Solo

William Boyd
Es ist kein Zufall, dass William Boyds erster James Bond Roman im Jahre 1969 spielt. Der politische Hintergrund eines sich mehr und mehr in Bruderkriegen zerfleischenden Afrikas kann es genauso wenig sein wie das Unwohlsein der westlichen Welt, vom arabischen Öl abhängig zu sein. Die Ölkrise warf noch keine Schatten auf dieses auch hinsichtlich der James Bond Serie markante Wendejahr. Es ist das Jahr gewesen, in dem George Lazenby in "Im Geheimdienst ihrer Majestät" nicht nur Diana Rigg heiraten durfte, sondern in dem mit dem unterschützten Schauspieler ein "normaler" Mann den Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten spielte. Weg vom Übermacho Sean Connery und noch nicht bei den Gags eines Roger Moore angekommen. In diesem Jahr siedelt Boyd sicherlich zur Überraschung vieler Bondfans seinen Roman an. Hinzu kommt, dass der Autor stoisch die Filmreihe ignoriert und alleine die Daten aus Ian Flemings Thrillern zu Grunde gelegt hat. Das könnte daran liegen, das dieser Ian Fleming in einem von Boyds Romane selbst als Geheimagent agieren durfte. Der Klappentext lässt ahnen, dass James Bond wieder auf eigene Faust ermittelt und das er mit seinem "Solo" seine persönliche Rache befriedigt. Diese Idee mag in den sechziger Jahren angesichts der Disziplin des Agenten mit entsprechender Handlungsfreiheit neu gewesen sein. Nach "Lizenz zum Töten", in dem Bond - dargestellt von Timothy Dalton - einen persönlichen Rachefeldzug ohne das Wissen seiner Vorgetzten startet, ist diese Idee nicht mehr neu. Nur will sich James Bond für das am eigenen Körper erfahrene "Leid" und die Schmähung seiner gekränkten Seele rächen, nachdem er selbst als erfahrener Agent eine Reihe von Fehlern begangen hat.  
Einzig der Schauplatz des Romans ist neu und in diese Beschreibungen fließt William Boyds Afrikaerfahrung ein. Weg von den Glamourpalästen und dekadenten Vergnügen hinein in den Schlamm, Dreck, zum Leiden der Bevölkerung und schließlich die ambitionierten Plänen verschlagener, rücksichtsloser Männer, die nicht mehr die größenwahnsinnigen Überschurken sind. Vielleicht stellt "Solo" auch den notwendig Rückschritt bei der Weiterentwicklung der Serie dar. In "Skyfall" rückte Regisseur Mendez Bond neben "Batman" mit entsprechender Vergangenheit. In "Solo" zeigt Boyd Bind als Mann in mehrfacher Hinsicht zwischen zwei Frauen. Bond liebt die Frauen und verliebt sich heftig, kurzeitig und intensiv in sie, bevor der lange Schatten seines gefährlichen Jobs und eine aufkommende Paranoia ihn in einem Fall wieder weiter ziehen lässt.  Widerwillig und doch entschlossen. Diese vordergründigen Widersprüche durchziehen einen Roman, der es seinen Lesern nicht leicht macht.
Diie Handlung beginnt an Bonds 45. Geburtstag, den er seit vielen Jahren stoisch auf die gleiche elegante Art und Weise mit einem opulenten Essen, einem guten Wein, einer Hotelübernachtung in einem der besten Häuser Londons und schließlich einem Tag Urlaub feiert. Der Beruf bringt es mit sich, dass er nicht nur alleine ist und sich nur kurzzeitige Vergnügen leisten kann, der Beruf bringt es genauso mit sich, dass er sich immer wieder an die Todesgefahren erinnert, denen er als Mitglied einer Spezialeinheit hinter den deutschen Linien im Zweiten Weltkrieg bis zu seiner gegenwärtigen Mission ausgesetzt ist. Aber will das Publikum James Bond als einsamen, noblen Melancholiker sehen? Versucht Boyd diesem Überhelden Tiefe zu geben, die nicht notwendig ist? Bond erweckt die Aufmerksamkeit einer schönen Frau, der er mehrmals in dieser Geschichte begegnen wird. Er fragt sich, ob die Liebe einer attraktiven, lebenserfahrenen Frau, die interessanterweise auf Rechnung ihres Ex- Mannes den Tag der Scheidung feiert eine innere Leere füllen kann. Boyd öffnet in dieser Hinsicht die Kiste der Pandora, er beantwortet aber nicht die Fragen. Es wirkt fast bemüht, dass der Bond des 21. Jahrhunderts ausgerechnet im Jahrzehnt des freien Liebe nicht ohne Hintergedanken an deren erotische Perfektion sich gehen lassen kann. Lust wird impliziert, die Idee einer Beziehung sowohl zu der jungen hübschen Afrikanerin als auch der angesprochen britischen Lady - die als Schauspielern in an "Hammer Horror Filme" erinnernde Produktionen auftritt - theoretisiert.
Der Auftrag geht nach Afrika. Bond soll einen Krieg in einem afrikanischen Kleinstaat beenden, in dem die großen Konzerne große Mengen von besten Erdöl entdeckt haben. Der erste Schritt, das potentielle Joch der arabischen Welt abzustreifen.  

