Dr Who- Millenium Shock

Justin Richards

Auch wenn es nicht auf dem Cover steht, ist Justin Richards „Millenium Shock“ eine Fortsetzung zu „System Shock“, in dem der Doctor zusammen mit einem deutlich jüngeren Harry Sullivan gegen die gleichen Außerirdischen kämpfen muss, die jetzt an der Wende zwischen den Jahrtausenden die Erde mittels eines Computervirus und der 1999 bestimmenden Angst vor einem fehlerhaften Umschalten aller Computer auf das Jahr 2000 noch einmal zu übernehmen suchen. Auch wenn die Mechanismen des zugrundeliegenden Plots insbesondere der statischen Originalserie ähneln – es ist der vierte Doctor und die Geschichte ist zwischen „The Deadly Assasin“ und „Asylum“ angesiedelt – ist die Fortsetzung interessanter und differenzierter als die erste Geschichte angelegt. Es ist nicht notwendig, „System Shock“ zu kennen, aber der Leser sollte zumindest hinsichtlich des Zusammenspiels der einzelnen Protagonisten im Rahmen der Originalfernsehserie inklusiv der jetzt als Autorin agierenden Ex- Begleiterin Sarah mit den wichtigsten Fakten vertraut sein.  Auch wenn Justin Richards erstaunlich humorlos agiert, würden sonst die Zwischentöne verloren gehen. Aus heutiger Sicht wirkt ein 1999 verfasster Roman, der sich mit der Jahrtausendwende beschäftigt, natürlich aus heutiger Sicht antiquiert und unnötige Ängste hervorbeschwörend, die von der heimlichen Aktion der Aliens extrapoliert werden. Auf der anderen Seite ist die Idee eines versehentlich ausgelösten Atomkriegs aktueller denn je.

Auffällig ist, dass sich der Autor nicht auf den weniger exzentrisch als sonst agierenden Doctor konzentriert, sondern Harry Sullivan eine gleichberechtigte, teilweise selbstständige agierende Rolle einräumt. Zu Beginn des Romans wird mehrfach auf die mangelnde Vorbereitung hinsichtlich der Computerumstellung auf das neue Jahrtausend hingewiesen und ein dunkles Bild gemalt, dass im Post Doomsday Szenario in der zweiten Hälfte des Romans noch einmal aufgenommen wird. Natürlich zeichnet der Autor ein ambivalentes Bild. Zum einen muss er anfänglich den Schrecken der plötzlich postindustriuell werdenden Welt zeichnen, zum anderen muss die außerirdische Bedrohung überzeugend beschrieben werden und das muss ein Mindestniveau an Umstellungsvorbereitungen erreicht werden. Wie schwierig diese Situation ist, zeigt die Auftaktszene. Der Doctor landet mit der TARDIS in den Büros der Condef, der Hauptauftraggeber die britische Regierung ist. Er platzt mitten in einen seltsamen Einbruch, bei dem der Angestellte George Gardner bemerkt, dass die Diebe nichts stehlen, sondern Computerchips in der Silver Bullet System installieren.  Der Doctor schon Gardner zu seinem alten Freund Sullivan beim MI 5. Gardner arbeitet zu Hause mit den manipulierten Chips und kommt dabei beinahe um Leben. Im Gegensatz den Protagonisten etabliert der Autor auf einer zweiten, eher mechanisch wirkenden und an die Fernsehserie der siebziger/ achtziger Jahre erinnernden zweiten Handlungsebene, dass Fremde wieder nach der Erde greifen und die Menschen an ihrer schwächsten Stelle - der Technikabhängigkeit - unabhängig vom Jahrtausendwechsel anzugreifen suchen. Das Millenium ist eher ein Mittel zum Zweck.

