Sternenschöpfer

Fehlermeldung

  • Unable to create CTools CSS cache directory. Check the permissions on your files directory.
  • Unable to create CTools CSS cache directory. Check the permissions on your files directory.
Olaf Stapledon

Der Verlag Dieter von Reeken legt nach vierzig Jahren in der ursprünglichen Übersetzung von Thomas Schlück einen der intellektuellen Meilensteine der britischen Science Fiction neu auf. Das Buch erschien einmal in der normalen Heyne Science Fiction Reihe und wie angesprochen 1982 als Bestandteil der Bibliothek der Science Fiction Literatur bislang in Deutschland. 

Olaf Stapledon ist im Gegensatz zu H.G. Wells, dem zweiten derartig visionären Science Fiction Schriftsteller dieser Epoche, kein klassischer Erzähler. Viel mehr sieht er seine wichtigsten Werke “Star Maker” und seinen ersten 1930 veröffentlichten Roman “Last and First Men” eher als Berichte, wobei “Star Maker” aus der intimen Ich- Perspektive geschrieben worden ist. Ein Stilmittel, das auch H.G. Wells angewandt hat. 

Olaf Stapledon ist 1886 in der Nähe von Liverpool geboren worden. Nach der Schule arbeitet er im Schifffahrtsbüro der Familie in Port Said. Während des Ersten Weltkriegs diente er in einer Ambulanzeinheit und promovierte 1925 an der Universität von Liverpool in Philosophie. Vier Jahre später veröffentlichte Olaf Stapledon sein erstes Sachbuch “A Modern Theory of Ethics”, ein Jahr später sein erster Roman. Ebenfalls in den Bereich der Science Fiction können “Last Men in London” (1932) - nicht übersetzt - , “Odd John” (“Die Insel der Mutanten”) oder “Sirius”, der unter dem gleichen Titel ebenfalls in der Bibliothek der Science Fiction Literatur publiziert worden ist.  In “Sirius” wie auch eher dezent im vorliegenden Band “Starmaker” setzt sich Olaf Stapledon mit sexuellen Beziehungen auseinander. Dabei ist “Sirius” aufgrund seines Protagonisten die deutlich provokativere Schrift. Weitere Romane aus seiner Feder können den Randbereichen der Phantastik mit deutlich mehr philosophischen und damit auch eher intellektuellen Stillleben zugeordnet werden. Sie sind wie die meisten Kurzgeschichten Olaf Stapledons nicht übersetzt worden.

Bis zu seinem Tod 1950 unterrichte Olaf Stapledon an der Universität von Liverpool, an welcher er auch studiert hat. 

Olaf Stapledons “Last and First Men” beschrieb die Entwicklung der Menschen in einem Zeitraum von fast zwei Milliarden Jahren. H.G. Wells brauchte für einen nicht ganz so weiten Zeitraum immerhin eine Zeitmaschine. Mit “Sternenschöpfer” geht Olaf Stapledon einen Schritt weiter und konzentriert sich auf im Grunde neben den klassischen Themen wie Geburt; Aufstieg sowohl von Individuen als auch ganzen Zivilisation; Verfall schließlich mit dem Tod und dem möglichen Leben danach. Das Symbol der Suche ist nicht die Begegnung mit oder den Glauben an Gott, sondern Olaf Stapledon hat in seiner existentiellen Schrift Gott mit dem Sternenschöpfer ersetzt, der kreativen Kraft hinter dem Komos, die allerdings auch wie mehrfach betont das Leben und damit die Existenz ganzer Sternensysteme beenden kann. Wichtig ist es Olaf Stapledon, bei dieser fast verzweifelt zu nennenden Suche seines Ich- Erzählers inklusiv des kosmischen Geschwaders gleichgesinnter und quasi animierter Seelen unterschiedlicher Außerirdischer das Verhältnis zwischen Kreatur und Schöpfer allerdings in einem kosmopolitischen Rahmen zu definieren. Während H.G. Wells allerdings seinen Helden aktiv agieren lässt, verfolgt Olaf Stapledon mit seinem Epos eher die intellektuellen Ziele eines Camille Flammarion und eines Kurd Laßwitzs, die in ihren Spätwerken nicht nur von der beseelten Natur geschrieben haben, sondern neben der Position des Menschen als - um Richard Matheson zu zitieren -   Staubkorn im Universum vor allem verdeutlichten, das es eher die Wissenschaft ist, welche dem generellen Schöpfungsprozess auf die Spur kommen sollte als die biblisch kirchlichen Passagen. Dabei vereint Laßwitz, Flammarion und Stapledon allerdings die These, daß es eine Art übernatürliches, vielleicht sogar göttliches Wesen gibt, das wie die Initiierung des Schöpfungsprozess verantwortlich ist. Es hat sogar die Macht, seine Schöpfung zu vernichten. Aber für allen Zwischenschritte sind diese vielleicht unbedeutenden Wesen selbst verantwortlich und können sich dementsprechend auch nicht verstecken. 

