Ramez Naam weiß, über was er schreibt. Jahrelang hat er für die großen Softwarefirmen bzw. einem Nano-Technologie Entwickler in den USA gearbeitet. In seinem sympathischen Nachwort hat er deutlich gemacht, dass dieser ursprünglich als Idee, als Versuch, eine Geschichte zu erzählen entstandene Wissenschaftsthriller mit viel Hilfe von bekannten SF- Autoren zum vorliegenden Buch geworden ist. Inzwischen ist „Nexus“ der erste Band einer Trilogie. 2013 veröffentlichte der in Ägypten geborene Naam ein Sachbuch, in dem er extrapolierte, dass viele Ideen der Neuzeit im Grunde für die „Erde“ zu klein sind. Mit „Nexus“ liegt ein Science Fiction Thriller der etwas anderen Art vor. Naam versucht sich von den Ideen der Cyberpunks und vor allem auch den religiösen Vorstellungen der „Matrix“ zu lösen, auch wenn er von beiden Varianten die Idee einer neuen, miteinander verschmelzenden Gesellschaft im Konflikt mit dem „Supermann“ künstlicher nanotechnologischer Abstammung übernommen hat. Im Original wird von einem Upgrade für die Menschheit gesprochen, was eher folgerichtig als konsequent ist. Für einen Erstling ist Naam sehr geschickt, wenn auch manchmal ein wenig klischeehaft vorgegangen. Eine geradlinige Spionagestory mit einem unfreiwilligen Freiwilligen, einem attraktiven Schutzengel mit Vergangenheit und schließlich einer geradlinigen Mission, die sich natürlich als schwieriger erweist als geplant. Dieser rote Faden wird doch einige surrealistische Szenen und vor allem die Idee einer neuen bedrohlichen, den Willen der Menschen ausschaltenden künstlichen Droge – dem Nexus – miteinander verbunden. Zu den modernen leicht futuristischen Thrillern gehört inzwischen, dass die Geschichte wie bei „Lucy“ teilweise an exotischen fernöstlichen Orten spielen muss und das vor allem trotz Beteiligung unterschiedlicher Systeme – die „freiheitsliebende“ opportunistische USA und das die freie Welt hinter den Kulissen bedrohende China – die Auseinandersetzung von einer globalen Ebene auf das Persönliche, das für den Zuschauer dank der harten, rasant geschriebenen Actionszenen auch schnell Greifbare reduziert wird. Während David Brin in seinen Romanen sich um das Thema „Enhancement“ durch genetische, nanotechnologische oder schließlich auch drogeninduzierte Veränderungen am menschlichen Körper auf eine philosophische Art und Weise gekümmert hat, nähert sich Naam von sozialen wie auch soziologischen Standpunkt. Nexus ist eine neue In- Droge, die auf eine besondere Art und Weise das Bewusstsein erweitert und Emotionen verstärkt. Der junge Wissenschaftler Kade Lane hat mit seinen Freunden die Fähigkeiten der Droge erweitert und quasi mit eines „Betriebssystems“ ermöglicht, dass durch das Freisetzen von Nanoteilen im Gehirn des Einnehmenden es ihm ermöglicht wird, mit anderen Menschen sich ohne Internet/ Facebook oder gar Handy sich zu vernetzen und deren Empfindungen/ Emotionen und schließlich auch Gedanken zu teilen. Man trifft sich inzwischen auch auf illegalen Nexus Partys. Im Laufe des Romans wird der Leser noch eine Frühform dieser Idee in Form einer Hippie Kommune lange vor dem Internet kennenlernen. Beide Lebensformen sind anfällig für eine Manipulation von außen, die Etablierung eines „Führers“, eines Propheten. Zusätzlich ist Lane nicht alleine. Auch die Chinesen arbeiten an einer Variation der „Nexus“ Droge inklusiv der entsprechenden Fernsteuerung. Nur sind sie anscheinend einen deutlich Schritt weiter und vor allem rücksichtsloser, während Lane in seiner Naivität tatsächlich eine friedliche Nutzung seiner programmierbaren Droge in Anlehnung an das Gemeinschaftsbewusstsein der Buddhisten im Auge hat. Die Idee des „Ichs“ soll ein antiquiertes und überholtes Konzept sein, obwohl das Ideal des „wir“ schon in den Wüsten der USA unter den Hippies gescheitert und der neuen kommerziell orientierten Babyboomer Generation gewichen ist. Naam macht zumindest in seinem Roman nicht den Fehler, diese eher brüchige und schwer nachvollziehbare naive Idee seines Protagonisten über ein normales Maß hinaus zu extrapolieren, sondern schnell klar zu machen, wie gefährlich diese Droge mit Betriebssystem in den falschen, sprich nicht amerikanischen Händen sein könnte. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Fraktionen eher klein. Als Testobjekt verfügt Kade jetzt über ein perfektes Gedächtnis, kann seine mentalen als auch körperlichen Prozesse komplett steuern wie auch seine Gefühlswelten an Mitmenschen übertragen, denen ebenfalls Nexus verabreicht worden ist. Dabei stößt also das neue Wundermittel auch an seine Grenzen. Natürlich hat Kade mit der Entwicklung gegen entsprechende Gesetze verstoßen und wird mit langer Haft unter erschwerten Bedingungen bedroht, wenn er nicht mitspielt. Angeblich will die Behörde die Menschen vor der nächsten Generation der Transhumanen schützen, setzt diese aber auch ein. Kade soll eine Wissenschaftlerin in China, die anscheinend einen Schritt weiter ist, ausspionieren. Lockvogel und Spion zu gleich sein. Zusammen mit seiner Begleiterin Sam – eine lebende Kampfmaschine mit entsprechenden körperlichen Ergänzungen wie einer erweiterten Intelligenz, aber auch einem emotionalen Jugendtrauma – macht er sich auf diese im Grunde unmögliche Mission einer Infiltration eines Gegners, der ihn unter allen Umständen auch erwarten muss.
