Devil´s River

Thomas Thiemeyer, Devil´sRiver, Thomas Harbach, Rezension
Thomas Thiemeyer

Mit “Devil´s River” geht Thomas Thiemeyer so konträr es auch erscheint auf der einen Seite neue Wege und bleibt hinsichtlich der mystischen Ausrichtung des Plots seinen Wurzeln treu. Die Gegenwartshandlung ist im Grunde das schwächste und vielleicht auch am meisten störende Element dieses Buches. Eves Großmutter Lizzy ist verstorben und hat ihrer einzigen Enkelin neben dem Haus auch eine Botschaft, einen Schlüssel und einen „Roman“ verborgen in einer Truhe hinterlassen. An ihrer Seite ist anfänglich ihre Freundin Rita. Wie es sich für einen derartigen Roman in fast Rosamunde Pilcher Manier gehört, befindet sich die selbstbewusste Lizzy an einem Punkt ihres Lebens, an dem sie sich hinsichtlich ihres zukünftigen Weges entscheiden muss. Sie hat einen komplett farblosen verlobten, der aus London nach Edinborough versetzt wird. Sie soll mit ihm gehen und ihn natürlich heiraten. Sie hat auf der anderen Seite eine mehr als dominante bis zickige Mutter, die ihre Kinder zu kontrollieren sucht, während ihr Mann schweigend leidend daneben steht. Jeder Leser kann sich das Ende der Gegenwartshandlung und damit den neuen Anfang vorstellen. Warum der Autor diesen Spannungsbogen eigentlich eingebaut hat, wird sein Geheimnis bleiben. Zwar ähnelt Lizzy schließlich der Protagonisten des Romans hinsichtlich ihrer unorthodoxen Entschlossenheit, aber manchmal wünscht sich der Leser mehr Ecken und Kanten. Vielleicht auch einige Situationen, die es Lizzy schwerer machen, aus dieser klischeehaften inszenierten Enge in die Weiten der USA bzw. Kanadas auszubrechen. Auch wenn Thomas Thiemeyer versucht, unterschiedliche Positionen zu etablieren, agiert er seltsam bemüht. Warum er nicht den Mut gehabt hat, diese ganze Geschichte als „klassischen“ Roman zu erzählen erschließt sich dem Leser nicht. Wie „Das verborgene Tal“ mit einem Westernambiente im Heimatromanformat oder Lansdales brutalen Geschichten, denen „Devil´s River“ am ehesten ähnelt hätte er so einen wirklich spannenden Roman erschaffen können.     

Unabhängig von den Qualitäten der 1878 spielenden eigentlichen Geschichte schließt sich hier eine weitere Schwäche an. Der Text ist so sehr wie ein Roman konzipiert mit verschiedenen Handlungsebenen, unterschiedlichen Perspektiven, dass der Leser eher rätselt, warum jemand ein derartiges Buch schreiben sollte, um seine „persönlichen“ Erlebnisse zu verarbeiten und es schließlich in einer Truhe verschwinden zu lassen. Die Geschichte hätte vielleicht sogar besser aus der subjektiven Ich- Erzählergeschichte funktionieren können. Aber von diesen gestalterischen Schwächen abgesehen entwickelt sich der eigentliche Plot mit seinen exzentrischen, aber auch dreidimensionalen Charakteren nicht nur überzeugend, er gehört nach einer schwächeren, sehr stark unter den vorhersehbaren Konstruktionen seiner Romane leidenden Schaffensphase Thomas Thiemeyers zu seinen besten literarischen Arbeiten seit einigen Jahren außerhalb des Jugendbuchbereichs. Trotzdem sind einige Schwächen nicht zu übersehen. Thomas Thiemeyer ist auch nach seinem zehnten Buch ein Autor, der weniger über seine Figuren so dreidimensional sie auch gezeichnet sein könnten, sich definiert, sondern über genaue Beschreibungen untergegangener Kulturen oder technischer Entwicklungen und einer Reihe von Actionszenen.

Grundsätzlich wäre es eine klassische Rachegeschichte. Die übernatürlichen Elemente sind von Beginn an präsent, gehen aber im Mittelteil mit der Verfolgung des wahnsinnigen Massenmörders durch eine Meute von Sheriffs, Pinkerton Detektiven und schließlich auch eines Ehemanns erst einmal unter. Thomas Thiemeyer imitiert bei den Nebenfiguren vielleicht zu sehr Joe Lansdales Stil und wenn man einen toten im Kampf gefallenen Neger irgendwie doch als guten Menschen zweiter Klasse ansieht, klingt der Texaner mit seinen stilistisch so einzigartigen Wendungen deutlich durch. Wie im Neo Western wird nicht nur gestorben, sondern vorher auch ordentlich gelitten. Es fließt das Blut in Strömen und Thomas Thiemeyer mit seinen Mischung aus brutalen, aber in sadistischer Hinsicht noch akzeptablen Szenen gelingt es, die Atmosphäre des Westerns cineastisch seit den späten sechziger Jahren heraufzubeschwören, ohne in dieser Hinsicht zu sehr in die Klischeekiste zu fallen. Er gibt den Nebenfiguren einige interessante Züge, beginnend mit dem Kneipenwirt und Zuhälter, der sich wirklich um seine Mädchen kümmert über den überforderten Sheriff mit seiner kleinen Rotte bis schließlich zu den neben der übernatürlichen Erscheinung wichtigsten „Paar“.

