Versteckt

Jack Ketchum

"Versteckt" - im Original "Hide and Seek" - ist der zweite Roman, den Jack Ketchum nach seinem provokanten Debüt "Off Season" veröffentlicht hat. Der Roman hat fast dreißig Jahre auf dem Buckel und erinnert phasenweise an die latent sadistische Erotik, welche Richard Laymons Roman auszeichnete. Erst gegen Ende des ausgesprochen stringenten Plots tauchen Facetten auf, die Ketchums makaberes Werk von seinen Mitstreitern unterscheidet. Bei der Lektüre muss immer berücksichtigt werden, dass es sich um einen sehr frühen Ketchum Handlung, der hinsichtlich seiner Ausführung teilweise noch roh und unfertig erscheint.

Weiterhin verfügt der Roman mit dem in der kleinen verschlafenen Ortschaft aufgewachsenen Dan über einen Erzähler, der aus der reiferen und deutlich älteren Position heraus die Geschehnisse erzählt. Diese Vorgehensweise wirkt auf der einen Seite spannungstechnisch negativ, gibt dem Autoren in Person seines Alter Egos aber auch die Möglichkeit, zwischen den Ereignissen impliziert hin und her zu springen und mit ominösen Bemerkungen wie "Sie hat mir von Anfang an Angst gemacht" Spannung zu erzeugen. Dabei ahnt der Leser spätestens nach wenigen Seiten, in welche Richtung der Plot laufen muss und wird.

Dan ist im Grunde ein bescheidener junger Mann, der seinen Bruder in Vietnam verloren hat. Momentan begnügt er sich in einer Art zwischenschulischer Auszeit mit einem Job im lokalen Sägewerk und einer Kellnerin. Dann lernt er - wie die ganze Stadt - die aus besseren Hausen stammenden Jugendlichen Casey, Kim und Stanley kennen, welche mit ihren Eltern die so typisch amerikanisch langen Sommerferien in dem kleinen, für sie zu kleinen Ort verbringen. Dan ist gleich an der sehr attraktiven wie offenherzigen Casey interessiert. Auch Stanley hat ein Auge auf die verschlagene junge Frau geworfen. Die erste Begegnung zwischen Dan und Casey ist vielleicht formend: während alle Einheimischen am Strand des noch viel zu kalten Sees liegen, wirft sie sich nach anfänglichen Zieren in die kalten Fluten. Dan kommt ihr näher. Sie steckt auf Herausforderungen. Sie stielt aus Tankstellen oder stellt geliehene Autos in abgeschieden gelegenen Straßen wieder ab.  Höhepunkt ist ohne Frage der Sex mit ihr. Sie liebt es, Dans Grenzen auszutesten. In zwei unterschiedlich erotischen Szenen haben sie das erste Mal Sex, als ihnen die Verkäuferin vom Autokino zusehen kann. Ein zweites Mal auf einem Friedhof. Natürlich auf dem Grab einer Jungfrau. Diese Kennenlernphase ist vielleicht der lesenswerteste Aspekt des ganzen Buches. Casey ist keine durch und durch schlechte Person. Es lässt sich diskutieren, ob sie zu einem Adrenalinjunkie durch das Befummeln durch ihren Vater gemacht worden ist. In diese Tiefe kann und will Ketchum nicht gehen. Zumindest zeigt er sie nicht ausschließlich als egoistische und egozentrische junge Frau, auf die der überforderte aber herausgeforderte Dan unweigerlich fliegen muss. Auf der anderen Seite unterminiert der Autor Dans Position zu leichtfertig. Alleine Langeweile scheint kein Grund zu sein, um seine bislang bürgerlich gesetzte erste Schritte ins Arbeitsleben unternehmende Position aufzugeben. In diesen gut geschriebenen Abschnitten konzentriert sich der Autor zu sehr auf die Wirkungen und zu wenig auf die Ursachen, was einige "Entwicklungen" holprig erscheinen lässt. Dan agiert ausschließlich hormongetrieben an der anfänglich noch langen Leine der dominanten wie teilweise auch unterwürfigen Casey. Ketchum rundet aber diese Beziehung mit seinen pointierten und sehr emotional offenen Anmerkungen am Ende des Buches – „Erinnerungen an ein gefährliches Leben“ – ab. Er geht auf seine eigene Beziehung zu Jen ein, die sich in „Versteckt“ portraitiert gesehen hat. Durch sie lernte er Marihuana kennen, während Jen inzwischen auf Speed gewesen ist. Diese Beziehung scheiterte schließlich an unterschiedlichen Lebenszielen, auch wenn Jen anscheinend in ruhigere und familiäre Bahnen lenken konnte. Es ist ungewöhnlich, dass sich Ketchum für diese Neuauflage so sehr öffnet, sie gleichen aber die inhaltlich und stilistisch ein wenig zu rohen Stellen sehr gut aus.

