Grant Morrison ist einer der erfolgreichsten britischen Comicautoren der Geschichte. Wem das beim Kauf dieses sekundärliterarischen Überblicks über die Entwicklung der Comics von der Geburt „Supermans“ in den dreißiger Jahren bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts nicht klar ist, wird darüber mehrfach teilweise staunend, aber manchmal auch ein wenig selbst lobend aufgeklärt. Hinzu kommt eine gewisse Selbstverliebtheit, wenn Grant Morrison aus den dunklen Phasen der schöpferischen Selbstfindung auftauchend sich selbst als attraktiv bezeichnet. Dazwischen finden sich aber auch selbstkritische Auseinandersetzungen mit dem frühen Ruhm sowie seinen Wurzeln im Independentcomic. In dieser Hinsicht ist „Superhelden“ mehr als eine Monographie über die bunten Bilder und die unerklärliche Faszination der Übermenschen. Grant Morrison versucht den letzt endlich sehr positiven Einfluss der Comics auf sein Leben in Worte zu fassen. Betrachtet der Leser allerdings kritischer den Untertitel „Was Menschen von Superman, Batman, Wonder Woman & Co lernen können“, dann zeigen sich die Schwächen dieses ansonsten lesenswerten Essays. An Hand zweier wichtiger Eckedaten – unabhängig von den zahlreichen sozialen Veränderungen, denen sich die Comics stellen mussten – versucht der Autor die Wechselwirkung zwischen finsterer Realität und Fiktion auszuloten. Der eine Eckpfeiler ist der Zweite Weltkrieg, der zweite natürlich der Anschlag vom 11. September. Im Zweiten Weltkrieg lieferten die Superhelden mit „Captain America“ an der Spitze in erster Linie moralisch propagandistische Unterstützung in einem Krieg, der auf den Schlachtfeldern, der Luft und den Meeren entschieden worden ist. Die Anschläge des 11. Septembers trafen Amerika unvorbereitet und den Superhelden blieb nur übrig, die Menschen um Verzeihung für ihr „Nichteingreifen“ zu bitten. Stellvertretend sei hier auf Grant Morrisons Erwähnung des Superman Covers mit den brennenden Türmen hingewiesen worden. Auch wenn der Kampf gegen den Terror im Anschluss an die Anschläge in erster Linie von den Soldaten und zynisch gesprochen Drohnen übernommen worden ist, hat sich das Bild der Superhelden vordergründig gewandelt. Diesen Wandel arbeitet Grant Morrison im Kapitel „Die Renaissance“ zu wenig überzeugend heraus, denn die Superhelden sind im digitalen Zeitalter angekommen. Die gigantischen Blockbusterverfilmungen haben – trotz einiger kritischer Anmerkungen – die Superhelden wieder auf das Niveau der sechziger und siebziger Jahre zurückgeführt. In diesen Übergangsjahren begannen die Comicautoren die nicht selten angeschlagenen Psychen ihrer Eltern zu analysieren, ohne sie wie in den achtziger Jahren dank Frank Miller zu demontieren und wieder als zynische Abbilder des grenzenlosen Kapitalismus und der rücksichtslosen wirtschaftlichen Expansion als Zerrbilder wieder zusammenzusetzen. Die Marvel oder DC Verfilmungen konzentrieren sich auf einfache Handlungsbögen mit nur kommerziell ausnutzbar angebrochenen Protagonisten. Immer im sicheren Fahrwasser. Der 11. September hat außerhalb der Comicwelt mit ihren Überhelden mehr Spuren hinterlassen als der erfolgreiche zweite Weltkrieg, der noch Jahre später zu erfolgreicher Jagd auf versteckte Nazis führte. Allerdings war auch die Bedeutung der Comics eine andere. Selbst die Serials und Verfilmungen der vierziger Jahren haben in erster Linie ein jugendliches Publikum zu erreichen gesucht, während die Blockbuster der Gegenwart auf einen Schlag mehr Menschen ansprechen sollen und müssen, als in einem Jahr die Comicvorlagen gelesen haben.
