
Der zweite und abschließende Sammelband des kleinen, sich produktionstechnisch über mehrere Jahre hinziehenden „Ringo“ Zyklus William Vances schließt neben einer interessanten, die verschiedenen Stilrichtungen zeigenden Galerie aus Zeichnungen und Titelbildern mit zwei Kurzgeschichten und einem Album, in dessen Mittelpunkt jeweils der Überfall auf Postkutschen steht. Alle drei Geschichten werden mit einer ausführlichen Publikationshistorie eingeleitet, wobei William Vance im direkten Vergleich zu den ersten publizierten Alben auf einen chronologischen Erzählfaden verzichtet und die Storys in sich abgeschlossen sind.
Ringo steht weiterhin im Sonderdienst von Wells Fargo, wobei er besonders in der ersten Geschichte „ Stadt in Angst“ auch im eigenen Namen handelt. Der kurze, eine wenig zu stark verdichtete Plot folgt dem bekannten Muster eines einsamen Reisenden, der in eine von einem Banditen tyrannisierte Stadt kommt. Er lässt sich nicht unterdrücken und beginnt diese mit seiner Entschlossenheit und Furchtlosigkeit zu provozieren. Dadurch verlieren diese mittelbar ihr Ziel aus dem Auge, die Postkutsche mit der Goldlieferung für die Mienen zu überfallen. Ringo spielt natürlich den Fremden, der aus dem Nichts kommend schließlich als Hilfssheriff erfolgreich ist.
Die finale Konfrontation hat sich in den „Ringo“ Geschichten inzwischen verselbstständigt und wird nicht nur in dieser in mehrfacher Hinsicht deutlich eher Zufrieden stellenden Kurzgeschichte – „El Diablo“ verfügt über originellere Ansätze, wirkt aber hektisch und viel zu kompakt erzählt – zu einem mechanisierten Versatzmuster.
„El Diablo“ hätte wahrscheinlich eher als eigenständige Geschichte im Albumformat mit einer ruhiger erzählten Story funktioniert. Es ist wahrscheinlich William Vance Hommage an den Italo Western, wobei das abschließende Album „Tod im Blizzard“ aufbautechnisch ebenfalls an Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ ohne die Rachegeschichte erinnert. Während der Überfall auf die Goldkutsche in „Stadt in Angst“ noch geplant wird, ist in „El Diablo“ die Kutsche schon von einer Bande überfallen worden. Dabei haben sie sich einen mehrfach zu wiederholenden und immer wieder erfolgreichen Trick ausgedacht. Einer der Banditen gibt sich als ehemaliger Soldat, verwundet, aus, um das Mitleid seiner Umgebung auf sich zu ziehen.
Ringo versucht die Banditen zu stellen, die sich nicht zum letzten Mal in der „Ringo“ Serie in erster Linie selbst im Wege stehen. Die finale Konfrontation inklusiv eines Bruderkonflikts läuft viel zu schnell ab. Anstatt hier die beiden relevanten Nebenfiguren weiter zu entwickeln und eine zusätzliche Spannungsebene einzuziehen, scheint William Vance schnell, aber auch effektiv die Geschichte beenden zu wollen. Dadurch verliert die auf der psychologischen Ebene ohne Frage vielschichtige und geschickt aufgebaute Kurzgeschichte deutlich an Reiz. Aber William Vance hat mit der Rückkehr von Recht und Gesetz in die Kleinstadt – symbolisiert an den Spielen der Jugendlichen und damit direkt auf Sam Peckinpahs einzigartige Westernauftakte verweisend – auch eine Botschaft für seine Leser parat.
Betrachtet der Leser vor allem aufgrund der kompakten Veröffentlichung der „Ringo“ Geschichten in zwei Alben den Aufbau der einzelnen Handlungsbögen, dann fällt deutlich auf, dass Ringo wenig lernfähig ist. Er macht in drei aufeinander folgenden Storys die gleichen Fehler. Zweimal muss ihm in höchster Not von dritter Seite geholfen werden. Dreimal hat er Glück, dass die Schurken alle schlechte Schützen sind. Während dieses Manko in den kürzeren Texten weniger auffällt, leiden insbesondere die Alben unter diesem kontinuierlichen Rückgriff auf vergleichbare Situationen. Im Gegensatz zu den beiden Kurzgeschichten lässt Ringo am Ende von „Tod im Blizzard“ einmal Recht vor Gerechtigkeit walten.
Aber in mehrfacher Hinsicht nicht zuletzt dank der eindrucksvollen Zeichnungen und der ungewöhnlichen, schneebedeckten unwirtlichen Landschaft ist „Tod im Blizzard“ die stärkste Arbeit dieses zweiten Sammelbandes.
