Hans - Gesamtausgabe Band 1

André-Paul Duchâteau

Mit der Gesamtausgabe von „Hans“ beginnt der Splitter Verlag ein weiteres ambitioniertes Projekt. Die insgesamt zwölf Alben und zwei Kurzgeschichten erschienen zwischen 1980 und 2000. Im ersten Essay Teil über die Entstehungsgeschichte dieser irgendwo zwischen „Valerian & Veronique“ sowie später auch teilweise an „Luc Orient“ erinnernden Science Fiction Serie schreibt Patrick Gaumer von zahlreichen interessanten Bildern und Briefwechselns begleitet über die ersten Wurzeln von „Hans“, der im Grunde lange Zeit ein Schattendasein im Vergleich zur populäreren „Thorgal“ Serie führen sollte. Grzegorz Rosinkis grenzüberschreitende Arbeiten – er lebt in der Zeit des eisernen Vorhangs noch in Polen – umfasste unter anderem 31 Alben der „Thorgal“ Serie sowie die ersten fünf „Hans“ Alben. Es ist aus heutiger Sicht fast eine Abenteuerstory, wenn er von seinen Besuchen in Belgien berichtete und den strengen Kontrollen auf der Rückfahrt. Es ist auch ein Zufall, dass ausgerechnet Andre-Paul „Rick Master“ Duchatea durch den Weggang des bisherigen Redakteurs des „Tintin“ Magazins die Möglichkeit erhalten hat, neue Wege zu gehen und dabei mit Rosinski beginnend mit der ebenfalls abgedruckten ersten kurzen Geschichte einen Charaktere nicht nur auf eigene Faust zu entwickeln, sondern gegen den Willen seiner Vorgesetzten mit der zweiten Geschichte des späteren Albenformat durchzudrücken. Wie von Patrick Gaumer im Vorwort angemerkt, passen die beiden Kurzgeschichten (die zweite wird im nächsten Band der Gesamtausgabe veröffentlicht) im Grunde nicht in den Kontext der späteren Alben, aber diese Widersprüche machen aus den Reiz dieser Sammelbände aus.

Die 1980 veröffentlichte Kurzgeschichte „Turm der Verzweifelung“ etabliert den Charakter Hansen alias Hans als Spezialagenten, der Missionen übernimmt, die niemand anders erfolgreich erledigen kann. Eine Art James Bond der dunklen Zukunft. Er soll die Waffensystem eines Tyrannen ausschalten. Dabei lockt er den Agenten in eine perfide Falle, in dem er ihm vorgaukelt, seine mit seiner einzigen Liebe Orchidee gezeugte Tochter gefangen zu halten. Die einzige Schwäche Hans. Auch wenn die Story auf den nur zehn Seiten über eine Reihe von perfiden Einfällen verfügt – alleine der Turm ist ein Höhepunkt der ganzen Serie – ist das Ende zu abrupt und wirkt zu statisch. Die Töne sind deutlich bunter und greller als in den folgenden Alben, was zusammen mit den an „Heavy Metal“ erinnernden Außerirdischen die Geschichte eher für Jugendliche als Erwachsene interessant erscheinen lässt.

Das erste Alben „Die letzte Insel“ ist im gleichen Jahr zuerst im Magazin, später in Albenform veröffentlicht worden. Inzwischen ist der Held – wie sich am Ende herausstellt – nicht mehr der Spezialagent, sondern ein Zeitreisender und Forscher, der aus der Zukunft 130 Jahre zu früh materialisiert. Er kann sich an nichts mehr erinnern. Er wird in einer mit Schnee bedeckten Landschaft gefunden – hier lernt er Orchidee das erste Mal kennen, die er ja in der vorher veröffentlichten Kurzgeschichte vielleicht auch durch eigene Schuld verloren hat – und in die letzte, an eine Festung erinnernde Stadt gebracht, wo die Wissenschaftler weder mit seiner Kleidung noch mit seiner Genetik etwas anfangen können. Man glaubt, es handelt sich um einen der vielen Schläfer in Tiefkühlkammern, die noch unter einer vom großen Krieg verzerrten Erde liegen und manchmal aufwachen. Es ist eine der Ideen, die erst in den folgenden Alben weiter entwickelt werden. Bei einem Test in der unwirtlichen Umgebung der Stadt findet man heraus, dass Hans anscheinend eine militärische Ausbildung genossen hat und mit Waffen umgehen kann. Orchidee und zwei ihrer in Lumpen gekleideten Helfer finden ihn und bringen den Unterkühlten in ihr unterirdisches Versteck. Auch der Kontrast zwischen diesen beiden Zivilisationen entspricht der politischen Grundstimmung der achtziger Jahre. Es ist erstaunlich, dass Patrick Gaumer in seinem Vorwort nicht Rosinkis widerspricht, denn unpolitisch ist „Hans“ auf dieser Ebene nicht. So bedeutet dekadenter Luxus in der großen Stadt inklusiv der an die römischen Arenen erinnernden Spiele – keine neue Idee – auch das Leben unter der Herrschaft eines Tyrannen, während die draußen lebenden Menschen in Lumpen gekleidet, aber zumindest politisch frei sind. Diese Ideen werden nur rudimentär abgehandelt. Hans erhält vor allem während des rasanten, aber auch ein wenig statisch konzentriert wirkenden Showdowns sein Gedächtnis zurück und kann Orchidee zumindest kurzzeitig in Sicherheit bringen, um sie gleich wieder zu verlieren. Mit der Idee der Zeitreise und den Beobachtern aus der Zukunft verfügt die Geschichte über ein bewegliches Grundgerüst, das es dem Autor wie bei der „Valerian & Veronique“ Serie ermöglicht, zwischen einzelnen Zeiten, aber auch hinsichtlich des Science Fiction Inhalts auch verschiedenen Planeten hin und her zu springen. Erst im zweiten Band wird etabliert, dass Hans im Grunde nicht nur Forscher, sondern auch Handlanger seiner Vorgesetzten ist. Neben den virtuellen Welten, in die sich nicht nur die Bewohner der letzten Insel flüchten, sondern auch Hans zu Beginn des zweiten Albums findet sich als weitere originelle Idee die Tarnvorrichtung, die aus der ersten Kurzgeschichte übernommen es den Zeitreisenden ermöglicht, an den wichtigen Stellen effektiv wie unauffällig zu beobachten. Es gibt aber im ersten Album keine erkennbaren Weisungen, nicht in das Geschehen einzugreifen und mögliche Veränderungen im Zeitverlauf unter allen Umständen zu vermeiden.

