Immer nach Hause

Ursula K. Le Guin

Der Carcosa Verlag legt als deutsche Erstveröffentlichung eines der wichtigsten Bücher Ursula K. Le Guins als Hardcover gleich in ihrer ersten Programm Tranche vor.  In den USA ist das Buch zum ersten Mal 1985 veröffentlicht worden.  Einer Box Set Edition lag eine Musikkassette bei. Todd Barton hat auf teilweise eigens geschaffenen Instrumenten insgesamt zehn Musikstücke komponiert und aufgenommen. 3 Poetry-Lesungen aus dem Buch ergänzen die Musikstücke. Wer auch bei der deutschen Übersetzung das volle Vergnügen haben möchte, kann zumindest den Soundtrack dieses Buches noch als mp3 erwerben.

In den USA ist das Buch neben der Hardcover und Paperback Ausgabe auch als Bestandteil der University of California Press erschienen. Das Buch spielt auch in dem Bundesstaat.  

Eine einzelne Novelle “The Visionary" erschien vorab im OMNI Magazin. 2019 veröffentlichte die Library of America eine erweiterte Fassung, die in enger Abstimmung mit der Autorin gestaltet worden ist.  Neben neuem sekundär literarischem Material, einem Interview mit Todd Barton und Ursula K. Le Guin sowie einem erweiterten Index finden sich ausführlichere Zitate aus dem fiktiven Kesh Roman „Dangerous People“.  Ursula K. LeGuin ist die bislang einzige Autorin, aus deren Werk die Library of America bislang vier Bücher veröffentlicht hat.

Auf dieser Fassung der letzten Hand basiert auch die Carcosa Ausgabe.  Matthias Fersterer, Karen Nölle und Helmut W. Pesch haben diesen Blick in die Zukunft basierend auf einer fiktiven archäologischen Arbeit mit dem entsprechenden sekundär literarischen Material, bestehend  aus Mythen und Geschichte,  einer unterlegenen Erzählung in Kombination mit einem Roman des fiktiven Volks; Gedichten und Liedern, Riten und Ritualen übersetzt. 

Schon der Titel hat in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Für die Autorin ist dieses Mosaikbuch - es ist ja kein reiner Roman - eine Hommage an die eigenen Eltern. Ihre Mutter ist die Schriftstellerin und Anthropologin Theodora Kroeber gewesen. Sie hat die Biografie des letzten Überlebenden der Yahi- Indianer verfasst (Ishi in Two Worlds). Ihr Vater ist Professor für Anthropologie Alfred Louis Kroeber.  Ursula K. Le Guin kehrt literarisch  zu ihren Eltern nach Hause zurück und ehrt ihre einzigartige Arbeit hinsichtlich der Konservierung des Yahi Erbes mit ihrer persönlichen fiktiven Geschichte der Kesh. 

Im Laufe des Buches erfährt der Leser, dass auch die Kesh sehr Heimat verbunden sind. Es bereitet ihnen fast Schmerzen, das eigene Paradies für längere Zeit zu verlassen. Selbst tot ist es wichtig, die Körper der Verstorbenen teilweise unter herausfordernden Umständen nach Hause zu bringen und dort im Tal zu begraben.  Notwendige Ausnahmen sind Verhandlungen bzgl. des Handels - Wein gegen Baumwolle - oder die Neugierde, welche insbesondere die Protagonistin Stone Telling zu ihrem Vater, einem Mitglied des Condor Kriegerclans - treibt. Auch wenn die Erlebnisse Stone Tellings - als Bericht niedergeschrieben - in drei großen Abschnitten nur ein Drittel des ganzen Werks ausmacht, sind ihre Aufzeichnungen die Grundlage, auf welchen die fiktiven anthropologischen Funde basieren. Der schon angesprochene Kesh Roman bildet den zweiten großen literarischen Block dieses Buches. 

Stone  Owls  Aufzeichnungen geben dem Leser einen ersten, wichtigen und vor allem auf Augenhöhe auch tiefen Einblick in die Kesh Zivilisation, die Ursula K. Le Guin auf den unterschiedlichen Ebenen des Buches entworfen hat. Im ersten Abschnitt lernt sie ihren Vater kennen. Ein Krieger aus dem Coyote Stamm, ein Fremder. Auch wenn sich ihre Eltern lieben, lassen sich die sozialen Unterschiede nicht überbrücken. Stone  Owls Mutter wird unter keinen Umständen ihr Valley verlassen, ihr Vater ist ein Mann des Krieges, der mit viel Mühe seine eigenen Leute um Zaun halten kann. Die sozialen Unterschiede zeigen sich schon beim Bau einer Brücke, für die Krieger notwendig, für die Talbewohner sinnvoll.

