25 Jahre nach dem ersten "Kultur" Roman liegt nicht zuletzt durch den frühen Tod Iain Banks mit "Die Wasserstoffsonate" der letzte Roman vor. Wie in fast alle "Culture" Werken hinterfragt der britische Autor teilweise mit subtilen bis subversiven Humor die bisher bekannten Aspekte seines fiktiven Universums und stellt nicht zum ersten Mal den bisherigen Verlauf als Geschichte als im Grunde Farce der Leichtgläubigen dar. Anhänger der "Kultur" Bände werden vielleicht enttäuscht sein, dass Banks sich insbesondere für einen Abschlussband förmlich weigert, wichtige Punkte seiner Schöpfung wie die Idee des Sublimens weiter zu erläutern. Das Sublime bleibt im Grunde eine Art Nichtzustand, aus dem nur wenige Wesen zurückgekommen sind, die allerdings nicht dem Leser "berichtet" haben. Auch am Ende des vorliegenden Romans ist der Leser nicht schlauer. Zumindest umschifft Banks mit den Wiederkehrenden die Grundidee des kollektiven Selbstmordes einer alten Rasse auf der Suche nach einem nicht selten auch religiös bedingten neuem Zustand. Durch das Vorhandensein von Rückkehren - vielleicht auch eine Lüge hinter einer Geschichte ? - wird die Grundidee aber nicht abgerundeter präsentiert. Es ist bittere Realität, dass sich ein viel zu jung verstorbener Autor mit den Themen nicht nur Langlebigkeit von Individuen als auch Zivilisationen im Gegensatz zu Stephen Baxters kosmopolitischer Sichtweise immer sehr bodenständig auseinandergesetzt hat. Während Baxters Zivilisationen am Ende ihrer natürlichen Evolution förmlich erlöschen, wechseln Banks Völker nicht nur die Realitätsebene, der Leser hat mehr und mehr das Gefühl als würden sie von den humorvollen, so "menschlich" künstlichen Intelligenzen der "Culture" Raumschiffe mit ihren absonderlichen Namen abgelöst.
Das Überwechseln der uralten Gzilt ins Sublime ist der rote Faden der Ereignisse. Trotz des Alters dieser Rasse erinnern sie eher an ein Menschengeschlecht, das für das große Ziel sogar auf Kinder und Enkel verzichtet. Schwangere Gzilts werden alleine aufgrund der komplexen sozialen Ordnungen vom Übergang in diesen „Überraum“ ausgeschlossen. Interessant ist am vorliegenden Roman zusätzlich, dass sich die einzelnen Mitglieder der Gzilts auf diese Veränderung wie ein langsames Sterben vorbereiten. Eine der wichtigsten Protagonisten – sie hat sich extra operieren lassen, um die vierhändige Wasserstoffsonate auf einem exotischen Instrument spielen zu können- verbindet im Grunde die unfreiwillige Suche nach der Wahrheit mit dem geplanten Übergang ihres Volkes in ein anderes Daseinsstudium. Es ist kein Zufall, dass sie die gewonnenen Erkenntnis als einzige nicht künstlich geschaffene Figur dieser großen Oper für sich persönlich umsetzt und einen gänzlich anderen Entschluss trifft. Im übertragenen Sinne entscheidet sie sich für das aufregende Leben und gegen einen Stillstand im Sublimen. Eine Entscheidung, die Banks wahrscheinlich mit ihr geteilt hätte. Daher muss jede Kritik dieses Buches die galaktische wie auch die subjektiv persönliche Ebene umfassen. Es lohnt sich in diesem Fall – obwohl der Handlungsverlauf konträr verläuft – mit dem Schicksal der Gzilts anzufangen.
Dabei soll die Sublimation in größeren Gruppen, manche sprechen von 99 Prozent eines Volkes durchgeführt, werden, um die kulturelle Identität und Ingritität zu erhalten. Auf der anderen Seite scheint die Veränderung des "Zustandes" mit dem Auslöschen in der Gegenwart in einem engen Zusammenhang zu stehen. Vielleicht die schwächste Facette des vorliegenden Romansd, denn Banks kann nicht überzeugend erklären, warum alte Völker diesen Weg wählen, während anscheinend junge Völker in der Realität nach außen streben. In einem Zusammenhang mit der Quest steht die Authentizität mit dem "Buch der Wahrheit", das insbesondere die technischen Entwicklungen der Gzilt nicht nur gezielt, sondern überwiegend richtig vorher gesagt hat. Die Schriften wurden angeblich im Inneren eines Meteoriten gefunden. Banks geht in seinem Roman schon auf eine ambivalente Distanz zur Idee von eintreffenden Vorhersagen im Vergleich zu den Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Raumschiffe. Für einige Politiker überraschend ist, dass ausgerechnet kurze Zeit vor dem Übergang dieses Buch angezweifelt wird. Aber im Grunde dient diese Kombination von Ereignissen nur als Katalysator für die persönliche Suche.
