jamie Waterson ein Halbindianer. Seit vielen Jahren gilt er inzwischen als eine der führenden Geologiker. Eher durch einen Zufall wird er für die Mission zum Mars berufen.  So interessant die Idee eines Indianers ausgerechnet auch auf dem roten Planeten sein mag, so wenig macht Ben Bova etwas aus dieser Prämisse. Jamie Waterson ist sich zu sehr dem Privileg bewusst, sich anscheinend gegen andere Ersatzbewerber durchgesetzt zu haben. Im Gegensatz zu seiner Umgebung ist er niemals der Rolle des roten Mannes entkommen und sucht überall nach Rassisten und Neidern. Selbst wenn es in der Isolation der Kapsel keine gibt.  Interessant wird es nach einem soliden Auftakt, wenn Jamie sich auf seine Intention verlässt und im Grand Canyon nach Spuren von Leben zu suchen beginnt. Nicht zum letzten Mal in der Serie ignoriert Ben Bova ohne Grund die über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entwickelten Expeditionspläne und lässt den immer dominanter werdenden Jamie Waterson die Kontrolle über die ganze Mission übernehmen.  Der Gegenentwurf hätte der russische Astronaut an Bord des Raumschiffs sein können. In erster Linie unterscheiden ihn sein Akzent und seine despektierliche Haltung  dem reinen Kapitalismus gegenüber von seinen Kollegen. Natürlich versucht Ben Bova zwischenmenschliche Konflikte zu erschaffen, um die Handlung interessanter zu gestalten. Dabei greift er aber nicht nur auf die politischen Klischees zurück, wobei der amerikanische Ureinwohner sich eher wie ein Kapitalist als das Mitglied einer fast ausgerotteten Rasse verhält.   

Anstatt aber zumindest die Frauencharaktere weiter zu entwickeln und hier einen Kontrastpunkt zu setzen, greift Ben Bova auf die aus heutiger Sicht noch typischeren Klischees zurück als es vielleicht in den achtziger/ neunziger Jahren der Fall gewesen ist. Während die Frauen relativ schnell Beziehungen zu den anderen Astronauten eingehen, bleibt Ben Bova hinsichtlich der Wertung ambivalent. Er versucht eher durch die Hintertür die Idee des reinen Sex zu relativieren.  Wenn einer der Frauen an Bord nicht mit einem Russen schlafen will, weil dessen Volk ihre Großeltern vor mehr als fünfzig Jahren umgebracht hat, dann fragt sich der Leser unwillkürlich, wie sie es durch die psychologischen Eignungsprüfungen geschafft hat. Hinzu kommt, dass die Vorgesetzte  natürlich eine rücksichtslose Opportunistin ist, die keinem Mann in dieser Position nachsteht.  Oder das einer der Leiter der Expedition auf der Erde ausgerechnet seine Tochter an Bord des Raumschiffs zum roten Planeten geschickt hat. Ben Bova bemüht sich ohne Frage, die einzelnen Figuren voneinander abzuheben. Aber sowohl in den neunziger Jahren als auch der Gegenwart des 21. Jahrhunderts bewegt sich der Autor zu sehr am Rande des Klischees.

Die politischen Ideen wirken dagegen deutlich zeitloser. Da es sich um eine Art globaler Mission handelt, schicken die Amerikaner und Russen eifersüchtig abgezählt die gleiche Anzahl von Astronauten/ Kosmonauten zum roten Planeten. Der Quotenjapaner mit einem übernationalen Ego wirkt eher wie ein Artefakt aus einer Zeit, als die Amerikaner technologisch vor Japan und nicht wie jetzt vor China Angst hatten.  Da Jamie eine Freundin auf der Erde hat, die als Journalistin über die Möglichkeit verfügt, das Image der Expedition in der Öffentlichkeit zu manipulieren, baut Ben Bova einen weiteren Spannungsbogen in seinen umfangreichen Roman ein. Dieser politische Querverweis lenkt aber von der eigentlichen Stärke des Buches ab.