Die Farbtöne sind dunkler, aber damit auch realistischer geworden. Auch wenn die einzige Insel immer noch sehr bunt aussieht und Roskinski hinsichtlich der Herrscher zu aber noch als Menschen erkennbaren Verfremdungen neigt, wirkt der Inhalt eher für Erwachsene konzipiert. Mit Orchidee wird eine zweite, bislang ambivalent gehaltene sehr selbstständige Frau eingeführt, die zumindest Hans in der Mitte des Plots das Wasser reichen kann.   

Erst vier Jahre später erschien mit „Gefangene der Ewigkeit“ im Grunde der Schlüsselband der Serie. Hans sieht sich weiterhin als Archäologe, während sein tyrannisches Vorgesetzter – eine Art Mensch/ Maschine – ihn inzwischen als Agenten ansieht. Hans soll eine neue Tendenz der Nostalgie unter den Bewohnern der letzten Stadt austreiben. Sie versuchen in der Vergangenheit vor dem großen Krieg zu leben und kaufen/ stehlen Artefakte. Als Hans sich weigert, bleibt ihm nur die Flucht in die Vergangenheit, wo er Orchidee in letzter Sekunde retten kann. Die Vergangenheit ist ihnen aufgrund der stetig näher kommenden Verfolger aus der Zukunft versperrt. Hans kann zwar zwei ausschalten, er weiß aber, es werden nicht die letzten Sein. Zurück in der Gegenwart fliehen sie mit einem Raumschiff zu einem entfernten Planeten, der als einziger freien Menschen Asyl gewährt. Allerdings muss sich Hans zu einem tödlichen Duell stellen. Im Vergleich zum deutlich moderner gestrickten Auftaktalbum und vor allem in einem starken Kontrast zu den Äußerungen Duchateau mit seinen Hinweisen auf Isaac Asimov und Alfred van Vogt als Vorlagen driftet die Geschichte mit dem Betreten des ambivalenten Planeten auf „Flash Gordon“ Niveau nicht unbedingt negativ ab. Es gibt fliegende Menschen, regiert von einer schließlich psychopathischen Königin. Das Duell findet wie in den Fantasy- Filmen Mann gegen Barbar statt. Dabei gelingen Rosinksi eindrucksvolle Szenen, denn beginnend mit einem Luftkampf bis zur Auseinandersetzung unter Wasser endet der Zweikampf mit dem deutlich kräftigeren Barbaren schließlich an einem Strand, wo sie ihre Wächter überraschen und die jeweiligen Frauen befreien können. Im Verlaufe des geradlinigen, unglaublich rasanten Abenteuer begegnen sie noch mit tragischen Folgen einem lebenden Wald, müssen sich in Sümpfen mit Ungeheuern aus dem Nichts herumschlagen und Hans mit sich gegen Verrat in den eigenen Reihen wappnen, bevor ihm am Ende seiner Reise keine andere Möglichkeit bleibt, als das Angebot seines tyrannischen Chefs anzunehmen. Neben diesen verschiedenen Fantasy- Episoden mit ihren stetig dunkler werdenden Untertönen – immerhin sind die Schuld, das eine ganze Kultur ausgelöscht wird – sind es die eindrucksvollen, so unterschiedlichen Landschaften, welche von Roschinski phantasievoll mit dem Blick fürs Ganze und weniger die einzelnen Details ausführlich dargestellt, die Handlung bestimmen. Um den Handlungsbogen zur anfänglich veröffentlichten Kurzgeschichte zurück zu bringen, bleibt Hans am Ende nichts anderes übrig, als die Rolle des Agenten und nicht mehr des Zeitforschers zu spielen. Seine Schwachstelle – die Liebe zu Orchidee – wird nicht nur gnadenlos ausgenutzt, in einer Pervertierung der Situation ist es Hans ab sofort unmöglich, Orchidee vor den Augen sie trotz zu erkennen. Diese abschließende Idee ist der Höhepunkt eines spannend erzählten Comics, das nicht nur von seiner Geschwindigkeit lebt, sondern die Zukunftsgesellschaft auf eine interessante Art und Weise der Vergangenheit aus dem ersten Album anpasst und sie als natürliche, übertriebene Perversion erscheinen zu lassen.        

Splitter Verlag, 2015
Text: André-Paul Duchâteau
Zeichnungen: Grzegorz Rosinski
Übersetzung: Uwe Peter
224 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 34,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-020-1

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