
Andreas Brandhorst ist ohne Frage ein talentierter Autor und ein guter Übersetzer. Bei „Im Schatten des Saturn“ zeigen sich aber seine Grenzen. In der vorliegenden Form wirkt der Roman unrunder als Greg Bears nicht zufriedenstellende Fassung und Brandhorst hat es zu wenig geschafft, eine der eklatanten Schwächen dieser Military Science Fiction Trilogie auszugleichen: die Romane wirken noch distanzierter und sprunghafter als im Original. Schon die Änderung des Titels von „Killing Titan“ zu „Im Schatten des Saturn“ zeigt auf, wie sehr sich das amerikanische Original und die deutsche Übersetzung unterscheiden. Im ersten Band der Trilogie hat Greg Bear nicht immer überzeugend versucht, den Leser möglichst nahe an das militärische Geschehen heranzuführen und durch subjektive Manipulation nicht nur der Protagonisten, sondern auch hinsichtlich der Erwartungshaltung der Leser Spannung zu erzeugen. Auch in der Fortsetzung versucht Greg Bear diesem Pfad zu folgen, wobei die Handlung weiterhin stark konfus und vor allem überdehnt erscheint. Unabhängig von dem wieder sehr offenen Ende hätten die ersten beiden nicht dünnen Bücher dieser Trilogie ohne Probleme in einem nur leicht überdurchschnittlichen Band zusammengefasst werden können. Das größte Problem dieser Trilogie ist wahrscheinlich der zu weite Schatten, den Ann Lecki mit ihrer ebenfalls im Heyne Verlag erscheinenden „Ancillary“ Serie wirft. Sie hat gezeigt, dass es neben sehr dreidimensionalen Charakteren durch einfache Plotwendungen Originalität/ Überraschungsmomente im Military SF Genre zu heben gibt. Hinzu kommt eine nicht patriotische oder gar martialische Politisierung der Science Fiction, wobei neben Ann Leckie hier vor allem Linda Nagata den Staffelstab von Joe Haldeman übernommen hat und Autoren wie John Ringo eher blass erscheinen lässt. Greg Bear bemüht sich, dieser Richtung zu folgen, auch wenn er die Qualität vor allem seiner besseren politischen Arbeiten wie „Heimat Mars“ leider nicht erreichen kann. Dabei verfügt er im Vergleich zu den vor allem weiblichen Autoren über die größte Erfahrung und hat in seinen in den achtziger Jahren veröffentlichten Arbeiten nachgewiesen, dass er das Genre zu neuen Ufern führen kann.
„Im Schatten des Mars“ setzt unmittelbar an das Ende des ersten Buches an. Da Greg Bear in dem Auftaktroman der Trilogie sehr stark auf Rückblicke gesetzt hat, um eher fragmentarisch als wirklich umfassend den Leser auf diese nur vordergründig so fremdartige Zukunft vorzubereiten, ist es wichtig zum Verstehen des vorliegenden Bandes den Auftaktroman nicht nur oberflächlich, sondern durchaus genauer gelesen zu haben. Der Amerikaner verzichtet auf weitere Erklärungen und kommt gleich scheinbar zur Sache. Vinnie Venn wird aus der Quarantäne befreit, mit seiner alten Einheit zum Mars zurück gebracht und dann wieder in Richtung Saturn geschickt. Dort sollen sie versuchen, wieder die Kontrolle über den Titan erlangen, der von den außerirdischen Agressoren besetzt worden ist. Hinzu kommt, dass Venn und seine Leute anscheinend zumindest von den "guten" Außerirdischen für Experimente missbraucht worden sind. Venn ist nicht alleine in seinem Kopf. Neben einem gefallenen Kameraden scheint er die Erinnerungen von Kreaturen in sich zu beherbergen, die älter als das Leben auf der Erde sind. Die Idee des Stellvertreterkriegs ist nicht neu, es ist nur schade, dass Bear nicht den ersten Band der Trilogie genutzt hat, um einen überzeugenden Hintergrund zu entwickeln.