Wie schwer die Gegenwart der Comics mit ihren extremen Strömungen – auf der einen Seite sucht man immer wieder den überquellenden Sammlermarkt zu versorgen, auf der anderen Seite braucht man das Massengeschäft – einzuschätzen ist, zeigt das abschließende Kapitel dieser Sammlung. Je mehr Grant Morrison aktiv die Zukunft des Mediums gestaltet, um so schwerer tut er sich, die Arbeiten der Kollegen in einen vernünftigen Kontext zu setzen. Neben den zahlreichen Produktionen, wobei Morrison den Independentmarkt teilweise verächtlich abkanzelt, während die großen Verlage das Nonplusultra sind, gibt es keine Tendenzen. Einige Autoren konzentrieren sich mehr und auf die Komik der sechziger Jahre, während die Neuinterpretation der bekannten Superhelden nach diversen Crossover wie „Crises of Infinite Earth“ oder „World War“ auch an natürliche, künstlerische Grenzen gestoßen ist. Die von Morrison betrachtete Gegenwart des 21. Jahrhunderts ist der vielleicht am schwersten zu beurteilende Teil des Buches. Morrison muss die eigene, ohne Frage auch relevante Position ohne Arroganz darstellen. Er deutet zwar an, was ihn an einzelnen Charakteren fasziniert, aber es fehlt nicht selten der zweite Schritt. Die Entstehung der Neuinterpretationen bleiben oberflächlich und alles an seinen Serien ist phantastisch, erfolgreich, Bahn brechend, einzigartig oder einfach nur innovativ. Er geht zwar auf die Arbeiten der Kollegen ein und kritisiert die künstlerisch sowie für die Comicautoren- und – zeichner kommerziell entscheidende „Image“ Phase als Ästhetik ohne Inhalt, aber mit Frank Miller und seinen letzten, politisch umstrittenen Exzessen geht er genauso sanft um wie mit Alan Moore, dessen „Watchmen“ für das Superheldencomic eine neue Richtung, aber kein Ende darstellte. Immer wenn Grant Morrison von einzelnen Werken fasziniert ist und er sich den Raum nimmt, aus der Sicht des Insiders in die Details zu schauen – hier sei auf die Gestaltung der einzelnen Seiten verwiesen -, dann lebt „Superhelden“ über das ansprechende Niveau eines sekundärliterarischen Werkes hinaus auf.
Der persönlichste Teil steht am Anfang. Wie viele später im Genre kreative Köpfe der dritten bzw. vierten Generation präsentiert sich Grant Morrison als Träumer, der von seinen Eltern die Werkzeuge der Kreativität – Schreibmaschine und Comics, sowie Science Fiction Bücher – mit auf den Weg bekommen hat, der aber scheu und introvertiert sich in seinen ersten Arbeiten auszudrücken suchte. Dabei muss der Leser bedenken, dass Grant Morrison als in Schottland aufgewachsener Brite ja immer ein Trittbrettfahrer des amerikanischen Comicbooms gewesen ist und in den Zeiten vor dem Internetboom nur das zu lesen bekam, was die kleinen nicht spezialisierten Läden einkauften.
Daher kann der Autor „Das goldene Zeitalter“ nur aus einer Position des Altersweisheit heraus betrachten. Er geht auf die Entstehung des „Supermans“ als Ideal des amerikanischen Traums genauso ein wie auf die Erschaffung „Batman“ als eine Art kapitalistische Gegenposition, mit dem Bob Kane im Vergleich zu seinem elementaren, aber heute vergessenen Kollegen Bill Finger reich zu werden suchte. Grant Morrison geht mit Bob Kane und „Batman“ vielleicht zu hart ins Gericht, aber zusammen mit „Superman“ bildet der dunkle Vigilant den roten Faden dieser Studie. Die einzelnen Veränderungen des Charakters nur selten als Aktion, vielmehr als Reaktion auf eine sich stetig verändernde Lesergeneration dominieren die Sammlung mehr als zum Beispiel „Captain America“ als symbolträchtiges, aber auch umstrittenes Fanal des wehrhaften, aber auch stellenweise reaktionären Amerikas. An diese beiden Symbolfiguren anknüpfend zeigt Grant Morrison an sehr vielen, neu zu entdeckenden Comicarbeiten die Metamorphose auf, die vor allem DC und später Marvel mit „Königen“ wie Stan Lee oder Jack Kirby später durchlaufen haben. „Das silberne Zeitalter“ der an sich selbst zweifelnden Expansion als Nachwehen des Zweiten Weltkriegs steht der „Renaissance“ gegenüber. In beiden Fällen ignoriert Grant Morrison aber den selbst gewählten Untertitel, da die Menschen weniger von den Superhelden lernen können, als dass die Superhelden selbst – indirekt auch die Schöpfer – von ihrer Umgebung lernen und sich anpassen. Es ist ein Wechselspiel. Um die Leserschaft länger zu binden und die Universen überschaubarer zu machen, haben sowohl Marvel als auch DC ihren Helden Hintergründe gegeben und die Widersprüche geglättet. Gesellschaftlich fand dieser Prozess in der Phase zwischen Babyboomers und der aufmüpfigen Jugend, zwischen den Rassenunruhen und dem Vietnamkrieg statt. In einer Zeit, als die USA selbst eine eigene Identität suchten. Mit dem kalten Krieg und dem Aufbrechen der sozialen Strukturen wurden diese Superhelden im elementaren „dunklen Zeitalter“ – „The Watchmen“, „The Dark Knight returns“ und der leider unerwähnten politischen Provokation „V for Vendetta“ – erwachsen. Eine neue Generation von jugendlichen Autoren, die aus anderen sozialen Schichten gekommen sind und über eine gänzlich andere Ausbildung als zum Beispiel ein Bob Kane oder Jack Kirby verfügten, nahmen sich den bekannten Helden an und begannen sie zu verfremden. Der Mythos wurde komplett überarbeitet und ein kurzweilig eine brutalere Variation erschaffen, von dem Christopher Nolan mit seiner „Batman“ Trilogie – auch hier fehlt der Hinweis, dass Ledgers „Joker“ vielleicht mit seinem Selbstmord zu tun hat oder das ein Psychopath bei der Aufführung des letzten „Batman“ Films ein Blutbad angerichtet hat - genauso profitiert wie ein Zack Snyder mit „300“. Während Grant Morrison auf die stetig besser werdenden CGI Tricks eingeht und die Möglichkeiten Hollywoods, Superheldengeschichten entstehen zu lassen, expliziert herausarbeitet, fehlt der Verweis auf die auch im Comic angewandte Computertechnik. Das lässt die Studie von Seiten der „Macht“ ebenfalls nostalgisch verklärt erscheinen.
