Über weite Strecken kann sich der acht Kluftinger Roman mit den besten kriminaltechnischen Fällen der Serie messen. Insbesondere „Rauhnacht“ mit einer isolierten Gruppe von Menschen, die bis auf Langhammer und Kluftinger nicht nur alle Verdächtige sein können, haben die beiden Autoren den klassischen Stoff von Agatha Christie behutsam modernisiert. Auch “Grimmbart“ mit seinen Familienverbindungen könnte in dieser Tradition klassischer „Who done it“ vor allem mit einem mystischen Hintergrund stehen. Kluftinger erfüllt seinem Nachbarn Langhammer einen Gefallen und fährt zum Schloss in Bad Grönenbach, da der Besitzer sehr aufgeregt erschienen ist. Während des Gesprächs mit dem Baron – Grimmbart ist Teil des Familiennamens und vor allem wichtiger der Name des Dachses in verschiedenen Märchen – werden sie durch ein Geräusch mehr und minder zur Leiche der vorher verschwunden, inzwischen ermordeten Baronin geführt, welche der Mörder genauso hergerichtet hat wie auf einem der alten Familienportraits, von denen ausgerechnet das wertvollste Bild verschwunden ist. Die beiden Autoren sammeln in kürzester Zeit eine Reihe von Verdächtigen. Da wären die Verwalter des Grundstücks, da das Schloss inzwischen mehr von der Stadt als der verarmten Familie geführt wird. Es gibt eine Bandaufzeichnung, auf der sich die Baronin mit dem Verwalter streitet. Ein zwielichtiger Gast aus der Düsseldorfer Unterwelt macht ausgerechnet dieser Tage da Urlaub. Er will anscheinend einen Adelstitel erwerben und sich adoptieren lassen. Ein Apotheker, der nicht nur mit Kräutern handelt, sondern an den auf dem Schloss stattfinden Sexorgien teilnimmt, wurde von der Ermordeten Baronin erpresst und anscheinend gibt es einen Mann und eine Frau, die bei anderen Partnern in festen Händen sind. Immer wenn sie sich auf dem Schloss aufgehalten haben, sind die Videoaufzeichnungen gelöscht worden. Hinzu kommt, dass die Baronin mit einem sehr exotischen Gift getötet worden ist, das bislang – vom japanischen Kugelfisch -, das anscheinend einmal in einem Restaurant in einer Nachbargemeinde schon zu Vergiftungen geführt hat. Der Kriminalfall wird wie eingangs erwähnt stimmungsvoll und vor allem sehr effektiv aufgebaut. Neben den immer zahlreicher, aber mit ausreichenden Motiven ausgestatten Verdächtigen ist es das seltsame Verhalten des Barons, der zwar nur bedingt als Tatverdächtiger in Frage kommt, das Kluftinger und sein Team immer wieder irritiert. Die Autoren machen auch in der ersten Hälfte des Romans nicht den Fehler, das Feld zu sehr auseinanderzuziehen oder gar einzelne Personen aus dem Kreis der potentiellen Täter auszuschließen. Erst gegen Ende des Plots reduziert sich leider der Täterkreis entweder durch Vergessen – das Pärchen und die nicht mehr vorhandenen Videoaufzeichnungen werden zu schnell in den Hintergrund gedrückt – oder unnötig hektische Aktionen – der potentielle Adoptivsohn hätte mit ein wenig mehr Einfühlungsvermögen gar nicht so spektakulär und vor allem dumm fliehen müssen – zu schnell, so dass Kluftinger am Ende eher durch den Familienmakel – die Augen weisen einen deutlichen Gelbstich aufgrund eines rezessiven genetischen Defekts - auf den einzigen in Frage kommenden Täter kommt, der bis dahin aber in der laufenden Handlung erstaunlich passiv gewesen ist und keine direkte Verbindung zu Kluftingers Ermittlungen hatte. Damit soll ein Überraschungselement eingeführt werden, das spannungstechnisch aber in dem Augenblick keinen Sinn mehr macht, wenn das fehlende Märchen vom Leser in einen Zusammenhang mit dem Prolog gestellt wird. Hier geben die Autoren nicht zum ersten Mal in der Kluftinger Reihe zu schnell zu viel Preis. Positiv ist, dass die dunkle, mystische Atmosphäre des Schlosses Grimmbart, der immer mehr verfallende Märchenwald und schließlich auch der vorhandene Reiz des Allgäus sich sehr gut dem Handlungsbogen unterordnen, so dass der eigentliche Plot zu den besten dieser leider qualitativ sehr stark auseinanderströmenden Serie gehört. Viele Ideen haben die beiden Schriftsteller positiv variiert aus ihren ersten Romanen übernommen. Wenn Kluftinger im Showdown den Täter stellt, dann agiert er nicht mehr so tollpatschig wie in einigen anderen Romanen und kann vor allem das gegen seinen Willen während der Auffrischung der Schießausbildung erlernte Wissen aktiv und instinktiv einsetzen. Auch der relativ geschlossene Kreis der Verdächtigen und die Fokussierung der Handlung auf nur wenige Schauplätze im Vergleich zu den zu kitschigen und an Slapstick erinnernden Reiseromanen der Serie tut dem Plot gut, so dass „Grimmbart“ inhaltlich wie eine Verjüngungskur erscheint.
