Die Fortsetzung „Insel der Winde“ erschien knapp zehn Jahre nach dem ersten „Lotse im Sandmeer“ Manuskript. Hans Kneifel hat wie schon erwähnt den ersten Band gegenüber der E- Book Veröffentlichung grundlegend überarbeitet, teilweise auch erweitert.
„Insel der Winde“ beginnt und endet auf dem Meer. Wie der letzte Roman der Trilogie „Das schwarze Schiff“ müssen sich mutige Seefahrer durch das von Stürmen zerwühlte Mittelmeer förmlich hindurch pflügen. Im sich nahtlos an das Ende von „Lotse im Sandmesser“ anschließenden Auftaktkapitel sind die Handelsfahrer auf der Suche nach der legendären Insel Kreta, mit welcher im Auftrag des Pharaos Atlan eine Handelsbeziehung aufbauen möchte. Am Ende des Romans befinden sich Seeleute nach der Entführung mehrerer Frauen auf der Jagd nach den Tätern. Dieses Mal ist der zornige und furchtbare Vergeltung beschwörende, aber nicht umsetzende Atlan mit an Bord. Die erste Überfahrt nach Kreta überwacht der Arkonide nur dank Ricos Sonden. Der dritte Roman verlässt den Schauplatz Kreta. Die Jagd führt nicht nur von der Insel weg, sondern Atlans schwarzes Schiff erkundet vor allem die griechische Inselwelt. Im direkten Vergleich zur anschließend veröffentlichten “Tamarin” Trilogie präsentiert Hans Kneifel in seiner “Kreta” Serie im Grunde in jedem Roman einen anderen, auf seine Art auch faszinierenden Schauplatz.
“Lotse im Sandmeer“ ist eher ein geradliniges, aber ruhig erzähltes Abenteuer gewesen. Eine Art Stillleben mit Atlan von Arabien im Mittelpunkt. Hans Kneifel hat sich von der herausfordernden Wüstenlandschaft einfangen lassen und eine erstaunlich beschauliche, aber trotzdem sehr kurzweilige Geschichte erzählt.
„Insel der Winde“ ist in mehrfacher Hinsicht deutlich interessanter, aber auch inhaltlich als Mittelteil der Trilogie ein wenig zu gedehnt. Der Roman verfügt aber über eine Reihe von sehr interessanten Nebenfiguren, in denen Mythen und kneifel´sche Wahrheiten zusammenfließen.
Schon in „Lotse im Sandmeer“ hat Atlan mit der ehemaligen Sklavin und von Rico/ ihm ausgebildeten Thot KÁima eine interessante Frauenfigur als Übersetzerin, Botschafterin und irgendwie auch Wegbereiterin der ankommenden Ägypter auf der Insel Kreta platziert. Mittels arkonischer Technik wie dem Deflektorschild, aber auch dank der Funkübertragung in einem stetigen Kontakt mit Atlan, bereitet sie die Kreter als eine Art Waldnymphe auf die Begegnung mit den Fremden vor. Das wirkt teilweise konstruiert, aber Thot Káima ist mit ihrer fröhlich frechen Art und ihrer attraktiven Erscheinung eine Bereicherung der ersten Buchhälfte.
Auf Kreta herrscht der Minos. Ein kräftiger Mann, im übertragenen Sinne sogar ein Stier von einem Mann, der einen Stierkopf im Schlafzimmer hängen hat und die Frauen mit seiner Manneskraft noch mehr beglückt als es Atlan mit seiner Jahrtausende langen Erfahrung schafft. Leider gelingt es dem Minos bislang nicht, einen männlichen Nachfahren zu zeugen. Zu Beginn zeichnet Hans Kneifel den legendären Herrscher als eine entschlossene, herrische Person. Erst im Laufe der Handlung schwächt der Autor den Charakter nicht nur ab, sondern zeigt ihn wie der alte Pharao auf der anderen Seite des Mittelmeers als einen weit denkenden Herrscher, der natürlich von der überlegenen, von Atlan gesteuerten Schiffstechnik der Ägypter profitieren möchte. Für Inselbewohner vor allem angesichts der immer stärker werdenden Erdbeben und den Gefahren der See ein verständliches Ansinnen.
