Neil Clarke streift im Gegensatz zur gleichzeitig erscheinenden „Clarkesworld“ Ausgabe nur kurz die Zusammenarbeit mit dem kürzlich verstorbenen Gardner Dozois, dem für die Nachdrucke verantwortlichen Redakteur beider Magazine. Auch wenn einer der drei hier versammelten Texte erst vor einem Jahr in einem sehr weit verbreiteten Magazin ursprünglich erschienen ist, zeigen sie überdeutlich, wie gut sich Dozois im Genre auskannte und das er immer wieder vor allem längere Novellen für das „Forever“ Magazin heraussuchen konnte.
Die Juni Nummer besteht aus einer klassischen Novelle und zwei Novelletten. Während die beiden kürzeren Texte eher in den Bereich der Abenteuer Science Fiction einzuordnen sind, ist es „Entanglement“ von Vandana Singh mit dem Fokus auf einfachen Menschen im Angesichts einer globalen Katastrophe, die aus den Texten herausragt.
Vadana Singh präsentiert die Science Fiction Idee erst am Ende ihrer ökologischen Science Fiction Geschichte. Der Unterschied zu vielen anderen Texten liegt in der Bedeutung dieser faszinierenden Idee. Sie verändert im Grunde nichts. Die Schicksale spielen sich auf einer persönlich emotionalen Ebene ab. Die Autorin springt aus der Arktis nach Brasilien, von dort nach Texas und schließlich nach Indien. Obwohl die einzelnen Schicksale passiv abschließend miteinander verbunden werden, hätten die beschriebenen Menschen auch ohne diese Idee genauso reagiert wie sie es gemacht haben. So wird die Technik eher zu einer Art elementaren Chronographie als Katalysator anderer technischer Entwicklungen.
Der Leser muss sich erst einmal orientieren. Mit einer brutalen Direktheit werden ihm die Klima verändernden Situationen und ihre nicht einmal mehr langfristigen, sondern sofortigen Reaktionen vor Augen geführt. Ökologische Science Fiction soll nicht belehren, sondern provozieren und zum Nachdenken anregen. Eine Eskimo Biogeologien untersucht das Meer in der Arktis und gerät in Lebensgefahr. Eine brasilianischer Mikroklimatologe stellt in einem kleinen Dorf weitab der Zivilisation Veränderungen auf der Haut eines Jungen fest. Eine Gruppe von Rentnern setzt sich gegen das laufende Fracking eines amerikanischen Konzerns in Texas mit Entschlossenheit, Dickköpfigkeit und vor allem dem Mut der Menschen zur Wehr, die nicht viel für ihre eigene Generation mehr machen können, aber das Schicksal ihrer Kinder und Enkel in guten Händen wissen wollen. Die am meisten beeindrucken Geschichte spielt in Indien. Ein kleines Dorf wird aus dem Nichts von einem Tornado vernichtet. Einem Mädchen gelingt es, ihre Mitbewohner zu retten, auch wenn das Dorf vernichtet wird.
Im Schlusskapitel fließen diese isoliert gesehen auch in der Gegenwart spielenden Episoden schließlich zusammen. Vielleicht wirkt die abschließende Aussage ein wenig zu ambivalent, zu mystisch und die Idee der in den Bergen lebenden Männern, die von inzwischen nicht mehr lebenden Mönchen gerettet worden sind, erscheint klischeehaft. Aber Vandana Singh versucht eine Idee zu beweisen, die sie selbst in ihrem Text unterminiert. Auch wenn sie davon spricht, dass nicht mehr das Individuum heldenhaft sein muss, sondern viele Menschen etwas zusammen bewirken, konzentriert sich die Autorin in dieser überdenkenswerten Geschichte eben auf die Einzelschicksale. Keiner dieser Menschen ist eine klassische Insel und manchmal holen sie sich auch einen entsprechenden Rat, aber handeln und retten und agieren tun sie alleine. Und das macht den Reiz dieser provozierenden ökologischen Science Fiction Geschichte aus.
