Mord ist nur ein Spiel

Gordon Ferris

Mit „Mord ist nur ein Spiel“ legt der Festa- Verlag den ersten Roman um den ebenfalls unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs ermittelnden Ex- Polizisten und Ex- Soldaten Danny McRae vor. Wie Douglas Brodie aus „Galgenfirst für einen Toten“ ist der hinter der deutschen Front in Frankreich als agierende McRae nicht nur vom Krieg traumatisiert. Nach seiner Gefangennahme ist er in Dachau aufs Schwerste misshandelt und gefoltert worden. Mit schweren Hirnverletzungen, welche einen Gedächtnisverlust von mehr als einem Jahr hervorgerufen haben, ist er aus der Armee entlassen worden. Da er nicht als Invalide durchgehen möchte, hat er sich als Privatdetektiv selbstständig gemacht. Sein Büro läuft eher schlecht als recht. Als eine schöne junge Frau am Silvesterband sein Büro aufsucht, ahnt er nicht, dass die Ermittlungen hinsichtlich des Todes ihres Geliebten durch einen explodierenden Blindgänger ihn mit einer eigenen Vergangenheit während des Krieges und seiner Gefangennahme konfrontieren werden.

Gordon Ferris hat seit einigen Jahren zwei Serien um private Ermittler laufen. Beide spielen vor einem durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Großbritannien. Während Brodie in erster Linie in seiner schottischen Heimat ermittelt, hat es den ebenfalls rothaarigen Schotten McRae nach London verschlagen. Beide Fälle stehen zumindest mittelbar mit Ereignissen und Kameraden während des Krieges in einem engen Zusammenhang. Während allerdings Douglas Brodie körperlich beeinträchtigt, aber geistig auf der Höhe ist, kämpft McRae gegen tagelange Anfälle, die ihn die Kontrolle über mögliche Handlungen verlieren lassen. Mit dieser tragischen Invalidität, der McRaes teilweise instinktive Vorgehensweise gegenüber steht, erhöht Gordon Ferris im vorliegenden Roman ohne Frage die Spannungskurve. Aber glaubt wirklich ein Leser, dass die plötzlich wieder auftretenden Morde an Prostituierten in Jack the Ripper Manier wirklich mit einem Helden eines Romans in einem direkten Zusammenhang stehen? Das er während der Phasen geistiger Umnachtung die Frauen abgeschlachtet haben könnte? Da hilft nicht einmal die Behelfsbrücke, dass die deutsche Gestapo ihn in Frankreich neben der Leiche seiner gequälten und ebenfalls bestialisch ermordeten französischen Freundin mit einem blutigen Messer in der Hand und verschmutzten Kleidern aufgegriffen und über Umwege in Konzentrationslager verschoben hat. Im Gegensatz zu „Galgenfrist für einen Toten“, in dessen bis zur Mitte ausgesprochen geradlinigen wie für Brodies Freund aus früheren Tagen frustrierenden Plotverlauf Ferris einen offensichtlich Unschuldigen durch die blinde Justiz hat hinrichten lassen, ist der vorliegende Roman handlungstechnisch deutlich stärker auf einen einzigen in Frage kommenden Verdächtigen fokussiert. Das dieser anfänglich als tot gilt und seine Freundin McRae nach Beweisen für diese Tatsache suchen lässt, erinnert wahrscheinlich absichtlich ein wenig an Graham Greene und Carol Reeds Meisterwerk „Der dritte Mann“. Er kann keine Hilfe von seinen ehemaligen Vorgesetzten oder gar der Polizei erwarten, da ein kräftiger, sadistischer Inspektor es auf ihn abgesehen hat. Als es Hinweise gibt, dass er mit den Morden an den Prostituierten in seinen Phasen ohne Kontrolle/ Gedächtnis zu tun haben könnte, sieht Wilson seine Chance, McRae für immer aus dem Verkehr zu ziehen. Als Antagonist ist der Polizist –  der Antiheld der zweiten Ferris Serie Douglas Brodie kam mit seinen ehemaligen Kollegen wenigsten aus – zu überzeichnet; erscheint zu sehr als offensichtlicher Gewalttäter ohne das er während des Zweiten Weltkriegs als ausschaltendes Element am ersten Tatort gewesen sein kann, als das man dieser falschen Spur nachhaltig folgen kann. Spannung bezieht der Roman hinsichtlich der Exkursion nur aus der Tatsache, dass Wilson vielleicht dem körperlich unterlegenen Mann wie in den Konzentrationslagern, dessen Gräultaten Ferris mehrfach im Detail anspricht, die Seele aus dem Leib prügelt, bevor dieser den einzigen nachhaltig in Frage kommenden, aber aufgrund seines Standes über jeden Zweifel erhabenen Täter überführen kann.

