
Die “November/ Dezember” Ausgabe des “The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ präsentiert eine ausgesprochen breite Mischung unterschiedlicher Geschichte, wobei im Gegensatz zu den letzten Ausgaben nur wenige Texte wirklich herausragen.
“Through Mud One Picks a Way” von Tim Sullivan spielt in seinem “Cet 4” Universum, in dem die immer wiederkehrenden Hauptcharaktere auf dem Schwerkraftplaneten Cet 4 leben. Der Schauplatz ist allerdings dieses Mal die Erde, auf der drei Cetians von einem durchschnittlichen Kerl namens Hob quasi annektiert worden sind. Äußerlich erinnern die Cetians ans Schnecken ohne Häuser und kommunizieren durch Berührungen ihrer Tentakel. Auf ihrer Heimatwelt haben die Menschen sie mehr und mehr aus den Rohstoffreichen Gebieten vertrieben. Tim Sullivan versucht die Intentionen lange Zeit zu verstecken und den Leser mit einer Mischung aus teilweise wenig subtilem, doppeldeutigen Humor abzulenken. Das Ende ist zu abrupt, lässt zu viele Fragen offen, während die langen Dialogen den eigentlichen Plot zu wenig vorantragen. Eine durchschnittliche Geschichte, die wahrscheinlich als Novelle mit effektiver und umfangreicherer Hintergrundentwicklung besser wirken könnte. Die zweite reine Science Fiction Geschichte „Hard Stars“ aus der Feder Frenda DuBois spielt in einer von Atombomben verwüsteten USA, wobei der Feind im Dunkeln geblieben ist. Anschließend werden mittels spezieller Sonden alle Überlebenden gejagt. Trenton soll mit seinem Team ohne Technik isoliert in den Wäldern den Präsidenten der USA schützen. Frenda DuBois setzt sich intensiv vor dem dunklen Hintergrund mit der klassischen „Bodyguard“ Thematik und dem Versagen in Extremsituationen auseinander. Trotz des dunklen Hintergrunds wirkt der Pathos, der so typisch amerikanische Patriotismus auch „befreiend“ und die Nebenfiguren sind im Gegensatz zum
Albert E. Cowdrey präsentiert eine interessante Geistergeschichte. Der Erzähler, dessen Identität der Leser erst am Ende als weiteren subtilen Hinweis erfährt, trifft in einem exklusiven Club Mark Twain, der ihm eine Geistergeschichte erzählt. Von zwei Brüdern auch im Streit um eine Frau ist der eine Tod, vielleicht ermordet oder von eigener Hand gestorben, der andere im Irrenhaus. Der überlebende Bruder behauptet, in Wirklichkeit der Tote zu sein. Mit seiner überdurchschnittlichen Struktur, dem Aufbau einer bedrohlichen, viktorianischen Atmosphäre und vielen Doppeldeutigkeiten zieht Cowdrey den eigentlichen Erzähler auf Augenhöhe mit dem Leser in den Plot hinaus. Der Titel „Hell for Company“ ist dabei so interessant gewählt, dass er auf die beiden Handlungsbögen passt und den Leser ein wenig verwirrt zurücklässt. Stilistisch der Zeit angepasst geschrieben gehört „Hell for Company“ zu den besten Texten dieser Ausgabe. Eine andere Art von Hölle beschreibt „Baba Makosh“ aus der Feder von M.K. Hobson. Während des russischen Bürgerkriegs suchen drei russische Soldaten die Hölle. Was anfangs angesichts des unwirtlichen Klimas eher als Allegorie angesehen werden kann, entpuppt sich als die wirkliche Hölle. Kaum findet eine seltsame alte Frau die drei Soldaten, beginnt sich die Umgebung zu verändern. Wie bei Neil Gaiman nutzt M.K. Hobson die russischen Sagen als Hintergrund einer modernen Geschichte mit Abwandlungen russischer Gottheiten. Stilistisch überdurchschnittlich geschrieben mit fein gezeichneten, nicht klischeehaften Charakteren präsentiert sich „Baba Makosh“ als interessantes Gegenstück zu Cowdreys überdrehtem Text, wobei es bei Hobsons auf die subtilen Feinheiten deutlich mehr ankommt. Die Folklore verbindet sich mit einem eher unbekannten Abschnitt der russischen Geschichte zu einer phantastischen Irrealität, in der sich weder die Charaktere noch der Leser zurecht finden kann.
“Stones and Glass” von Matthew Hughes deckt den Fantasy- Bereich solide, aber auch ein wenig mechanisch ab. Der Dieb Raffalon will einen Beutel mit gefälschten Steinen auf einem Markt verkaufen. Als der Markt nicht stattfindet, sucht er nach Alternativen. Raffalon ahnt aber nicht, dass jemand noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen hat. Die Exposition dauert angesichts der ganzen Länge der Geschichte deutlich zu lange, wobei der Autor sich zu wenig mühe gibt, die einzelnen Figuren individueller und origineller zu zeichnen. Die zweite Hälfte ist ein klassische Actiongarn, in dessen Verlauf die beiden Haupthandlungen für Raffalon zumindest mit dem obligatorischen blauen Auge zufrieden stellend aufgelöst werden.