Die Kesh sind die perfekte postindustrielle und damit auch postapokalyptische Gesellschaft. Immer wieder deuten die Chroniken eine vor Jahrhunderten sich ereignende Naturkatastrophe an. Ein Vulkanausbruch oder ein gigantisches Erdbeben haben nicht nur die Küste Kaliforniens verändert, das Wasser ist weit eingedrungen und hat viele Städte unter sich begraben. Die Kesh leben in kleinen Gemeinschaften, sie sind handelnde Selbstversorger. Wie angesprochen, importieren sie gegen Wein, von dem sie mehr als genug haben, Baumwolle und andere Werkzeuge. Sie kennen aus den Überlieferungen rudimentäre Erfindungen der Zivilisation wie ein Computernetzwerk, das von Solarenergie betrieben wird, die gigantischen verlassenen Städte oder Kunststoffen. Sie nutzen eingeschränkt Strom; sie haben eine hölzerne Eisenbahn und kennen sowohl Stahl als auch Waffen, die sie allerdings im Gegensatz zu ihren immer wieder Krieg führenden Nachbarn – den Dayao und den Condor Menschen – nicht einsetzen. Sie leben in einer anarchistischen Gesellschaft ohne Regierung, wichtige Entscheidungen werden durch gleichberechtigte Abstimmungen herbeigeführt.

Ursula K.  Le Guin versucht im Kleinen, beschränkt auf ihre Heimat, eine Kultur zu entwickeln, die sie im Großen schon in einer Reihe ihrer Romane versucht hat. Dort kombinierte sie politische Anarchie mit Technik. Im Gegensatz zu „Always coming Home“ stehen weniger die Veränderungen im Mittelpunkt ihrer Geschichten, sondern die Feststellung eines bestimmten Status Quo, aus der Distanz vom Archäologen bzw. in diesem Fall Pandora betrachtet, die aus den gefundenen Aufzeichnungen und vorhandenen Artefakten die Zivilisation der Kesh stellvertretend für den Leser vor ihren eigenen Augen neu entstehen lässt.

Die Kesh sind nur wenige und halten ohne Druck oder Regulierung auch ihre Zahl.  Es scheint die Naturverbundenheit zu sein, welche die Bevölkerung unter einer gewissen Kontrolle hält. Der Versuch, Jahrhunderte der Jäger- und Sammler in Kombination mit einer perfekten Landwirtschaft, aber auch der Kenntnis von Städten und damit abzulehnender Zivilisation in Eintracht zu bringen, ist die Herausforderung dieser Chronik zukünftiger Jahre.     

Aus den Augen einer jungen, sehr intelligenten Heranwachsenden kann Ursula K. Le Guin es den Lesern sehr gut vermitteln. Lange Zeit hatte Ursula K. Le Guin - laut mehreren Aussagen in Interviews - Schwierigkeiten, für ihr eigenes Werk überzeugende dreidimensionale Frauen zu entwickeln.  Stone Owl ist vielleicht in dieser Hinsicht zu perfekt, aber sie dient als lebendiges Beispiel - im direkten Vergleich zum Kesh - für diese untergegangene wie aus Sicht der Leser zukünftige Kultur. Ihr Vater als Anführer einer Armee verfällt mehr und mehr, er erkennt, dass vor allem im Auftrag geführte Kriege zu Nichts führen. Stone Wall wird zu einer Frau, heiratet gegen die Sitten ihres Dorfes als Jungfrau - zu den Tanz Ritualen, die in freiwilligen Orgien enden, schreiben Stone Owl und Pandora einiges - und wird Mutter. Sie reift zu einer kritischen Beobachtern heran. Auch wenn ihre Geschichte nur ein Drittel des Buches einnimmt und von Pandora von Beginn als unzuverlässig, möglicherweise auch erfunden/ erzählt angesehen wird, bleibt in diesem Gesamtkomplex einer überzeugenden, aber komplett erfundenen Kultur ihr Lebensweg  mehr in Erinnerung als einige in der Theorie gewichtigere Abschnitte dieses Buches.   Vor allem weil auch ihre Geschichte dem Titel des Buches mehr als eine symbolische Bedeutung schenkt. 

In den Ergänzungen findet sich der komplette Text zum Kesh Roman „Dangerous People“. Für die Kesh mag die Bezeichnung Roman zutreffen, in Wirklichkeit ist es eher eine Novelle. Es ist daher auch nicht notwendig, die ursprüngliche und kürzere Fassung zu lesen. Die Chronisten Pandora – auf diese Figur muss noch als Mittler zwischen der Vergangenheit und Nutzerin moderner Technik eingegangen werden – hat im Anhang „Dangerous People“ deutlich ausführlicher beschrieben.