Der Ich- Erzähler löst sich ohne weitere Erklärungen aus seinem Körper und beginnt eine Reise durch die Galaxis. Olaf Stapledon verzichtet auf die Idee einer Traumerfahrung, obwohl der Erzähler nicht sonderlich überrascht ist. Im Verlaufe der Handlung wird der Erzähler nicht nur anderen Zivilisation von unterschiedlicher kultureller Stufe begegnen, viel interessanter ist, dass er als Vertreter der Menschheit bei allen Entscheidungen der irgendwie als komische Überzivilisation entstandenden weiteren Reisenden eine erstaunlich dominante. aber immer auf demokratischen Entscheidungen basierende Rolle einnehmen wird. 

Der Besuch auf einer anderen Erde am Rande unser Galaxis verdeutlicht den wichtigsten Aspekt der ganzen Reise. Der Ich- Erzähler verschmilzt zumindest kurzzeitig seinen Geist mit dem jeweils fremden Wesen. Er sieht die Welt aus dessen Augen. Im besten Fall verdrängt er kurzzeitig dessen Bewusstsein, ohne das der Gastgeber wider Willen es merkt. Im schlimmsten oder besser für die Handlungsführung interessantesten Fall kommt es zu einer Kommunikation zwischen dem Wirt und dem Besucher. Sprachschwierigkeiten gibt es keine. So lernt der Leser immer auf Augenhöhe des Ich- Erzählers die fremden Welt kennen. 

Nicht selten reisen die Gastgeber zusammen mit dem Ich- Erzähler weiter. 

Olaf Stapledon geht in seinem Roman geschickt vor. Die andere Erde ist nicht ein klassisches Spiegelbild der Ursprungswelt, aber viele soziale wie politische Fehlentwicklungen - das Buch erschien ja kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die entsprechenden Implikationen hinsichtlich der drohenden Kriegsgefahr und der Idee der Unterdrückung von Minderheiten spiegeln sich im ersten Abschnitt deutlich wieder - extrapoliert der Autor mit eher einer mahnenden Faust als nur einem Zeigefinger. 

Mit dem Verlassen der anderen Erde wird die handlungstechnische Bandbreite intellektuell tiefer. Auf der einen Seite beschreibt Olaf Stapledon mehr und mehr exzentrisch exotische Welten, auf der anderen Seite geht er aber nicht mehr derartig in die Tiefe wie bei der anderen Erde. Während zu Beginn unterschiedliche “Kulturen” und leider nicht selten deren menschlicher Hand zur Kriegsführung eine wichtige Rolle spielen, dominiert in der zweiten Hälfte nicht nur eine kontinuierliche Begegnung mit kosmischen Wundern, sondern die Suche nach dem allgegenwärtigen Sternenschöpfer, der vielleicht Antworten auf die im Protagonisten schlummernden Fragen hinsichtlich des Schöpfungsprozess kosmischer Dimensionen hat.    

Neben der Idee verschiedener Multiversen, in welche der Ich- Erzähler allerdings nicht so einfach wechseln kann, dominiert die Idee, dass die Sterne selbst im Grunde Lebewesen sind, welche dem Kreislauf des Leben unterliegen. Dabei sind die galaktischen Nebel junge “Wesen”, die noch reifen müssen. Die Sterne symbolisieren dann Wesen in voller Blüte, während die sterbenden Sonnen oder vielleicht schwarzen Löcher den Tod symbolisieren. 

Genau wie die kleine, immer größer werdende Schar der intergalaktischen Reisenden, welche ohne Probleme wie der Ich- Erzähler ihre Körper verlassen können und die erste wirklich demokratische wie pazifistische intergalaktische Gemeinschaft bilden sollen sich die Sterne mittels telepathischer Fähigkeiten verständigen können und ebenfalls eine Art Gemeinschaft bilden. Auch wenn der Ich- Erzähler diese Vergleiche nicht aktiv heranzieht, ist zwischen den Zeilen erkennbar, dass Olaf Stapoledon unter der Führung aufgeklärter Menschen zwischen der intergalaktischen Superzivilisation und der inzwischen kosmopolitischen Gemeinschaft keine großen Unterschiede macht. Alleine die zeitlichen Dimensionen hinsichtlich der Lebenserwartung begrenzen eine Kommunikation auf Augenhöhe. 

Am Ende versucht Olaf Stapledon einen interessanten Vergleich, zu dem die Kirchen weder im 20. Jahrhundert noch der Gegenwart wirklich fähig sind. Die Begegnung mit dem Sternenschöpfer erinnert an einen Maler, einen Bildhauer, einen bildenden Künstler, der sich mit dem Abschluss der kreativen Phase von seiner Schöpfung aktiv abgewandt hat und sie nur noch aus der distanzierten, neutralen Perspektive als Teil der eigenen Vergangenheit betrachtet. Emotional nicht betroffen von möglichen Fehlentwicklungen der eigenen Schöpfung. Das könnte auch erklären, warum Gott seine eigene Schöpfung sich selbst überlassen hat. 

