Mitte der siebziger Jahre veröffentlichte Clifford D. Simak mit „Our Children´s Children“ einen auf den ersten Blick unscheinbaren Roman, dessen politische Sprengkraft erst heute zu erkennen ist. Ausgesprochen kompakt, politisch intelligent sind die Schwächen des Buches eher an den mechanischen Science Fiction Elementen mit den multifunktionalen „Aliens“ sowie der abschließenden Idee einer nicht unbedingt nachvollziehbaren Zeitreise, sondern zwei Parallelwelten mit unterschiedlichen Zeitabläufen abzulesen.
Clifford D. Simak hat anscheinend auf den letzten Seiten der Mut verlassen, um die Sprengkraft seiner Geschichte auf einer weitaus größeren Ebene abzuhandeln. Unabhängig von dieser Schwäche hinsichtlich der Struktur ist das Buch vor allem für Leser interessant, die gerne zwischen den politischen Zeilen lesen und diese verzweifelte Suche nach dem kleinsten Kompromiss als das erkennen, was die Anführer der Nationen nicht zugeben wollen: das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit.
Auf der Erde der nahen Zukunft oder aus den siebziger Jahren betrachtet fast unserer Gegenwart öffnen sich Tunnel. Aus ihnen kommen Menschen geordnet in vierer oder fünfer Gruppen. Sie kommen aus der Zukunft und suchen Zuflucht vor außerirdischen perfekten Invasoren, welche die Menschen auszurotten drohen. Zwanzig Jahre haben sie gegen diese von Simak eher ambivalent beschriebenen Monster gekämpft und parallel die Zeittunnel entwickelt. Es handelt sich um viele Zeittunnel, die sich öffnen und um bis zu potentiell zwei Milliarden Menschen, die aus der Zukunft in die Gegenwart kommen.
Angesichts der inzwischen wieder begonnenen Völkerwanderung vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten erscheint Simaks Szenario glaubhaft und erschreckend zugleich. Die Führer der westlichen Welt sind überfordert, wagen aber nicht, den Strom von Menschen zu stoppen. Chaos droht, die Infrastruktur scheint zu zerbrechen. Wie bei der Grenzöffnung holen zu Beginn die Menschen ihren persönlichen Flüchtling ab und bringen sie bei sich unter. Diese Welle der Hilfsbereitschaft überfordert die Militärs, welche die Kontrolle verlieren. Das Geschehen wird neben den wechselnden Schauplätzen vor allem von Reportern beschrieben, die ihre Augenzeugenberichte direkt in die Druckerpressen der großen Verlage diktieren. Diese teilweise sperrigen Blöcke fassen das Geschehen in erster Linie zusammen und stoppen den rasanten Handlungsfluss. Erst gegen Ende verschiebt Simak die Perspektive zu einem der Berater des Präsidenten, dessen Blick ambivalenter ist.
Wie es sich für ungewöhnliche Ereignisse gehört, folgt auf das Staunen die Panik, die Angst. Gerüchte machen sich breit. Die Sozialschwachen haben Angst um ihre Unterstützung, denn die Menschen aus der Zukunft sind im Grunde alles, was sich eine Industrie wünschen kann. Sie sind gebildet, anpassungsfähig, höflich und vor allem willig, auch für ihren Aufenthalt zu arbeiten. Die Kirche lehnt sie ab, weil es in dieser Zukunft vor allem nicht mehr den christlichen Glauben in der bekannten Form gibt. Die Atheisten werden gejagt und teilweise allerdings nicht mit Nägeln gekreuzigt. Auch der Einfluss der Politik auf diese religiösen Fanatiker ist begrenzt.
Die Industrie fürchtet ihr Wissen. Zukünftige Entwicklungen könnten in die Vergangenheit übertragen ganze Sektoren in Mitleidenschaft ziehen. Die Fremden haben aber einen Plan. Sie wollen die Gegenwart nur als eine Art Durchgangsstation nehmen. Neu zu bauende Zeittunnel sollen sie in die Kreidezeit bringen, wo sie ohne die Monster der Zukunft noch einmal von vorne anfangen wollen. Und sie könnten diesen Transport auch bezahlen, denn sie haben Diamanten im Gegenwert von einer Billionen Dollar – hier kann es sich um einen Übersetzungsfehler handeln, auch wenn im 21. Jahrhundert diese Zahl schon notwendig ist, um derartig zu investieren – im Gepäck. Der Verkauf könnte für den Edelmetallmarkt verheerend sein.