Auf die Legende um das Labyrinth von Knosses und damit die Nachfolge des Minos geht Hans Kneifel erst gegen Ende des Buches ein. Dabei ist interessant, das sich der Minos jedes Jahr einer besonderen Herausforderung stellen muss, um die Herrschaft zu behalten. Ein starker Kontrast zu den auf Lebenszeit und dank der Nachkommen auch indirekt über den Tod hinaus wie Götter auf der Erde herrschenden Pharaonen. Dabei sucht der Minos einen Weg, diese jährliche Herausforderung zu umgehen. Im dritten Buch “Das schwarze Schiff” wird Hans Kneifel mit einem leicht ironischen Unterton noch einmal auf das Thema zurückkommen.
Die Ägypter befinden sich zu diesem Zeitpunkt nach dem ersten erfolgreichen Waren- und Wissenstausch mit Olivenbäumen an Bord auf dem Rückweg nach Ägypten. Wie bei „Lotse im Sandmeer“ hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als habe Hans Kneifel seinen Handlungsbogen vor Ende des Taschenbuchumfangs abgeschlossen und baut schon die Prämissen für den in diesem Fall letzten Band der Trilogie auf. Dadurch wirkt der Handlungsbogen ein wenig unrund. In „Lotse im Sandmeer“ kam es quasi noch zu einer Art Kulturstippvisite im alten Ägypten, in „Insel der Winde“ wird nach einem uralten Ritual der neue Minos in einem fast bizarr erscheinenden Wettbewerb erwählt.
Auf der Insel Kreta trifft Atlan noch auf einen mykenischen Flüchtling vom griechischen Festland: Daidallos. Sein Sohn Ikaros wird später ein tragisches Ende nehmen. Hans Kneifel baut diese interessante Prämisse in “Insel der Winde” nicht weiter aus, denn mittels seines Gleiters – vor allem im alten Ägypten benutzt -, aber auch der arkonidischen Technik könnte auch der alte Arkonide für Ikaros Flugexperimente verantwortlich sein. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Atlan lässt hinsichtlich der möglichen menschlichen Entwicklung wieder alle Fünfe gerade sein. Er stattet den pfiffigen, gut gezeichneten und vor allem an verschiedenen technischen Erfindungen interessierten Daidallos mit nicht nur seltenen wertvollen Metallen aus arkonidischer Prägung aus, sondern überlässt ihm einige mechanische Spielzeuge. In einigen späteren Gefahrensituationen funktionieren diese Hilfsmittel allerdings nicht. Ansonsten gäbe es wahrscheinlich keinen dritten Band. Die Gespräche nehmen wie die Exkursionen in die detailliert beschriebene Schiffbautechnik, aber auch die Erkundung der paradiesischen Insel durch die Waldnymphe Thot Káima einen erstaunlich breiten Raum ein. Wie Karl May kann sich Hans Kneifel in diesen Exkursen nicht selten bei erlesenen Speisen, aber auch edlem Wein eben nicht kurzfassen. Im Gegensatz zu Karl May wirken Hans Kneifels Beschreibungen authentisch und manche kulinarische Spezialität hat der gerne die Welt bereisende Hans Kneifel sicherlich auch selbst gekostet, vielleicht sogar selbst zubereitet. Nicht nur die Menschen der irdischen Vergangenheit, sondern auch die Leser sollen von Hans Kneifels und seinem Alter Ego Atlans Wissen profitieren. Das macht den Reiz der Atlan Zeitabenteuer seit vielen Jahrzehnten aus. Bei den Planetenromanen sorgte aber die Seitenbegrenzung für eine Fokussierung der Autoren, in den Fanpro Taschenbüchern hat Hans Kneifel deutlich mehr inhaltlichem Raum, um negativ gesprochen in Schwafeln zu kommen, positiv gesehen noch mehr in die Details zu gehen.