Chris Willrichs „Sails the Morne“ ist die Geschichte eines Raumschiffkapitäns, der eine ihm unbekannte wertvolle Fracht transportieren soll. Während des Flugs stellt der Kapitän fest, dass die Fracht verschwunden ist. Zeitgleich erscheinen zwei sehr unterschiedliche Raumschiffe in der Nähe seines Schiffs, deren Besatzungen sehr unterschiedliche Intentionen haben.
Chris Willrich erzählt seine Story fast ausschließlich aus der Perspektive des Kapitäns. Der Leser muss mit genau den gleichen rudimentären Informationen seinen Gedankengängen folgen und vergleichbare Schlüsse ziehen. Dabei haben Leser und Protagonist keine Anhaltspunkte, wer es ehrlich meint und wer ein gesteigertes Interesse an der verschwundenen Fracht hat.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, hat Chris Willrich mit „The Book of Kells“ eine klassische Story als Vorlage genommen und sie mit entsprechenden Veränderungen ins All übertragen. Die Geschichte spielt ausschließlich an Bord des Raumschiffs und Willrich hat sich überzeugend bemüht, die Außerirdischen wirklich fremdartig erscheinen zu lassen, ohne sie gänzlich von den Lesern zu entfremden und damit Schlussfolgerungen unmöglich zu machen.
Die Grundidee, dass die Menschheit in unserem Sonnensystem von den Fremden quasi isoliert und eingeschlossen werden soll, wirkt dabei kontraproduktiv und entwickelt die angesprochene literarische Vorlage in eine sehr unglückliche Richtung weiter.
Zusammengefasst handelt es sich um ein solides Kammerspiel mit dreidimensionalen, exzentrischen Charakteren sowie einer zufrieden stellenden, alle Fragen vor allem beantwortenden Auflösung.
Suzanne Palmers „Hotel“ ist deutlich interessanter. Es handelt sich um eine Agentengeschichte mit einem Geheimnis – gesucht wird ein Datenträger der wirklich ganz besonderen Art -, die in einem Hotel auf dem Mars spielt. Dieses Hotel hat eine ganz besondere Bewandtnis. Es ist politisch frei, da das Gebäude und der Boden drum herum als neutrale Zone dem Betreiber aufgrund von Heldentaten während des Krieges überlassen worden ist. Mit seinem Tod fällt es wieder an die Marsregierung. Drei Gäste alle mit Namen „Smith“, sowie verschiedene Agenten nicht nur das Marspolizei, sondern außerirdischer Organisation nisten sich in dem Hotel auf der Suche nach dem Datenträger ein. Dabei überschneiden sich nicht nur ihre einzelnen Missionen, teilweise könnte eine erfolgreiche Umsetzung auf verschiedenen Seiten zu einem neuen kriegerischen Konflikt führen. Suzanne Palmer hat nicht nur ein Auge für exzentrische Charaktere, sowie die absichtlich überzogenen Klischees des Agentenkinos bis in den Bereich der Parodie, ihr macht es Spaß, insbesondere zu Beginn bei der Anreise der einzelnen Protagonisten ein Klischee an das Nächste zu reihen, um die Absurdität der ganzen Situation nicht nur dem Leser, sondern vor allem auch den einzelnen Figuren vorzuführen.
Im mittleren Abschnitt wird das Geschehen ein wenig verwirrend, da die Jagd nach dem ominösen goldenen sprichwörtlichen Kalb nicht wirklich voranschreitet und der Plot in einzelne Episoden zerfällt, bevor die Autorin am Ende das Tempo ganz deutlich anzieht und die meisten aufgeworfenen Fragen inklusiv einer zufrieden stellenden Auflösung hinsichtlich des Mac Guffin Datenträgern präsentiert. Der Hintergrund der Geschichte ist liebevoll mit einem Auge für die Details extrapoliert worden. Ein humorvoller, sommerlich leichter Abschluss einer guten „Forever“ Ausgabe.
E Book, 112 Seiten