In der ersten Hälfte des Romans versuchen der Doctor und Sullivan/ Garnder teilweise unabhängig voneinander, sich aber hinsichtlich ihrer Ermittlungen und Ergebnisse solide überschneidend die Hintermänner dieses Komplotts zu finden. Es handelt sich um die Voracians, eine Mischung aus Reptilien und bösartiger Büroausrüstung. Diese Idee erscheint bizarr und wird durch den Rückblick auf deren Heimatplaneten, die inzwischen klassisch klischeehafte Entwicklung der Etablierung einer künstlichen alles kontrollierenden Intelligenz sowie dem Freiheitskrieg gegen die plötzlich das intelligente Wesen als minderwertig empfindenden Maschinenmenschen nur wenig plausibler. In der Neuauflage hätten die Autoren in die laufende Handlung eine Reihe von skurilen, nicht weniger gefährlichen Situationen einfließen lassen. Justin Richards bleibt deutlich an der Oberfläche, fügt einige Beschreibungen hinzu, traut sich aber nicht über den ausschließlich verbalen Humor hinaus die Voracians als  vielschichtige Antagonisten zu etablieren. In dieser Hinsicht muss das abrupte, schwache Ende expliziert erwähnt werden, in dessen Verlauf so viel Potential des Romans über Bord geworfen wird, dass der Leser es kaum glauben mag. Auf nicht einmal zwei Seiten wird die Situation mittels eines Hackerprogramms und Steckerziehens gelöst. Warum die Voracians überhaupt notwendig sind, bleibt das Geheimnis des Autoren, denn "Millenium Shock" funktioniert auf einer gänzlich anderen Ebene ausgesprochen gut. Betrachtet man den Roman als Agententhriller, auf den Gesetzen des Kalten Kriegs aufbauend und  zumindest impliziert die Möglichkeit von fremden Mächten, die wie James Bond die Russen und Amerikaner gegeneinander in James Bond Manier auszuspielen suchen, dann offenbart sich erheblich mehr Potential als hinsichtlich der außerirdischen Bedrohung. Auch hier kann der Autor keine James Bond Parodie etablieren, auch wenn sich der Doctor dafür sehr gut anbieten würde. Harry Sullivan ist eine zu ernsthafte, zu bodenständige Fiigur und der Systemadministrator George Gardner darf nicht zu sehr aus der Rolle eines programmierenden Schreibtischtäters fallen. Wie in den Agententhrillern gibt es aber einige falsche Spuren. Höhepunkt ist eine Simulation, in deren Verlauf der Verräter enttarnt wird. Er wird in eine im Grunde ausweglose Situation gebracht. Eine einzelne Rakete ist auf Russland abgeschossen worden. Die Chips blockieren weltweit alle Sicherheitssysteme, so dass die Raketen Russlands wie in dem Film "Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben" auf den Einschlag in Moskau als Vergeltungswaffen zu reagieren haben. Da weder die Protagonisten noch die Leser die Situation in diesem Augenblick überhaupt einordnen können, ist die dramaturgisch interessant und vielschichtige geschriebene Szene einer der Höhepunkte des vorliegenden Buches. Ergänzt wird diese Sequenz durch einige Verfolgungsjagden und weitere Verräter sowie die umständlichen politischen Pläne. Während die erste Hälfte des Buches zu umständlich das wie schon angesprochen heute nicht mehr aktuelle Szenario etabliert, gibt sich die zweite Hälfte des Buches sehr viel Mühe, mittels Tempo und Szenenwechseln die Spannung zu erhöhen. Bis kurz vor Schluss wirkt "Millenium Shock" dann tatsächlich wie eine interessante Mischung aus Spionagethriller und „Doctor Who“ Abenteuer, bevor während der finalen Konfrontation auf die stereotypen Gesetzmäßigkeiten des Genres zurückgegriffen wird.   

Zusammengefasst liest sich „Millenium Shock“ im Vergleich zu anderen „Doctor Who“ Romanen ein wenig schwerfälliger. Ein Gegengewicht zu den unterhaltsam pointierten Dialogen des Doctors kann in den anderen Szenen nicht gefunden werden. Die nicht unbedingt originelle Grundidee wird solide erzählt, hintergrundtechnisch zufriedenstellend vorbereitet und schließlich sehr abrupt abgeschlossen. Es sind die sympathischen Nebenfiguren von den beiden klischeehafte überzeichneten Briten bis zum amerikanischen CIA Agenten, von den überforderten und dummen Politikern wie zu der essaytechnisch polarisierenden Sarah, die aus „Millenium Shock“ einen lesbaren Roman machen, der leider sehr viel Potential unnötig verschenkt. Alleine die Idee, dass der Doctor in der Gegenwart eines fast paranoiden Londons mit seinem alten Gefährten von vor zwanzig Jahren gegen eine unbestimmte und zumindest Sarahs Artikel folgend auch unbestimmbare Bedrohung des Jahrtausendwechsels kämpfen muss, hätte für einen überdurchschnittlichen Roman gereicht. Mit den Voracians werden sogar passende Antagonisten unabhängig von den willfährigen Menschen gereicht, nur hätte der Coktail besser gerührt und nicht nur geschüttelt werden müssen, um nachhaltig auf allen Ebenen und nicht nur im Detail zu funktionieren.  

 

  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: BBC Books (Mai 1999)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0563555866
  • ISBN-13: 978-0563555865