Ringo hat sich genau wie eine Postkutsche mit Gold und einer Senatorentochter an Bord im Blizzard verirrt. Ringo soll überprüfen, wo die Kutsche bleibt. In der Zwischenzeit haben drei entflohene Mexikaner von ihrer Schwester/ Freundin, die an einer der Zwischenstationen arbeitet, erfahren, dass die Senatorentochter ein lohnendes Entführungsobjekt ist. Nach dem erfolgten Coup kommt es zu einer Verfolgungsjagd durch die unwirtlichen Berglandschaften, die in ihrer Intensität und Grausamkeit der Natur vieles vorwegnimmt, dass Quentin Tarantino in seinem Western „The Hatefull Eight“ Jahrzehnte später zelebrieren sollte.
William Vance erzählt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, so dass der Leser im Gegensatz zu den Protagonisten deutlich besser über das Gesamtgeschehen informiert ist. Während Ringo nicht zum ersten Mal in der Serie mehrfach in „Fallen“ läuft und selbst beim Erkennen einer solchen wieder zur Zielscheibe der natürlich schlecht schießenden mexikanischen Banditen wird, kommt es in der kleinen Gruppe zum obligatorischen Streit, welcher auch die von Beginn an überschaubare Zahl der Kontrahenten stark reduziert. Da Ringo überwiegend alleine agiert, muss Vance statt die eindrucksvollen Bilder für sich sprechen zu lassen, immer wieder auf statisch wirkende Monologe zurückgreifen, welche das im Grunde hohe Tempo der Story deutlich abbremsen.
Wie in einigen anderen seiner Alben wirken aber vor allem seine Frauencharaktere ausgesprochen modern. Auch wenn die Senatorentochter immer wieder von den Vergewaltigungsgelüsten der Mexikaner bedroht wird, kann sie schießen und agiert relativ offen wie entschlossen. Sie ist pragmatisch und will nicht klassisch gerettet werden, sondern wie Ringo die offenen Rechnungen begleichen. Selbst die junge mexikanische Frau, befreit von ihrem Bruder und ihrem Freund/ Ehemann, hat eine erstaunliche Geistesgegenwart. Sie verheimlicht die wertvolle Fracht – es befinden sich ja zwei Kisten Gold an Bord der Kutsche – und lenkt die Aufmerksamkeit ihrer Leute nur auf die Senatorentochter als aussichtsreiches Lösegeldobjekt.
Durch den an sich kurzweilig zu lesenden „Ringo“ Zyklus ziehen sich wie mehrmals erwähnt vor allem Postkutschenüberfälle und daran anschließend die Verfolgung der Schurken durch herausforderndes und unwirtliches Gelände. Dieses Sujet ist schwierig zu variieren. Während im Groben die Geschichten teilweise zu ähnlich strukturiert erscheinen, sind es vor allem die kleinen Nuancen, die sorgfältig gezeichneten Charaktere und die finalen Situationen, welche viele der „Ringo“ Geschichten aus der Masse der klassischen Western Comics herausheben. Beginnend mit den realistischen, vor allem landschaftlichen Zeichnungen, aber Einschränkungen hinsichtlich der Unterscheidbarkeit vor allem der schurkischen Nebenfiguren bewegen sich die einzelnen Alben auf dem schmalen Grat zwischen klassischen Westernelementen mit Zügen eines „Shane“ -in Ringo erkennbar - und den Gewaltexzessen des Italowesterns, die wie in Moebius „Blueberry“ Comics vor allem dann durchscheinen, wenn es „gegen“ mexikanische Banditen geht.
Wer in die Serie eintauchen möchte, sollte sich vor allem aufgrund der Qualität und Tiefe des zweiten und dritten Albums den ersten Sammelband zulegen, um mehr über Ringo und seine Vergangenheit zu erfahren. Beide Sammelbände zusammen bilden trotz der angesprochenen inhaltlichen Wiederholungen und Mechanismen einen interessanten Westernmikrokosmos, der im Schatten der umfangreicheren und vielleicht auch inhaltlich ein wenig mehr provozierenden lang laufenden Westernserien aus dem französischsprachigen Raum eine Wiederentdeckung auf jeden Fall wert ist. Die beiden Sammelbände sind sorgfältig und liebevoll zusammengestellt und insbesondere dieses zweite Album um seltenes, ansehenswertes Material ergänzt worden.
- Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
- Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. Februar 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3958393411
- ISBN-13: 978-3958393417
- Originaltitel: Ringo