
Es ist weniger die auf den ersten Blick unglaublich erscheinende Mission in den kleinen afrikanischen Zwergstaat Zanzarim, welche den Leser schockiert, sondern die Spekulation, dass das heutige Bild des teilweise schwarzen Kontinents schon vor mehr als vierzig Jahren entstanden ist. Sich zerfleischende Stämme, an deren Seite im Falle von wertvollen Bodenschätzen alle Vertreter der Konglomerate zumindest solange stehen, wie sie an der Macht sind. Verhungernde Kinder, Söldner und Prostituierte. Kaum entwickelte Landstriche und Slumstädte, die eher an billige Kopien westlicher Siedlungen erinnern. Boyd zeigt das Bild des schwarzafrikanischen Kontinents, dessen Intellekt trotz oder gerade wegen moderner Waffen auf dem Niveau zurückgeblieben ist, das Europa im Mittelalter auszeichnete. In dieser brutalen, kapitalistische Umgebung erscheit Bond fast wie ein Fremdkörper, ein Artefakt aus einer noch dunkleren Gegend, der mit Glück und Entschlossenheit scheinbar unter der Ausnutzung des Faktors Zeit seine Mission erfüllen kann und trotzdem eine Niederlage erleidet. An seiner Seite steht eine junge attraktive Frau, welche im Geheimen die britische Interessen verfolgt. Natürlich kommen sie sich auf ihrer mit Details der afrikanische Kultur gespickten Weges zu den die Ölfelder kontrollierenden Rebellen näher. Vielleicht könnte deswegen die Niederlage so schmerzen. Obwohl Boyd ein eindrucksvolles, detailliertes Portrait eines Afrikas zeichnet, das sich zwar von den Kolonialmächten unabhängig gemacht hat und trotzdem zu einer Marionette politischer Interessen verkommen ist, in dem Aberglaube so mächtig erscheint wie die Brutalität der Handlanger will der Funke in diesen Szenen nicht überspringen. Keinen Augenblick kann der Leser glauben, dass dieser bodenständigere Agent und nicht Superagent sterben könnte. Dadurch wirken einige der sorgsam aufgebauten Szenen auch nicht spannend genug. Boyds Agent darf nicht nur Angst haben, zu den nachdrücklichsten Szenen des ganzen Romans gehört die Begegnung mit einer Handvoll sterbender, verhungernder Kinder in einer einsam gelegenen Hütte und die Gleichgültigkeit vieler Menschen den hilflosen Darbenden gegenüber. Es ist ein intensives Bild, das der Leser wie der Agent so schnell nicht vergesse wird. Wie John le Carre in seinem Afrikaroman unterminieren diese realistischen Bilder eines Krieges das Image, das die vielen Kinofilme aufgebaut hat. Selbst wenn Willia Boyd am Ende James Bond auf einen Rachefeldzug schickt, der stellenweise so anders abläuft als erwartet und er nur zusammen wie Felix Leiter einen komplexen, komplizierten Fall aufdeckt, die Interessen des Westen gegen die eigene Überzeugung an vorderster Front verteidigt, so hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als sollte “Solo” mehr als nur ein Agentenabenteuer werden. Eine politische Abrechung mit der egoistischen Vorgehensweise der westlichen Regierungen und Konzerne, die allerdings nicht nur wegen der zugrunde liegenden Mischung aus Naivität und Gier der afrikanischen “Herrscher” auf sehr fruchtbaren und vom Autoren expliziert angesprochen fruchtbare Boden gefallen ist.
Und hier liegt vielleicht die größte Schwäche des Romans, denn dieser Bond ist nicht fehlerfrei. Das beginnt mit der Bekanntgabe selbst in den sechziger Jahren nach recherchierbarer Inforationen und endet schließlich in der fast selbst zerstörerischen Erkenntnis, den Tod eines Antagonisten nicht verifiziert zu haben. Boyd orientiert sich in diese Punkt allerdings zu sehr an den zahllose Horrorfilmen und ihre wenig befriedigenden Epilogen. Es ist weniger an typischer James Bond Roman mit der Lizenz zu Töten, die im ganzen Roman nicht expliziert erwähnt wird, sondern ein Agentenroman, der auch ohne Bond vielleicht sogar besser funktionieren könnte. Es ist ein modernes Buch voller Zwischentöne, die über die Bodenschätze hinaus sich auf den perfiden Schmuggel unter Ausnutzug von Mitleidskomponenten konzentrieren mit einem absichtlich archaisch gestalteten Helden. Es bleibt abzuwarten, ob William Boyd in einem weiteren James Bond Roman die bekannten Muster wieder aufnimmt oder unter Ignoranz der Filme da fortfährt, wo Ian Flemig mit seinem letzten Roman “Man lebt nur zweimal” aufhört: mit einem jeden Tag mit der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes zurecht kommenden Agenten seiner Majestät, der in seiner kargen Freizeit zu Leben versteht. Und dieser Fokus auf den Augenblick rückt “Solo” wieder an die Gegenwart und vielleicht literarische Zukunft des Agenten heran.
- Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
- Verlag: Berlin Verlag (1. Oktober 2013)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3827011582
- ISBN-13: 978-3827011589