Mit „Planet der Stürme“ beginnt der Atlantis- Verlag die Neuveröffentlichung bzw. Fortführung der Earl Dumerast Saga, die ihr Schöpfer E.C. Tubb von 1967 an über insgesamt dreiunddreißig Abenteuer veröffentlicht hat. Im Mittelpunkt steht Earl Dumerast, der aus Abenteuerlust die inzwischen in Vergessenheit geratene Erde als Zehnjähriger verlassen hat. Der Kapitän des Raumschiffs hat den blinden Passagier nicht im All ausgesetzt, sondern wie einen Sohn behandelt. Dumerast Reise führte immer weiter in Innere der Milchstraße. Im Grunde erzählt Tubb in den einzelnen, abgeschlossenen Abenteuern dessen Rückkehr an den Rand der Milchstraße und nach Hause. Die Idee, nach der verlorenen Legenden umwobenen Erde zu suchen, ist später unter anderem auch in die beiden Inkarnationen der „Kampfstern Galactica“ Fernsehserie sowie zahlreiche allein stehende Werke eingeflossen. Aber niemand hat über einen derartig langen Zeitraum an einer Serie geschrieben wie E.C. Tubb. In den frühen achtziger Jahren konnte Tubb immer schwerer Verlage für die Serie begeistern. So erschien 1997 der lange als Abschlussband angekündigte „The Return“ nur in Frankreich. Erst Jahre später fand sich ein amerikanischer Verlag. 2008 folgte mit „Child of Earth“ der 33. und letzte Dumerast Band. In den USA sind inzwischen alle Romane fürs Kindle lieferbar. Der Atlantis Verlag plant neben einer kompletten Neuausgabe mit neuen, ungekürzten Übersetzungen der teilweise schon mehrfach veröffentlichten ersten „Earl Dumerast“ Abenteuer auch zeitgleich spätere, noch nicht in Deutschland publizierte Bücher zu übersetzen und so die chronologische Veröffentlichungsreihenfolge zu unterlaufen.
Im ersten Band „Planet der Stürme“ – im Original „The Winds of Gath“ – etabliert E.C. Tubb Earl Dumerast nicht nur in einer fast Shakespeare tragische Züge tragenden Geschichte den wichtigsten Protagonisten der Serie, der Autor bestimmt gleichzeitig die Grundlagen im Grunde aller folgenden Abenteuer. Tubb muss sich ohne Frage der Kritik stellen, dass er zu oft auf klassische mittelalterlich ritterliche Elemente – in jedem Band muss Dumerast mindestens einen Zweikampf, ein Duell oder wie in „Planet der Stürme“ eine Art Gladiatorenkampf auf Leben und Tod überstehen – sich stark wiederholend eingesetzt hat. Obwohl die Serie in einer fernen Zukunft spielt, in welcher auf der einen Seite die bewohnbaren Planeten von der Erde aus besiedelt worden sind, ist die Wurzel der Menschheit in Vergessenheit geraten und die verschiedenen Kulturen haben sich politisch/intellektuell und teilweise überraschend auch wirtschaftlich in ein fiktives feudales Mittelalter zurück entwickelt. Diesen Widerspruch klärt Tubb nicht auf, sondern nutzt ihn für eine Reihe von vielschichtigen Hofintrigen, die von Dumerast als stammbaumloser Ritter nicht selten im Alleingang geklärt werden müssen. Dumerast ist gegen die Sklaverei, muss sich aber mehrmals als einfachster Hilfsarbeiter oder wie im vorliegenden Roman Ruderer auf einem Fischerboot verdingen, um sein Überleben zu sichern. Im Auftaktband erfährt der Leser über Gath nur die notwendigsten Fakten, auch wenn die Welt mit ihren einzigartigen, sich in einem gigantischen Gebirge brechenden Stürmen, welche in den dort weilenden Menschen Halluzinationen und Wahnsinn hervorrufen ein phantastischer, bizarrer, archaischer und gefährlicher Ort ist. An einigen Stellen hat der Leser das unbestimmte Gefühl, den futuristisch realen Kosmos zu verlassen und in den Bereich der Legende hinüber zu treten. Dabei nutzt Tubb diesen Hintergrund nicht nur zu einem politisch brisanten wie interessant aufgebauten Intrigenspiel, das Naturphänomen legt bei schwachen Geistern ihre Urängste offen. Mord und Selbstmord stehen während der tosenden Winde und dem einhergehenden peitschenden Regen auf der Tagesordnung. Mit der nicht ungefährlichen Begegnung mit dem Wind auf der nur über einen fast unwirtlich zu nennenden Pfad erreichbaren Plattformen verbinden such Hoffnungen und Ängsten, Wünsche und Verdammnis. Der Wind, der Regen, die wie das „Lachen eines Wahnsinnigen“ klingenden Töne werden vielen Menschen das Leben kosten. Für den Leser und wahrscheinlich absichtlich von Tubb so angelegt verblüffend spielt sich vor diesem surrealistisch bizarren und doch so überzeugenden Hintergrund eine politische Tragödie um Macht und Machtmissbrauch ab. So archaisch und dreidimensional die verschiedenen Planeten nicht nur dieses vorliegenden Auftaktbandes sind, welche Dumerast bereisen wird und muss, so sehr fesselt und unterhält die stringente und kompakt erzählte Handlung trotz der mehrfach verwandten Mechanismen den Leser über mehr als vierzig Jahre seit der Veröffentlichung des ersten Abenteuers.