Es gibt aber noch zwei leider eher ambivalente Handlungsbögen. Da wäre zum einen die neue Polizeipräsidentin, frisch aus Hannover angereist, die Ordnung in Kluftingers allerdings ermittlungstechnisch erfolgreiche Truppe bringen soll. Die Dialoge wirken teilweise sehr spröde und einige der Ideen hat die Zeit der letzten Romane schon überholt, da Kluftinger sich zum Unglauben seiner Kollegen technisch fortgebildet hat. Das Schießtraining ist dann wieder der absolute Tiefpunkt, wobei das kindisch kindliche sich auch während der Schnellballschlecht auf dem Nebelhorn mit der eigenen Familie manifestiert. Natürlich ist es schwer, die Balance bei einem exzentrischen wie erfolgreichen Charakter zwischen angeborenen Phlegma, aber auch Schnüffelinstinkt zu halten, aber zumindest fehlen die peinlichsten Szenen, in denen Kluftinger auch seinen Status als Beamter unterminiert hat.
Auf der privaten Eben sieht es anders aus. Sein leidgeprüfter Sohn will seine japanische Freundin heiraten und deren Eltern kommen zu Besuch. Bislang gab es nur ein peinliches Skype Telefonat. Viele dieser Ideen mit den interkulturellen Missverständnissen übernehmen die Autoren und geraten dabei selbst in Bedrängnis. Einige japanische Sitten wie das Baden nacheinander im gleichen Wasser, die Bedeutung von einzelnen Zahlen und schließlich auch das Machogehabe der Männer werden übernommen und in den Kulturkonflikt eingebaut. Auf der anderen Seite wird Kluftinger mehrfach mitgeteilt, dass zumindest der Vater gut deutsch versteht. Warum er dann weiter so radebrecht, macht genauso wenig Sinn wie der Versuch des Vaters, unmittelbar vor der Hochzeit mittels eines Detektives die Familie des potentiellen Schwiegersohns auszuspähen. Dazu war vorher mehr als genug Zeit. Das Kluftinger auch diese Situation vor sich ausnutzt, ist vielleicht noch zu verstehen. Immerhin präsentiert er sich im verkehrten Sinne als geizig und muss nicht nur einmal die Zeche zahlen. Zu den deutlich interessanteren Szenen gehört der Kauf eines Hochzeitsanzugs oder das Probeessen beim einzigen in Frage kommenden Wirt im Ort, wobei in diesen Szenen insbesondere der bislang nicht nur nervige Doktor Langhammer extrem negativ auffällt. Bislang eher als Karikatur eines Neureichen in Frage gekommen, erscheint er jetzt mit penetranter und nicht mehr gutwilliger Bösartigkeit Kluftinger blamieren und nicht mehr animieren zu wollen. Auch die japanischen Besucher wirken – Fotos am Schloss Neuschwanstein; die Suche nach dem Oktoberfest oder das Nichtvertragen von Alkohol oder gar bayerischen bzw. Allgäuer Spezialitäten – zu sehr nach den obligatorischen Klischees gezeichnet, die selbst einen Kluftinger nicht überraschen sollten. Auch wenn es am Ende in doppelter Hinsicht – der Täter wird natürlich am Tag der Hochzeitsfeier gefasst – eine Art Happy End gibt, haben die beiden Autoren es versäumt, im zwischenmenschlichen Bereich gegen die Klischees zu spielen und mit dem liebenswertig exzentrischen wie geizigen Grantler Kluftinger dem einem Extrem keinen gegen alle Klischees agierenden aufgeschlossenen und global denkenden japanischen Schwiegervater entgegengestellt. Das Potential wäre grenzenlos. Leider bleiben sie an der Oberfläche. Einige der beschriebenen Situationen sind dabei so sehr grenzwertig, dass Kluftinger nichts anderes als ein debil agierender Familienterrorist zu sein mag, der weniger in einen gut zu lesenden mit Lokalkolorit ausgestatten Krimi denn eine überdrehte Satire oder vielmehr eine kitschige Parodie gehört. Ohne Frage ist „Grimmbart“ deutlich lesenswerter als die letzten Kluftinger Krimis, wobei die Autoren sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, schon zum wiederholten Male – siehe „Milchgeld“, „Seegrund“ oder „Herzblut“ – wieder einen familiären Rachefeldzug beschrieben zu haben. Natürlich variieren die Plots, aber bestimmte Schachzüge sind zu leicht wieder zu erkennen. Weniger peinlich, aber immer noch stellenweise zu sehr bemüht und weit von der Originalität des in dieser Hinsicht unerreichten ersten Bandes „Milchgeld“ entfernt, ist das private Verhalten von Kluftinger, das viele Extreme streift, keines aber wirklich trifft.
Taschenbuch, Knaur TB
24.09.2015, 480 S.
ISBN: 978-3-426-51184-8