Im Oktober feiert das Magazin seinen siebzehnten Geburtstag. Neil Clarke geht in seinem ausführlichen Vorwort auf diese siebzehn Jahre ein. In der Debüt Nummer präsentierte Lavie Tidhar eine Geschichte, auch in der Ausgabe 205 ist der Israeli zur Stelle.
Carrie Sessarego schreibt über die Gärtnerei in der Science Fiction. Nicht unbedingt Nervenberuhigung für aufgeregte Autoren oder Herausgeber, sondern über verschiedene biologische Themen innerhalb des Genres. Arley Sorg spricht mit zwei sehr unterschiedlichen Frauen. Kij Johnson hat es geschafft. In den letzten Jahren sind ihre Kurzgeschichten und Romane mit allen wichtigen Preisen ausgezeichnet worden. Auch einige der in „Clarkesworld“ veröffentlichten Kurzgeschichten sind darunter gewesen. Margret Helgadottir ist dagegen eine Newcomerin, die über ihre skandinavischen Wurzeln genauso spricht wie über ihre Kurzgeschichten. Beide Interviews sind ausführlich, streifen sehr unterschiedliche Themen und geben einen guten Einblick in die befragten Autoren.
Acht Kurzgeschichten bzw. kürzere Novellen präsentiert „Clarkesworld“ 205. Suzanne Palmers „Possibly Just About a Coach“ ist eher eine Miniatur. Das Möbelstück scheint die Lebenszeit des Universums zu überdauern. Also Persiflage auf manch „göttliche“ Fügung oder Parodie auf das Genre funktioniert der Text genauso wenig wie als ernst gemeinte Geschichte. Kompakt ist die Miniatur und Suzanne Palmer gelingen einige wenige gute stilistische Wendungen, aber generell erwartet der Leser irgendwie ein wenig mehr Sitzfleisch.
Der Titel ist Programm. „Down to the Root“ von Lisa Papademetriou ist eine dieser bodenständigen Science Fiction Geschichten, die nur bedingt funktionieren, aber genretechnisch fast zu oft eingesetzt worden sind. Der Techniker an Bord eines Raumschiffs arbeitet mit einem Kollegen zusammen, der von einem Planeten der wiedergeborenen Toten stammen könnte. Dazu muss der Körper aber in der Erde des Heimatplaneten beigesetzt werden. Nach einem Überfall durch ein feindliches Schiff macht sie sich mit dem verbliebenen Herzen ihres gefallenen Kameraden auf den Weg zu dessen Heimatplaneten.
Der Hintergrund der Geschichte ist gut entwickelt. Die Charaktere sind solide gezeichnet und auch wenn – wie angesprochen – dem erfahrenen Science Fiction Leser einige, vielleicht zu viele Versatzstücke bekannt vorkommen, unterhält die Story bis zu dem ein wenig zu offenen Ende erstaunlich gut trotz einiger Schwächen.
Aus dem Chinesen ist „De Profundis, a Space Love Letter“ übersetzt worden. Auch hier finden sich ausreichend Versatzstücke des Genres. Ein Raumvagabund findet in einer im All treibenden Struktur Bücher. In der Zukunft mit virtueller Reality und Clouds unbekannt. Er bringt sich selbst das Lesen bei, wobei sich das anscheinend nur auf die archaische Sprache beziehen kann. Selbst in der Zukunft braucht man die Möglichkeit, die Beschriftungen der Instrumente zu lesen. Bella Han beschreibt einen Menschen, der nicht nur Büchern verfällt, sondern anfängt, eigene Texte niederzuschreiben. Das geht auch am Computer, aber hier geht es um die archaisch primitive Nutzung von Papier, um wahre Kunst zu erschaffen.
Die Identität des Erzählers ist eine Überraschung. Im Mittelpunkt steht aber die Liebe zum geschriebenen Wort, zur Erzählung. Und diese Liebe zeigt sich an jeder Stelle dieser kurzweilig zu lesenden Novelle mit wenigen inhaltlichen Überraschungen, aber einem Respekt vor der Kraft der erfundenen Geschichte.
Amal Sings “Rafi” ist eine dunkle Zukunftsvision, in welcher Zufriedenheit durch aggressive Roboter hergestellt wird. Es ist nicht ganz klar, ob es sich dabei um verlängerte Armee der herrschenden Poltiker/ Diktatoren handelt oder technische Probleme. Da die Angriffe sehr gezielt sind und technische Faktoren den politischen Kontext der Geschichte unterminieren, muss von einem klassischen Unterdrückungsinstrument der Machthaber ausgegangen werden. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein junger Mann, dessen Herkunft Basis eines Experiments gewesen ist.
Wie bei einigen anderen in „Clarkesworld“ veröffentlichten Geschichten Amal Sings funktionieren die einzelnen Teile untereinander nicht besonders gut. Der Autor springt von einer Idee zur Nächsten. Keine Prämisse ist wirklich zufriedenstellend herausgearbeitet und wenn ein Leser den Text als Roboter jagen den Pflanzenjungen zusammenfasst, liegt er nicht einmal falsch. Es ist schade, das Amal Sing das vorhandene Potential seiner Geschichte mit einer besseren Strukturierung und vor allem überzeugenderen Charakteren bislang nicht ausschöpfen konnte.