In der Gruppe kommt es auch zu Spannungen. Als Autor fokussiert sich Ketchum zu sehr auf Casey und Dan. Dabei ignoriert er die nicht uninteressant angelegten, aber zu wenig fundamental extrapolierten Kim und Stanley. Interessant ist auch, dass Ketchum nicht wirklich mit Doppelungen arbeitet. Dan vervollständigt als vierter die potentiellen zwei Paare. Casey und Dan haben jeweils Brüder verloren. Dan seinen Bruder wie schon angesprochen in Vietnam. Caseys Trauma als potentielle, aber auch latent klischeehafte Erklärung für ihr provokantes Verhalten in der Nacht, in welche ihr Vater sie einmalig sexuell zu mißbrauchen suchte. Ihr Bruder kam zufällig in die Zimmer und stürzte bei seiner Flucht eine Treppe im Haus hinunter. Aus dieser interessanten Doppleridee macht bis auf die Mitleidsbekundungen Ketchum zu wenig.

Ebenfalls auffällig ist, dass sich der Autor auf das Vorgehen der vier Jugendlichen konzentriert und weder Polizei nach Eltern - bis auf eine Begegnung mit Casey inzwischen apathisch zu nennenden Alkoholkranken Vater - eine wichtige Rolle spielen.

Höhepunkt des Buches ist das Versteckspiel in einem "Haunted House". Die Geschichte der Familie und ihrer vielen Hunde hat der Leser zu Beginn schon erfahren. Als Casey und Dan zusammen mit den anderen beschließen, nachts in der Haus einzudringen, ahnt der Leser, dass es keine gute Idee sein kann. Ab diesem Augenblick schockiert und provoziert der Autor seine Leser. Er kehrt in das brutale, sadistische und effektive Terrain seiner Kannibalenromane zurück, auch wenn er eine andere Art von "Rasse" erschafft. Erst in seinen späteren Büchern wird er eine neutralere und damit aufgrund der realistischen Hintergründe sehr viel schwerer zu ertragende neutrale Position zur Gewalt im Allgemeinen und in den besonderen Fällen wie "The Girl next Door" im Speziellen einnehmen. Da Ketchum nur über eine Handvoll von Protagonisten verfügt, ist klar zu erkennen, dass es Tote geben wird. Er bringt seine Protagonisten  in einem inzwischen in doppelter Hinsicht perversen Katz- und Mausspiel um. Die grausamen Szenen erinnern sehr stark an die beiden „Off“ Kannibalenromane, wobei der Autor auf dem schmalen Grad zwischen Provokation und Sadismus die Balance hält. Lange Zeit kann Dan als Initiator des grausamen Scherzes – er fesselt die „Bondage“ Spiele anscheinend liebende Casey und steckt sie als Höhepunkt des Spieles in einen Schrank – nur von seinem schlechten Gewissen angetrieben reagieren, bevor er schließlich auf der anderen Seite vom Autoren nachhaltig herausgefordert wird.  Natürlich weckt der Showdown instinktiv und ohne Vorbildung Seiten in ihm, die er vorher nicht für möglich gehalten hat. Dieses Über-sich-Hinaus-Wachsen wirkt rückblickend ein wenig zu statisch und zu stark konzentriert, ist aber ein klassisch klischeehaftes Element dieses Horrorsubgenres, das keiner mehr auf die Spitze getrieben hat wie Stephen King. Auf der anderen Seite wirkt der Showdown angesichts der Vorbereitung zu abrupt beendet und der finale Höhepunkt löst sich ein wenig zu leicht, aber effektiv auf. 

 Auch legt Ketchum weniger Wert darauf, eine morbide nihilistische Atmosphäre zu erzeugen, sondern konzentriert sich auf die erotisch eingefärbte Kennenlernphase und schließlich die Eruption von Gewalt. Packend und in der deutschen Übersetzung ebenfalls intensiv und spannend geschrieben gehört "Versteckt" nicht zu seinen besten Arbeiten, ist aber ein solider Roman auf besseren Richard Laymon Niveau.   

 

  • Taschenbuch: 256 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. Mai 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453676165
  • ISBN-13: 978-3453676169
  • Originaltitel: Hide & Seek
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