Denn eine Botschaft einer sublimierten Rasse suggeriert, das dieses Buch der Wahrheit in Wirklichkeit eine Fälschung ist, deren Ziel es ist, die Rasse der Gzilts zu manipulieren und quasi nach dem Eintreten der ersten Prophezeiungen an einem langen Band zu führen. Auf einer zugängliche Ebene beginnt Banks seinen Roman mit einem fast klassisch paranoiden Spionageszenario. Der Überbringer nicht nur dieser Botschaft, sondern die Benennung eines anscheinend noch existierenden Zeugen - der Mensch QiRia Tursensa Ngaoe - wird von einem gziltianischen Schlachtkreuzers gleich zu Beginn des Plot vernichtet. Durch einen Zufall fällt aber die Botschaft in die Hände des 14ten gziltianischen Armeeregiments, das wiederum der Sublimierung kritisch gegenüber steht. Sowohl eine Gruppe von Schiffsgehirnen als auch ein Abgesandter des Militärs - die vierarmige Vyr Cossont - machen sich auf den Weg, den legendären QiRia zu suchen, der bei der Gründung der "Kultur" auch Anwesenheit gewesen sein soll. Vyr lernte nicht nur QiRia kennen, er schenkt ihr nicht unpassend eine komplette Kopie seines Bewusstseinsinhalts. Nun müssen diese inzwischen an ein Institut verschenkten Informationen wieder geborgen und neu analysiert werden.
Diese Suche oder vielleicht auch für Vyr Heimkehr zu den eigenen Wurzeln steht im Mittelpunkt der persönlichen Handlungsebene. Obwohl Iain Banks sich weigert, diese relevanten Abschnitte chronologisch zu erzählen und insbesondere die ironischen Dialoge der Raumschiffsgehirne nicht nur als Kommentare, sondern als dunkle Prophezeiungen nutzt, ist es der zugänglichste Teil der Geschichte. Das liegt nicht nur daran, dass seine künstlerisch orientierte Protagonistin aus einer grundsätzlich militärisch hierarchisch organisierten Gesellschaft durch ihre emotionale Stärke herausragt. Das die Antipathie gegenüber der dominierenden Mutter sie so menschlich macht. Das ihre Suche sie nicht nur zu exotischen Orten führt, sondern im Umkehrschluss auch die eigene Existenz insbesondere im Vergleich zu ihrer Rasse hinterfragen lässt. Je weitere sich Vyr auf ihrer Suche weg von ihrer Heimat bewegt, desto lebendiger und aufgeregter wird sie. Bei ihrer Suche, die aus spannungstechnischen Gründen aufgrund der innerplanetarischen Opposition auch einer Art Flucht ähnelt, erhält sie mehrfach von bislang unbekannter Seite Unterstützung. Am Ende des Plots steht Banks aber vor einer schweren Aufgabe. Denkt der Leser an einige seiner Romane zurück, in denen das letzte Kapitel den bisherigen Handlungsverlauf inklusiv der Erzählperspektive förmlich auf den Kopf gestellt hat, wirkt die Aufdeckung einer Lüge und nur einiger weniger Ziele dahinter in "Die Wasserstoffsonate" wie das resignierende Eingeständnis, dass man seinen Weg trotz der falschen Leitplanken einfach fortsetzen wird und ihn zu Ende gehen muss. Der Knalleffekt fehlt und dieses Auslaufen der Geschichte enttäuscht auch ein wenig. Die Idee, das sich alles nur um ein Experiment handelt, ist solide vorbereitet, überrascht allerdings viele Jahrzehnte nach "Welt am Draht" und ähnlichen Texten nicht mehr. Nicht selten ist der Weg der beste Teil der Reise und das gleiche gilt für den vorliegenden Roman. Es ist schade, dass Banks dieser These nicht mehr in zukünftigen Romanen Tiefe geben kann, aber in der vorliegenden Form vor allem im Hinblick auf die fatalistische Ignoranz durch die Öffentlichkeit fehlt dem Roman ein echter Paukenschlag zum Ende hin.
Stilistisch überzeugend geschrieben mit einer soliden Übersetzung durch Andreas Brandhorst versucht Iain Banks auf der einen Seite zu den Wurzeln seines über 25 Jahre entwickelten Zyklus zu kommen und teilweise deren Grundstrukturen zu hinterfragen ohne wirklich Lösungen anbieten zu können oder zu wollen. Auf der anderen Seite ist es schön, wieder in die wild exotische Welt seiner "Kultur" Romane ein letztes Mal eintauchen zu können und zusammen mit seinen Protagonisten eine Reise zu unternehmen, die voller kleiner bizarrer Ideen steckt und auf einem gehobenen Niveau trotz eines vielleicht nicht gänzlich befriedigenden, deutlich ambitionierter als dargestellt geplanten Plots unterhalten kann.
Originaltitel: The Hydrogen Sonata
Originalverlag: Orbit
Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst
Deutsche Erstausgabe
Paperback, Broschur, 704 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-31546-4