Für seine Veröffentlichungen im Pabel Moewig Verlag hat Andreas Brandhorst entweder seinen richtigen Namen bei „Schatten des Ichs“ aus dem Jahr 1983 verwandt oder er trat als Andreas Werning mit einer Reihe von Heftromanen bei TERRA ASTRA und seinem einzigen TERRA Taschenbuch auf. „Die Sirenen von Kalypso“ erschien ebenfalls 1983. Wie in einigen anderen Büchern seiner Frühphase steht im Grunde eine unfreiwillige Quest eines Charakters im Mittelpunkt der Handlung, der aus seiner Art herausragt. Eine Art innere Drang, eine Unruhe zwingt ihn gegen den Status Quo zu agieren, seine nicht unbedingt sichere „Heimat“ zu verlassen und immer mit jeweils nur einer „Frau“ an seiner Seite auf die Suche nach einem anderen Ort, im Idealfalle einem Paradies zu gehen. Dabei bedroht diese Reihe immer viel mehr als ihre Position in der Gesellschaft und nicht selten werden sie nicht nur von verschiedenen Gefahren vor exotischen Hintergründen bedroht, sondern teilweise von höheren Ordnungsmächten manipuliert und oder indirekt angespornt, das Ziel zu erreichen.
Wie in einigen anderen Büchern diese frühen Epoche fallen klassische Science Fiction nicht selten mit einem Fantasy geprägten Hintergrund zusammen. Der Untertitel „Abenteuer auf dem Planeten der Kriege“ ist nicht unbedingt richtig. Vieles erinnert eher an eine gigantische Arena, dabei findet auf dem Planeten ein kontinuierlicher Konflikt zwischen verschiedenen Stammesfürsten nach festen Regeln statt. Viele Hintergrundinformationen erhält der Leser aus den eingeschobenen ersten Kapiteln. Den Kriegsherrn ist es zum Beispiel streng verboten, moderne Waffen einzusetzen. Es muss vor einmal dreißig Jahren und dann viele Jahrtausende früher auf dem Planeten atomare Auseinandersetzungen gegeben haben.
Die einzelne Konflikte werden von Hybriden ausgefochten. Alleine die opportunistisch agierende Kirche darf offiziell diese Hybride züchten. Am Ende eines jeweiligen Kampftages sammeln sie die Leichen der Kriegerhybride ein und verarbeiten sie zu neuen Kämpfern. Dieser Prozess kann nur eine bestimmte Zeit wiederholt werden, danach sind weniger die Körper als die geistigen Fähigkeiten der Männer verschließen worden.
Andreas Brandhorst erschafft sprachlich eindrucksvolle Bilder mit den gigantischen nachts die Leichen sammelnden Maschinen. Da der Autor aber das Tempo weiterhin hoch halten möchte, springt er über einzelne gute Ideen hinweg und konzentriert sich auf das Wesentliche. Der Hintergrund dieser Welt ist sowohl in soziologisch politischer Hinsicht wie auch in Bezug auf die Flora und Fauna interessant. Sie reicht zwar nicht an die Schöpfungen aus „Schatten des Ichs“ oder „Mondsturmzeit“ heraus, dafür ist der Handlungsbogen deutlich stringenter und effektiver.
Tajima Nimrod ist einer der unzähligen Krieger. Er ist ein Hybrid, der Klappentext bezeichnet ihn als organische Maschine. Er kann sich dank der genetischen Manipulation selbst generieren. Die Hybridarmeen sollen in der Theorie furchtlos für ihre jeweiligen Herren kämpfen und sterben, dann wieder geboren werden, um erneut in den Kampf zu ziehen. Der Leser lernt Tajima am Vorabend einer solchen Schlacht kennen.
Der Autor hat das Szenario absichtlich wie ein gigantisches Spiel aufgebaut, in dem die Feudalherren sogar Joker setzen können. Wer zehn Konflikte gegeneinander gewinnt, der gilt als Sieger und kann meistens neben Macht auch die Schätze des Gegners beanspruchen.