Irgendwo zwischen Horror und Science Fiction sitzt KJ Kabzas „The Soul in the Bell Jar“. Während Lindome Glass Eltern eine Weltreise unternehmen, soll das junge Mädchen zu ihrem Großonkel Doctor Dandridge, der wie Frankenstein Tote über ihre Seele wieder belebt. Das Haus und der Hintergrund der Geschichte sind hervorragend und stimmungsvoll ausgearbeitet. Doctor Dandridge erinnert ein wenig an Heidis Großvater, der ebenfalls anfänglich distanziert und zurückhaltend auf die ihm aufgezwungene Verwandte reagiert. Aus „Dracula“ scheint der Assistent Chaswick zu stammen, der trotz seines absonderlichen Verhaltens und seiner Hinterhältigkeit als einziger eine Art verbale Brücke zum jungen Mädchen aufbauen kann. Dandridges Experimente stehen aber kurz vor dem Abschluss der ersten Stufe, wobei der obligatorische Schritt weiter schreckliche Folgen haben könnte. Während das Ende zu abrupt, zu wenig nachhaltig vorbereitet und vor allem zu einfach erscheint, überzeugt der Rest der Geschichte durch die exzentrischen Figuren, die stimmungsvolle viktorianische Umgebung und vor allem das langsame Aufdecken der weiteren Experimente aus der Perspektive der sympathischen Lindsome Glass, die man hinsichtlich ihrer Eltern nur bedauern kann.
Die wichtigste Geschichte dieser Ausgabe ist “Success” von Michael Blumlein. Es ist die erste umfangreiche Novelle seit einigen Ausgaben. Es ist die Lebensgeschichte zweier sehr intelligenter Menschen und leider auch Forscher. Während Dr. Jim ein brillanter Wissenschaftler und emotional unterentwickelter, fast egoistischer Mann ist, hat sich seine Frau Carol lange auch forschungstechnisch seinen Ambitionen untergeordnet. Dr. Jim sucht eine neue Theorie für das Leben und verliert seine Stelle, seine Frau und schließlich auch kurzzeitig den Bezug zum bisherigen Leben. Er versucht seine Thesen in einem überdimensionalen – auch das Titelbild dieser Ausgabe bildenden – Kunstwerk auszudrücken. Obwohl die Novelle auf den ersten Blick ausgesprochen verschachtelt erscheint, laufen die beiden Handlungsebenen auf eine etwas verzerrte, familiensoziologisch interessante Pointe zurücke, die allen Charakteren auf der einen Seite gerecht wird, auf der anderen Seite allerdings auch zu simpel erscheint. Blumlein hat den Mut, insbesondere den Exzentriker Dr. Jim trotzdem sympathisch zu charakterisieren, während seine Frau Carol anfänglich zu duckmäuserisch, dann zu offensiv erscheint. Eine unterhaltsame Geschichte, über deren Pointe man allerdings weniger lange als vielleicht beabsichtigt nachdenken wird.
“Sing, Pilgrim!” von James Patrick Kelly ist eine seiner absurden Kurzkurzgeschichten, deren Prämisse zum Lächeln herausfordert. Aus dem Nichts erscheint ein unscheinbarer Stuhl. Jeder der darauf Platz nimmt und ein Lied singt, das niemals zuvor auf ihm gesungen worden ist, verschwindet ins Nichts. Kelly bietet keinen Erklärungen an, aber seine Sozialkritik ist bitterböse. Schnell bildet sich eine sektenartige Kirche, die Warteschlangen mit 150.000 Transporten ins Nichts pro Jahr erreichen verrückte 30 Jahre. Wenn am Ende der Vignette der unfreiwillige „Entdecker“ des Stuhls im hohen Alter von mehr als neunzig Jahren das Geschehen kommentiert, fasst sich nicht nur der Leser an die Stirn. Bitterböse, belustigend absurd mit einer Idee, die man so schnell nicht vergisst.
Charles de Lint stellt in seiner Kolumne eine Reihe von interessanten Büchern und Comics vor. Stephen King und Graham Joyce ragen dabei heraus. Chris Mortiarty konzentriert sich eher auf Science Fiction, kommt aber trotz langer Zitate zu wenig auf den eigentlichen Punkt und wird aus Kritikersicht zu unentschlossen. Kathi Maio geht auf die Sommerblockbuster wie „Pacific Rim“ „R.I.P.D“ ein, wobei der Trend zum großen Kino im Sommer immer weiter abschmilzt. Zu den Höhepunkten gehört Paul di Fillipos Abrechnung mit dem Buchhandel und dem ewigen Kreislauf zwischen E- Books und den klassischen Buchhandlungen. Pointiert, intelligent und trotzdem kritisch zeigt sich di Fillipo in seiner Kolumne spätestens seit den letzten beiden Ausgaben in aufsteigender Form.
Wie angedeutet ist die vorliegende Jahresschlussausgabe solide mit breiten Storythemen, aber wenigen effektiven Höhepunkten. Viele der präsentierten Kurzgeschichten hätten durchaus länger und als Novellen besser gewirkt, während andere Texte unter den überstürzten und zu wenig nachhaltig vorbereiteten Enden litten.