Wie beim ersten Buch ist das größte Problem die Struktur des Plots. Den Saturn bzw. den Titan erreichen Venn und seiner Männer auf den letzten neunzig Seiten. Auch im Auftaktband der Trilogie hat Greg Bear sich fast zu viel Zeit gelassen, um den Katalysator für den Handlungsbeginn zu finden und den Plot dynamischer in Gang zu setzen. Im Auftaktroman einer neuen Serie ist diese Vorgehensweise zu verschmerzen, im mittleren Buch einer Trilogie nicht mehr, da der Leser eigentlich der Meinung ist, ein Autor müsste über ausreichend Material verfügen, um den Band zu füllen. Da wäre der innere Konflikt mit den beiden/ mehreren fremden Persönlichkeiten. Er nimmt einen breiten Raum ein. Interessant ist, dass sich Greg Bear mit einem Thema gar nicht auseinandersetzt. Ist diese multiple Persönlichkeit in Venns Körper überhaupt kampf- und einsatzbereit? Oder lenken die Stimmen so stark ab, dass dieser auf Perfektion gedrillte Soldat eigentlich gar nicht funktionieren kann? Stattdessen versucht Greg Bear einige Fragen aus dem ersten Buch zu beantworten, wobei er auf der anderen Seite wieder welche aufwirft und teilweise seine Ansätze negiert. Die politischen Fragen des ersten Buches werden zu Gunsten einer seltsamen Reise zum Titan in den Hintergrund gedrängt. Da die Soldaten ja nur Spielzeuge einer außerirdischen Rasse sind, fliegen sie in einem seltsamen, von Greg Bear ausgesprochen ambivalent bis unpraktisch beschriebenen Raumschiff mit glühenden Sphären und einer Außenhaut, die eher an Papier erinnert, aber natürlich unzerstörbar ist, dem Saturn entgegen. Natürlich will der Autor die Überlegenheit der Fremden darstellen. Aber mit diesem Hang zu einer fast mystischen technikfeindlichen Überzeichnung trägt der Roman auch das Risiko in sich, die militärisch realen Szenen zu negieren und den ganzen Roman auf eine unnötige Science Fantasy Ebenezu heben. Die Idee, die leider so dünn wie Papier gezeichneten Protagonisten gegen den phlegmatischen Plot zu stellen und sie sich zum Beispiel während des viel zu lang beschriebenen Fluges klischeehaft bewegen zu lassen, funktioniert grundlegend auch nicht. Ausgerechnet in seinem epochalen Roman „Das Schiff“ hat Greg Bear gezeigt, wie gut menschliche Neugierde und fremde Technik miteinander harmonieren können. Es ist schade, dass der Autor diese Ansätze in dieser übertrieben futuristisch aufgebauten Military Science Fiction Trilogie nicht nur nicht ausgebaut, sondern kontraproduktiv unterminiert hat.
Bitter ist, dass ausgerechnet im letzten viel zu kurzen Abschnitt der Roman wirklich zu leben beginnt. Greg Bear hat sich mit einem Bodentruppenszenario der Zukunft ausreichend beschäftigt. Im Gegensatz zu vielen anderen gegenwärtig Military Science Fiction schreibenden Autoren ist er sich der Dreidimensionalität des Raumes genauso bewusst wie zum Beispiel auf den Mars den besonderen unwirtlichen Bedingungen, die zum Vor- oder Nachteil genutzt und ausgenutzt werden können. Sobald sich der Autor von seinem eher ambivalent entwickelten Hintergrund löst und der Geschichte ausreichend Raum gibt, sich in Form der militärischen Auseinandersetzung zu entwickeln, lebt das Buch auf. Die ganzen inneren Monologe oder Dialoge - je nach persönlicher Lage der Soldaten – sind schnell vergessen und dank der Rasanz sowie einzelnen gut geschriebenen Manövern gewinnt „Im Schatten des Saturns“ sowie wachsender Spannung an Format.
Leider unterminiert Greg Bear diesen Ansatz mit dem schon angesprochenen zu offenen Ende. Einige Autoren vergessen, dass die Leser auch für jeden Teil der Trilogie Geld ausgeben und damit ein Recht darauf haben, zumindest ein vorläufiges und befriedigendes Ende präsentiert zu bekommen. Nach der schlechten Strukturierung vor allem der ersten Hälfte des Romans geht Greg Bear der „Platz“ aus und nach einigen sehr guten Szenen hört der Plot förmlich auf. Vieles erinnert an da Ende des ersten Buches. Das wäre nicht einmal schlecht, wenn der Weg dahin logisch und für den Leser nachvollziehbar gewesen wäre. Aber in dieser Form erscheint selbst das „Deus Ex Machina“ Ende zu stark konstruiert und lässt den wie angesprochen besten Abschnitt des ganzen Buches isoliert im Regen stehen. Viel schlimmer ist, dass er eine Frage wirklich beantwortet. Die Frage nach der Intention der Außerirdischen, die Menschen in diesen Konflikt zu ziehen. Wie Joe Haldeman in „Tödlicher Auftrag“ zeigt sich, dass Greg Bear sich nicht sorgfältig genug mit den Stoff auseinander gesetzt hat und in erster Linie sich dem schon vor der Veröffentlichung seiner Romane in eine andere Richtung entwickelnden Trend der Military SF anschließen wollte. Diese Idee ist in mehrfacher Hinsicht misslungen, so dass „Im Schatten des Saturns“ nur in wenigen, dann allerdings wirklich gut geschriebenen Abschnitten funktioniert, während ansonsten nicht nur viel Leeraum vorherrscht, sondern Greg Bear wichtige grundlegende Ideen wie die Reise zum Saturn in einem gänzlich fremden Raumschiff ohne das Gefühl für den Augenblick einfach lieblos niedergeschrieben hat. Leider hält auch der zweite Band der „War Dogs“ Trilogie nicht der Zugkraft des Namens stand, der dank unzähliger sehr guter Romane viele Jahre für Originalität und Qualität im Genre gestanden hat.
- Taschenbuch: 432 Seiten
- Verlag: Heyne Verlag
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 345331414X
- ISBN-13: 978-3453314146
- Originaltitel: Killing Titan - War Dogs Book 2