Tajima Nimrod sieht seine Existenz und seine Aufgabe zunehmen kritischer. Er will nicht als Kanonenfutter enden und hinterfragt seine bisherige Bestimmung. Andreas Brandhorst macht aber nicht deutlich, wie lange dieser Evolutionsprozess schon dauert. Klar wird durch die Dialoge zu Beginn gemacht, dass es sich um keine Eintagsfliege handelt und sich der Krieger schon längere Zeit Gedanken macht.
Die einzige Chance, diesem teuflischen Kreislauf zu entkommen, ist tatsächlich zu sterben. Eine Geschichtenerzählerin berichtet ihm von Toren, mit denen er zu den „Sirenen von Kalypso“, also einem fremden fernen Planeten springen kann. Interessant ist, dass diese Erzählung auf der einen Seite für Tajima Nimrod die einzige Chance bedeutet, seinem bisherigen Schicksal zu entkommen, er auf der anderen Seite mit dieser Expedition, dieser Fahnenflucht aber auch zu einem interessanten Puzzlestein in einem Konflikt wird, der sich abseits vom Schlachtfeld hinter den politischen Kulissen mehr und mehr zuzuspitzen droht.
Andreas Brandhorst wiederholt nicht den Fehler von „Schatten des Ichs“, in den Mittelpunkt des Plots einen unsympathischen Protagonisten zu stellen. Auch wenn Tajima Nimrod eher pragmatisch charakterisiert worden ist und ihm in entscheidenden Passagen die Tiefe fehlt, handelt es sich um eine Figur, die zugänglich erscheint. Auch seine Partnerin – Kriegerin und mehr – wirkt weniger auf das klischeehafte Frauchen reduziert, sondern während ihrer herausfordernden Reise über den Planeten kann sie auf einer Ebene nicht nur mit ihm kommunizieren, sondern auch ihre Erfahrungen weitergeben. Das macht sie zu einer interessanteren Figur.
Hinsichtlich des politischen Konflikts auf der Herrscherebene bleibt vieles vage. In einigen Punkten ist das nicht schlimm, da der Leser die konträren Informationen aus erster Hand durch Tajima Nimrods Reise erfährt. An anderen Stellen hinsichtlich des Bruches des kirchlichen Monopols; der seltsamen Pflanzen und der ambivalent magischen Kräfte der jeweiligen Priester bleibt der Autor oberflächlich. Hier wäre es interessant gewesen, über den Vater- Sohn Konflikt und den Versuch, auf unterschiedliche Art und Weise durch die Erschaffung eigener Hybride bis zu den geheimnisvollen Toren auf dem Planeten die bisherigen Machtgefüge zu brechen, weitere Konflikte zu schüren und die Bestehenden auszubauen.
So wirkt die Begegnung mit den Sirenen auf der fremden Welt interessant und beeindruckend, aber es fehlen die Zusammenhänge. Hier wünscht man sich ein wenig mehr Hintergrundinformationen und der fast hektisch erscheinende Happy End Abschluss des Romans versperrt eine Art Reflektion zwischen Tajimas eigener Reise und den Erwartungen der herrschenden Gruppen.
Am Status Quo wird nicht gerüttelt. Auch „Schatten des Ichs“ beschwor auf dem Weg zum Ziel deutlich mehr Intensität und bizarre Hintergründe herauf als das nicht unerwartete Finale halten konnte.
Der Weg mit einigen Actionszenen ist allerdings differenzierter und vor allem auch interessanter gestaltet als die erste Hälfte einer Reihe anderer Andreas Brandhorst Bücher, die sich aus Versatzstücken anderer Autoren zusammensetzen. Zusammengefasst erinnert „Die Sirenen von Kalypso“ als Ganzes mehr an die actionorientierten Heftromane, welche Brandhorst sowohl für die TERRA ASTRA Reihe als auch die ZAUBERKREIS SF geschrieben hat denn seine eher intellektuelleren Taschenbücher oder Hardover.
- Verlag: Moewig Verlag.; Auflage: 1 (1983)
- Umfang 160 Seiten
- Sprache: Deutsch
- ASIN: B0026OK1ZC