Paradox

Paradox, Philip P. Peterson, Rezension
Philip P. Peterson

„Paradox“ ist nach Transport der zweite Roman aus der Feder Phillip P. Peterson, einem Ingenieur für Satellitenprogramme. In der Tradition amerikanischer Science Fiction Autoren mit einem wissenschaftlichen Hintergrund bemüht er sich, die gegenwärtige Technik allerdings unter Hinzufügung des „Wundermittels“ Antimaterie zu extrapolieren und über solide gezeichnete Charaktere nicht nur auf der technokratischen, sondern auch emotionalen Ebene zu überzeugen.  Auch wenn die Ausgangsbasis eine gänzlich andere ist und vor allem das in doppelter Hinsicht zynische, aber nicht unbedingt gänzlich originelle Ende von Carl Sagans „Contact“ abweicht, überschneiden sich nicht nur diese beiden Bücher hinsichtlich der Begegnung mit Außerirdischen, die sich mehr oder minder zufällig bemerkbar machen. Auch die Idee einer langen Reise natürlich in Bereiche, die ein Mensch mit dem Flug zum Mond und dem Abbruch der weiteren bemannten Raumfahrt niemals wirklich betreten könnte, schreitet Phillip Peterson auf etablierten Wegen entlang. Wie einige andere innerhalb kürzester Zeit in Deutschland veröffentlichter First Contact Geschichten – siehe „Die Frequenz“ von Jennifer Wells – ist es ein Zufall, der das Tor zu den Sternen in doppelter Hinsicht öffnet. Wie bei dem bekannten chinesischen Sprichwort beginnt diese Reise an zwei Stellen mit dem ersten Schritt, wobei die eigentliche Reise interessanter ist als das überambitionierte Ende.

David Holmes ist verblüfft, das die ausgeschickten Voyager Sonden in der gleichen Entfernung zur Sonne, aber in unterschiedlichen Richtungen plötzlich verschwunden sind. Da er bei seiner eigenen öffentlichen Stelle nicht weiterkommt, bewirbt er sich in der privaten Wirtschaft. Ein Multimilliardär hat die globale Energiewirtschaft mit seinen Fusionsreaktoren revolutioniert. Billiger Strom hat die alten Energien ins Abseits geführt. Aber die Patente bleiben in amerikanischer und damit auch privater Hand. Die Reaktionen sind nur von den ausländischen Partnern geleast worden. Ein „Abfallprodukt“ ist Antimaterie, die es ermöglicht, ein überlichtschnelles Raumschiff zu bauen, das in Richtung Alpha Centauri fliegen soll. David Holmes bezweifelt, dass das Schiff diese ominöse Grenze um das Sonnensystem durchstoßen kann. Natürlich soll er als unerfahrener Astronaut, aber brillanter Wissenschaftler an dieser Expedition teilnehmen. Ed Walker ist ein erfahrener Astronaut, der aber seinen Mund nicht halten kann. Durch die Sparmaßnahmen wir ein Ankopplungsmanöver an der ISS zu einer Katastrophe. In letzter Sekunde kann er sich mit seinen beiden Mitastronauten retten und zur Erde fliehen. Wie faszinierend Weltraumfahrt nicht nur unter Katastrophenbedingungen sein kann, beschreibt David Holmes in diesen ersten Kapiteln. Intensiv und spannend erinnert dieser Abschnitt des Buches an eine Mischung aus „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ und „Apollo 13“. Dieser Vorbilder sind sich auch die Charaktere bewusst, da während der späteren Expedition an den Rand des Sonnensystems diese Filme gesehen werden und der exzentrische, schwierige, anfänglich dominierende, fast paranoide Ed Walker auch seine Erfahrungen mit der ersten Astronautengeneration zum Besten geben kann.

Unter der monetären Führung des gigantischen Konzerns in Kooperation mit dem amerikanischen Militär und der mehr und mehr ein Nischendasein führenden NASA wird ein Raumschiff zusammengebaut und mit vier Menschen – neben Holmes und Walker noch die Astronautin Wendy und die Triebswerkingenieurin Grace – bemannt an den Rand des Sonnensystems ausgeschickt.

Phillip Peterson nimmt sich Zeit, die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten auf engem Raum genauso zu beschreiben wie die Faszination dieser Expedition. Auf der humanistischen Ebene werden vielleicht einige Klischees gestreift. David Holmes hat Angst vor dem Start und kann sich nicht beruhigen. Ed Walkers Frau lässt sich von ihm scheiden, weil er wieder egoistisch und ohne auf seine Familie achtend eine wichtige Mission angenommen hat. Wendy ist eher der unscheinbare Ruhepol und die ehrgeizige wie lesbische Grace fühlt sich anfänglich durch Ed Walkers Machoverhalten zurückgedrängt und versucht selbst, als Persönlichkeit vielleicht selbst gegen die eisernen Regeln einer solchen Reise zumindest die grobe Richtung vorzugeben. Nicht nur entwickelt der Autor überzeugende Charaktere, der Leser kann ihren einzelnen Gedankengängen genauso folgen wie ihre Wünschen, Ängsten und Hoffnungen. In dieser Hinsicht ist das zumindest konsequente Ende des Buches nicht nur überzeugend, sondern emotional ergreifend. Triumph und Tragödie liegen nicht nur in den Tiefen des Alls eng beieinander. Peterson zeigt gleichzeitig auf, das der Mensch mit seinem Egoismus, seiner Machtgier selbst hinsichtlich nicht mehr opportuner Schätze sich selbst immer der größte Feind sein wird. Diese konsequente Weiterentwicklung der politischen Handlung unterscheidet das Buch von einer Reihe amerikanischer Texte ähnlicher Ausrichtung. Jack McDevitt ist in einem seiner ersten Bücher einen ähnlichen auf den ersten Blick mit dem Flug ins All/ mögliche Begegnung mit den Hinterlassenschaften einer außerirdischen Nation und einer Erde am Rande des Atomkrieges konträren Weg gegangen, den der Amerikaner aber in den letzten Kapiteln relativiert hat. Peterson geht diesen Kompromiss nicht ein und vertreibt den Lesern aus allen positiven Träumen.