Dabei unterliegt der Sternenschöpfer selbst einer Art kreativen künstlerischen Reifeprozess, denn seine ersten Arbeiten wie ein Universum voller Musik erinnern im übertragenen Sinne als Fingerübungen, vielleicht auch als Spielzeuge. Jeder neue Schöpfungsprozess ist herausfordernder und Olaf Stapledons im Grunde Superintelligenz ist ehrgeizig und neugierig zu gleich. Im Gegensatz zu Gott wird also nicht im Ebenbilde erschaffen, sondern Perfektion angestrebt. Wie diese aussieht, lassen aber der Ich- Erzähler, der Sternenschöpfer und schließlich auch Olaf Stapledon außen vor. 

Neben dem eigenen Universum scheint es eine Art christliche Version zu geben, in welcher der Sternenschöpfer sich nicht mit dem Retter, dem Gott gleichsetzt, in welchem es aber Himmel und Hölle als Aufenthaltsorte nach dem Tod gibt. Der Sternenschöpfer versucht im Grunde auch den  eigenen Schöpfungsprozess abzukürzen, in dem er reife Universen erschaffen will, die nicht den Fehlern seiner bisherigen Schöpfungen an Heim fallen und denen auf planetarischer Ebene der gewaltsame Exodus droht.  

Dabei beeinflusst über fast fünf Milliarden Jahre in einer Umkehrung der christlichen Lehre ohne ketzerisch zu wirken auch der Mensch/die Menschheit/ das intellektuelle Individuum den Schöpfungsprozess und zwingt Gott/ den Sternenschöpfer zu einer Vielzahl von Versuchen, um ein perfekt zu machen. Ob diese Perfektion eine Überlebenschance hat oder wieder nur eine weitere Variation ist, steht auf einem anderen bislang unbeschriebenen Blatt. 

Olaf Stapledons “Sternenschöpfer” ist wie angesprochen ein Bericht und im strengen Sinne aus der subjektiven Sicht des Erzählers/ des Autors kein Roman. Damit soll der Gehalt der Geschichte griffiger und authentischer sein. Das ganze Buch mit seinem kosmopolitischen Spielraum wird ausschließlich aus der Perspektive des Ich- Erzählers präsentiert. Es gibt keine Dialoge, obwohl es ausreichend Zwiegespräche mit den Mitgliedern unterschiedlicher Kulturen gibt.

Es ist vor allem die Gemeinschaft der kosmischen Reisenden, die inspiriert vom Ich- Erzähler und befruchtet durch den Besuch der jeweils Sternenreisenden wie eine neue friedliche “Macht” im Kosmos erscheint. Die Sendboten einer neuen Zeit, Planeten übergreifend und auf der Suche nicht nur nach dem Sternenschöpfer, sondern vor allem auch Wissen und Erkenntnis. Von Jüngern zu sprechen käme deren Aufgabe sehr nahe. 

Der Roman sprüht trotz der distanzierten Erzählstruktur vor Ideen über. Viele der Ansätze wie Multi - oder Taschenuniversen, parallele Entwicklungen auf verschiedenen Planeten und schließlich die Suche nach dem Ursprung des Universums, des Seins wird der Leser über die Jahrzehnte auch in anderen Büchern wiederfinden. Aber niemals in dieser konzentrierten und intellektuell stimulierenden Art, was noch mehr als “Last and First Men” dieses Buch zu einer Art Bibel- Brian W. Aldiss - des Genres machen, in dem vieles “Göttliche” seinen Anfang und sein Ende findet. Beeinflusst von zumindest einem Menschen, aber niemals gesteuert.

Die Lektüre ist herausfordernd und nicht selten wirkt “Sternenschöpfer” eher wie eine philosophisch intellektuelle Stilübung, die sich manchmal auch ein wenig zu sehr um sich selbst dreht und durch das ambivalente Ende ohne abschließende Antworten auch ein wenig an Reiz verliert. Aber alleine die Ideen, die sich nicht in Kapiteln, sondern schon einzelnen Absätzen finden lassen, sind kompakter und stimulierender als manche heute publizierte Trilogie. Wer lesen möchte, vorher Stephen Baxters kosmische Visionen stammen, kommt um Olaf Stapledon als Mittler zwischen H.G. Wells/ Camille Flammarion und der modernen Science Fiction vor allem des New Waves mit der Rückbesinnung auf den Menschen in herausfordernden Umgebungen nicht herum. Alleine aus diesem Grund ist der empfehlenswerte Nachdruck dieses Meisterwerks der Science Fiction für alle Leser eine Pflichtlektüre, die sich mit den Wurzeln des Genres abseits des deutlich bekannteren und populären Golden Age interessieren.             




Deutsche Ausgabe des erstmals 1937 erschienenen Buches, aus dem Englischen übersetzt von Thomas Schlück. Paperback,  243 Seiten, Einbandzeichnung von Les Edwards - 17,50 € — ISBN 978-3-945807-67-5