Pandora erläutert, dass die Kesh realistische Texte geschrieben haben. Eine Überraschung, da vor allem Stone Owl in Kombination mit den zahlreichen, mündlich vorgetragenen Mythen bewiesen haben, über wieviel Phantasie dieses Volk (noch) verfügt und das die Kesh zu den indigenen Wurzeln der amerikanischen Ureinwohner mit ihrer Naturverbundenheit, aber auch dem Respekt vor den Tieren zurückgekehrt sind. Tiere werden gejagt und getötet. Aber nur zur Sicherung der eigenen Existenz.

Im direkten Vergleich zu Stone Owls drei Lebensabschnitten ist „Dangerous People“ erstaunlich simpel. Es ist eine perfide Liebesgeschichte, in welcher die Protagonistin auf die Reize eines jungen Mannes hereinfällt, der nur Liebe sprich Sex im Kopf hat. Diese Gefühl stumpfen von Seite der Frau  bald ab. In der Kesh Kultur kann sie sich einseitig scheiden lassen, was zu einer Vergewaltigung führt.

Die eigentliche Handlung zieht sich über mehrere Jahrzehnte hin. Auch Stone Owls Erinnerungen nehmen zeitlich einen breiten Raum ein. Aber „Dangerous People“ wirkt eher wie eine Fingerübung, ein nicht komplett vollendeter Text mit einem offenen, aber stimmungsvoll melancholischen und doch auch irgendwie optimistischen Ende. Die Protagonisten sind solide, aber nicht dreidimensional gezeichnet.

Alleine Pandoras ausführliche, manchmal den Plot erdrückende Fußnoten zeigen eine Archäologin bei der Arbeit. Der kürzere, in der Originalfassung abgedruckt Text wirkt rückblickend sogar überzeugender, da Ursula K. Le Guin sich deutlich mehr auf die dramatische Endsituation konzentrieren kann und die ein wenig langatmige, aus den bisherigen Mythen und Geschichten latent bekannte Einleitung unter den Tisch fallen lässt.

Der Leser kann und sollte sich für eine Version entscheiden, wobei die im Anhang abgedruckte Fassung durch die Fußnoten im Gesamtkontext des Romans/ Sachbuchs elementarer ist.    

Ursula K. Le Guin hat in ihrer langen literarischen Karriere immer wieder politisch- soziale Lebensgemeinschaften auf anderen Planeten erfunden und selbst die Idee einer auf Anarchie basierenden Gesellschaft salonfähig und vor allem überlebensfähig gemacht. Sie hat die fiktive Chronik der argentinischen Autorin Angelica Gorodscher “Kalpa Imperial” - deutsch bei Golkonda - ins Englische übersetzt. Sie kennt sich im kleinen, aber feinen Subgenre der fiktiven Gemeinschaften sehr gut aus. “Always coming Home” ist in dieser Hinsicht ihre feinste, detailreichste und am meisten zufriedenstellende Arbeit, nur einen kurzen Weg von ihrem eigenen Wohnsitz und doch zeitlich unendlich weit entfernt. 

Das Buch ist aber auch fest ein Overkill. Es ist schwer, eine kontinuierliche Lektüre oder ein Springen mit zeitlichem Abstand zwischen den einzelnen Kapiteln des Buches zu empfehlen. Jeder Leser sollte seine Vorgehensweise austesten. Aber egal, welcher Weg beschritten wird, die Fakten erschlagen und teilweise überfordern einen. Und das gilt schon für die ursprüngliche, deutlich kürzere Veröffentlichung. 

“Always coming Home” ist vielleicht nur Ursula L.  Le Guins beste Arbeit, es ist ein Geduld erforderndes Alterswerk , das seinen Reiz aus einer auf die Spitze getriebenen Spekulation gewinnt. Ein fiktives Völkchen mit einer fiktiven Historie und einer fiktiven Sozialstruktur mit Wurzeln in der Vergangenheit, aber einer anarchistisch sozialistischen Kibbuz Lebensweise der Zukunft vor einem realen, durch eine ökologische Katastrophe herausfordernder gestalteten Hintergrund. Eine Teilzeitgeschichte der Welt, die es in dieser Form nicht gegeben hat und auch nicht geben wird.  