Lavie Tidhars „The Blaumilch“ wird in der älteren Generation Erinnerungen an Kishons „Blaumilch Kanal“ wecken. Diese absurde Farce, deren „Bauwerk“ inzwischen auch Eingang in die SF gefunden hat. Lavie Tidhars Geschichte spielt auf dem Mars. Edgar Rice Borroughs Mars. In einer virtuellen Simulation macht sich der Protagonist mit vier Armen an die Arbeit. Die anderen Teilnehmer an der Simulation graben schon an einem Kanal. Nur, weil sie etwas Schöpferisches erschaffen wollen. Dabei trifft der Protagonist auf eine Kopie seiner Selbst. Die Geschichte besteht weniger aus einer klassischen stringenten Handlung, sondern aus Stimmungen. Die Protagonisten suchen fast verzweifelt nach einem Platz für die Zukunft, während vor allem die künstliche Intelligenz bis an den Rand der Farce und damit unglaubwürdig charakterisiert worden ist. Elegant geschrieben, mit Humor erzählt und trotzdem nicht gänzlich zufriedenstellend.
David Goodmans „Such is My Idea of Happiness” spielt unter der genetisch angepassten Elite Londons, die nicht mehr schlafen brauchen. Nur die Arbeit zählt. Wie diese genetischen Anpassungen vonstattengegangen sind, wird in der Geschichte nicht weiter erläutert. Der Erzähler nutzt seine Intuition, um im direkten Vergleich zur künstlichen Intelligenz oder den meisten Mitgliedern der Elite, um mittels Aktientransaktion den Reichtum seiner Kunden und damit auch die eigene Position zu vermehren. Ausgelaugt vom täglichen Kampf mit den Wertpapiermärkten möchte der Mann eher in ärmeren Verhältnissen leben. Aber nicht arbeitslos auf der Straße leben. Als eine Frau ihm eine Opportunität ermöglicht, greift er auf der einen Seite zu. Auf der anderen Seite sichert er sich aber auch ab. Eine der längeren Geschichte mit einem gänzlich zufriedenstellenden Hintergrund, auch wenn David Goodman hinsichtlich der Börsentransaktionen und vor allem der zur Verfügung Möglichkeiten sehr vage bleibt. Das Ende ist zufriedenstellend und vor allem auch durchdacht. Im direkten Vergleich mit einigen anderen Texten basiert es nicht auf Zufälligkeiten. Die Protagonisten sind dreidimensional gezeichnet und der Autor verzichtet auf jeglichen melodramatischen Kitsch in einem postmodernen Charles Dickens Szenario.
Zum siebzehnten Geburtstag kommt auch die Action nicht zu kurz. „Post Hacking for the Uninitiated“ von Grace Chan ist eine Rollarcoaster Geschichte mit einem intergalaktischen Rebell gegen die Tyrannei der galaktischen Regierung. Als sie bei einem ihrer Überfälle verwundet wird, landet sie mit ihren neurologischen Veränderungen in einem Krankenhaus. Jemand beginnt, diese körperlichen Verbesserungen gegen ihren Willen zu entfernen und droht, ihr Gedächtnis zu löschen. Zwei Rebellen müssen nach einem Weg suchen, sie rechtzeitig zu befreien.
Die Perspektive wechselt mit der Handlungsebene. Das kann teilweise irritieren. Auf der anderen Seite zeichnet die Story ein sehr hohes Tempo aus und die Actionszenen sind wirklich originell geschrieben worden. Nicht alle Handlungsstränge scheinen allerdings auf der Realität zu basieren und teilweise ist es für den Leser schwer, zwischen den einzelnen Spannungsbögen zu unterscheiden. Das Ende ist solide, aber auch ein wenig pragmatisch. Die Zeichnung der einzelnen Protagonisten geht angesichts des hohen Tempos leider unter. Es wäre sinnvoll, den Text zu einer Novelle oder vielleicht einem Roman auszubauen, damit die Oberflächlichkeiten und vor allem auch zu statischen Ideen erweitert werden könnten.
Michael Swanwicks „Timothy: An Oral History” ist mehr als nur eine Miniatur. Es ist ein Blick in eine ferne Zukunft aus der Gegenwart und gleichzeitig auch eine Abrechnung mit der Zeit, in welcher Swanwick und die Leser leben. Komprimiert und vor allem souverän zeichnet Swanwick eine utopisch positive Zukunft, basierend im übertragenen Sinne auf der Asche mindestens einer Katastrophe, bevor die einzelnen Zeiten und damit auch die Protagonisten ineinanderfließen. Angesichts der Kürze des Textes eine mutige Entscheidung, die Handlung derart aufzusplitten und anschließend erst für die überraschende Pointe zu synchronisieren. Eine sehr schöne Geschichte Michael Swanwicks, der seit dem Beginn seiner Karriere immer wieder mit exzellent konstruierten Geschichten überrascht hat.
„Clarkesworld“ 205 ist eine solide Ausgabe. Die Erste ohne Amazon Kindle. Die präsenten Namen könnten neue Käufer anlocken. Die Themen der insgesamt acht Storys sind breit, die meisten Arbeiten auch hinsichtlich ihrer Pointen überzeugend. Das war in den letzten Monaten nicht immer der Fall. Generell eine zufriedenstellende Lektüre und für Interessierte ein idealer Einstiegszeitpunkt.