Es ist weniger die auf den ersten Blick unglaublich erscheinende Mission  in den kleinen afrikanischen Zwergstaat Zanzarim, welche den Leser schockiert, sondern die Spekulation, dass das heutige Bild des teilweise schwarzen Kontinents schon vor mehr als vierzig Jahren entstanden ist. Sich zerfleischende Stämme, an deren Seite im Falle von wertvollen Bodenschätzen alle Vertreter der Konglomerate zumindest solange stehen, wie sie an der Macht sind. Verhungernde Kinder, Söldner und Prostituierte. Kaum entwickelte Landstriche und Slumstädte, die eher an billige Kopien westlicher Siedlungen erinnern. Boyd zeigt das Bild des schwarzafrikanischen Kontinents, dessen Intellekt trotz oder gerade wegen moderner Waffen auf dem Niveau zurückgeblieben ist, das Europa im Mittelalter auszeichnete. In dieser brutalen, kapitalistische Umgebung erscheit Bond fast wie ein Fremdkörper, ein Artefakt aus einer noch dunkleren Gegend, der mit Glück und Entschlossenheit scheinbar unter der Ausnutzung des Faktors Zeit seine Mission erfüllen kann und trotzdem eine Niederlage erleidet. An seiner Seite steht eine junge attraktive Frau, welche im Geheimen die britische Interessen verfolgt. Natürlich kommen sie sich auf ihrer mit Details der afrikanische Kultur gespickten Weges zu den die Ölfelder kontrollierenden Rebellen näher. Vielleicht könnte deswegen die Niederlage so schmerzen. Obwohl Boyd ein eindrucksvolles, detailliertes Portrait eines Afrikas zeichnet, das sich zwar von den Kolonialmächten unabhängig gemacht hat und trotzdem zu einer Marionette politischer Interessen verkommen ist, in dem Aberglaube so mächtig erscheint wie die Brutalität der Handlanger will der Funke in diesen Szenen nicht überspringen. Keinen Augenblick kann der Leser glauben, dass dieser bodenständigere Agent und nicht Superagent sterben könnte. Dadurch wirken einige der sorgsam aufgebauten Szenen auch nicht spannend genug. Boyds Agent darf nicht nur Angst haben, zu den nachdrücklichsten Szenen des ganzen Romans gehört die Begegnung mit einer Handvoll sterbender, verhungernder  Kinder in einer einsam gelegenen Hütte und die Gleichgültigkeit vieler Menschen den hilflosen Darbenden gegenüber. Es ist ein intensives Bild, das der Leser wie der Agent so schnell nicht vergesse wird. Wie John le Carre in seinem Afrikaroman unterminieren diese realistischen Bilder eines Krieges das Image, das die vielen Kinofilme aufgebaut hat. Selbst wenn Willia Boyd am Ende James Bond auf einen Rachefeldzug schickt, der stellenweise so anders abläuft als erwartet und er nur zusammen wie Felix Leiter einen komplexen, komplizierten Fall aufdeckt, die Interessen des Westen gegen die eigene Überzeugung an vorderster Front verteidigt, so hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als sollte “Solo” mehr als nur ein Agentenabenteuer werden. Eine politische Abrechung mit der egoistischen  Vorgehensweise der westlichen Regierungen und Konzerne, die allerdings nicht nur wegen der zugrunde liegenden Mischung aus Naivität und Gier der afrikanischen “Herrscher” auf sehr fruchtbaren und vom Autoren expliziert angesprochen fruchtbare Boden gefallen ist.   

Und hier liegt vielleicht die größte Schwäche des Romans, denn dieser Bond ist nicht fehlerfrei. Das beginnt mit der Bekanntgabe selbst in den sechziger Jahren nach recherchierbarer Inforationen und endet schließlich in der fast selbst zerstörerischen Erkenntnis, den Tod eines Antagonisten nicht verifiziert zu haben. Boyd orientiert sich in diese Punkt allerdings zu sehr an den zahllose Horrorfilmen und ihre wenig befriedigenden Epilogen. Es ist weniger an typischer James Bond Roman mit der Lizenz zu Töten, die im ganzen Roman nicht expliziert erwähnt wird, sondern ein Agentenroman, der auch ohne Bond vielleicht sogar besser funktionieren könnte.  Es ist ein modernes Buch voller Zwischentöne, die über die Bodenschätze hinaus sich auf den perfiden Schmuggel unter Ausnutzug von Mitleidskomponenten konzentrieren mit einem absichtlich archaisch gestalteten Helden. Es bleibt abzuwarten, ob William Boyd in einem weiteren James Bond Roman die bekannten Muster wieder aufnimmt oder unter Ignoranz der Filme da fortfährt, wo Ian Flemig mit seinem letzten Roman “Man lebt nur zweimal” aufhört: mit einem jeden Tag mit der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes zurecht  kommenden Agenten seiner Majestät, der in seiner kargen Freizeit zu Leben versteht. Und dieser Fokus auf den Augenblick rückt “Solo” wieder an die Gegenwart und vielleicht literarische Zukunft des Agenten heran.                

  • Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
  • Verlag: Berlin Verlag (1. Oktober 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3827011582
  • ISBN-13: 978-3827011589
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