Da wäre River vom Stamm der Ojibwe. Ohne zu belehren bemüht sich Thomas Thiemeyer, das nicht ganz einfache Leben der inzwischen in den Reservaten immer weiter zurück gedrängten Indianer zu beschreiben. Sie ist eine bodenständige, intelligente Frau, die sich neben den Künsten der Selbstverteidigung auch mit der Heilung von Krankheiten auskennt. Bei ihrer Suche nach Kräutern ist sie zumindest mit verantwortlich für eine Katastrophe, die viele Indianer ausgelöscht hat. Neben den Schädeln und Knochen in einem abgeschiedenen Teil des naheliegenden Gebirges eines der Bilder, das der Leser nicht so schnell vergisst. Im Laufe der Handlung wird River teilweise wider Willen mehr und mehr zu einer nicht nur dominierenden Persönlichkeit, sondern zu einer treibenden Kraft, zu einer in mehrfacher Hinsicht Kriegerin, die schließlich zwei „Dämonen“ austreiben muss. Auch wenn der Leser sich relativ schnell mit ihr identifizieren kann, ist es ihr Charisma und vor allem ihre intellektuelle Stärke in Kombination mit einigen Schwächen oder besser Ecken/ Kanten, die sie zu einer abgerundeten Figur in Thomas Thiemeyers umfangreichem Werk machen.

Immer am Rande des Klischees könnte Nathan Blake angesiedelt sein. Eine Hitchock Figur, die in den Wilden Westen versetzt worden ist. Der abschließende Rückblick auf seine Jugend nach dem Tod seines Vaters schließt in dieser Hinsicht den Kreis und soll als Erklärung dienen, dass der Intellektuelle Blake in einer Liste engelsgleiche blonde Frauen ermordet und sie teilweise wie bei einer Opferung aufbahrt. Unter anderem nicht nur die Frau des Bürgermeisters, sondern auch eine Prostituierte. Es ist immer in einem Roman gefährlich, den Mörder zu einem „Helden“ zu stilisieren und einfache Ausreden für seine Persönlichkeitsstörungen und Morde zu suchen. Thomas Thiemeyer hat es etwas leichter, weil Blake Schurke und Held zu gleich sein muss. Es gibt anscheinend eine noch dunklere, noch brutalere mystische „Kraft“, die viel länger viel mehr Menschen ermordet und welche Blake und River gemeinsam ausschalten müssen, während sie gleichzeitig von der Meute um den Bürgermeister verfolgt werden. Dabei nähern sich die beiden Menschen ohne das Klischee oder die Idee einer Romanze an. River und Blake ergänzen sich dabei in ihren nicht immer positiven Fähigkeiten. Wenn am Ende das „Böse“ nur durch die Opferung des Einen besiegt werden kann, zeigt Thomas Thiemeyer als Erzähler, dass es in seinem Western keine wirklichen Abstufungen mehr gibt. Es herrschen Grautöne vor. Bis es zur finalen, angesichts der Länge des Buches zu abrupten, aber überzeugend schockierenden finalen Auseinandersetzung kommt, präsentiert der Autor eine Reihe von sehr gut geschriebenen Dialogen oder Streitgesprächen zwischen der Indianerin und dem Massenmörder, in dem insbesondere die gebrochene Vergangenheit des Protagonisten, die nach dem Bürgerkrieg immer noch gespaltene Nation und das Schicksal der immer wieder betrogenen Indianer diskutiert werden. Dabei werden keine Lösungen angeboten, sondern Einzelschicksale geschickt und nicht emotional extrapoliert.  

Und schließlich wäre noch das Monster hinter den menschlichen „Monstren“ zu nennen. Eine Sagengestalt, die Thomas Thiemeyer sehr überzeugend zu einem brutalen Leben erwecken kann. Immer präsent ohne lange Zeit in Erscheinung zu treten. Dieser Übergang schließlich zum Mystery Thriller macht „Devil´s River“ interessant und vielschichtig. Es ist ein langer Weg, den in der Vergangenheit die Protagonisten zu Pferde, in der Gegenwart Lizzy auf ihrer inneren Reise zum Abwerfen aller Ketten zurücklegen müssen. Auch wenn die einzelnen Versatzstücke des vorliegenden Buches dem Leser aus anderen Werken oder Filmen bekannt vorkommen könnten, hat Thomas Thiemeyer trotz des ein wenig in den Beschreibungen sperrigen Stils einen unterhaltsamen modernen Western geschrieben.         

        

   

Broschierte Ausgabe
ca. 512 Seiten
Knaur verlag
März 2015
ISBN: 978-3426517154

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