In erster Linie handelt es sich bei „Mars“ wie bei anderen Romanen der „Grand Tours“ Serie um Science Fact. Ben Bova ist einer der Autoren – vor allem in den neunziger Jahren, als die SF dem Cyberpunk eher huldigte -, der wissenschaftliche Fakten und vor allem technologische Entwicklungen in einfache, effektive Bilder fassen konnte. Aus heutiger Sicht ist angesichts der neuen Funde selbst die Idee nicht mehr Science Fiction, dass der Mars irgendwann einmal rudimentäre Formen von Leben hervorgebracht hat. Auch wenn Ben Bova mit seinem Raumvirus, der in einem wichtigen Abschnitt der Expedition fast alle Mitglieder schwer krank gemacht hat, diese positive Intention eines auf Fakten basierenden Romans wieder unterminiert.  Weil die Astronauten Ewigkeiten brauchen, um die eigentlichen Ursachen zu erkennen.  „Mars“ funktioniert aber unabhängig von dem frustrierenden, zu sehr auf eine Fortsetzung schielenden Ende wie mehrfach erwähnt auf der technischen Ebene sehr gut. Ben Bova nimmt sich sehr viel Zeit, die technischen Voraussetzungen zu erschaffen. Nicht nur für den Flug zum Mars, sondern vor allem für die Etablierung eines Basislagers, um den roten Planeten zu erforschen. Einige Leser werden diese detaillierten technischen Beschreibungen hassen und hoffen, dass Ben Bova irgendwann das Tempo des Plots anzieht und die Versprechungen des vor allem amerikanischen Titelbildes einlöst, aber diese Bodenbildung gehört zu den besten Abschnitten der ganzen Serie. Aus den neunziger Jahren kommend, als zumindest die NASA in der Theorie noch über eine bemannte Expedition zum roten Planeten nachdachte, nutzt Ben Bova sein technisches Wissen, um in dieser Hinsicht zu überzeugen. Er versucht den Eindruck dieser langsamen, minutiösen Planung und vor allem des zumindest den Astronauten endlos erscheinenden Flugs in einfache, für manche Leser vielleicht auch zu einfache Worte zu fassen.   Wie in „Der Marsianer“ lässt sich aber nicht alles planen. Dieser Mars ist ein unwirtlicher Planet, der seine Besucher nicht als Gäste empfängt, sondern sie stetig prüft. Die Technik – auf dem typischen NASA Stand, wie die Öffentlichkeit in den Jahren seit der Publikation des Buches erfahren musste – versagt und die meteorologischen Bedingungen sind teilweise ganz anders als erwartet.  Ben Bova beschwört in diesen Abschnitten abseits aller politischen Auseinandersetzungen den Pioniergeist der Männer und Frauen. Ein wenig pathetisch patriotisch amerikanisch unabhängig von ihrem Ursprung haben sie schließlich nur ein fast vergebliches Ziel, einem minimalen Planeten Mars ihren Stempel aufzudrücken.

Auch wenn „Mars“ politisch aus heutiger Sicht vielleicht naiv erscheint, zeigt Ben Bova unbewusst die Veränderungen, die vor allem in den USA seit dem 11. September und der immer stärker werdenden Propaganda stattgefunden haben. In dieser Hinsicht ist dieser realistische Science Fiction Roman auch eine Art Zeitkapsel. Leider vergisst Ben Bova einige rote Fäden im Verlaufe seines Romans und zielt schließlich zu sehr auf die „Return to Mars“ betitelte Fortsetzung. Zusätzlich sind vor allem seine Figuren zu plakativ, zu eindimensional, um gestern wie heute überzeugen zu können.  Aus dem langen positiven Schatten des Überraschungserfolges „Der Marsianer“ wird dieser Roman leider nicht (mehr) treten. Dazu ist auch Ben Bovas Stil zu technisch, zu distanziert und aus heutiger Sicht zu wenig emotional.       

  • Taschenbuch: 800 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317742
  • ISBN-13: 978-3453317741