Neben der nachhaltig überzeugenden zwischenmenschlichen Handlung ist der technische Aspekt ein positiver Höhepunkt des Buches. Auch wenn die Antimaterie als eine Art „Deus Ex Machina“ Lösung für die Expedition ins All inklusiv ausschließlich privater Forschung im Vergleich zu den anderen Technologien ein wenig zu fortschrittlich, zu passend erscheint, nutzt sie Peterson eher pragmatisch. Sie ermöglicht es in erster Linie mit bekannten und gegenüber dem heutigen technischen Stand nur wenig extrapolierten Raumschiffen einfach dort hin zu fliegen, wo etwas sein könnte. Alle anderen technischen Ideen werden nicht nur ausführlich, sondern für den Leser auch zugänglich und stellenweise sehr visuell erläutert.

Es ist die Begegnung mit dem Fremden, die leider nicht gänzlich überzeugend ist. Ohne in die Details zu gehen, wirkt mancher Aspekt wie eine Science Fiction Variante von Stephen Kings „Under the Dome“. Auch ist die Idee eines intergalaktischen Zoos nicht unbedingt neu. Der Autor versucht diese Situation zu relativieren, in dem er den Bogen deutlich weiter spannt. Da wäre zum einen die Begegnung mit dem Fremden, die viel zu menschlich erscheint. Warum eine Warnung, wenn die Nano Intelligenzen ausschließlich auf einer distanzierten logischen Ebene agieren? Auf der einen Seite wird argumentiert, dass diese grundlegende Idee eine Art Schutz vor einem zumindest in der Theorie auch in der Gegenwart diskutierten Phänomen ist, auf der anderen Seite scheint die Planung ein wenig außer Kontrolle geraten zu sein. Der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als wollte Peterson seine erste Idee noch einmal mit Argumenten einer anderen Richtung untermauern und ist dabei deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Es fehlt eine abschließende Logik, warum eine Expansion generell nicht gerne gesehen wird, zumal diese Seidenspinner überall agieren und dabei angesichts der visuellen Veränderungen nicht unbedingt nur auf bewohnbare Sonnensystem schielen. Auch wenn die grundsätzliche Prämisse nicht unbedingt neu ist, verschafft Peterson ihr allerdings eine neue, atemberaubende Dimension. Auf der anderen Seite beginnend mit der provokanten Frage auf dem Klappentext, ob die Menschheit überhaupt bereit für die Wahrheit ist, verweigert der Autor entsprechende Antworten oder auch nur Thesen. Auf der einen Seite das Heldentum, das aus sich heraus ohne Frage mutig und den Menschen schützend ist, auf der anderen Seite der Widerspruch. Eine derartige Intelligenz kann sich erstens nicht mit diesem wiederholten Bauerntrick überraschen lassen, zumal die ganze Exposition im Grunde keinen wirklichen Sinn macht. Auch die grundlegende Aufgabe des passiven Beobachtens/ Schützens vielleicht zum Zwecke einer Art Spiegelung nach der Katastrophe wirkt in Hinblick auf den Aufwand und Ertrag zu wenig ausgewogen. Peterson beschreibt das Erbe dieser Fremden zu wenig differenziert, als das sich der Leser wirklich ein Bild machen kann. Vor allem aber verweigert der Autor mit seinem dunklen Ende – es wirkt, als wenn es eher aus den achtziger Jahren denn der Gegenwart stammt – den nächsten Schritt auf der Evolutionsskala. Vielleicht ist der Autor auch grundsätzlich pessimistisch hinsichtlich der Lernkurve nicht den einzelnen Individuums – in dieser Hinsicht liefert die vierköpfige Besatzung sehr viel positives Anschauungsmaterial -, sondern der besonderen Spezies der Politiker gegenüber. Aber diese Kalter-Krieg- Episoden unterminieren eher den rein wissenschaftlichen Science Fiction Gehalt seines ansonsten bis auf das zu abrupte, zu pragmatische und zu wenig seinen Vorbildern wie Arthur C. Clarke oder Stephen Baxter entsprechendem Ende  unterhaltsam zu lesenden First Contact Roman.        

  • Taschenbuch: 480 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch) (10. Dezember 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404208439
  • ISBN-13: 978-3404208432