LeGuin hat die Kesh nicht nur beschrieben, sondern aus deren Wurzeln heraus entwickelt.  Dabei folgt die Autorin den anthropologischen Ansätzen ihrer Eltern. Vieles deutet bei den Kesh auf eine Native American Culture hin. Aber eine Extrapolation der indianischen Grundkultur in eine ambivalente postapokalyptische Zukunft reichte der Autorin nicht. Auch wenn die Namen von der grundlegenden Namensgebung her an die Indianer (manchmal auch aus kitschigen,  von Weißen geschriebenen Büchern) erinnern, hat sich Ursula K. Le Guin gezwungen, mindestens einen Schritt weiter zu gehen. Für angehende Autoren sind die verschiedenen Essays dieser erweiterten Ausgabe eine Pflichtlektüre. Leser werden fasziniert sein, wie schwer sich eine routinierte Schriftstellerin wie Ursula K. Le Guin angesichts ihrer zahlreichen Science Fiction Romane und Fantasy-Epen getan hat, etwas Vertrautes und doch für sie gänzlich Neues zu entwickeln. Ihre Eltern haben sich auf Augenhöhe  mit den letzten Vertretern der indianischen Naturvölker auseinandergesetzt. Pandora ist Le Guins Sprachrohr, wobei nicht ganz klar ist, was von den Kesh wirklich zum Zeitpunkt ihrer Aufzeichnungen noch “übrig” ist oder nicht.  Aber ihre lesenswerten Essays sind der erste Schritt, dem nicht nur die Leser, sondern auch angehende Autoren folgen sollten. 

Das Buch ist eine Datensammlung, ein Nachschlagewerk und schließlich auch irgendwie ein fiktiver Roman basierend auf einer realistischen Vorgehensweise bei anthropologischen Studien. Zwischen der ersten Veröffentlichung und der hier vorliegenden zweiten erweiterten Auflage hat Ursula K. Le Guin unter anderem auch die zum Hainish Zyklus gehörenden Romane einer sekundär literarischen Nachbearbeitung in Form von erklärenden Essays, Fußnoten oder Reflektionen unterzogen. Die erste Fassung von “Always Coming Home” wirkt wie der erste, noch unvollständige Versuch. Bei den Hainish arbeitete die Autorin fokussierter, verfasste sogar eine neue Novelle. “Always coming Home- expanded” sollte in jeglicher Hinsicht perfekt sein. Das ist wahrscheinlich auch der Fall, wenn der Leser die Geduld aufbringt, welche die Autorin mit noch mehr Liebe in  ihr Magnum-Epos gesteckt hat. 

Die fiktiven Erzählungen  nehmen vielleicht vierzig Prozent des Buches ein. Ein Leser muss sich dran gewöhnen, dass er plötzlich auf eine Fortführung einhundertfünfzig Seiten weiter verwiesen wird. Es ist seine Entscheidung, ob er die sekundärliterarischen Texte zwischendurch überspringt und die dreigeteilte Geschichte Stones weiterliest oder sich auf diese Kultur einlässt. Die meisten Informationen werden in der ursprünglichen Ausgabe im hinteren Teil des Buches, bei der Neuauflage in der im Inhaltsverzeichnis abgetrennten Ergänzung präsentiert.

Das Spektrum ist breit und erschlägt den Leser. Neben den obligatorischen Funden eines Anthropologen – unnützes Zeug , wie einmal salopp formuliert wird – präsentiert Ursula K. Le Guin in nicht chronologisch zusammengefasster Reihenfolge Karten und ihre Bedeutung für die Kesh; einen Artikel über Viehhaltung und Ernährung inklusive einzelner Rezepte und dem Hinweis, dass die Kesh immer gut genährt wirkten; einer Exkursion in ihre Musik und vor allem auch ihre unterschiedlichen Instrumente, welche die Autorin für dieses Buch nicht unbedingt neu erfunden, aber von primitiven Funden verschiedener Kulturen interessant abgewandelt hat; die Grundlagen der Kesh Medizin inklusive der verschiedenen Sterberituale und schließlich auch verschiedene Stammbäume und deren Bedeutung innerhalb der einzelnen Familiengruppe, aber auch hinsichtlich der Nutzung/ Bedeutung der einzelnen Lodges innerhalb der kleinen Gemeinden. Dazu kommen Legenden und Mythen, an den Lagerfeuern erzählte Geschichte; schmutzige Witze; Niederschriften von in erster Linie mündlich aufgeführten und von Schauspieler Generation zur Nächsten weiter getragenen Stücken aller Genres inklusive einer komödiantischen Farce; Reiseberichte von Kesh, welche tatsächlich aus unterschiedlichen Gründen ihr Tal verlassen haben; kurze Nachrufe auf Verstorbene; Lebensläufe von wichtigen Dorf Mitgliedern, manchmal ein wenig ironisch überdreht und vieles mehr. Auch die sexuellen Beziehungen mit dem Tanzen im Mond und orgienartigen Treffen sowie der Enthaltsamkeit wirken wie für eine fremde Spezis entwickelt. 