Der Widerspruch einer im Grunde aus Adligen mit oligarchischen oder feudalen Regierungsformen bestehenden Oberschicht und den in jeglicher Hinsicht Armen findet sich auch in den wenigen fast kargen Science Fiction Elementen, die Tubb in den Roman integriert hat. Die Geschichte könnte auch auf einem gigantischen Planeten mit phantastisch magischen Elementen spielen. Zwischen den Welten bewegen sich gigantische Transport- und seltener Passagierschiffe. Die Armen lassen sich in sargähnlichen Behältern im Tiefschlaf transportieren, wobei die Sterberate immer noch bei fünfzehn Prozent ist. De Reichen nutzen eine Droge namens „Quick Time“, die sie wahnsinnig schnell macht und die Reisezeit entsprechend verkürzt. Während des Showdowns nutzt Dumerast diese sehr gefährliche, an die Fähigkeiten der Comicfigur „Flash“ erinnernde Droge, um ein junges Mädchen aus den Händen ihres sadistischen machtgierigen Entführers zu befreien. Dumerast selbst landet nur auf Gath, weil die Reichen für eine Pilgerfahrt – die Herrscherin eines sehr reichen Hauses möchte aus Gath während des Naturphänomens der Stürme ihre Nachfolgerin ernennen – ein ganzes Schiff gebucht haben und der Reeder zu faul gewesen ist, den schon im Tiefschlaf befindlichen Dumerast wieder auszuladen. Die Droge erinnert allerdings auch an eine Art „Deus Ex Machina“ Wunderwaffe, die Tubb in den späteren Romanen zusammen mit der das Bewusstsein ausschaltenden Droge Affinitätszwilling zu oft und zu mechanisch einsetzt. Im vorliegenden Auftaktband ist es eine interessante, fast surrealistische Nutzung einer der bisher archaisch primitiven Gesellschaft fast widersprechenden Idee.
Bei der Zeichnung seiner Figuren geht Tubb ein wenig holzschnittartig vor. Dumerast muss sich zwar auf der jeweils neuen Welt orientieren, er wird aber zu schnell zu einer Art Überhelden, der auf der intellektuellen Ebene die Ränkespiele wie ein deduzierender Detektiv weit vor den Lesern durchschaut und der auf der primitiven körperlichen Ebene allen Feinde gewachsen ist. Hier muss er sich mit dem Fangen gigantischer und gefährlicher Fische in einer Hommage an Moby Dick genauso auseinandersetzen wie in der Gladiatorenarena, wo er mit rücksichtsloser Vorgehensweise den Champion ausschaltet. Auf ihn werden mehrere Mordattentate verübt, wobei eine Szene aus Frank Herberts „Dune“ übernommen worden ist und schließlich konfrontiert er nicht nur die Schurken und befreit die Maid, sondern entlarvt ein vielschichtiges Komplott unter doppelten Einsatz seines Lebens. Dazwischen kümmert er sich um einen Jungen, den er auf Gath wieder gefunden hat. Er ist bereit, alles für dessen Genesung von der Folter zu opfern. Zu überdimensional, zu allwissend erscheint Dumerast, während seine schwächere Seite – die Sehnsucht nach der Erde – noch zu unterentwickelt erscheint. Erst im Laufe der folgenden Romane wird Tubb das erdrückende Übergewicht Dumerast stärker relativieren und ihm auch Schwächen gönnen. Um seinen Helden herum platziert der Autor eine Reihe von eher eindimensionalen funktionellen Figuren – der alternde Herrscherin mit ihrem eigenen, nicht ganz dunklen Geheimnis; der aggressive Lord, der nach einer jungen Frau giert; der im Hintergrund die Fäden ziehende Cyborg oder als Hommage an Django der Mann mit dem Sarg, der angeblich seine Frau von den Winden wieder beleben lassen möchte -, welche relativ kurz portraitiert worden sind. Se beleben den Hintergrund der lesenswerten Geschichte und dienen als guter Kontrast zu Dumerast.
Zusammengefasst ist „Planet der Stürme“ ein interessant zu lesender Auftakt einer wie schon mehrfach erwähnt mehr als vierzig Jahre und mehr als dreißig Romane umfassenden Saga eines Mannes auf der Suche nach sich selbst. Aus heutiger Sicht erscheint Dumerast zu erdrückend, aber Tubb scheut sich nicht, dieser Figur auch eine weichere, emotionalere, aber nicht unbedingt verletzliche Seite zu geben. Die sich vor einem interessanten Hintergrund unablässig entwickelnde Tragödie endet zwar in einem konsequenten, aber auch ein wenig konstruierten Happy End. Als Startbasis steht Dumerast am Ende im Gegensatz zu vielen Helden der sechziger Jahre zwar nicht stolz mit leeren Händen, sondern wahrscheinlich mächtigen Freunden dar, aber der Pyrrhussieg hat viele Opfer gefordert und die Naturgewalten von Gath sind wieder ihrem Ruf gerecht geworden.
Mit einem schönen Titelbild von Timo Kümmel versehen hat der Atlantis Verlag den Roman von Thomas Michalski neu übersetzen lassen. Ein Vorwort von E.C. Tubb und ein umfangreiches, sehr informatives Nachwort von Philip Harbottle runden die empfehlenswerte Präsentation des „Planet der Stürme“ ab.
("Winds of Gath", 1967)
Übersetzung: Thomas Michalski
Titelbild: Timo Kümmel
Mit einem Vorwort von E. C. Tubb und einem Nachwort von Philip Harbottle.
A5 Paperback, ca. 156 Seiten, ISBN 978-3-86402-082-7.