Der vierte Band des Gauklerschiffs fasst die finalen Lieferungen 112 bis 153 inklusive 46 Illustrationen zusammen. Es kehrt insbesondere zu Beginn dieser Lieferungen ein wenig „Ruhe“ ein. Die Besatzungsmitglieder des Gauklerschiffes konzentrieren sich wieder auf die ursprüngliche Aufgabe, von Hafen zu Hafen zu reisen und als Künstler für einen guten Zweck aufzutreten. Allerdings bleiben sie momentan noch in ihrem neuen Winterlager in Sibirien, wo Professor Beireis die Mannschaft aufsucht. Das letzte Mal ließ die ARGOS den ulkigen Forscher auf einem Seeland Felsen in Australien zurück. Freiwillig, nicht ausgesetzt.
Auf der einen Seite vertreiben sich die Besatzungsmitglieder der Argos die Zeit weiterhin mit den bekannten Wettspielen. Dieses Mal untereinander, wobei das Spektrum vom Kanu Fußball im eiskalten Wasser bis zu einem Leipziger Wettspiel reicht, in dessen Verkauf sich die Kontrahenten jeweils von den kleinen Booten des Anderen ins Wasser stoßen. Damit Robert Krafts Beschreibungen auch authentisch bleiben, zitiert der Autor nicht nur Coopers Lederstrumpf , sondern auch Daniel Stieler, der angeblich die Kanu Indianerspiele beobachtet und über sie geschrieben hat. Während Robert Kraft sich zu Beginn dieses umfangreichen Kolportageromans in die Position des allwissenden Erzählers gerückt hat, nutzt er mit Zitaten oder Querverweisen gegen Ende eher sekundär literarische Quellen.
Neben den ausführlichen Beschreibungen kann der Leser ein besonderes Pantomime-Spiel um einen verzweifelten Bademeister und den „Teufel“ als seinen Gast verfolgen. Als Teil der abendlichen Aufführungen mit besonderen, von Merlin eingeladenen Gästen gipfelt dieser langwierige Abschnitt des Romans in einer besonderen Aufführung eines seltenen chinesischen Tanzes, der nahe am Bereich der Illusion ist. In beiden Fällen hat Robert Kraft angeblich für das ausländische Publikum, in Wirklichkeit für seine Leser sogar entsprechende Erklärungen parat.
Die beiden roten Fäden - die Auftritte der Matrosen Gaukler und die Schiffe nach dem Filibuster Schatz - geraten mehr und mehr in den Hintergrund der Handlung, auch wenn Robert Kraft aus dem inzwischen über die mehr als einhundertfünfzig Kapitel angewachsenen Fundus von Protagonisten und Nebenfiguren schöpft.
Nach dieser langen Einführung wird der Tonfall der Geschichte wieder dunkler. Kapitän Satin alias Satan wird schwerverletzt in die Ambulanz an Bord der Argos gebracht. Ein Rücktransport nach Europa ist nicht möglich, aber Satin scheint selbst von jenseits des Todes noch das letzte Wort haben zu wollen.
Mit Gog & Magog schlägt Robert Kraft anschließend den Bogen zu archäologischen Funden, die in Großbritannien aufbewahrt werden. Es ist eine dieser kuriosen Exkursionen, die gleichberechtigt neben einer Hommage an Jules Verne und die “Nautilus” mit dem später eingeführten Fliwatüt - Flugzeug, Wasserfahrzeug und U- Boot - Elektron stehen. Robert Kraft erklärt ausführlich die beiden Begriffe Gog und Magog. Der Bogen geht zurück bis in die Bibel. Für die laufende Handlung sind es aber die Bezeichnungen der Anführer einer Hunnenhorde, Vorfahren der Japaner, denen Georg und ein Besatzungsmitglied bei ihrem Abstieg durch das Seitental auf die andere Seite begegnen. Zwischen einhunderttausend und einer Millionen Hunnen inklusive Frauen, Kindern und Nutzvieh ziehen durch die Steppe, bereit, das ferne Westeuropa wie die Vorfahren zu erobern. Allerdings dürfen sie Merlins Tal nicht durchschreiten, ansonsten würde eine Katastrophe über den Stamm hereinbrechen. Am Ende endet auf den ersten Blick die Begegnung mit den Hunnen friedlich, weil die Besatzung der Argos bei einem heimlichen Besuch des Gogs - Häuptling - ihm nicht nur Waffen zeigt, sondern auch deutlich macht, das er nicht in der Lage ist, gegen Deutschland Krieg zu führen. Robert Kraft zeigt sich aber als Sadist und gefährdet die Hunnen darüber hinaus mit einer Naturkatastrophe. Dabei werden auch Merlins Prophezeiungen absichtlich von ihm selbst unterminiert. Bis dahin hatte Robert Kraft Merlin immer als Gegengewicht zu Kapitän Satin etabliert. Mit Satins gruseligem, einer Horrorgeschichte entsprungenen Ende könnte dieses Gleichgewicht kippen, auch wenn Merlin eher eine fatalistische Erklärung nachschiebt.
