Transpluto

Herbert W. Franke

Als 16. Band der Herbert W. Franke Werksausgabe erscheint „Transpluto“, ursprünglich 1982 mit einem Michael Weisser Titelbild und nicht den klassischen Thomas Franke Zeichnungen versehen im Suhrkamp Verlag erschienen. 

„Transpluto“ ist ein kurioser Roman, eine Art Übergangswerk zwischen den dystopischen Arbeiten Frankes und einer Rückkehr zu den eher klassischen, aber nicht simplen Abenteuer Science Fiction Stoffen. „Transpluto“ stellt auch Frankes Interpretation von Algis Budrys „Projekt Luna“ dar.

Der Roman beginnt mit einem Fahndungsaufruf. Drei Männer haben ein Raumschiff gestohlen und befinden sich für die Behörden auf der Flucht. Der Leser wird erst ab der Mitte des Buches die Motive der Entführer erfahren und erkennen, warum die Behörden in mehrfacher Hinsicht eine deutlich innigere „Beziehung“ zu mindestens einem der drei Protagonisten haben. Der Aufruf an die Öffentlichkeit dient als klassisches Spannungselement, ist allerdings auch überzogen und unnötig. Die Behörden müssten die Absichten der Entführer kennen.

Die erste Hälfte des Buches – das ist auch wörtlich zu nehmen – spielt auf einem gigantischen Raumkreuzfahrtschiff, das seine Passagiere in die Regionen in der Nähe und jenseits des Plutos bringen soll. Der Protagonist Curt kann sich nicht erinnern, wie er an Bord des Raumschiffs gekommen ist. Der Tagesablauf ist höflich gesprochen geordnet. Vom Aufwachen – in der Nacht werden die Passagiere mittels eines Gases betäubt – über den stringenten Essenplan bis zu den genau taxierten Beobachtungszeiten.

Sowohl die Leser als auch Curt sind sich nicht sicher, ob diese Reise wirklich stattfindet. Auf der einen Seite wird immer wieder betont, dass dieses Regiment ist, damit die Passagiere die erdrückende Einsamkeit des Alls überhaupt in Ansätzen ertragen können. Auf der anderen Seite fühlt sich der Leser an die in den sechziger Jahren aus Herbert W. Frankes Feder veröffentlichten dystopischen Werke erinnert, in denen diktatorische und autoritäre meistens gesichtslosen Regierungen die Menschen unterdrückt und virtuellen Welten gefangen gehalten haben. Nur der obligatorische Außenseiter konnte diese perfekten „Elfenbeinkäfige“ durchdringen.

Keinen Leser würde es überraschen, wenn diese Kreuzfahrt nur eine Illusion wäre. Die Menschen in ihren Schlafzellen gefangen gehalten, den Geist auf eine Reise der Phantasie geschenkt. Je nach Perspektive des Betrachters zum Wohle des Individuums und damit auch der Gemeinschaft oder als Mittel zum Zweck, um die Kontrolle über die aggressiven Menschen zu behalten.

Aber in der Mitte des Romans dreht Hebert W. Franke den Plot. Die Reise findet tatsächlich statt. Curt ist auch nicht zufällig an Bord. Es ist auch nicht die erste Reise des Protagonisten, sondern wie sich herausstellt, seine dritte Expedition in die Region jenseits des Plutos. An Bord sind weitere Mitglieder der ersten Expedition.

Herbert W. Franke unterbricht die klassische Handlungsführung und lässt sich jeden Einzelnen der Protagonisten vorstellen. Das wirkt sperrig. Die Entwicklung von überzeugenden Charakteren ist eine der Schwächen in Herbert W. Frankes umfangreichem Werk. In seinen klassischen Dystopien kann er diesen Makel durch einen distanzierten, Emotionen nicht zulassenden Hintergrund ausgleichen. In diesem Buch ist die zwischenmenschliche Basis wichtig.

Die einzelnen Vorstellungen der Protagonisten entsprechen teilweise den Klischees. Der rücksichtslose Berichterstatter, der seine beiden in der Rangfolge vor ihm stehenden Konkurrenten ausschaltet bzw. zum Rücktritt überredet. Der Techniker, der alles reparieren kann, dem aber auch die Wichtigkeit der Mission egal ist. Der fast schon obligatorische Psychopath, der zwar keine Bomben zündet, aber unter Verlustängsten leidet. Und das Team ergänzend Curt, dessen Gedächtnis erst nach und nach wiederkehrt. Hinzu kommt mit der Schwester eines Teammitglieds der ersten Expedition eine Art tragisches radikales Element. Sie will das Schicksal ihrer Schwester erkunden, die „dort draußen“ zurückgeblieben ist.

Die zweite Hälfte des Buches ist deutlich an Algis Budrys angelehnt. Die Astronauten werden herausgefordert. Sie treffen schon bei der ersten Expedition auf einen kleinen Planetoiden, der verschiedene herausfordernde Geheimnisse beinhaltet. Es kann sich um eine außerirdische Intelligenz handeln, die weniger wie in „Strugatzkis „Picknick am Wegesrand“, sondern wie in dem mehrfach angesprochenen „Projekt Luna“ etwas zurückgelassen hat. Ob es sich dabei um einen Testballon für die ins All strebenden Menschen handelt oder das Projekt eine ganz andere Bedeutung hat, bleibt offen. Auch die Idee, das Menschen hier herausgefordert werden sollen, wird nur bedingt angesprochen. Die Idee der Bombe, um potentielle Gefahren von den ideologisch verblendeten Mächtigen der Erde abzuhalten, ist nicht neu. Im Gegensatz zu anderen Autoren fügt Herbert W. Franke sie emotionslos und distanziert, fast verachtend nebensächlich seinem in dieser Phase des Buches auseinander driftenden Plot hinzu.

