The Magazine of Fantasy & Science Fiction Mai/ June 2014

The Magazine of Fantasy & Science Fiction Mai/ Juni 2014, Rezension, Thomas Harbach
Gordon van Gelder (Hrsg.)

In der May/ June 2014 Ausgabe des „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ liegt der Schwerpunkt wieder auf dem Bereich der Science Fiction, wobei Herausgeber Gordon van Gelder die typischen Schwerpunkte für „Hard Sciences“ oder in den Tiefen des Alls spielende Geschichten verzichtet. Die Qualität dieser Ausgabe ist erstaunlich ambivalent mit einigen, auch umfangreich bemerkenswerten Kurzgeschichten/ Novellen sowie einigen Texten, die sich flüchtig fließend lesen lassen, aber inhaltlich nicht nachhaltig genug überzeugen können. 

David D. Levines „The End of the Silk Road” scheint für die Nachfolgeanthologie von “Old Mars” natürlich mit Namen “Old Venus” verfasst worden mit der Erstveröffentlichung in diesem Magazin, dessen Wurzeln zum Ausläufer des Golden Age in die vierziger Jahren zurück reichen.  Es ist eine Mischung aus Hardboiled Detektiv Roman, natürliche Romanze weniger mit einer Femme Fatale als mit der Macht verheirateten Frau und einem Kriminalfall, der im Grunde das Ende einer langen Rache ist. In dem melancholisch lakonisch zynischen Stil der Ära geschrieben wird der Leser solide unterhalten, aber bis auf die Stimmung viel zu wenig in die einfach gestaltete Geschichte einbezogen. Levines Venus ist natürlich der Planet, den Burroughs schon als heißen unwirtlichen Dschungel gezeichnet hat.

Immer mehr finden auch ursprünglich nicht in Englisch veröffentlichte Texte ihren Weg in die SF Magazine aus den Staaten. Die meiste Aufmerksamkeit erhält dabei nicht zuletzt dank Ken Liu China, aber auch dem Russischen übersetzt findet sich in dieser Ausgabe Pavel Amnuels „White Curtain“, in der  vordergründig um eine wissenschaftliche Idee geht, hintergründig aber die Liebe zu einer Frau zwischen zwei Forschern steht. In der Theorie wird die Möglichkeit diskutiert, in verschiedene Paralleluniversen einzudringen und dabei die unendlichen Variationsmöglichkeiten für sich auszuschöpfen. Mit der Rückkehr seiner in dieser Welt verstorbenen Frau möchte er die Theorie beweisen, während sein Kontrahent das Ergebnis der Forschungen fürchtet. Solide geschrieben mit gut übersetzten Dialogen hätte dieser Text mehr Länge und dadurch auch mehr Tiefe vertragen können. 

Im Mittelpunkt dieser Ausgabe steht mit „Bartleby the Scavenger“ eine Geschichte, die durch einen Zufall entstanden ist. Sie lehnt sich sehr eng an Hermann Mevilles anarchistische Novelle „Der Schreiber Bartleby“ an. Nur ist der Plot in eine dunkle Zukunft versetzt worden. Amerika nach einer Reihe von anscheinend fatalen Terroranschlägen ist in kleine Konklaven zerfallen, die verzweifelt zu überleben suchen. Der Erzähler gehört einer Gruppe von Männern an, die außerhalb des abgesperrten Bereiches nach brauchbaren Materialien suchen. Dabei versorgt er die aggressive Bürgermeisterin von eigenen Gnaden mit Luxusartikeln. Wer seine Quote nicht erfüllt, soll bestraft werden. Nur der anscheinend Welt abwesende Bartleby will sich nicht an die Regeln halten und irgendwann muss der Erzähler zwischen Bartleby und Selbstschutz sich entscheiden. Eine Entscheidung mit folgen. Katie Boyer tritt den Originalton der Melville Novelle ausgesprochen gut, ohne ihn gänzlich zu imitieren. Es macht sich eine nihilistische, fatalistische Stimmung breit. Ohne direkt zu kritisieren muss der Erzähler erkennen, dass er einen falschen Weg gegangen ist und sich in doppelter Ironie im falschen Moment auch noch falsch entschieden hat. Es gibt nur wenig Hoffnung, diese Diktatur der Starken über mehr und mehr zu Außenseitern deklarierte verzweifelte Menschen zu durchbrechen. Stilistisch ausgesprochen ansprechend mit einer guten Mischung aus Atmosphäre und zwischenmenschlichen Spannungen ist diese Novelle ein Höhepunkt dieser Ausgabe und insbesondere mit Kenntnis der Vorlage in doppelter Hinsicht lesenswert.