Kaum ist Robert Kraft weit in die menschliche Geschichte bis zu den Völkerwanderungen zurückgeeilt, drängt er auch schon wieder vorwärts. Professor Beireis hat ein perfektes Fahrzeug entwickelt: die Elektron. An Bord die japanische Besatzung, welche die Leser in den ersten fünfzig Lieferungen als treue wie stupide Diener kennenlernte. Die Elektron ist Jules Vernes “Nautilus” in groß. Dank dem diametralen Magnetismus - einer Lieblingstechnik Robert Krafts, auf welche in einigen seiner utopischen Stoffe zurückgegriffen wurde, kann sogar die Schwerkraft aufgehoben werden, indem man Metall ganz leicht macht. Dank der magnetischen Abstoßung wird Elektrizität erzeugt, so dass Robert Kraft nicht zum letzten Mal in diesem Buch davon ausgeht, dass die klassischen Energieträger Öl und Kohle bald überflüssig sind. Auf die Kohle geht Robert Kraft sogar in einer weiteren Exkursion mit dem Sohn eines Kohlhändlers, dessen tragischem Leben und seiner kurz vor dem Tod gemachten Erfindung ausführlich ein. Die Elektron kann unter Wasser fahren wie die Nautilus, sie kann aber auch als normales Schiff verwendet werden und schließlich als Flugboot dienen. Den Gästen an Bord wird der Zugang zu den beiden Mannschaftsdeck verwehrt, was kurze Zeit später natürlich zu einer unerlaubten Exkursion des Erzählers inklusiv der verbotenen Nutzung eines Beibootes mit der Landung auf Borneo führt. Im Gegensatz zu Kapitän Nemo, der stellvertretend seinen Gästen ausführlich die “Nautilus” zeigt, verhält sich Professor Beireis in einzelnen Punkten deutlich ambivalenter und beschreibt eine Reihe von Experimenten im Kleinen, welche die Elektron als technisches Symbol der neuen Welt im Großen umsetzen kann. Aber Professor Beireis und seine Männer sind auch nur Teil eines größeren Plans. Sie werden durch Spiegel aus der Ferne beobachtet. Diese Fernseher hat Robert Kraft nicht nur in “Das Gauklerschiff”, sondern auch in “Atalanta” eingesetzt. Moderne Wissenschaft hat zwar aus Robert Krafts Sicht nichts mit Aberglauben oder Alchemie zu tun, ganz kann sich der Leipziger der Faszination nicht widersetzen. So wird an einer Stelle aus wertlosem Metall reines Gold- und das in Form eines Käfers. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Robert Kraft Edgar Allan Poes berühmte Geschichte um den Goldkäfer kannte. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass der sehr belesene Robert Kraft andere Autoren inklusive Namensnennung zitiert. Aber diese über den Roman verstreuten utopisch-technischen Kapitel betrachtend, könnte der Kontrast zu den primitiven Hunnen und ihren Europaeroberungsplänen nicht größer sein.
Durch alle Lieferungen zieht sich ein erstaunlich ambivalentes Verhältnis zum Okkultismus. Meistens relativiert Robert Kraft dessen Vorhersagen genau wie die klassische Zauberei als ein Spiel mit der Illusion. Auf der anderen Seite spricht der Leipziger aber auch von einer “Psysic Research Company” mit Sitz in den USA, zu deren Mitgliedern auch Edison gehört. Sie geben Bücher heraus und sehen sich als theosophistische Okkultisten. Ein einziger unkeuscher Gedanke könnte allerdings ihre Welt ins Wanken bringen. Ihre Thesen basieren auf der anderen Seite aber wieder auf den Naturwissenschaften. Professor Bereis wäre ein typisches Beispiel für ein Mitglied dieser Gesellschaft. Naturwissenschaftler im Geiste, aber schwach im Fleisch.