Es geht dem Autoren weniger um die Identität des psychopathischen Massenmörders in klassischer Ermittlerkontinuität, sondern um einen im Grunde verzweifelten Versuch McRaes, seinen Kopf aus einer perfide sich kontinuierlich zuziehenden Schlinge zu ziehen. In der Tradition der Hammett und Chandler Detektivgeschichten, die McRae nach seiner Entlassung aus der Armee und dem Krankenhaus gelesen hat, ist Ferris Detektiv auf die Unterstützung verschiedener, in den Augen der Gesellschaft moralisch zweifelhafter Frauen angewiesen, die hinter seinen entstellten Gesichtszügen den guten, ehrlichen Kerl sehen und ihm deswegen hinsichtlich seiner Ermittlungen, aber auch ihn bemutternd in Bezug auf ein Versteck helfen.  

 

Während der Plot vielleicht unnötig komplex und kompliziert gestrickt worden ist und trotzdem seltsam gerade auf sein Ziel zuläuft, sind es die Hintergründe der aus heutiger Sicht archaisch erscheinenden, nicht mehr den Sieg feiernden Nachkriegswelt und die mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Figuren, welche die Lektüre sowohl von „Galgenfrist für einen Toten“ als auch „Mord ist nur ein Spiel“ so reizvoll machen.

 

McRae ist kein klassischer Verlierer, sondern ein Kriegsheld, der sich an seine Taten nicht erinnern kann. Er ist entschlossen, trotz des Traumas und der Hirnverletzungen seinen Weg zu gehen. Er ist kein grundsätzlich aggressiver Schnüffler. Eine letzt endlich nutzlose Gewalteruption gibt es ausschließlich, als er in die Enge getrieben wird. Ansonsten zweifelt er an seinen Fähigkeiten und wird in entscheidenden Szenen von seiner „Freundin“ Val – ein Element, das überraschend in einem engen Zusammenhang mit seinen Verletzungen steht – motiviert und unterstützt. Da es Gordon Ferris weniger wie angesprochen um den Täter geht, dessen Motive im Showdown interessanterweise als pervers auf die Spitze getriebenes Spiel relativiert werden, sondern um einen Mann, der auf der Suche nach seinem Selbstvertrauen, seiner inneren Selbstachtung ist. Vielleicht ist es auch McRaes körperlicher und damit einhergehend geistiger Gesundheit geschuldet, dass er die Zusammenhänge nicht erkennen. Natürlich lassen diese Black Out Perioden alle Variationen offen, aber zu viele Frauen versichern ihm, dass er ein guter Mensch ist und so viele Nebenfiguren können und dürfen sich nicht irren.

Der fettleibige und sadistisch veranlagte Detektiv Wilson ist das klassische Gegenbeispiel des körperlich beeinträchtigten "Kriegshelden". Er ist korrupt und liebt es, Frauen zu quälen.  Eine Schande der Polizei, die ihn Kriegszeiten zu ertragen, in Friedenszeiten kaum zu akzeptieren ist. Auch hier scheut sich Gerris allerdings, seinen Gedanken zu Ende zu spielen und relativiert dessen verdientes Schicksal vielleicht ein wenig zu stark.