Wie die Kesh ihre ganze Gesellschaft fast wie eine Bienenwabe organisiert haben, schwirrt das Buch zwischen Fakten und Fiktion hin und her. Eine geradlinige Erzählung mit dem entsprechenden Glossar könnte hinsichtlich der Übersichtlichkeit helfen, wäre aber in Hinblick auf die Tiefe dieser gänzlich originellen Kultur eher kontraproduktiv.

Mit dieser Vorgehensweise ähnelt „Always Coming Home“ mehr einer ethnologischen Studie, einem Sachbuch, belebt durch verschiedene Geschichten und persönliche Aufzeichnungen. Das unterscheidet und hebt gleichzeitig dieses Alterswerk aus der Masse ihrer anderen Romane heraus. Ursula K. Le Guin ist eine Schriftstellerin, die kurz, mittel und lang in der gleichen Qualität schreiben kann. Ihre Romane sind herausragend, ihre Kurzgeschichten pointiert und eine Reihe von Novellen gibt ihr die Möglichkeit, die Charaktere entsprechend zu entwickeln und gleichzeitig auch einen überzeugenden Plot zu präsentieren. Diese Aspekte fließen in „Always Coming Home“ genauso ein wie die Sachkenntnis der Autorin, mit der sie seit vielen Jahrzehnten pointiert in zahllosen Essays unendlich viel erscheinende Themen kommentiert hat.

Ausgangspunkt für den Roman ist die ebenfalls im Anhang abgedruckte Kurzgeschichte “May´s Löwe”, in welcher die Protagonistin einen sterbenden Berglöwen, der sich in ihren Garten geschleppt hat, auf seinem letzten Weg begleitet. 

Im Anhang finden sich drei existentielle Essays, die Ursula K. le Guin in den beiden Jahren nach der Veröffentlichung der Erstausgabe 1985 verfasst hat. In dem euklidischen Blick auf Kalifornien als ihre Heimat, aber auch Ausgangspunkt der Geschichte geht sie auch auf die verschiedenen Definitionen  des Begriffs der Utopie ein, der aus ihrer Sicht von Europäern als idealisiertes Lebensmodell entwickelt, aber niemals wirklich umgesetzt worden ist. Sobald Menschen in jeglicher Art von Utopie leben, verliert der Begriff aus ihrer Sicht seinen Sinn. So sieht sie auch die Technik nur bedingt als grundsätzlichen Fortschritt an, da der Mehrwert auch Ressourcenschonend sein muss. Neue technologische Erfindungen sollen den Wohlstand aller heben und das Wohlfühlgefühl ohne eine Übersättigung stärken.  Wichtig ist ihr, dass das gesprochene und das geschriebene Wort gleichberechtigt behandelt werden.  Sie sieht die Entwicklung der Schrift als wichtigste Erfindung der Menschheit an, aber für Ursula K. le Guin sind Sprache und Schrift gleichberechtigt.  

Es ist wichtig, dass „Always Coming Home“ endlich auf deutsch vorliegt.  Es ist ein interessantes, herausforderndes und gleichzeitig die Geduld der Leser befriedigendes Buch. Es ist nicht Ursula K. Le Guins literarisches Meisterwerk; es ist ein wunderbares Lehrstück einer selbstbewussten und von ihrer Art des Schreibens überzeugten und trotzdem nicht belehrenden/ arroganten Autorin hinsichtlich eines komplexen und doch originellen World Building. Und keinen Deut weniger.    

Die schön gestaltete Hardcover Ausgabe verfügt  über alle Zeichnungen von Margaret Chodos- Irvine und Landkarten Ursula K. Le Guins. Dabei muss die Autorin zugeben, dass die indianischen Valley Bewohner zu ihren Zeiten mit Landkarten nichts anfangen konnten und sie ablehnten. Aber für die Welt, welche die Amerikanerin so detailliert erst in ihrem Kopf, anschließend während eines sechs Monate andauernden Aufenthalts im Familienhaus mitten im Valley in Form von Notizen und schließlich als das vorliegende Werke entwickelt hat, waren diese Karten elementar.   



Immer nach Hause: Roman (Carcosa)

  • Publisher ‏ : ‎ Memoranda; Deutsche Erstausgabe edition (16 Oct. 2023)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Hardcover ‏ : ‎ 859 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3910914004
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3910914001
  • Original title ‏ : ‎ Always Coming Home