Obwohl der Hintergrund für einen wissenschaftlich geschulten Menschen solide beschrieben worden ist, springt der Funke anfänglich nicht unbedingt über. Ein wenig zu überambitioniert, zu schematisch und vor allem auch zu manipulierend versucht Naam der Nexus Betriebssystemerweiterung ihren durchaus vorhandenen Schrecken in einer schon auf andere Arten von Menschen setzenden Welt zu nehmen. Das kann nicht gelingen. Kade ist eine Figur, die unabhängig von ihrer vorhandenen Libido- eine Probesexszene als Test geht am Ende ein wenig schief -, eher zu eindimensional, zu pragmatisch, zu weinerlich erscheint, um dann im relevanten Moment aus seiner emotionalen Stabilität heraus Sam zu stützen. Kade ist ein unpolitischer Pragmatiker, der absichtlich oder unabsichtlich keine Ahnung hat, wie seine Welt funktioniert oder funktionieren kann. Diese Ignoranz wirkt auf der einen Seite frustrierend, ist aber auch auf der anderen positiven Seite auch ein deutlicher Unterschied zu den verkappten Überhelden, die sich wie James Bond in Extremsituationen bewähren. Dazu hätte er Sam, die lange Zeit mit rabiaten Methoden darauf besteht, dass er seinen Auftrag sklavisch erfüllt und den Weg nach China ebnet. Erst als sie erkennt, dass auch ihre Auftraggeber nicht mit offenen Karten spielen – wäre das eine Überraschung – und ein tibetanischer Mönch, der vom Körperbau eher an einen Auftragskiller erinnert – sich genauso einmischt wie die chinesische Seite ahnt, dass Kade im Grunde nur ein Köder ist, wacht sie nach einer Überdeckung ihrer traumatischen Erinnerungen mit dem Aufwachsen in einer Kommune, die unter die Kontrolle eine natürlich pädophilen religiösen Fanatikers geraten ist, quasi auf und sucht die Mission mit Kade umzugestalten. Auch wenn die einzelnen Figuren individuelle Züge aufweisen, wirken sie teilweise zu oberflächlich, zu pragmatisch gestaltet. Für einen Film ist diese Vorgehensweise in Ordnung, für einen sehr umfangreichen Roman dagegen nicht. Die Actionszenen sind solide und überzeugen. In der Gesamtstruktur ist „Nexus“ aber ein sehr ambivalentes Leseerlebnis. Die Übersetzung von Bernhard Kempen ist ambivalent. Insbesondere die Dialogpassagen als Stärken des Romans sind interessant, nuanciert und pointiert. Bei den Beschreibungen schleppt sich „Nexus“ dagegen teilweise stark dahin, zumal der im Hintergrund erfolgende Aufbau einer Atmosphäre sowohl in der Vorlage als auch der deutschen Ausgabe ein wenig vernachlässigt wird. Umfangtechnisch hätte das Buch deutlich stärker gestrafft werden können, zumal sich im letzten, gegen die erste Hälfte sehr hektischen Drittel die Hinweise auf die im Hinterkopf erdachte Trilogie häufen und der Spannungsbogen nicht konsequent zu Ende geführt wird. Ohne Frage präsentiert „Nexus“ in einer cineastischen Form ein interessantes Konzept, dass aber nur in die Spionage/ Paranoia Richtung entwickelt wird und die sozialen/ soziologischen Folgen in einer Welt unterschätzt, die sich mit den künstlich schon perfektionierten „Metamenschen“ einen relevanten Schritt von ihren Wurzeln entfernt hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Fortsetzungen die vorhandenen Ideen besser extrapolieren und der in einigen Kapiteln effektiv vorhandene Fluss des Plots gleichmäßiger strukturiert und nicht so konzentriert auf einzelne Abschnitte des Buches über die Länge des Gesamtromans gestreckt werden kann. „Nexus“ ist ein solider Debütroman eines Wissenschaftlers, der sich mit der Nanotechnologie ohne Frage sehr gut auskennt, dem aber stellenweise die nachhaltige Phantasie fehlt, dieses Wissen auch literarisch auf den Boden zu bekommen.
Originaltitel: Nexus
Originalverlag: Angry Robot
Aus dem Englischen von Bernhard Kempen
Deutsche Erstausgabe, Heyne Verlag
Taschenbuch, Broschur, 624 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-31560-0