Übertragungsfehler

Martha Wells

„Übertragungsfehler“ ist die sechste Geschichte um den Killerbot mit einem zynisch scharfen Humor aus der Feder der Amerikanerin Martha Wells. In Deutschland sind einige der Novellen in einem Sammelband erschienen, so dass „Übertragungsfehler“ Buch technisch die dritte Veröffentlichung darstellt.  Die Serie ist mehrfach mit dem Locus Award, dem NEBULA oder dem HUGO ausgezeichnet worden. Auch wenn jede einzelne Sequenz für sich alleine gelesen werden kann, empfiehlt es sich, die Geschichten in der chronologischen Reihenfolge zu lesen. Nach den ersten vier Novellen folgt “Übertragungsfehler” vor dem bislang einzigen Killerbot Roman “Der Netzwerkeffekt”.  Wer “Der Netzwerkeffekt” im Vorwege gelesen hat, der kann einzelne Wendungen gut verfolgen. Auf der anderen Seite verrät Martha Wells keine wichtigen Aspekte von “Der Netzwerkeffekt” in dieser jetzt vorangestellten Novelle.   

 Als Ich- Erzähler greift der Killerbot gerne auf einzelne „Erfahrungen seiner bisherigen Laufbahn zurück, komprimiert sie aber meistens in mehr oder minder lakonischen Anmerkungen. Die Entwicklung dieser ungewöhnlichen Persönlichkeit entfaltet sich am besten über die gesamte, bisherige Länge der Geschichte.  In den USA ist inzwischen ein siebter Teil in Form einer weiteren Novelle erschienen. Weitere Geschichten sind in Planung. 

Der Heyne Verlag nutzt die Gunst der Stunde und präsentiert die Novelle „Übertragungsfehler“ als Paperback in einem sehr großzügigen Druckbild.  Während die erste Teile vor allem sehr gute Action Geschichte mit dem Kampf David gegen die Konglomerate Goliaths gewesen sind, handelt es sich bei „Übertragungsfehler“ vor allem in der ersten Hälfte um einen klassischen Krimi mit einem ungewöhnlichen Ermittler – eben dem Killerbot – und einer Leiche, die es in dieser Form nicht an Bord der Raumstation geben dürfte.

Der Killerbot hat auf den ersten Blick eine paranoide Aufgabe übernommen. Als Kampfmaschine mit einem Faible für Soaps ist er inzwischen eine Art gehobene Sicherheitskraft auf der Preservation Station. Allerdings wird er von der örtlichen K.I. eher mit Skepsis betrachtet.

In einem der Gänge wird eine männliche Leiche gefunden, die anscheinend ermordet worden ist. Mit einer Kriminalitätsquote von unter sieben Prozent bei dieser Art von Kapitalverbrechen ist Preservation Station normalerweise einer der sichersten Orte direkt nach unbewohnten Planeten, aber mit einem Prozentsatz von sieben Prozent besteht eben doch die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ermordet wird. Offiziell darf es die Person aber nicht an Bord der Station geben, da sie nicht offiziell eingereist ist und sich ihre Identität nicht feststellen lässt.

Bevor die Ermittlungen beginnen, gibt es schon Kompetenzstreitigkeiten. Die K.I. der Station möchte mit ihrem verlängerten Arm Senior Offizier Indah den Fall untersuchen. Mensah dagegen möchte, dass der Killerbot in die Ermittlungen integriert wird, da er sich am besten von allen auf der Station befindlichen Menschen mit Toten auskennt. Allerdings nicht Ermordeten, sondern Menschen, die er selbst im Rahmen seiner früheren Programmierung umgebracht hat. Daher ist die anfängliche Skepsis durchaus begründet.

Natürlich fühlt sich Indah in der Kompetenz beschnitten und natürlich ist es während  der zweiten Hälfte des Buches hilfreich, einen Killerbot auf der eigenen Seite stehen zu haben. Hier folgt Martha Wells fast bis an den Rand des Klischees dem cineastischen Buddy Movie Hollywoods mit zwei konträren Charakteren, die sich zu Beginn ihrer jeweiligen Ermittlungsarbeiten weder mögen noch das sie sich vertrauen, um am Ende nur durch ihre gemeinschaftliche Erfahrung den Fall lösen zu können.

Ob ihm die Soaps bei den ersten Untersuchungen helfen, ist schwierig zu beurteilen, aber mittels der ungewöhnlichen Kleidung und der klassischen Footwork Methode findet der Killerbot schnell ein vermietetes, aber bis auf einen Schal leeres Hotelzimmer. Damit hat er für den Toten einen Namen und anschließend auch ein potentielles Raumschiff, mit dem er heimlich zur Station gekommen ist. Hilfreich ist es in solchen Fällen, die Station hermetisch abzuschotten und keine Abflüge von Raumschiffen zu genehmigen.

Mit dem Namen des Opfers und dem Tatort, aber keinem in Frage kommenden Täter verlässt Martha Wells die bis dahin sehr stringente Kriminalhandlung und beginnt den Hintergrund des Falls inklusive der verschiedenen Verbindungen in den Bereich der modernen Sklaverei aufzudröseln.     