Die größte Schwäche ist weniger das offene Ende, in dem sich die beiden Parteien individuell für andere Wege entscheiden, sondern der Weg dahin. Der weiße Schaumstoff als Oberfläche des Planetoiden ist nicht nur akzeptabel, sondern auch originell. Das Eindringen in den Planetoiden wird erstaunlich distanziert beschrieben. Wie Frankes Charakteren die Emotionalität fehlt, verzichtet der Autor in diesen Passagen auf den Sense of Wonder. Im Inneren könnten die Astronauten auf eine Art Raum-Zeit-Tor gestoßen sein, dessen Bedeutung aber nicht erläutert wird. Indirekt macht der Österreicher zwar deutlich, dass es eine „Verbindung“ zwischen dem künstlichen (?) Körper im All und der Erde geben muss, aber auch diese Idee baut Herbert W. Franke nicht aus. Er nutzt sie, um einen Protagonisten wie bei der obligatorischen Ratte in einem von Forschern aufgebauten Labyrinth wieder auf den Startpunkt zu setzen und ihrer erneuten Reise nach draußen zu folgen, aber anschließend wird diese Idee nicht weiter diskutiert. Die Protagonisten nehmen sie als gegeben hin.

  Diese pragmatische Haltung durchzieht den Roman. Die erste Hälfte mit dem desorientierten Curt an Bord des seltsamen Kreuzfahrtschiffs ist deutlich interessanter als der kosmisch philosophische zweite Teil. Wer mit Herbert W. Frankes Werk vertraut ist, erwartet spätestens durch die Begegnung zwischen Curt und Frederik eine Wende. Die eigentliche Entführung eines relevanten Beiboots geht anschließend zu problemlos vonstatten und widerspricht der fast perfekten Überwachung der Passagiere. Dieser kleine isolierte Überwachungsstaat mit dem Opium für eine noch kleinere, anscheinend reiche und bis zum Erdrücken behütete Elite ist eines der markanten Themen, das Herbert W. Franke vor allem in seiner ersten Zeit als Schriftsteller gerne und immer wieder genommen sowie variiert hat.

Im Weltall bzw. auf dem Schaumstoffasteroiden fehlt dem Österreicher ein wenig die Entschlossenheit, den Plot wirklich zu Ende zu bringen. Auch Algis Budrys hat auf Antworten verzichtet, aber der Leser fühlt sich dem durch das tödliche Labyrinth hetzenden Astronauten verbunden. Die paranoide Atmosphäre, die allgegenwärtige Bedrohung und die Idee, das Außerirdische wirklich eine Rattenfalle hinterlassen haben, machten zufriedenstellende Antworten überflüssig.

Herbert W. Franke versucht gar nicht erst,  Antworten zu generieren. Die Suche nach der in dem Asteroiden verschwundenen und vielleicht durch ein Dimensionstor gegangenen Verena soll eher ein roter Faden sein, den der Autor aber abschließend im eigentlichen Moment der Entscheidung „frei“ gibt. Im Grunde versuchen drei der vier Raumschiffentführer nur vordergründig die letzten offenen Fragen zu beantworten. Sie erkennen im Gegensatz zum Leser nicht, dass es keine Antworten gibt oder geben kann. Fatalistisch entscheiden sie sich für andere, sie im Gegensatz zum Leser vielleicht irgendwann intellektuell befriedigende Wege.

„Transpluto“ ist wie angesprochen ein seltsamer Zwitter aus dem  Herbert W. Franke der sechziger Jahre und dem kalendarisch post „2001“ Franke, der nach außen schaut, die Wunder des Weltalls in eine First Contact Geschichte packt, aber nicht entschlossen genug ist, den Text wirklich intellektuell zu beenden. Herbert W. Franke scheint den Faden verloren zu haben. Die von ihm aufgeworfene Prämisse – alleine die letzten dreißig Seiten sind ein Quell von nicht ausgeschöpften Ideen – hätte den Umfang des Buches beträchtlich erweitert. Davor schreckte der Österreicher anscheinend zurück und beendete das Buch auf eine sehr offene Art und Weise. Die Phantasie der Leser in der Theorie stimulierend, aber über die vorangegangenen fast zweihundert Seiten hat Herbert W. Franke mit seiner anfänglich zu geordneten Welt, den langen emotionslos erzählten Rückblicken und schließlich den seltsamen Phänomenen auf dem Schaumstoff Planetoiden – aus heutiger Sicht ein fast klischeehaftes Bild der siebziger/ achtziger Jahre – dem Leser dieses phantasievolle Chaos entzogen.       

TRANSPLUTO: Science-Fiction-Roman (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland e.V. (SFCD))

  • Publisher ‏ : ‎ p.machinery; 1st edition (9 Sept. 2022)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Paperback ‏ : ‎ 208 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957652820
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957652829