In der zweiten Hälfte dieses vierten Teils eilt Robert Kraft von einem Schauplatz zum Anderen und handelt über viele Lieferungen aufgebaute Herausforderungen mit einer erstaunlichen Eleganz, teilweise auch mit unglaubwürdigen und konstruierten Wendungen ab. So finden die beiden Flüchtlinge von Bord der Elektron auf der Insel Borneo neben Kopfgeldjägern, mit denen sie sogar kommunizieren können, auch exotische Tiere, deren Ursprung niemals auf der Insel ist. Anscheinend ist vor einigen Jahren ein weltberühmter Zirkus dort gestrandet. Robert Kraft schäumt vor Ideen über. Neben chinesischen Miniaturbäumen inklusive der entsprechenden Züchtungserklärung treffen die beiden Mitglieder der Argos sogar auf Riesen. Der Handlungsfaden endet abrupt. Erklärungen sind oberflächlich. Alles scheint eine weitere Herausforderung zu sein. Allerdings ist die Reaktion des Waffenmeisters und zweiten Kapitäns der Argos ein wenig kindisch. Der Leser muss ja immer den gesamten Plot betrachten, während der Autor von einem Höhepunkt zum Nächsten springt. So mustert die gesamte “Argos” Crew von der Elektron ab und beginnt quasi als Familie Robinson auf der Insel zu leben. Sie ernähren sich vom Land, meiden den Kontakt mit den Kopfgeldjägern und fristen mehrere Monate als Bauern ihr Dasein.
Anschließend führt Robert Kraft zusammen, was zusammen gehört. Die Argos und ihre Crew. Das Schiff ist inzwischen in die Hand von Piraten übernommen worden, die als Schiffbrüchige gerettet worden sind. Deswegen will die “Argos” auch nicht anderen Seeleuten zu Hilfe eilen. Aber in einem Handstreich gelingt es schließlich, das inzwischen gestrandete Schiff zu befreien und die Piraten den französischen Behörden zu übergeben. Einen Seitenhieb auf die Fremdenlegion kann sich Robert Kraft nicht verkneifen. Diese Szenen zeigen Robert Kraft als versierten Action Schriftsteller, der eine Belagerung eines gestrandeten Schiffes auf einer Sandbank sehr gut beschreiben kann. Taktisch klug geht die Argos Besatzung vor. Im Gesamtkontext des Romans zeigt sich allerdings immer wieder, dass der Leipziger lieber aus seinem Wissen Preis gibt und auch mittels Dialogen über viele Seiten die Leser aufklären, als auf eine billige Art unterhalten möchte. Dadurch wirkt der Roman stellenweise auch zerfahren und hinsichtlich des gesamten Handlungsbogens zu wenig geplant oder ausbalanciert. In der Konzentration auf vier Bände kann der Leser wahrscheinlich die jeweilige Wirkung einer Lieferung gar nicht richtig nachvollziehen. Zumindest wussten die Abonnenten nicht, ob sie Wissen oder Aktion erwartet.
Kaum zurück auf der Argos beginnt eine Reihe von kleineren Abenteuern. Der Filibuster Schatz ist wie die Kaperung des Schiffes ein Nebenkriegsschauplatz, der von Robert Kraft lange vorbereitet, aber nicht zufriedenstellend “abgeschlossen” wird. Neben einem fliegenden Holländer inklusive einer mumifizierten Leiche bricht die Pest an Bord aus, die nur mittels einer Bluttransfusion und einem Pakt von Faust ́schen Dimensionen bekämpft werden kann. Das gestohlene Gold muss zusätzlich von Bord. Der Verkauf der Seele des Ich- Erzählers ist der Abschluss einer langen Entwicklung. Immer wieder stand er zwischen den verschiedenen Mächten mit Merlin auf der einen Seite, die geheimnisvollen Gruppe und deren sprechende Kugel auf der anderen Seite. Für Robert Kraft spricht, dass er diese roten Fäden wieder aufnimmt und zu einem Abschluss bringen will. Auf der anderen Seite wirkt die “Rettung” aus dem Nichts mit einer himmlisch wirkenden Weisung auch sehr stark konstruiert. Auch im nächsten Handlungsbogen mit einer schurkischen Organisation, welche die Argos mit einem blinden Passagier und Gift übernehmen will, ist die Besatzung auf einen geläuterten deutschen Ex-Sträfling angewiesen. Auch diese Idee hat der Leipziger nicht zum ersten Mal in “Das Gauklerschiff” und seinem Gesamtwerk mehrfach verwendet.
Auf den letzten einhundert Seiten zeigt sich allerdings auch, wie erschöpfend die fortlaufende Arbeit an den einzelnen Lieferungen sein kann. Anstatt den Plot auslaufen zu lassen, führt Robert Kraft einen neuen Ich- Erzähler ein und wechselt so die Perspektive. Der vorbestrafte Deutsche wird der Sekretär des bisherigen Erzählers. Er lernt die Welt der Argonauten in ihrer Tiefe kennen. So befindet sich in der ehemaligen gigantischen Anlage, die Kapitän Satin zu Beginn der Geschichte “übernommen” hat, ein Gefängnis. Eine Besserungsanstalt vor allem für Deutsche, die nach Verbüßung ihrer Strafe in den Schiffswerften der Argonauten in New Orleans neue, ehrliche Arbeit finden. Am Ende des Buches zeigt Robert Kraft auf, welche Flotte die Argonauten in den USA gebaut haben und wie sie weltweit Handel treiben, aber nicht mehr als Gaukler zur Verfügung stehen.
