Joe Lansdale erstes Jugendbuch "All the Earth, thrown to the Sky" - das Titel bezieht sich nicht nur auf die gigantischen Sandstürme wegen der großen Depression in Oklahoma, die das Land unbewohnbar gemacht haben, sondern im Grunde auch auf die Welt der drei jugendlichen Protagonisten, die in kurzer Zeit negativ wie positiv verändert worden ist - lehnt sich eng an seine letzten Thriller an. "Sawdust & Sunset" spielte ebenfalls in den dreißiger Jahren und "A fine dark Line" war unter der Prämisse eines lange Zeit unaufgeklärten und verheimlichten Verbrechens ebenfalls die Geschichte eines allerdings in der sich neu bildenden bürgerlichen Mittelschicht aufwachsenden Jugendlichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Lansdale Büchern spielte diese Geschichte in den fünfziger Jahren, auch wenn die Wurzeln der beschriebenen Familie eher in die Zeit der großen Depression zurückreichen.
Im Vergleich zu seinen frühen kantig provokanten Werken und den stilistisch zurückhaltend, aber emotional wie effektiv geschriebenen Thrillern präsentiert sich der Amerikaner erzähltechnisch nicht nur souverän, sondern er arbeitet auffällig und nachhaltig mit unvergesslichen sprachlichen Bildern, welche vor allem im ersten eindrucksvollen Drittel des stringenten und gut zu lesenden Buches dominieren.
Jack Catchers Eltern sind tot. Seine Mutter ist an einer Lungenkrankheit gestorben. Sein Vater hat sich in der gleichen Nacht erhängt. Die Farm der Eltern ist kaum mehr zu bewirtschaften. Die Staubstürme haben das Land genau wie die Trockenheit unwirtlich werden lassen. Kurze Zeit später, während Jack noch überlegt, wie er dem Waisenhaus entkommen kann, tauchen Jane und ihr kleiner Bruder Tony auf. Deren Mutter hat die Kinder beim Vater zurückgelassen, der bei der Reparatur seines Traktors zerquetscht worden ist. Sie beschließen, den Wagen eines anderen Nachbarn zu stehlen. Dieser hat anscheinend auf der Terrasse seines Hauses Selbstmord begangen, in dem er während eines besonders starken Sandsturms sich nicht in Sicherheit gebracht hat. Ohne ins Detail zu gehen beschreibt Lansdale drastisch, eindringlich, farbenprächtig und erstaunlich emotionslos den Tod mehrerer Erwachsener. Insbesondere jugendliche Leser fühlen sich wahrscheinlich wie auf einen anderen Planeten versetzt.
Die Überlegungen der Kinder, entfernte Verwandte zu erreichen, sind rein pragmatischer Natur. Die bevorstehende Reise ist kein klassisches Abenteuer, kein Selbstfindungstrip, sondern der Versuch, in den dreißiger Jahren zu überleben. Im Verlaufe ihrer Reise werden die drei Jugendliche verschiedene, fast klassisch zu nennende Begegnungen haben. Dabei reicht das Spektrum von der herzensguten Witwe, die Janes kleinen Bruder zumindest zeitwillig aufnimmt und ihm die mütterliche Liebe gibt, zu der Jane aufgrund ihres Alters nicht in der Lage ist, über eine Gruppe von Hobos bis zu drei Gangstern, die auf der Suche nach einem Komplizen sind, der sie während eines Banküberfalls reingelegt hat. Bei allen Begegnungen hält Lansdale eine Überraschung bereit und versucht gegen die Erwartungshaltung seiner Leser zu agieren. Die Hobos nehmen die Jugendlichen nicht nur auf. Einer fordert sie auf, im nächsten Diner Sandwiches und Cola zu kaufen. Dazu gibt er ihnen eine einhundert Dollar Note mit. Anscheinend fühlt sich der nicht unvermögende Mann in der Gesellschaft der Landstreicher und Obdachlosen wohler als bei den arroganten Städtern, die neben den Farbigen auch die Hobos immer wieder aus ihren Gemeinden treiben. Hier lernen Jack, Jane und Toby, auf einem Zug zu reisen. Sie erleben in einer rücksichtslosen Welt viel Wärme, Hilfsbereitschaft und Zuneigung. Auf der anderen Seite kann auch kritisch gegen Lansdale Verwässerung der damaligen Zustände gesprochen werden. Die Reise der jugendlichen Protagonisten hätte insbesondere während der ersten zweihundert Meilen mehrmals enden können. Teils wegen ihrer Naivität, teils aber auch wegen der Menschen, denen sie begegnen. Lansdale bewegt sich manchmal auf einem sehr schmalen Grad zwischen packender Unterhaltung und romantischem Kitsch.