Zu Beginn des Buches – es ist ja „nur“ eine Novelle und hat damit wenig Platz für langwierige Extrapolation – kommt der Killerbot erstaunlich schnell wie pragmatisch voran. Es ist schon ein wenig erstaunlich, dass er einen derartigen Vorsprung gegenüber Indah herausarbeiten kann. Martha Wells hat zu Beginn  der Geschichte festgestellt, dass Mord sehr selten ist. Aber die Station scheint auch hinsichtlich krimineller Elemente keine  Zone zu sein. Sonst bräuchte man nicht den entsprechenden doppelten Sicherheitsdienst in Form der Station K.I.und Indah. Hinzu kommt, dass GrayCris als graue Eminenz – kein Wortspiel- hinter dem Mord stecken könnte. Es gibt in Martha Wells dunkler Zukunft immer wieder kriminelle Bedrohungsszenarien, so dass ihr Killerbot nach der Überwindung seiner Hemmungen bzgl. eines direkten Kontaktes mit Menschen zu schnell und vielleicht auch zu simpel zumindest bis zum Ort des Mordes vorstößt. 

Auf der technischen Seite mit einem Ich- Erzähler und dominanten Protagonisten ist diese Art der Vorgehensweise auch notwendig. Die Geschichte hätte nicht so stringent und mit einem derartig hohen Tempo entwickelt werden können, wenn „irgendjemand“ den Killerbot bei fremden Ermittlungen auf den neuesten Stand hätte bringen müssen. Unabhängig davon, dass sich aus dieser Konstellation beim Killerbot auch ein Ego- Problem eingestellt hätte.  

Mit der zweiten Wendung verleiht Martha Wells ihrer Geschichte Tempo. Neben dem unbekannten Toten, der nicht auf der Station hätte sein dürfen, sind auch zehn Menschen verschwunden. Sie haben die Frachträume des Raumschiffs verlassen, den Hangar aber nicht. Ins Schiff sind sie nicht zurückgekehrt.

Martha Wells folgt auch in dieser relevanten Sequenz eher dem klassischen Kriminalgerne. Angesichts der Überwachung sind Indah- ihr Spruch, wir sind nicht ganz blöd, unterstreicht ihre Haltung gegenüber dem Killerbot – und ihr unfreiwilliger Partner auf die einzige Methode angewiesen, die in solchen Szenarien funktioniert: sich ein Bild vor Ort zu machen. Mit der Auflösung des Verschwindens der Menschen löst sich der Fall inklusive einer langen Actionszene schnell auf. Die Route zeigt auf einen einzigen möglichen „Verdächtigen“, aber es handelt sich auch teilweise im einen Insiderjob. Ohne einen Helfer an Bord der Station wäre alles nicht möglich ist. Die zweite Actionszene ist die finale Konfrontation zwischen dem Killerbot und einem fast ebenbürtigen Gegner. Martha Wells muss bei der Entlarvung des Schattenmannes ein wenig tricksen und ist auf umfangreichere Erklärungen angewiesen. Diese machen zwar Sinn, aber könnten wie bei manchen Agatha Christie oder Rex Stout Krimis sich an der Grenze der Glaubwürdigkeit bewegen. Mit der Entlarvung des Täters muss auch das Motiv offengelegt werden. In diesem Punkt hat sie es allerdings deutlich leichter als ihre schreibenden Krimikollegen.

„Übertragungsfehler“ profitiert von der kompakten Struktur einer längeren Novelle oder vom Umfang her vielleicht eher  eines Kurzromans. Der Leser wird an Seite des Killerbots unmittelbar in das Szenario geworfen und verfolgt alle Handlungen ausschließlich auf Augenhöhe des Ich- Erzählers. Das kann die Spannungskurve an einigen Stellen in der Theorie einschränken, aber ihr Soap Operas liebender und das Geschehen mit teilweise blanker Ironie kommentierender Protagonist hat sein ganzes Charakter Potential noch gar nicht ausgeschöpft. Immer wieder kommt in jeder der Geschichten eine kleine neue Facette hinzu. Dieses Mal die direkte Kommunikation mit Menschen.

Die Struktur des Plots ermöglicht es Martha Wells, diese subjektive Perspektive bis zum Ende durchzuziehen. Es gibt die angesprochenen zwei Actionszenen, in denen nur der Killerbot im Zeitrahmen agieren kann. Im Gegensatz zu Bruce Willis „Die Hard"-Serie ist er nicht zur falschen Zeit am richtigen Ort, sondern zur richtigen Zeit unterwegs zu den richtigen Orten. Die Actionszenen sind packend geschrieben, auch wenn der Killerbot höchstens schwer beschädigt, aber nicht „getötet“ werden kann. Dann wäre die Geschichte zu Ende und da „Übertragungsfehler“ ja vor dem bislang einzigen Killerbot Roman spielt, kann die Autorin auch nicht zu viel verändern.

Die Dialoge sind pointiert, aber herausragend sind wieder die inneren Monologe des Killerbots. Stellvertretend für den Leser kommentiert er das hektisch ablaufende Geschehen, fühlt sich aber in seiner Rolle als Ermittler wohl. Auf direkte Anspielungen in Richtung eines Robo Holmes verzichtet die Autorin und bewegt sich ausschließlich in dem von ihr etablierten eigenen Kosmos.

„Übertragungsfehler“ ist eine   weitere, würdige und gut zu lesende Geschichte in der fortlaufenden Killerbot-Serie. Allerdings sollen- wie eingangs erwähnt – die Leser mit den ersten vier gesammelten Novellen und Kurzgeschichten anfangen, um einen besseren Überblick über das Szenario, die Charaktere und vor allem das kontinuierliche Misstrauen der Menschen jeder dieser Tötungsmaschinen zu erhalten.  

Übertragungsfehler

DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert
Originaltitel: The Muderbot Diaries: Fugitive Telematary The Future of Work: Compulsory
Originalverlag: Tor
Paperback , Broschur, 192 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-32307-0