Ein anderes Thema greift Robert Kraft ebenfalls mit dem neuen Erzähler wieder auf. Neben der Anspielung auf Jules Verne, dessen Bücher den Gefangenen abends vorgelesen werden, fügt der Leipziger eine Jonathan Swift-Episode in die Handlung ein. Dabei zeigt sich, dass der Waffenmeister ein ambivalenter Charakter ist, denn er fügt durchaus seinem neuen Adlatus das zu, was er selbst bei Professor Beireis gehasst hat. Dank der plastischen Kinographie und mittels der mehrfach angesprochenen Kugel können die “Zuschauer” Teil des Spiels werden. Robert Kraft entwickelt Ideen aus “Atalanta” und “Das zweite Gesicht” auf eine interessante, sehr ausführliche Art und Weise weiter. Der Ich- Erzähler erlebt die Abenteuer wie in einer Art virtuellen Spiel. Er kann jederzeit das “Spiel” unterbrechen, aber bis dahin erlebt er als neuer Zwerg in Lilliput bekannte Abenteuer. Diese Szenen könnten auch einige Science Fiction Autoren inspiriert haben. Insbesondere die Zuschauer, welche aus ihren Fenstern dem Helden zuschauen, während dieser in seinem eigenen “Film” spielt. Neben den Riesen inklusive einer Prinzessin, welche die kleinen Menschen wie Puppen behandelt und mit Selbstgekochtem füttert, findet sich die Katzenszene, welche Richard Matheson später in “Die unglaubliche Geschichte des Mr. c” dramatischer weiterentwickelt hat. Das Nest eines Sperlings bietet kurzzeitig Schutz.
Die Szenen sind spannend, aber der Zusammenhang mit den Argonauten und ihrer Reise erschließt sich dem Leser nicht. Robert Kraft hat anscheinend nach Möglichkeiten gesucht, den Stoff in den vorgeschriebene sechzig Lieferungen abschließen zu können.
Auch das Finale dieses “Liebesromans ohne Anfang” - Robert Kraft wählt diese Bezeichnung im letzten Satze des Kolportageromans - ist hektisch, dramatisch, ein wenig kitschig, aber fasst viele Aspekte der Reise der Argonauten gut zusammen. Neben zwei Todesfällen und einem schweren Schiffsunglück vor Patagoniens Küste aufgrund seines seltenen Phänomens, das Robert Kraft Seebär nennt und das mit weit entfernten Erdbeben in einem engen Zusammenhang steht, ist es die finale Reise der Argonauten, welche die Leser sentimental zu Tränen rühren könnte. An jedem Ende sollte auch ein Neuanfang stehen. Zwischen der Haupthandlung und dem Epilog stehen sieben Jahre. Auch wenn Robert Kraft den ursprüngliche Befehl - alle Argonauten sollten sich für vierzehn Tage in New Orleans einfinden und ihre wichtigen Aufgaben an Bord der neuen Schiffe der Reederei ruhen lassen - auf der nächsten Seiten plötzlich wieder ignoriert, fasst er die Odyssee der Argonauten noch einmal gut zusammen. Es gibt auch kein klassisches Happy End, auch wenn viele der Argonauten die Jahre auf der “Argos” und das besondere Leben niemals bereuen werden. Es wurde für sie auch ohne den Schatz der Filibuster gut gesorgt. Aber gleichzeitig nimmt Robert Kraft von einer kleinen Handvoll Charaktere noch ein zweites Mal auf eine rührende Art Abschied. Noch einmal werden die Argonauten zu den großen Kindern, die sich für ihre Farben im Wettstreit messen… verbissen, aber niemals dem Gegner schaden wollen. Und in diesen Momenten kehrt Robert Kraft an den Anfang seiner Geschichte mühelos zurück. Die Reise ist immer das Ziel.
“Das Gauklerschiff oder die Irrfahrt der Argonauten” ist einer der besten Kolportageromane Robert Kraft. Manchmal verliert der Autor den roten Faden, aber die Bandbreite der Ideen von der Seefahrerromantik bis zu den technischen Erfindungen in der Tradition eines Jules Vernes; von den geschichtlichen Exkursionen rund um den Globus bis zur urdeutschen Kameradschaft der Argonauten über die “Argos” hinaus ist alles vertreten, was diesen Autoren und sein umfangreiches Werk so auszeichnet.