Es ist nicht klar, wen Grant Morrison mit seiner trotzdem lesenswerten Übersicht über das Superheldengenre ansprechen will. Insider werden enttäuscht sein, dass manches Standardwerk wie „V for Vendetta“ oder „300“ oberflächlich bis gar nicht abgehandelt wird. Die Auswirkung von „The Watchmen“ werden diese Fans kennen, während sie die Insiderinformationen und vielleicht auch den entsprechenden Klatsch vermissen könnten. Es ist kein Buch über die Entstehung der einzelnen Superheldengeschichten. Es ist der Versuch, die Verklärung des Übermenschen, die moderne Version der alten Legenden – siehe die „Nibelungen“ Saga oder die Geschichten um König Artus – in einfach, einprägsame Worte zu fassen. Es fehlen auch jegliche Querverweise auf andere Kultverdächtige Bereiche. Während Musik eine mehr oder minder experimentell wichtige Rolle spielt, scheint die Verklärung der Fans gegenüber Fernsehen/ Film – ähnlichen Verwerfungen wie die Comics unterworfen – sowie der Hype um Sportler als neue Superstars von Grant Morrison ignoriert zu werden. Dabei ließen sich insbesondere im „dunklen Zeitalter“ beängstigende Parallelen feststellen.
Die neue Generation der Leser wird unglaublich viele Hinweise auf verstaubte oder vergessene Serien finden, die Verlage wie Marvel oder DC inzwischen wieder in liebevollen Sammlerausgaben auf den Markt bringen. Der Einfluss eines Stan Lees oder Jack Kirbys auf die Geschichten der Gegenwart wird genauso herausgearbeitet wie die Kleinkriege und kommerziellen Fehlschläge, mit denen sie sich zu Lebzeiten auseinandersetzen mussten. Je weiter Grant Morrison in die Vergangenheit vordringt – wobei das Buch stringent chronologisch aufgebaut ist -, desto mehr Ideen, Ansätze und Lesetipps erhalten auch Anhänger des Genres. Zu den positivsten Eigenschaften der Studie gehört ohne Frage die Anregung, bekannte und oft gelesene Serien aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und die Zwischentöne ganz anders zu betrachten als man es vielleicht in seinem bisherigen Elfenbeinturm versucht hat. In dieser Hinsicht gehört „Superhelden“ zu den kommerziellsten – nicht negativ gemeint – und allgemeingültigsten Überblicken über das Genres. Geschrieben von einem in doppelter Hinsicht Inder. Grant Morrison schreibt nicht nur Superheldengeschichten, sie haben ihn nicht nur unverschämt reich – eigene Ausdrucksweise gemacht, sie haben ihn auf unterschiedliche Art und Weise sein bisheriges Leben lang begleitet. Er ist Profi und Fan zu gleich, der die Qualität seiner Kollegen oder Konkurrenten einzuschätzen sucht. Wer in das Phänomen der „Superhelden“ Geschichten als Außenseiter eindrücken möchte, wird vielleicht von der Fülle von Fakten und Gerüchten, von Querverweisen und Lesehilfen erschlagen. Es ist schwer, eine solide Balance zwischen diesen beiden potentiellen Kundengruppen zu finden und beiden Seiten gefällig zu sein. In dieser Hinsicht überzeugen vor allem die Kapitel über das goldene und silberne Zeitalter, in denen Grant Morrison seine jugendliche Naivität relativiert und viele Geschichten verklärt. Mit seinem aktiven Eintreten in den Markt verschiebt sich auch sein Fokus, so dass Entwicklungen sich mehr und mehr von potentiellen Hintergründen lösen und isoliert als von Fakten nicht unterlegte Thesen im literarischen Freiraum stehen.
Trotz der Schwächen ist Grant Morrison als „Erzähler“ Profi genug, um unterhaltsam, teilweise selbstironisch die Superhelden an den Platz zu stellen, an den sie gehören. In die Herzen ihrer Fans als Fanale einer von Jahrzehnt zu Jahrzehnt unterschiedlich zu bewertenden besseren Zeit, selbst wenn dazu manch dunkler, selbst zerstörerischer Tunnel durchschritten werden muss.