Stimmungstechnisch könnte Tim Sullivans „The Memonry Cage“ an Katie Boyers Novelle heranreichen. Die Technik in der fernen Zukunft ermöglicht es, Signale von Toten aufzufangen. So kann sich der Protagonist mit seinem Vater unterhalten, der nachdem der Sohn/ Bruder in Vietnam gefallen ist, Selbstmord begangen hat. Aber anstatt aus dieser ohne Frage melodramatischen, aber interessant entwickelten Situation eine packende Geschichte zu machen, baut Sullivan noch Attentäter, eine Expedition zum Titan und ein wenig mit dem Holzhammer verabreicht auch die Erkenntnis ein, dass es immer zu spät sein kann, einem lieben Menschen in unmittelbarer Nähe seine Gefühle zu offenbaren. Naomi Kritzer legt inzwischen die vierte Geschichte um die politisch unabhängige, vor der Küste gelegene „Seastead“ Kolonie vor, die aus zusammen getäuten Schiffen besteht. Der Plot mit dem Ausbruch einer längst vergessenen Seuche wird aus dem letzten Text übernommen. Es ist vielleicht für Neueinsteiger irritierend, die Reaktion von Beck Garrisons ambivalenten Vater zu verfolgen, ohne nachhaltig die Ursachen zu kennen, aber auch hinsichtlich der Plotanlage wirkt „Containment Zone“ oberflächlich unterhaltend, aber bei weitem nicht mehr so packend wie die ersten Storys auf dieser seltsamen schwimmenden Enklave.   

In den Bereich der Phantasie gehört Alyssa Wongs schriftstellerisches Debüt „The Fisher Queen“. Es ist die bekannte „Liebesgeschichte“ zwischen einer Meerjungfrau und einem Fischer, erzählt aus der Perspektive ihres Sohnes, dem bei einer Fischerfahrt nachhaltig die Auge geöffnet werden. In einem angenehm Stil erzählt beinhaltet der Text mit seiner märchenartigen Pointe auch nur wenige nachhaltige Überraschungselemente, um wirklich überzeugen zu können.  In den Fantasy- Bereich gehört Marc Laidlaws „Rooksnight“ um den Barden Gorlen und seinen steinigen Begleiter Spar. Auch das schöne Titelbild dieser Ausgabe widmet sich dieser Geschichte. Auch wenn Laidlaw in den letzten, unabhängig von einander spielenden Storys die Protagonisten dreidimensional und interessant entwickelt hat, fehlt inzwischen der inspirierende Moment. Vieles läuft mit den einzelnen Missionen und dem am Ende glücklichen, aber weiterhin armen Ende sehr mechanisch ab, so dass rückblickend keine überzeugende Spannungskurve trotz einer stilistischen Souveränität aufgebaut werden kann. Jonathan Andrew Sheens „The Shadow in the Corner“ bezieht sich auf H.P. Lovecraft, kann aber mit einer Mischung aus subjektivem „Blair Witch Project“ Horror und dem abschließenden Versuch, aus dem Möglichen, Subjektiven etwas Objektives Bedrohliches zu machen, keine nachhaltigen Akzente setzen. Solide geschrieben, aber inhaltlich überambitioniert ist der Beitrag für den Bereich des Horrors erstaunlich schwach und dessen Wirkung verpufft sehr schnell. 

Zu den witzigen Anekdoten gehört „Presidential Cryptotrivia“, in der Oliver Buckram pointiert und intelligent die amerikanischen Präsidenten von Washington bis Obama aus einer nicht unwahrscheinlichen, aber so gänzlich anderen Perspektive beschreibt. Hinzu kommen harte Filmkritiken an Kunstprodukten wie „I Frankenstein“, sowie die beiden Buchrezensionskolumnen, in denen Charles de Lint mit einer langen Einführung hinsichtlich neuer Autoren sowie den Abstechern in den Bereich der Comics dieses Mal mehr punkten kann als James Sallis, der mehr um die vorgestellten Texte herum schreibt. Paul Di Fillipo setzt sich wieder mit den Tücken des Verlagswesen auseinander, so dass auf der sekundärliterarischen Ebene diese Ausgabe vom „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ genauso befriedigend endet wie in Hinblick auf die meisten Kurzgeschichten.