Er erweitert schließlich den Plot um die beiden Verbrecher, die auf historischen Figuren basieren. Der Anführer der Banditen ist Bad Tiger Malone, ein aggressiver verschlagener Mann, der seinen Zorn kaum kontrollieren mag. Der verrückte Timmy ist dumm und muss von Malone unter KOntrolle gehalten werden. Der verletzte und langsam an den Schusswunden sterbende Buddy dient als ausgleichendes Element. Hätte Lansdale einen Roman vor Erwachsene geschrieben, dann wäre Jane wahrscheinlich gleich vergewaltigt worden. Als Alibi für die Polizei, welche die drei auf ihren Fahndungslisten führt, können die Kinder nicht dienen. Bei der Suche nach dem vierten Mann, der mit der Beute verschwunden ist, sind sie nicht hilfreich. So beendet Lansdale dieser fast wie ein Kompromiss erscheinende Nebenhandlung vorerst effektiv. Ein Heuschreckenschwarm, eindrucksvoll beschrieben, ermöglicht den Jugendlichen die Flucht. Erst während des Showdowns interessanterweise in einem Zirkus als Wunscherfüllung werden die Gangster wieder auf die Jugendlichen stoßen.
Wie schon angesprochen ist die Handlung ausgesprochen stringent erzählt. Die Jugendlichen begegnen wie als roten Faden vom Ausgangspunkt und Katalysator bis zum vorläufigen Ende immer wieder dem Tod in unterschiedlichen Variationen. Dabei stellt der Tod nicht für jeden Charakter das Ende des natürlichen Lebens dar. Ohne ins metaphysische abzugleiten scheint der Tod für Lansdale im Vergleich zu seinen bisherigen Werken auch ein Übergang in eine bessere Existenz darzustellen. Wenn einer der älteren Landstreicher im Kreis der gerade erst kennengelernten Jugendlichen fast zufrieden stirbt, dann wirkt die Szene kitschig und emotional zu gleich. Auch den Eltern der Kinder wünscht der Leser ein weniger beschwerliches oder hartes Leben irgendwo weit weg von der großen Depression, die aus heutiger Sicht unfassbar die erste Welt erschüttert hat. Die einzelnen Episoden - Stationen auf der großen Reise – gehen kontinuierlich und sehr gut beschrieben ineinander über. Lansdale variiert das Tempo und versucht ein umfangreiches Bild der damaligen Zeit möglichst authentisch zu zeichnen. Im Hinterkopf hat der Leser vielleicht Charles Laughtons Meisterwerk "Die Nacht des Jägers", der zur gleichen Zeit nur ein wenig südlicher spielt.
Wie bei seinen Thrillern überzeugt aber vor allem die Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere mit ihren Träumen und Hoffnungen. Während der bodenständige Tony ist erster Linie eine Art Resonanzkörper ist, überzeugen die pragmatische und vor ihr Alter auch intellektuell wie körperlich reife Jane sowie der Erzähler Jack Catcher. Es ist vielleicht eine doppelte Ironie, dass Jack Catcher im Grunde Janes Traum erfüllt, eine Journalistin zu werden, welche den Menschen auf "Maul" schaut und die kleinen Geschichten in einer großen Zeit in Form ihrer Reise niederschreibt. Für Jack bedeutet das Niederschreiben ihrer Odyssee vielleicht auch den Abschluss eines wichtigen, die Persönlichkeit formenden Lebensabschnitts mit zahlreichen kleinen Triumphen und auf der emotionalen Ebene auch einer Tragödie. Aus dem Schmerz über den Verlust der Eltern heraus formt sich erst Catchers Charakter. Obwohl sie anfänglich die treibende Kraft während ihrer Reise ist, bleibt Jane in einer Märchenwelt gefangen - die Kansas aus den "Oz" Romanen entsprechen könnte - , in der alles nur gut ausgehen kann. Diese Naivität steht in einem starken Kontrast zu ihren Handlung und macht ihrer Figur für den Leser im Vergleich zum bodenständigen Jack schwerer zugänglicher. Als Gruppe überzeugen die Jugendlichen deutlich mehr als die teilweise ein wenig zu eindimensional, pragmatisch beschriebenen Erwachsenen.
Historisch hintergrundtechnisch ist "All the Earth, thrown to the Sky" im Grunde eine eindrucksvolle Reise durch ein aus heutiger Sicht fremdes Land. In seinen Thrillern hat Lansdale wahrscheinlich aus den lebendigen Erinnerungen seiner auch auf dem Vorblatt erwähnten Großmutter zitiert. Im vorliegenden Buch hat er ihnen das richtige Format gegeben. Neben der familiären Veränderung, die sich wie ein roter Faden durch die gegenwärtige Jugendbuchliteratur zieht, verlieren die Kinder ihre Heimat und stehen auf sich selbst gestellt einer zumindest phasenweise lebensfeindlichen "Welt" gegenüber. Aus diesen historisch kleinen Episoden hat Lansdale eine große Geschichte gezimmert, die rückblickend ein wenig hektisch und zu passend abgeschlossen wird, die aber als ganzes an eine Reihe von Jack London Texten erinnert und aufgrund der verschiedenen Facetten, die an keiner Stelle belehrend angesprochen werden, zu Lansdale ohne Frage besten Arbeiten zählt.
- Taschenbuch: 256 Seiten
- Verlag: Ember; Auflage: Reprint (11. September 2012)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 038573932X
- ISBN-13: 978-0385739320
- Vom Hersteller empfohlenes Alter: 13 - 17 Jahre