Die attraktive Kate Graveney ist vielleicht der interessanteste Charakter des ganzen Buches. Eine sehr attraktive Frau, die McRae auf die Suche nach ihrem verschwunden Freund und zufällig dessen Vorgesetzten während des Krieges schickt. Alleine diese Tatsache müsste McRae sehr viel vorsichtiger machen als es den Anschein hat. Spätestens als ein Verdachtmoment negativ beschieden werden kann, wundert es den Leser, dass McRae dem Fall noch stark hinterher hinkt. Sie spielt mit dem Detektiv und lockt ihn anfänglich auf falsche Spuren. Die Aufklärung inklusiv einer Reihe dunkler Geheimnisse ist sehr überzeugend gemacht. Es ist interessant, wie sich der Fokus vom potentiellen Inzest - warum ist Kate so erschüttert, wenn sie doch eher mit dem einen Mann gespielt, seine Grenzen ausgetestet und die Eigenen aufgezeigt bekommen hat - über Sadismus- Masochismus zu einer gegenseitigen Abhängigkeit wandelt. Unabhängig von diesen Tatsachen wirkt die junge Frau im Vergleich zu ihrer biederen, aber sehr viel mehr Geheimnisse mit sich herumschleppenden Schwester auf unheimliche Art und Weise unnahbar und verletzlich zu gleich. Abgerundet wird die Gruppe von Hauptpersonen durch eine Reihe von Nebenfiguren, die sich manchmal stark am Rande des Klischees bewegen. Terry Caldwell als McRaes ehemaliger Vorgesetzter ist zu glatt, zu bieder gezeichnet. Natürlich versteckt sich in ihm eine dunkle Seite, das Überschreiten einer moralischen Schwelle, die schließlich verschiedene Gelüste in ihm aufgelöst haben könnte. Aber manches wirkt ein wenig zu stark konstruiert, zu sehr ins Puzzlestück gedrückt, um nachhaltig zu überzeugen. Es ist selten, dass man einen Kriminalroman präsentiert bekommt, in dem der Antagonist so wenig aktiv in das Geschehen eingreift, wahrscheinlich sogar Eingreifen kann. Ein Kompliment für den Antihelden, den Ferris hier konzipiert hat. Auf der anderen Seite mit der sympathischen Puffmutter asiatischer Herkunft, dem schwulen Untergrundchef und den Nutten mit Herzen aus Geld sind lebendige Figuren eingefügt worden, die aber seltsam mechanisch ihre jeweiligen Rollen herunterspielen und aus der Ferne das Drama koordinierend in die komplizierten, aber richtigen Bahnen lenken.

Das Nachkriegslondon ist dagegen sehr überzeugend gezeichnet. Die Freude über den Sieg ist der Realität gewichen, dass die Kriegswirtschaft in Friedenszeiten nicht funktioniert. Vielleicht noch einmal funktionieren kann. Der Schrecken der Blindgänger, die immer noch zerstörten Gebäude und Infrastruktur, der Abbau der Bürokratie und die Tatsache, dass sich viele Soldaten vom Adrenalin der Fronteinsätze im Vergleich zu ihren bürgerlich langweiligen Berufen nicht verabschieden wollten oder können zeichnen ein einzigartig morbides, aber nicht nihilistisches Bild der Londoner Hauptstadt, welches dem Glasgow aus „Galgenfrist für einen Toten“ in nichts nachsteht.

Vielleicht ein wenig im Vergleich zu „Galgenfrist für einen Toten“ glatter und deswegen weniger schockierend provokativ konzipiert verfügt der Roman ohne Frage über den interessanteren Ermittler. Ein atmosphärisch sehr dichter und mit Einschränkungen spannender Roman, der sich auf die Einführung und innere Befreiung McRaes konzentriert.  

 

  • Broschiert: 448 Seiten
  • Verlag: Festa; Auflage: 1 (17. Juni 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3865522289
  • ISBN-13: 978-3865522283
  • Originaltitel: Truth Dare Kill
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