Simak konzentriert sich auf der Haupthandlung vor allem auf die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Dabei geht er eher im Zeitraffer vor und springt von einer Möglichkeit zur nächsten. Als Epos ist diese Geschichte nicht mit den anderen bekannten „wir möchten bei Euch“ wohnen Geschichten wie „AlienNation“ oder „V“ zu vergleichen. Eine echte Integration findet nicht statt. Auch stellt sich niemand die Frage, warum die Besucher aus der „Zukunft“ nicht wissen, ob ihre Reise in die Vergangenheit erfolgreich gewesen ist oder nicht. Es gibt keine Aufzeichnungen, wobei Simak mit der Idee einer parallelen Verschiebung zumindest eine für den Leser nachvollziehbare Erklärung hinter her schiebt.
Wie Carl Sagan in „Contact“ impliziert der Amerikaner noch, das das habgierige Kapitel nach Möglichkeiten sucht, das Wissen der Fremden auszunutzen und ihnen gegen eine langfristige Nutzung der Tunnel sowie eine mögliche Erweiterung mit Reisen in die Zukunft die Maschinen bauen möchte. Es ist aber ein letzter Exkurs in einem politisch ohne Frage interessanten wie zeitlosen Buch, in deren Mittelpunkt einer Reihe von Politikern stehen, die erstaunlich pragmatisch, aber nicht unsympathisch beschrieben worden sind.
Der eher typische Science Fiction Aspekt ist der Katalysator dieser Völkerwanderung. Das ambivalente Monster erinnert an eine Extrapolation einiger Pulpgeschichten um van Vogt „Space Beagle“. Diese gefrässigen Monster sind aber viel mehr als nur außerirdische Kreaturen, mit einem überdurchschnittlichen Überlebensinstinkt. Simak zeichnet sie vielleicht unwillkürlich als zu unbesiegbar. Mindestens zwei Monster kommen aus der Zukunft in die Gegenwart. Keine echte Überraschung, immerhin müssen die Menschen ja die Gefahr auch glauben. Sie vermehren sich wie die Fliegen und lernen außergewöhnlich schnell. Das sie aber in ihren Genen alleine durch das Durchschreiten der Zeittunnel diese Fähigkeit quasi mit aufsaugen, wirkt kontraproduktiv. Natürlich erhöht es die Spannung, natürlich lässt sich implizieren, das die Dinosaurier den Kampf verloren haben, aber es stellt sich auch die Frage, warum in der Gegenwart wieder nichts von ihnen zu sehen ist. Hier die Idee einer weiteren, im Grunde dritten Parallelwelt zu implizieren, widerspricht der These, welche die Wissenschaftler aufgestellt haben.
Die Liebesgeschichte wirkt ein wenig aufgesetzt, während die Auswirkungen der beiden freilaufenden und sich natürlich vermehrenden Monster immer wieder angesprochen, aber nur bedingt angegangen werden. Kritische Themen wie die Idee, im Notfall auf die Flüchtlinge aus den Tunneln zu schießen und damit ein weiteres Eindringen der Monster in die Gegenwart zu verhindern, endet in einer bizarren Unterhaltung über den Schutz von Blumenbeeten.
Das ganze politische Potential seiner Flüchtlingsgeschichte kann Clifford D. Simak in diesem flott geschriebenen Roman nicht heben. Dazu springt die Handlung viel zu hektisch hin und her. Wer aber die Versatzstücke der Science Fiction ignoriert und sich vor allem die Frage stellt, wie und ob unsere Erste Welt eine Milliarde gut ausgebildeter und williger Menschen mit Rohstoffen in den Taschen überhaupt aufnehmen kann, der wird einige interessante, nicht Propaganda freie Ansätze in diesem Roman finden, der eine Neuauflage ohne die etwas zu sehr wie ein Pulp Abenteuer erscheinende Aufmachung der Ullstein Taschenbuchausgabe mehr als verdient hat.
- Format: Kindle Edition
- Verlag: Heyne Verlag (31. August 2017)
- Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
- Sprache: Deutsch
- ASIN: B071GFV63K
- Umfang: 125 Seiten
- Übersetzung : Dolf Strasser