Neben der Legende um den Minos baut der Autor am Ende noch eine weitere historische Begebenheit in die laufende Handlung ein. Ein Erdbeben erschüttert die Insel und zerstört den legendären Palast des Minos. Diese dramaturgisch gut beschriebene Szene ist schließlich der Auftakt für den angesprochenen finalen Band, in welchem nach dem Verlust des Zellaktivators in „Lote im Sandmeer“ Atlan nicht nur den entführten Frauen, sondern vor allem auch seiner langjährigen Lebensgefährtin nach hetzen muss, um sie aus den Händen der während des Erdbebens zuschlagenden im Grunde aus dem Nichts gekommenen Entführern zu befreien und ein von Hans Kneifel immer wieder angedeutetes, aber an keiner Stelle wirklich nachhaltig extrapoliertes Geheimnis Kretas aufzudecken.
Im Gegensatz zur zweiten von Marc A. Herren konzipierten „Atlan X“ Trilogie ist Atlans Technik nicht allgegenwärtig und perfekt. Das beginnt mit der unglaubwürdigen Tatsache, dass Rico nicht weiß, wie er Atlan ansprechen soll und endet mit zu wenigen Sonden, getarnt als Vögel. In der „Tamarin“ Trilogie durchstreifen die Augen Atlans ganze Wüstenabschnitte auf der Suche nach dem hellhäutigen Volk, in „Insel der Winde“ und noch mehr „Das schwarze Schiff“ stehen dem Arkoniden nur zwei „Falken“ zur Verfügung, zu wenig für die griechische Inselwelt. Durch diesen erzwungenen Verzicht auf überlegene Technik- auch der Transmitter wird nach dem Transport der Waldnymphe auf die Insel Kreta gleich demontiert – kann Hans Kneifel im abschließenden Band auf der einen Seite ohne Frage latente Spannung aufbauen, auf der anderen Seite allerdings auch ordentlich Seiten schinden.
Das große Manko am Ende von „Insel der Winde“ und anschließend „Das schwarze Schiff“ ist aber die Wahl der Opfer. Die „Atlan X“ Abenteuer sind in die Chronologie der Perry Rhodan Planetenromanzeitabenteuer eingepasst. Es wäre sinnvoller gewesen, wenn Hans Kneifel zum Beispiel in diesen spannungstechnisch ein wenig klischeehaften Szenen auf andere, unbekanntere Figuren wie eben Thot KÁima zurückgegriffen hätte. Das Schicksal von Atlans Lebensgefährtin ist metaphorisch gesprochen im Buch der Atlan Zeitabenteuergeschichte genauso festgeschrieben wie die Tatsache, dass Atlan Jahrtausende später eben mit Perry Rhodan zu den Sternen zurückkehren wird.
Auch wenn der Roman vor allem nach der Ankunft der Ägypter auf Kreta Geduld von den Lesern verlangt und Hans Kneifel sich längere Zeit nicht entschließen kann, das Tempo anzuziehen, unterhält „Insel der Winde“ nicht nur durch die Nutzung historisch bekannter/ markanter Figuren wie Daidaloos/ Ikaros, sondern auch durch die Neuinterprertation der Nachfolgeregelung des Minos in Form eines bizarren Tanzwettbewerbs mit den angesprochenen Einschränkungen gut. Das Manko, der mittlere Band einer Trilogie zu sein, lässt sich aber nicht verleugnen und wahrscheinlich hätte Hans Kneifel aus dem zweiten und dritten Roman der „Kreta“ Trilogie auch ein kompaktes Taschenbuch stricken können. Aber das hätte dem Genussmenschen Hans Kneifel mit seinen liebevollen Exkursionen in die Kultur und vor allem Küche in diesem Fall des Mittelmeerraums widersprochen.
- Herausgeber : Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH; 1. Edition (1. Juli 2009)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 320 Seiten
- ISBN-10 : 3890641954
- ISBN-13 : 978-3890641959